Finanzielle Allgemeinbildung

- ein Lösungsansatz für Probleme im Finanzsektor?

Probleme wie Überschuldung und zu geringe Privatpensionen sind dadurch zu beseitigen, dass die Menschen lernen, besser mit Geld umzugehen - behauptet der Diskurs um "Finanzielle Allgemeinbildung".

Initiativen zur Finanziellen Allgemeinbildung sind in den USA und Großbritannien seit einigen Jahren im Wachsen begriffen. Als wirtschaftspolitisches Instrument sind sie zuletzt ins Zentrum der Debatte um die künftige Regulierung von Finanzmärkten und privater Vorsorge gerückt. "In fact, there is a growing consensus, in both the public sector and the financial services industry, on the importance of promoting the financial education of households", ist in einem aktuellen Bericht des IWF über Finanzstabilität zu lesen (IMF 2005, 5). Eine andere internationale Organisation, die OECD, bemüht sich in einem aktuellen Projekt um internationale Verbreitung dieses Ansatzes (OECD 2005).

Vor diesem Hintergrund soll der vorliegende Artikel einen Überblick über Gründe, Inhalte und Effektivität von Bemühungen zur Finanziellen Allgemeinbildung geben.

Kontext

Seit den 90er Jahren ist in der Wirtschaftspolitik weltweit mit wenigen Ausnahmen das Bemühen zu beobachten, die Verantwortung für die Altersvorsorge und weitere Lebensrisiken verstärkt an das Individuum zu übertragen. Damit ist auch das Bestreben verbunden, eine "Investmentkultur" zu verbreiten, um die Bevölkerung zur Veranlagung auf Finanzmärkten und zur Akzeptanz der zunehmenden Bedeutung von Eigenverantwortung zu bewegen (BEIGEWUM 1998).

Die Argumentation zugunsten dieser Veränderung stützt sich auf eine behauptete Überlegenheit eines privat administrierten Kapitaldeckungsverfahrens gegenüber einem staatlich administrierten Umlageverfahren. Um die Individualisierung von Verantwortung zu begründen, werden Bedeutungen und Assoziationen von Begriffen verschoben: Wurde früher das öffentliche Pensionssystem mit Sicherheit assoziiert, und die Börse mit Unsicherheit, werden jetzt Argumente für eine Umkehr dieser Assoziation aufgeboten: Demnach sei das System der Altersvorsorge nach dem Umlageverfahren nicht aufrecht zu erhalten, als unsicher, während die Absicherung über die Veranlagung an der Börse den Weg zur Sicherung der Pensionen eröffne. Dieses Narrativ wurde jedoch in den letzten Jahren durch eine Reihe von Ereignissen erschüttert.

1. In Großbritannien ist es in den 90er Jahren zum massenhaften Betrug beim Verkauf von privaten Pensionsprodukten gekommen. Unterversorgung und Altersarmut sind die Konsequenzen. Der Staat gerät in Gefahr, mit der Forderung nach einer Rückdelegation der Verantwortung (etwa in Form von finanzieller Unterstützung für künftige Generationen verarmter PensionistInnen) konfrontiert zu werden, die die Privatisierung der Pensionsverantwortung gerade von ihm abwenden wollte.

2. Als Reaktion auf die "misselling"-Probleme der 90er Jahre wurde in Großbritannien eine so genannte "Stakeholder Pension" eingeführt, ein von Versicherungen angebotenes Produkt mit staatlichen Auflagen, um die Spielräume für Übervorteilung zu verringern. Da die Auflagen das Produkt für die Anbieter aber wenig profitabel machen, bemühen sich die Anbieter nicht aktiv um die Zielgruppe (einkommensschwächere Haushalte), mit der Folge, dass die Verbreitung gering ist. Denn die aktive Nachfrage nach Vorsorgeprodukten ist gering, der Markt gilt als anbietergetrieben (Langley 2004).

3. Vor allem in den USA hat der Boom der Aktienmärkte in den 90er Jahren die Ausbreitung privater Pensionsvorsorge, zum Teil mit individueller Anlageentscheidungsmöglichkeit begünstigt. Nach der im Jahr 2000 einsetzenden Börsenbaisse erwiesen sich die von AnalystInnen und Finanzdienstleistungsunternehmen genährten Hoffnungen auf die Höhe und Sicherheit der daraus resultierenden Pensionen jedoch als verfehlt.

Dort, wo Pensionsfonds Leistungsversprechen gegeben hatten, die durch die Ertragsvolatilität bedroht wurden, haben sie diese Versprechen soweit wie möglich gekündigt. Für zukünftige KlientInnen wird mittlerweile das Risiko einer Auszahlungsgarantie nicht mehr übernommen: Bislang dominierende Systeme, in denen Auszahlungsversprechen in fixer Höhe gegeben wurden, werden durch Produkte ersetzt, in denen die Pensionsauszahlung vom Veranlagungserfolg abhängig gemacht wird. Somit nehmen die Finanzintermediäre die Funktion der Risikoabsorption nicht mehr wahr und wälzen das Anlagerisiko auf das Individuum ab (IMF 2005).
Diese Ereignisse haben bedeutende interne Widersprüche des Systems privater Vorsorge offenbart: Der Markt ist von Anbietern dominiert und Beratungsleistungen zur Orientierung der Nachfrage sind in Interessenswidersprüchen befangen, da sie finanziell von Anbietern abhängig sind. Der Wettbewerb um Kundschaft ist angesichts der Dominanz von Marken als Entscheidungskriterium und geringer Neigung zum Anbieterwechsel im Massenkundengeschäft wenig ausgeprägt.
Während in der Rhetorik von Eigenverantwortung die Vorstellung von zielgerichteter Entscheidungsautonomie auf Seite der Versicherten im Zentrum steht, funktioniert der Markt für Privatvorsorge und andere Finanzdienstleistungen anbieterdominiert.

