Geländegewinne in der Krise?

Corona-Politik der extremen Rechten

Bei den Aktivitäten der sog. Querdenken-Bewegung treten extreme Rechte massiv in Erscheinung, im parlamentarischen Raum inszeniert sich die AfD als entschiedene Kritikerin der vorherrschenden Corona-Politik. Profitiert die extreme Rechte also von einer klaren Positionierung an der Seite der Unzufriedenen? So eindeutig lässt sich das nicht sagen, stellen Gudrun Hentges und Gerd Wiegel fest. Vielmehr sei die Politik der AfD seit Beginn der Pandemie sehr wechselhaft und von Strömungskämpfen und Positionsänderungen geprägt.1

Die Corona-Politik der extremen Rechten weist trotz einzelner Unterschiede große Ähnlichkeiten auf. Nach einer zunächst massiven Kritik an fehlenden bzw. spärlichen Reaktionen der Regierenden auf die drohende Gefahr einer Pandemie, schwenkte die extreme Rechte nach den durchgreifenden und in einem ersten Lockdown gipfelnden Maßnahmen auf eine fundamentale Kritik ein. Was man kurz zuvor noch selbst forderte, wurde jetzt als unnötig, schädlich, panisch oder gar verschwörerisch gegen die Freiheit des "Volkes" gerichtete Drangsalierung bezeichnet.

Diese deutliche Positionsverschiebung in der ersten Welle der Pandemie zeigt, dass es der Rechten vor allem um eine Positionierung in größtmöglicher Opposition zu den Regierenden und weniger um eine angemessene Reaktion auf die Bedrohung durch eine weltweite Pandemie ging. Wir zeichnen im Folgenden die Positionierungen ausgewählter Akteure der extremen Rechten in der ersten Welle der Pandemie bis ca. September 2020 nach und geben einen kurzen Ausblick auf die weitere Entwicklung.

Funktion und Ziele der  AfD-Corona-Politik

Seit Frühjahr 2020 versucht die AfD, sich als parlamentarischer Arm einer Corona-Protest-Bewegung zu positionieren. Diese Protestbewegung, die keineswegs genuin der extremen Rechten entstammt,2 aber im Lauf der Zeit eine deutliche Annäherung an deren Positionen vollzogen hat, stellt für die AfD einen möglichen außerparlamentarischen Bezugspunkt dar, der, ähnlich wie Pegida, als Referenzpunkt einer vermeintlich rechtsoppositionellen Straßenbewegung für die eigene Politik nutzbar gemacht werden soll.

Die AfD ist dabei zum aktiven Teil einer Radikalisierungsspirale geworden, mit der über die Kritik an den konkreten Corona-Maßnahmen eine Delegitimierung des politischen Systems generell betrieben wird. Dabei zeigen sich auch innerhalb der AfD Widersprüche, so dass sie bis heute mit keiner einheitlichen Position zu grundlegenden Fragen der Corona-Politik auftritt. Während vom marktradikalen Teil der Partei um den Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen die gesundheitlichen Gefahren zwar eingeräumt, vor allem aber die ökonomischen Folgen der Einschränkungen in den Mittelpunkt gestellt und der Gesundheitsschutz in die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gelegt werden soll, vertritt die systemoppositionelle extreme Rechte in der Partei eine deutlich radikalere Position. Hier werden die gesundheitlichen Gefahren systematisch verharmlost und teils geleugnet. Ziel dieser Position ist erstens eine Delegitimierung des politischen Systems der Bundesrepublik. Dem dient die Rede vom "Ermächtigungsgesetz" (bezogen auf das Infektionsschutzgesetz) oder die Behauptung, die Regierung Merkel habe den Weg in die Diktatur eingeschlagen. Zweitens geht es diesem Teil der AfD um die Etablierung einer Widerstandserzählung gegen die herrschenden Eliten, der man sich gemeinsam mit der Protestbewegung rund um "Querdenken" in den Weg stelle. Die vorgebrachten Vergleiche mit dem NS-Regime und mit der untergegangenen DDR dienen der Legitimierung dieser Widerstandserzählung, beinhalten aber auch eine Reihe antisemitischer und verschwörungstheoretischer Elemente.