Die Legitimität der Privatisierung sozialer Sicherheit wird durch die genannten Krisenerscheinungen in Frage gestellt. Dies zeigt sich etwa daran, dass US-Präsident Bush mit seinen Plänen, die Pensionsvorsorge komplett zu privatisieren und stattdessen mithilfe von privaten Pensionsfonds einer "ownership society" zum Durchbruch zu verhelfen, bei der Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung stößt (Polling Report 2005). Auch die demgegenüber bescheiden wirkenden Pläne zum stetigen Ausbau privater Pensionsvorsorge in der EU sind davon betroffen.

In der wirtschaftspolitischen Debatte darüber, wie auf die oben beschriebenen Entwicklungen und Probleme zu reagieren sei, wird daher von liberaler Seite eine Analyse in den Vordergrund gerückt, die den zentralen Ansatzpunkt in der Verbesserung der Informationsasymmetrie auf Finanzmärkten sieht. Als Lösung werden Maßnahmen zur Erhöhung der Finanzbildung der Bevölkerung betrachtet. Wenngleich die Förderung von Finanzbildung nicht ausschließt, dass sie nur begleitend zu Regulierungsmaßnahmen und anderen wirtschaftspolitischen Instrumenten eingesetzt wird, spielt sie in der wirtschaftspolitischen Debatte durchaus die Rolle eines Gegenvorschlags zu Forderungen nach einer verstärkten Regulierung des Finanzsektors oder einer Problematisierung der Pensionsprivatisierung (Häusler 2005).

Initiativen zur Erhöhung der "Financial literacy" konstatieren, dass durch die wachsende Komplexität des Finanzsystems und die erhöhten Anforderungen an persönliche Entscheidungen in Finanzfragen Bemühungen notwendig sind, um den Wissensstand und die Informationsverarbeitungskapazität der Bevölkerung in Finanzfragen zu erhöhen (Fox 2004).

Die Erhöhung des Wissens der Bevölkerung in Finanzfragen wird neben den oben erwähnten Problemen im Bereich persönlicher Vorsorge auch für andere Probleme im Finanzwesen wie Überschuldung und mangelnden Zugang zu Finanzdienstleistungen ("Financial exclusion") ins Spiel gebracht (vgl. Schürz 2005).

In den USA und Großbritannien hat sich im letzten Jahrzehnt ein rasant expandierender Sektor von Finanzbildungseinrichtungen etabliert. Eingerichtet und finanziert werden sie von Finanzunternehmen, privaten Stiftungen, Kirchen, und öffentlichen Stellen wie Zentralbanken und Aufsichtsbehörden. Internationale Organisationen wie OECD und IWF betätigen sich als Fürsprecherinnen dieses Ansatzes. Maßnahmen zur Erhöhung der Finanzbildung sind jüngst Gegenstand eines Projekts der OECD geworden, das aus einer Analyse bestehender Initiativen in den Mitgliedstaaten allgemeine Empfehlungen für ihre Gestaltung abgeleitet hat. Das Projekt wurde auf Initiative von USA und Großbritannien gestartet und erhielt finanzielle Unterstützung des Privatvorsorge-Anbieters Prudential (OECD 2004).

Diese Empfehlungen könnten zum Ausgangspunkt einer Debatte um Maßnahmen zur Erhöhung der Finanzbildung auch im deutschen Sprachraum werden. Erste Publikationen in dieser Hinsicht sind bereits zu finden (Brost/Rohwetter 2004, Reifner 2003). Es scheint folglich angezeigt, sich eingehender mit dem Gegenstand zu befassen.

Wir nehmen die Definition der OECD zum Ausgangspunkt für eine Analyse des Konzepts Finanzbildung. Welche Annahmen enthält es, wo tauchen Widersprüche auf und welche offenen Fragen bleiben? In ihren "Principles and good Practices for Financial Education and Awareness" definiert die OECD Financial Education wie folgt: "the process by which financial consumers/investors improve their understanding of financial products, concepts and risks and, through information, instruction and/or objective advice, develop the skills and confidence to become more aware of financial risks and opportunities, to make informed choices, to know where to go for help, and to take other effective actions to improve their financial well-being." (OECD 2005, 1).

Es scheint hilfreich, die in dieser Definition enthaltenen Gedankenschritte zu analytischen Zwecken zu trennen und einer Untersuchung zu unterwerfen.

(1) Zunächst wird das konsumierende Individuum als Ansatzpunkt gewählt und als mangelhaft diagnostiziert. Der Mangel wird als genau bestimmbar angenommen, als fehlendes Wissen über finanzielle Zusammenhänge. Hierfür gäbe es bestimmte Techniken zur Bewältigung persönlicher Finanzangelegenheiten. (2) Sodann wird angenommen, dass es einen Prozess gibt, in welchem Informationen in geeigneter Weise an das Individuum vermittelt werden können. (3) In weiterer Folge wird davon ausgegangen, dass diese Vermittlung auf Akzeptanz stößt und zu erhöhtem Wissen bei den Individuen führt. (4) Als nächster Schritt muss dieses Wissen zu geändertem Verhalten führen.

1. Finanzinformationen

Wenn in der wirtschaftspolitischen Debatte "mehr Finanzbildung" gefordert wird, wird die implizite Annahme getroffen, es sei geklärt, worin die Inhalte dieser Bildung bestehen sollen. Doch je nach Interessenlage rücken verschiedene Anbieter unterschiedliche Informationen in den Vordergrund von Finanzbildungsprogrammen.

Finanzdienstleistungsunternehmen verstehen darunter vor allem Informationen über die von ihnen angebotenen Produkte. Bei Produktinformationen steht das Verkaufsinteresse im Vordergrund, und in einem Spannungsverhältnis zu den Anforderungen für eine angemessene Entscheidung aus KonsumentInnensicht. KonsumentInnenschutzorganisationen wiederum rücken die Notwendigkeit der Weitergabe von Informationen über KonsumentInnenrechte und Unterstützungsmöglichkeiten in den Vordergrund. Von dieser Seite wird häufig gefordert, Finanzinformationen nur selektiv in ein viel breiter angelegtes, alltagsproblembezogenes Beratungsprogramm einzubetten (Reifner 2003, 43). Politische AkteurInnen, die Finanzbildung als flankierende Maßnahme zur Individualisierung sozialer Sicherheit betrachten, sehen vor allem die Stärkung der individuellen Handlungsfähigkeit und des Selbstvertrauens als zentrale Aufgaben von Finanzbildung. Welche Informationen wichtig sind, wird also je nach Interesse und Zielperspektive unterschiedlich beantwortet werden. Angesichts dessen ist unklar, wie eine "angemessene" Informationsauswahl aussehen könnte.

Was nützliche Informationen sind, kann auch nur in Abhängigkeit vom herrschenden Regulierungsumfeld beantwortet werden. In diesem Bereich bestehen signifikante nationale Unterschiede (Amable 2005). In einem Umfeld, in dem weit reichende gesetzliche Auflagen und Einschränkungen für die Finanzindustrie bestehen, die das Angebot auf wenige transparente Alternativen beschränken, werden KonsumentInnen nur über wenig Bildung verfügen müssen, möglicherweise werden ihnen bloß einfache Checklisten und Kriterien zur Kenntnis gebracht werden müssen. In einem Umfeld, in dem der Industrie jedoch große Spielräume zur Gestaltung ihres Angebots eingeräumt werden, und wenig gesetzliche Schutzvorkehrungen für KonsumentInnen bestehen, wird der Bildungsbedarf ein anderer sein müssen. Je höher die Informationsanforderungen an die KonsumentInnen, desto wahrscheinlicher stellt sich auch für die Erstellung von Lehrplänen das Problem, in Detailfragen zwischen konkurrierenden Expertenmeinungen entscheiden zu müssen (etwa in der Frage der Gewichtung zwischen Aktien und Anleihen bei der Portfoliogestaltung).

Was eine angemessene Information ist, hängt auch von den Merkmalen und der Lage der KonsumentInnen ab. Finanzbildungsprogramme werden als Lösungsbeitrag im Kontext einer ganzen Reihe von Problemen ins Spiel gebracht: Überschuldungsprobleme, mangelnder Zugang zu einer Bankverbindung, Entscheidungsfindung für individuelle Versicherung und Vorsorge etc. Die Probleme in diesen Lagen gleichen sich nicht, folglich sind jeweils unterschiedliche Informationen wichtig. Die meisten schulähnlichen Finanzbildungsprogramme, die etwa in den USA Verbreitung gefunden haben, nehmen darauf jedoch zumindest bislang kaum Rücksicht (Braunstein/Welch 2002, 456).

Finanzielle Probleme und Herausforderungen sind auch meist in größere Entscheidungen und Probleme eingebettet, deren Besonderheiten auf die Entscheidung bzw. Handlungsmöglichkeiten einwirken. So sind v.a. Menschen mit Schwierigkeiten wie Überschuldung mit einem ganzen Bündel zusammenhängender Probleme konfrontiert (Arbeitslosigkeit, Scheidung, geringe Bildung, Alleinerzieherstatus etc.). Ist man an erfolgreicher Finanzbildung interessiert, würde dies nahe legen, bei Bildungsmaßnahmen eher auf Knotenpunkte des Lebens, die mit finanziellen Konsequenzen einhergehen, abzustellen, anstatt isoliert Finanzinformationen zu vermitteln (Griffiths Commission 2005, 91ff.).

Eine Vermittlung von isolierten Finanzmarktinformationen, wie etwa Details zum Agieren auf dem Kapitalmarkt, wird fast ausschließlich für materiell Bessergestellte von Nutzen sein, da Menschen mit geringen Einkommen kaum mit der Börse in Berührung kommen (Mooslechner/Schürz/Wagner 2005). An Informationen zu Aktien werden vorrangig jene interessiert sein, die sich eine solche Anlageform bereits überlegt haben. Es stellt sich aber gerade bei jenen die Frage, ob diese sich die erforderlichen Kompetenzen nicht auch selbständig oder bei kommerziellen Bildungsanbietern besorgen hätten können.

Die Vorstellung von einem klar umrissenen, unumstrittenen Kanon im Bereich Finanzbildung ist also verfehlt.

2. Finanzbildungsprogramme

Der nächste Schritt, der eine weitere Erfolgsvoraussetzung für Finanzielle Allgemeinbildung darstellt, sind gelungene Bildungsprogramme. Ist eine Entscheidung über die Auswahl relevanter Informationen und Bildungsangebote getroffen, müssen diese in Bildungsprogrammen an die Betroffenen vermittelt werden. Dies ist keineswegs unproblematisch.
Die bereits oben angeschnittene Tatsache, dass sowohl Interessensdivergenzen zwischen Schulungsanbieter bestehen, als auch große Unterschiede in den Charakteristika und Problemlagen der Zielgruppen für Finanzbildung zu konstatieren sind, birgt diesbezüglich eine Reihe von Problemen.

Die Heterogenität der Nachfragerseite von Finanzbildung hat vor allem die Implikation eines heterogenen Bildungsbedarfs. Je nach Problemlage wird von anderen Bildungserfordernissen ausgegangen werden müssen. Finanzbildung wird bei Menschen mit Finanzproblemen anders aussehen müssen als bei Leuten, die auf Vertragsabschlüsse vorbereitet werden sollen. Eine Information, die den Betroffenen ihr vormals fehlerhaftes Verhalten aufzeigt, könnte zwar vielleicht ihre Eigenverantwortung und Schuld aufzeigen, aber auch zu einer Verhärtung der Situation (Passivierung angesichts der Aussichtslosigkeit) und Demotivierung führen.

Auch das unterschiedliche Mediennutzungsverhalten verdient Aufmerksamkeit. Tossaint-Commeau/Rhine (2002) zeigen, dass Niedrigeinkommensbeziehende und FinanzkonsumentInnen mit geringer Schulbildung eher über TV und Radio als über Internet und Broschüren erreicht werden können. Mit der Auswahl von bestimmten Vermittlungsformen werden somit bestimmte Bevölkerungsschichten bevorzugt bzw. benachteiligt.