Widersprüche und Positionswechsel in der ersten Welle

Im März 2020, ganz zu Beginn der Pandemie, vertrat die AfD die Forderung nach einschneidenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, verbunden mit der Kritik an der Bundesregierung, zu spät und zu zögerlich reagiert zu haben. "Ökonomische Interessen dürfen nie zu Lasten der Volksgesundheit gehen", so heißt es in einer Pressemitteilung der Partei vom 11. März 2020. Einen Tag später ließ sich die Ko-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, in einer weiteren Pressemitteilung mit der Aufforderung zitieren: "Ich fordere die Bundes- und Landesregierungen auf, dem Beispiel vieler europäischer Länder zu folgen und endlich die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einzuleiten. Das Handeln der Politik ist fahrlässig und gefährdet Leib und Leben der Menschen in unserem Land".

In dieser frühen Phase der Pandemie sah sich die AfD selbst als Teil einer Allparteienkoalition zur Abwehr der Krise. Der zweite stellvertretende Sprecher der AfD, Stephan Brandner, behauptete am 17. März 2020 in einer Pressemitteilung: "Zum Wohl des Landes stellen wir von der AfD in dieser bislang einzigartigen Krise politischen Streit zurück […]. Zusagen müssen eingehalten, die AfD an allen wichtigen Entscheidungen auf Bundesebene […] beteiligt werden. Und das geschieht auch richtigerweise so."

Positionswechsel im April 2020

Während sich die AfD zunächst also als Teil einer quasi überparteilichen Notstandskoalition sah, änderte sich diese Position in dem Moment, als vernehmbarere Kritik an den Maßnahmen der Regierung sichtbar wurde. Mit Beginn der ersten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen wechselte die AfD ihren Standpunkt zu den Corona-Maßnahmen vollständig. Grund dafür war vor allem die Suche nach Alleinstellungsmerkmalen und die größtmögliche Distanz zu den anderen Parteien. Wie alle anderen Oppositionsparteien litt die AfD in dieser "Stunde der Exekutive" unter fehlender öffentlicher Aufmerksamkeit und ging dieses Problem durch eine umfassende Wende in der eigenen Politik an. Die Begründungen für diese Wende differierten jedoch.

Thematisch lassen sich zwei Stränge der Kritik an den Maßnahmen ausmachen:

a) Eine wirtschaftsliberal grundierte Position, die ein sofortiges Ende des Lockdowns forderte, alle weiteren staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft ablehnte, die Vorsorge gegen mögliche Ansteckungen in die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger stellen wollte, den Schutz der Grundrechte hervorhob und Corona als normales Lebensrisiko ausgab.

b) Eine vor allem von der völkischen Rechten der Partei vertretene Position, die die Corona-Maßnahmen und Pandemie überhaupt als Ausdruck einer Verschwörung der Eliten ansah, die darauf abziele, Nationen und Völker im Namen der Globalisierung zu eliminieren. Hier fand sich das Gerede von der "Umvolkung", der Verantwortung der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, von George Soros und auch Bezüge auf die QAnon-Verschwörungserzählung.

Zwei Beispiele illustrieren diesen Strang der AfD-Position recht anschaulich. So unterstellt Stephan Brandner in einer Pressemitteilung vom 24. August 2020: "Die Regierung nutzt die Angst der Menschen dazu, die sie zuvor unter Zuhilfenahme vor allem des zwangsfinanzierten Rundfunks in Panik versetzt haben, einen gesellschaftlichen Umbau nach ihrem eigenen Gusto zu veranlassen […]." Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse stellt Corona in einer Rede im Bundestag als Erfindung der Eliten dar: "Um die Zerstörung dieser unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft zu beschleunigen, wurde ein Katalysator gefunden: Ein Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit […] wird zur Panikverbreitung benutzt, um in ihrem Schatten all die Dinge umzusetzen, die Sie sich schon lange auf die Fahne geschrieben haben, unter anderem das Auslöschen der Nationalstaaten in Europa."3

Zwischenfazit

Nach wie vor und bis heute werden beide Linien der Kritik an den Corona-Maßnahmen in der AfD vertreten. Die Verschwörungsmythen sorgen jedoch für weitaus mehr Aufmerksamkeit und machen die AfD anschlussfähig an ein Spektrum, das sich unter dem Label "Querdenken" sammelt. Die spektakulären Aktionen an der Reichstagstreppe (29. August 2020) und im Bundestag (18. November 2020) wurden jeweils von AfD-Politiker*innen unterstützt und via Social Media verbreitet.