Während diese Heterogenität der Nachfrage von einem ausdifferenzierten und abgestimmten Bildungsangebot berücksichtigt werden könnte, zeitigt die Heterogenität des Angebots eigene Probleme. Finanzielle Allgemeinbildung ist in den USA und Großbritannien in den letzten Jahren zu einem stark expandierenden Aktivitätsfeld geworden. So unterschiedliche Institutionen wie Schulen, Finanzinstitutionen, Interessenvertretungen, private Stiftungen, Notenbanken, Aufsichtsbehörden und andere staatliche Instanzen sind diesbezüglich tätig (für einen Überblick siehe Fox 2004, OECD 2005a).

Diese Vielzahl an anbietenden Institutionen hat unterschiedliche Eigeninteressen, die mit der Vorstellung von angemessener Beratung unvereinbar sein können: Finanzdienstleistungsunternehmen sind womöglich an der Absatzförderung interessiert, Notenbanken und Finanzaufsichtsorgane an der Stabilität des Finanzsystems, staatliche Institutionen an der Funktionalität von Finanzbildung im Rahmen von Kampagnen zur Stärkung von Eigenverantwortung, NGOs an der Stärkung der Stellung von KonsumentInnen etc. Aus Sicht der bildungsanbietenden Institution liegt es nahe, bei der Erstellung des Bildungsangebots dem jeweiligen institutionellen Interesse zu folgen.

In der Vermittlung von Finanzwissen dominieren derzeit die Anbieter von Finanzdienstleistungen. Der überwiegende Teil der Finanzbildungsprogramme in den USA wird von Finanzdienstleistungsunternehmen finanziert (Brost/Rohwetter 2004). Abseits von Bildungsprogrammen sind die Hauptkontaktpersonen für Laien in Finanzfragen bislang BeraterInnen und VertreterInnen, die von Finanzdienstleistungsunternehmen beschäftigt bzw. finanziell abhängig sind, und deswegen gravierenden Interessenkonflikten ausgesetzt sind. Ein Vorschlag von Robert Shiller (2005) lautet daher, die FinanzberaterInnen zu subventionieren, sie damit von Finanzdienstleistungsunternehmen unabhängiger zu machen und so den Leuten preisgünstig jene Informationen zukommen zu lassen, die sie benötigen. Dies bedeutet für den Staat wieder eine budgetäre Belastung.

Die Einsicht in die vielfältigen Probleme angemessener Vermittlungsarbeit in Finanzbildungsfragen haben zum Entstehen einer wissenschaftlichen Diskussion zum Thema "financial literacy" beigetragen, in der unter anderem diskutiert wird, wie sich der Erfolg von Finanzbildungsprogrammen evaluieren lassen könnte (vgl. Braunstein/Welch 2002, Fox 2004). Nach welchen Kriterien und mit welchen Methoden soll Finanzbildung evaluiert werden?

Das nahe liegende Kriterium, die Nutzung von Finanzdienstleistungen durch AbsolventInnen als Indikator heranzuziehen, ist problematisch. Denn ihm liegt die Annahme zugrunde, dass eine höhere Nutzung von Finanzdienstleistungen per se wünschenswert sei. In vielen Fällen ist das jedoch fragwürdig: Nicht alle Menschen brauchen ein Konto oder müssen sparen. Jugendliche sind vielleicht besser beraten, erst später über ein Konto zu verfügen, und PensionistInnen am Lebensabend werden auch nur begrenzt sparen müssen. Und wer über ein hinreichendes Einkommen und Vermögen verfügt, für den bzw. die wird sich die Frage des Sparens sowieso anders stellen als für Personen, für die Sparen einen massiven Konsumverzicht bedeutet. Nicht zuletzt liegt der Sinn mancher Finanzbildungsmaßnahmen ja gerade darin, auf nicht adäquate Finanzdienstleistungen zu verzichten (z.B. keine Kredite aufzunehmen, die die persönliche Rückzahlungsfähigkeit überfordern).

Eine Alternativmethode wäre die Abfrage der Zufriedenheit der Kursteilnehmenden. Oft zeigen sich die TeilnehmerInnen von Finanzbildungsprogrammen zufrieden und fühlen sich den Herausforderungen der Finanzwelt besser gewachsen. Doch diese subjektiven Evaluierungen müssen nicht mit objektiven Ergebnissen übereinstimmen. So überschätzen Individuen regelmäßig ihr Wissen und handeln wider besseres Wissen (Erturk et al. 2005, Shiller 2002). Auf die Probleme von Tests als Indikator zur Ermittlung der Lernerfolge wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen.
Ein weiterer möglicher Indikator wäre der individuelle finanzielle Erfolg. Doch mittels welcher Indikatoren könnte Erfolg gemessen werden? Nur Longitudinalstudien über einen längeren Zeitraum, in denen der Erfolg von Menschen mit und ohne Finanzbildung verglichen wird, kämen diesbezüglich in Frage. Solche Daten liegen bislang nicht vor.

Dass eine der Empfehlungen der OECD (2005) lautet, Evaluierungstechniken für Finanzbildungsangebote zu entwickeln, verdeutlicht die Unsicherheit darüber, wie eigentlich ein für die vorgesehenen Zwecke geeignetes Bildungsprogramm auszusehen habe. Das könnte langfristig die Unterstützung für diese Programme unterminieren. "Demonstration of program effectiveness is critical to maintaining the current level of interest in and resources devoted to financial literacy education", konstatiert etwa eine Studie der Federal Reserve Bank (Braunstein/Welch 2002, 456).

Weitere Empfehlungen der OECD betreffen die Koordination der Bildungsaktivität und die Entwicklung öffentlicher Akkreditierungskriterien für Finanzbildungsprogramme. Daraus lässt sich ablesen, dass der momentane Wildwuchs verschiedenster Initiativen mit heterogenen Interessen kaum den Vorstellungen einer angemessenen Bildung entspricht.

3. Finanzwissen

Die zur Vermittlung von Informationen über Finanzangelegenheiten eingerichteten Bildungsprogramme müssen in einem nächsten Schritt von TeilnehmerInnen in Anspruch genommen werden, die den gebotenen Inhalt absorbieren und in eigenes Wissen verwandeln.
Ein für die Notwendigkeit von Finanzbildung zumeist genanntes Motiv ist das geringe Finanzwissen in der Bevölkerung. Doch daran scheint sich durch Finanzbildung auch in jenen Ländern, in denen seit Jahren diesbezügliche Bemühungen intensiviert werden, nichts zu ändern. In jüngster Zeit durchgeführte Untersuchungen ergeben, dass das Finanzwissen in allen Ländern, für welche Daten vorliegen (u.a. USA, Australien, Großbritannien, Deutschland), gering ist und sich mitunter trotz intensivierter Bildungsbemühungen keine Wende zum Besseren abzeichnet (Braunstein/Welch 2002, Jump Start 2004, Leinert 2004, Roy Morgan Research 2003). Während einige Untersuchungen in den USA auf die Nützlichkeit von Finanzbildung hinweisen, konnten beispielsweise die Tests der Finanzbildungs-Allianz "JumpStart Coalition" unter High School SchülerInnen keine Verbesserung feststellen. "Over a period when attention to public school training in personal finance was increasing, average scores on a multiple choice test of seniorsÂ’ knowledge of the basics of personal finance were declining" (Braunstein/Welch 2002, 453). Dafür kommen hauptsächlich zwei mögliche Erklärungen in Frage: Zum einen könnten qualitative Defizite in Bildungsprogrammen die Ursache sein. Zum anderen könnte der mangelnde Erfolg von Bildungsbemühungen als Indikator für mangelnde Akzeptanz und eine mögliche Verweigerungshaltung auf Seiten der Geschulten gewertet werden. Schließlich basiert die Teilnahme an Finanzbildungsprogrammen vielfach nicht auf Freiwilligkeit.

Als Grundlage für die zweite Vermutung kann die Tatsache herangezogen werden, dass finanzielle Angelegenheiten bislang vielerorts ein wenig geliebtes Thema sind. Laut einer Umfrage der EU-Kommission empfinden rund drei Viertel aller Befragten in der EU eher negative Gefühle gegenüber Finanzdienstleistungen (European Commission 2004). Hogarth et al. (2003) schlussfolgern in einer empirischen Untersuchung über den Zusammenhang von Finanzwissen und Finanzverhalten daher, dass die wichtigste Herausforderung in der Finanzerziehung bei der Motivation der Menschen läge. Menschen müssen ihr Verhalten ändern wollen, damit Erziehung überhaupt Erfolg haben kann. Solange Interesse, Risikoakzeptanz und Verantwortungsgefühl nicht gegeben sind, wird Finanzbildung auf wenig Nachfrage stoßen. Erfahrungen in der Finanzbildung verweisen auf die Notwendigkeit von institutioneller Einbindung der Finanzbildung (in die Schule, den Betrieb, die Universität usw.) und monetärer Anreize, um Menschen zur Teilnahme zu bewegen (Bernheim et al. 1997, Hogarth et al. 2003). Dies bringt Finanzbildung in Nähe zur verpflichtenden Schulbildung. Tatsächlich wird vielerorts ein Schulfach "Finanzen" gefordert (ESAP 2005, U.S. Department of the Treasury 2002, U.S. Senate 2002).
Angesichts der Tatsache, dass Finanzbildung im Zuge von Kampagnen zur Erhöhung der Eigenverantwortung zu verorten ist, die private Vorsorge mit dem Argument von mehr Wahlfreiheit propagieren, bedeutet die Forderung nach Zwang eine Wende in der Argumentation. Jemand zum Wissenserwerb zu verpflichten, ist mit der Vorstellung von mehr Wahlfreiheit nur schwer vereinbar.

Wenn das dennoch geschieht, wird von den Verantwortlichen offenbar davon ausgegangen, dass die Akzeptanz für das Paradigma von Eigenverantwortung und Wahlfreiheit in Fragen der sozialen Sicherheit noch nicht vorhanden ist. Und dass zu Zwang gegriffen wird, deutet auf ein starkes Interesse zur Durchsetzung des Paradigmas auch gegen ablehnende Haltung in der Bevölkerung hin.

Finanzbildungsprogramme lassen sich somit auch als Element einer Strategie zur Akzeptanzschaffung für die Privatisierung sozialer Risiken verstehen. In diesem Licht gesehen, wird klar, dass die Schaffung von Akzeptanz ein zentrales Lernziel von Finanzbildungsprogrammen darstellt, das über die Vermittlung von Sachwissen hinausgeht, diese überlagert bzw. ihr vorangeht.

Erst aus der Akzeptanz der Eigenverantwortung wird Einsicht in die Notwendigkeit der eigenen Weiterbildung in Finanzfragen erwachsen. Fehlt diese Akzeptanz, muss seitens der bildungsbefürwortenden Stellen entweder das Projekt aufgegeben oder zu Zwang gegriffen werden müssen. Wird Finanzbildung verpflichtend, ermöglicht die Vermittlung von Finanzwissen schließlich auch die Zuweisung von Verantwortung. Sofern alle in Frage kommenden Gruppen Finanzbildung erhalten haben, ist jede/r Betroffene selbst dafür verantwortlich, dieses Wissen zum persönlichen Nutzen einzusetzen, und hat sich etwaiges Versagen nur selbst zuzuschreiben, so die politische Konsequenz. Wenn also TeilnehmerInnen an Finanzbildungsmaßnahmen den Wissenserwerb verweigern, dann ist zwar das Bildungsziel der Wissensvermittlung gescheitert. Aber in der Zuweisung von moralischer Verantwortlichkeit an die Betroffenen für ihr künftiges Finanzgebaren kann die Ausbildung durchaus erfolgreich sein.

Folgerichtig sieht die OECD in der Herstellung von Vertrauen ein zentrales Bildungsziel im Bereich Finanzbildung. Vertrauen in die eigene Fähigkeit, im Finanzsystem effektiv zu handeln und sich an Expertenratschlägen zu orientieren, steht jedoch in einem fragilen Spannungsverhältnis zu eigenem Finanzwissen. Eine Reihe von Umfragen zu Finanzfragen zeigt bei vielen Menschen hohes Vertrauen in das eigene Wissen. Aber dies spiegelt sich vielfach nicht in den Ergebnissen zu ihren Finanzkenntnissen wider (OECD 2005a, Shiller 2002).

Der Erfolg von Finanzbildungsprogrammen hängt also nicht allein und nicht direkt von einer Zunahme des Wissens ab, sondern von einer Veränderung der Einstellung zu Finanzthemen. Das richtige Maß von Vertrauen herzustellen ist eine Bildungsaufgabe, zu der bislang systematische Überlegungen fehlen. Sie setzt auch einen Konsens über eine neoliberale wirtschaftspolitische Orientierung voraus, was in der Konzentration der öffentlichen Debatte auf den weniger kontroversiellen inhaltlichen Bildungsaspekt von Finanzbildung aus dem Blick zu geraten droht. Derzeit diskutierte Ansätze, Finanzbildung mit Zwangscharakter zu versehen, erscheinen unter diesem Gesichtspunkt besonders problematisch.

4. Finanzverhalten

Von dem in Finanzbildungsmaßnahmen erworbenen Wissen wird ein positiver Effekt auf das persönliche Verhalten in Finanzfragen erwartet. Dieser Zusammenhang kann jedoch durch eine Reihe von Einflussfaktoren durchbrochen werden: Dazu zählen zum einen Aspekte von Finanzentscheidungen, die auf Grenzen des Wissens stoßen, zum anderen verhaltensbestimmende Faktoren, die zu Abweichungen gegenüber den Erwartungen an rationales Verhalten führen können.

Einerseits ist in Kursen erworbenes Wissen in Finanzangelegenheiten aufgrund der Natur von Finanzentscheidungen nur begrenzt anwendbar. Während etwa relevantes Wissen für kontinuierliche Alltagsprobleme wie Sparen häufig nach Finanzbildungskursen unmittelbar und kontinuierlich angewendet werden kann, werden viele bedeutende persönliche Finanzentscheidungen nur selten, manche davon überhaupt nur einmal im Leben, getroffen: Abschluss privater Vorsorge, Lebensversicherung, Kreditaufnahme. Diese Entscheidungen haben dann vielfach weitreichende persönliche finanzielle Konsequenzen, bieten nur geringe bzw. teure Korrekturmöglichkeiten, und erweisen sich mitunter erst Jahre später als richtige oder falsche Entscheidungen. Gleichzeitig ist Finanzwissen übungsbedürftig, um verinnerlicht zu werden. Diese Konstellation aus Übungsbedürfigkeit des Wissens und mangelnden praktischen und ungefährlichen Übungsmöglichkeiten im Alltag macht es schwierig, mittels Kursen Verhalten verbessernd zu beeinflussen.

Neben diesen Argumenten für begrenzte Nützlichkeit von Kurswissen für viele Entscheidungen ist auch auf andere verhaltensbestimmende Faktoren hinzuweisen:
Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Nachfrage ist das Angebot, insbesondere im Finanzsektor. Schulden zu machen ist in den meisten Industrieländern leicht. Konsumkredite und Kreditkarte zu erlangen, stellt kein Problem dar, aber auch Hypotheken oder Darlehen für Aktieninvestitionen sind einfach zu bekommen. Bei einer zu hohen Kreditkartenschuld können die Schulden auf eine oder mehrere neu angeschaffte Kreditkarten verschoben werden und erhöhen damit den Problemdruck (Griffiths Commission 2005). Diese Angebote werden von den Unternehmen aktiv verkauft, vielfach ohne Rücksicht auf daraus entstehende Risiken für die KonsumentInnen. Dass in einer Umfrage in der EU über die Hälfte der Befragten die Marketingmethoden von Finanzdienstleistungsunternehmen als "aggressiv" empfindet (European Commission 2004), ist ein Hinweis darauf, dass im Verhältnis von Finanzanbietenden und -nachfragenden nicht nur Probleme der Informationsasymmetrie bestehen.

Ein mögliches Überangebot kann zu Verhaltensverzerrungen führen. TeeliebhaberInnen schätzen es, zwischen 60 Teesorten wählen zu können. Für unwissende FinanzkundInnen bringt die Vielzahl der Anlagemöglichkeiten hingegen hohe Informationskosten. Besonders hoch sind diese Kosten, wenn die Unterschiede zwischen den angebotenen Finanzvarianten gering sind. Wird Menschen in Finanzfragen zu viel an Wahlmöglichkeiten gegeben, kann dies zu Verunsicherung und Entscheidungsvermeidung führen. Die Untersuchungen von Huberman et al. (2003) zeigen eine negative Beziehung zwischen der Zahl der angebotenen Anlagemöglichkeiten bei individuellen "401(k)" Pensionsvorsorgeplänen und der durchschnittlichen Teilnehmerzahl. Wurden nur zwei Fonds angeboten, war die Partizipationsrate 75%. Sie sank auf 60%, wenn über 50 Alternativen für die Beschäftigten zur Auswahl standen.

In anderen Fällen kann es statt zu viel zu wenig bzw. gar kein Angebot geben: In einem Umfeld erhöhten Wettbewerbs konzentrieren sich Banken auf profitable Marktsegmente, was zu einem de facto Ausschluss von armen Leuten von Bankdienstleistungen führen kann, ohne dass ihr Verhalten etwas daran ändern könnte (Leyshon/Thrift 1997, FSA 2000, OECD 2005a, 22).

Wie im vorangegangen Abschnitt bereits besprochen, sind für das Verhalten in Finanzangelegenheiten Fragen der Einstellung möglicherweise bedeutsamer als kodifizierbares Wissen: Bildungsentscheidungen sind oft Teil von Statusvererbungen der Eltern auf ihre Kinder. Untersuchungen zeigen, dass die Haltung von Eltern zu Finanzangelegenheiten möglicherweise einen stärkeren Einfluss auf das Finanzverhalten der Kinder hat, als der Unterricht in der Schule (Jump Start 2004, Griffiths Commission 2005, 97). Sparsame Eltern, die Finanzdienstleistungen ausgiebig nutzen, werden andere Einstellungen zum Geld vermitteln, als einkommensarme Eltern, die vom Finanzsystem weitgehend ausgeschlossen sind (FSA 2000). Einer Finanzausbildung der Kinder würde es in einem Fall (finanzkundige Eltern) kaum bedürfen, im anderen Fall (finanzunkundige Eltern) steht nicht zu vermuten, dass das Finanzbildungsproblem vorrangig ist.

Die Frage, ob erhöhtes Finanzwissen zu einem richtigen Finanzverhalten führt, ist auch Thema verhaltensökonomischer Studien (Choi et al. 2001, Shiller 2002, Thaler/Benartzi 2004). Während die neoklassische Wirtschaftstheorie annimmt, dass Menschen rationale Entscheidungen zur Wohlfahrtsoptimierung auf Basis aller verfügbaren Informationen treffen, und mehr Informationen bessere Entscheidungen nach sich ziehen, weist die Verhaltensökonomie auf die Verbreitung zahlreicher Verhaltensanomalien bei Menschen hin, die zu Abweichungen gegenüber üblichen Modellvorstellungen von rationalem Finanzverhalten führen können.

• Bei der Teilnahme an einem Seminar zu 401(k) Pensionsplänen waren alle TeilnehmerInnen überzeugt, dass sie dem Pensionsplan beitreten würden. Sechs Monate später jedoch hatten sich nur 14% dafür entschieden (Choi et al. 2001).

• In einer Befragung stellte sich heraus, dass 68 von 100 Beschäftigten in einem US-amerikanischen Unternehmen dachten, dass sie nicht ausreichend sparen. 24 von ihnen meinten, dass sie innerhalb von drei Monaten mehr sparen wollen, aber nur 3 taten dies dann auch tatsächlich (Choi et al. 2001).

• Menschen werden beeinflusst durch die Wahlmöglichkeiten, die ihnen präsentiert werden. Thaler/Benartzi (2001) berichten, dass TWA-Piloten, die fünf Aktienfonds und einen Anleihefonds zur Wahl bekamen, sich im Durchschnitt zu 75% für eine Aktienveranlagung entschieden. Hingegen entschieden sich Angestellte der Universität von Kalifornien, die nur einen Aktienfonds und vier Anleihefonds zur Wahl hatten, nur zu 34% für eine Aktienveranlagung.

• Menschen bevorzugen Anlagen, die ihnen vertraut sind. Daher ist eine Neigung zu erkennen, in Aktien des eigenen Unternehmens zu investieren, statt das investierte Geld breiter zu streuen, trotz der im Anschluss an Skandale wie Enron öffentlich diskutierten Risiken (Pensions Commission 2005).

• Untersuchungen zeigen, dass bei Vorsorgeplänen, bei welchen man sich aktiv für eine Beteiligung entscheiden muss, zunächst aber ohne Anspruch bleibt, die Partizipationsrate bei nur etwa einem Drittel liegt. Börsch-Supan (DIA 2005) schlägt daher ein "opting-out" Modell vor. Dabei handelt es sich um Altersvorsorgepläne, die beim Antritt eines Beschäftigungsverhältnisses automatisch in Kraft treten, wenn nicht explizit dagegen Einspruch erhoben wird. Solche Modelle erreichen in den USA Beteiligungsraten von über 85%.

Menschen verwenden also oft nicht alle entscheidungsrelevanten Informationen für ihre Entscheidungen, sie tendieren zu Kurzsichtigkeit, und werden von äußeren Umständen beeinflusst, die für eine rationale Entscheidung nicht unbedingt relevant sind. Finanzbildung wird hier nur begrenzt zu Veränderungen führen.

Schließlich besteht auch die Gefahr, mit der Verengung von Finanzverhalten auf Wissen die Frage der Ressourcenausstattung als zentrale Determinante auszublenden (Schürz 2005). Zwischen der finanziellen Fähigkeit zu Sparen und dem tatsächlichen Sparverhalten besteht eine stärkere Korrelation als zwischen Finanzwissen und Sparquote. Ein Wissenszuwachs kann den Lebensstandard von Individuen mit einem ökonomischen Ressourcenmangel ja nicht direkt aufheben. Indirekt hilft Bildung möglicherweise zur Motivation und dies mag zu einem erhöhten Arbeitseinkommen führen, welches dann zu einem angemessenen Spar- und Kreditverhalten führen kann. Aber Individuen, denen wichtige materielle Ressourcen, wie Einkommen und Vermögen, fehlen, reicht ein verbessertes Finanzwissen allein nicht für ein angemessenes Finanzverhalten (Caskey 2002, Bernstein 2003).

Eines der bekanntesten Projekte zur Vermögensbildung für arme Menschen in den USA sind individuelle Entwicklungskonten. Die Individual Development Accounts (IDAs) sind ein Programm für die working poor. IDAs funktionieren so, dass die Haushalte für bestimmte Zwecke (Hauskauf, Schulbildung, Altersvorsorge) ansparen und jeden gesparten Dollar in einem bestimmten Verhältnis (meist 1:2 oder 1:3) subventioniert erhalten (Siehe etwa Sheraden 2000, Stegman et al. 2001, Center for Community Capitalism 2003, Schreiner 2004). Der Mittelwert des Haushalteinkommens der TeilnehmerInnen betrug 1.496 US-Dollar und lag damit in Nähe der familienbereinigten Armutsschwelle. Die durchschnittliche monatliche Spareinlage betrug 19 US-Dollar. TeilnehmerInnen, die angaben, dass ihnen die Finanzerziehung geholfen hat, die Bedeutung von Sparen zu erkennen, sparten im Durchschnitt um etwa 9 US-Dollar pro Monat weniger als jene TeilnehmerInnen, welche den Unterricht nicht hilfreich fanden. Die Quelle der Ersparnisse waren Veränderungen im Konsumverhalten. Die TeilnehmerInnen kauften bewusster ein und gingen weniger Essen. Nach der Finanzschulung fühlten sie sich zuversichtlicher hinsichtlich ihrer Zukunft. Einige Stunden an Finanzbildung erhöhten die Ersparnisse, aber weitere Unterrichtsstunden führten sogar zu einem Rückgang der positiven Effekte. Im Durchschnitt besuchten die TeilnehmerInnen zwölf Stunden an allgemeiner Finanzerziehung. Mehr als acht Stunden hatten keine zusätzliche positive Wirkung. Die TeilnehmerInnen sparten nur 51 Cents von jedem Dollar, für den sie eine Subvention erhalten hätten. Aus diesen empirischen Ergebnissen Empfehlungen abzuleiten, wäre vermessen. Die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen sind, dass sogar in einem institutionellen Kontext, der dem Sparen so förderlich ist, wie jener der IDAs, das Ausmaß der tatsächlich gesparten Beträge gering bleibt. Geringes Einkommen setzt der Sparfähigkeit enge Grenzen. Die materiellen Probleme der Armen, die mit Wissensproblemen einhergehen, können nicht über Finanzbildung kuriert werden (Martin et al. 1999, Jacob et al. 2000, Caskey 2002).

Wenn Wissen nur eine unter mehreren Determinanten des Finanzverhaltens ist, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis eine wirtschaftspolitische Intervention zur Erhöhung der Finanzbildung zu anderen wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumenten stehen soll.
Wo ergänzt Finanzbildung staatliche Regulierung, und wo ist sie nur eine unzureichende Alternative? Wer soll sein Verhalten ändern, die Finanzunternehmen oder die Kundschaft oder beide? Ein Beispiel: Sollen Jugendliche, die wegen exzessiver Ausgaben für Handy und Computerspiele in die Schuldenfalle gerieten, über ihre Kaufsucht aufgeklärt werden oder soll den Banken die Weitergabe von Kreditkarten an Jugendliche verboten werden?
Wenn die OECD (2005) auch generell festhält, dass Finanzbildung kein Substitut für Finanzregulierung sein kann, bleibt diese wichtige, kontrovers debattierte wirtschaftspolitische Frage doch unbeantwortet.
Auch rationales Finanzverhalten von FinanzkundInnen führt nicht notwendigerweise dazu, dass etwa Finanzmarktprodukte den gewünschten Ertrag zeitigen. Ein ausreichendes Anlagevolumen, die Entwicklung des allgemeinen wirtschaftlichen Umfelds und Glück sind weitere Determinanten für Erfolg in Finanzangelegenheiten. Und Finanzbildung kann keinen hinreichenden Schutz gegen Finanzbetrügereien bieten, die auf bewusster Irreführung und Fälschung von Informationen beruhen. Dies belegen teilweise die Betrugserfahrungen in Großbritannien, der Enron-Skandal in den USA und die Betrügereien im Parmalat-Fall in Italien.

Schlussfolgerungen

Dem Konzept "Finanzielle Allgemeinbildung" kommt in den letzten Jahren wachsende Aufmerksamkeit zu. Sie wird immer häufiger als geeignete Antwort auf die erhöhte Individualisierung sozialer Risiken und die damit verbundenen erhöhten Anforderungen an private Haushalte in Finanzangelegenheiten ins Spiel gebracht (IMF 2005, 5). In den letzten Jahren war eine steigende Zahl von diesbezüglichen Initiativen, insbesondere in den USA und Großbritannien, zu beobachten. Mit der Verabschiedung von Empfehlungen hat die OECD (2005) jüngst einen Schritt zur Internationalisierung der Debatte um den Stellenwert Finanzieller Allgemeinbildung und damit in Zusammenhang stehender wirtschaftspolitischer Maßnahmen gesetzt. Möglicherweise wird das Konzept nun auch im deutschsprachigen Raum Gegenstand wirtschaftspolitischer Debatten und Programme.

Um die Funktionsweise von Finanzieller Allgemeinbildung besser verstehen zu können, haben wir die dem Konzept zugrunde liegenden Elemente identifiziert. Dabei erweist sich, dass diese mit einer Reihe von durchaus fragwürdigen Annahmen ausgestattet sind. Der Glaube an die Wirksamkeit Finanzieller Allgemeinbildung ist äußerst voraussetzungsvoll: Bestimmung des Gegenstands ("Finanzinformation"), Vermittlung des Gegenstands ("Finanzbildungsprogramme"), Erlernen des Gegenstands ("Finanzwissen") und schließlich Anwendung des Gelernten ("Finanzverhalten") sind keineswegs unproblematisch.
Sowohl die Kriterien für die Definition als auch für die Vermittlung des Gegenstands Finanzbildung sind nur auf Basis interessegeleiteter Werturteile zu bestimmen. Das Erlernen des Gegenstands bedarf einer Lernbereitschaft seitens der Adressaten, die keineswegs selbstverständlich ist. Um erfolgreich sein zu können, müssen Maßnahmen zur Finanziellen Allgemeinbildung also zuvorderst Akzeptanz der Eigenverantwortung für die gegenständlichen finanziellen Belange schaffen. Daraus wird ersichtlich, dass sie nicht bloß neutrale Bildungsprogramme sind, sondern Maßnahmen zur Akzeptanzsicherung neoliberaler Individualisierung von Verantwortung für soziale Risiken.
Zwar wird niemand behaupten, erhöhtes Finanzwissen allein würde den individuellen Erfolg in Finanzangelegenheiten sicherstellen. Doch wenn weitere Maßnahmen zur Beeinflussung der anderen maßgeblichen Einflussfaktoren ausbleiben, und Finanzielle Allgemeinbildung die einzige wirtschaftspolitische Intervention zur Flankierung von Risikoindividualisierung bleibt, liegt der Verdacht nahe, hier handle es sich um eine symbolische Maßnahme, die vorwiegend dazu dient, Verantwortung für soziale Risiken auf das Individuum abzuwälzen.

Ob Finanzielle Allgemeinbildung selbst dazu beiträgt, die politisch gewollte Individualisierung von Risiko besser bewältigen zu können, ist aufgrund der anspruchsvollen Voraussetzungen für das Gelingen Finanzieller Allgemeinbildung und der Tatsache, dass der Beitrag individuellen Wissens zur Verbesserung von Finanzergebnissen unklar ist, äußerst fraglich.

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