Von Teilen der AfD wird eine systematische Kriminalisierung des politischen Gegners betrieben, die Maßnahmen werden als verbrecherisch und als Weg in die Diktatur dargestellt. An dieser Positionierung wurde vom Ko-Vorsitzenden der Partei, Jörg Meuthen, auf dem Parteitag in Kalkar (Dezember 2020) scharfe Kritik geübt. Anlässlich der massiven zweiten Corona-Welle seit November 2020 scheint sich die Partei mehrheitlich auf eine Sprachregelung geeinigt zu haben, in der Virus und Pandemie nicht länger grundsätzlich geleugnet, in der jedoch alle einschränkenden Maßnahmen durch den Staat abgelehnt werden. Offen bleibt, ob die AfD mit dieser Ausrichtung tatsächlich an Einfluss gewinnt. Zumindest die Umfragen zeigen das bisher nicht an. Sie sind aber auch nur eine Momentaufnahme, die sich rasch ändern kann.

Corona-Politik der Partei Der Dritte Weg

Nicht nur die AfD, auch Akteure der traditionellen neonazistischen Rechten nutz(t)en die Pandemie-Krise, um sich öffentlich zu inszenieren. Reichsbürger, NPD und die weniger bekannte Partei Der Dritte Weg riefen zu den Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf. Die neonazistische Kleinpartei Der Dritte Weg, die hier exemplarisch in den Blick genommen wird, wurde 2013 von ehemaligen NPD-Funktionären und Aktivisten der 2014 verbotenen Organisation "Freies Netz Süd" (FNS) gegründet. Die Neonazi-Partei vertritt völkische und geschichtsrevisionistische Forderungen und erhebt Ansprüche auf Territorien in Osteuropa. Anknüpfend an nationalrevolutionäre Ideologien tritt der Der Dritte Weg für einen "Deutschen Sozialismus" ein und will Schlüsselindustrien und Banken verstaatlichen.

"Kümmererpartei"

Mit Beginn der Corona-Pandemie entdeckte Der Dritte Weg das Thema für sich und versuchte, es propagandistisch zu nutzen. Bereits im Februar 2020 wandte sich die Partei mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Unter der Überschrift "Coronavirus-Pandemie - bald in Deutschland? JETZT!" riet Der Dritte Weg zu einer "aktive[n] Krisenvorsorge" und rief dazu auf, Lebensmittelvorräte, eine ausreichende Wasserversorgung und eine medizinische Grundversorgung anzulegen. Man solle sich darauf einstellen, dass "im Fall einer Pandemie […] ganze Gebiete abgeriegelt werden und keine Verkehrsmittel mehr benutzt werden dürfen."4

"[A]ngesichts des derzeit grassierenden Corona-Virus", so die Weggefährtin, Netz-Kolumne der Frauenorganisation der Partei Der Dritte Weg, solle man auf Händewaschen und Desinfizieren achten. Aufgrund des Mangels an Desinfektionsmitteln in Geschäften stellte der Frauenblog Rezepte zur äußerlichen Desinfektion ins Netz.

Mit Pressemitteilungen wie "Lehren aus der Corona-Krise. Die Globalisierung als Irrweg"5 macht die Partei die Globalisierung für die Pandemie verantwortlich. Im Sinne der nationalrevolutionären Ausrichtung wendet sich Der Dritte Weg gegen den Kapitalismus, der in den Pamphleten auch als Turbokapitalismus oder als Liberalkapitalismus firmiert.

Antisemitische Verschwörungsmythen

In den Artikeln, Pressemitteilungen und Interviews finden sich antisemitische Ideologien und Verschwörungsmythen. Immer wieder ist hier die Rede von dem "Jude[n] Bill Ackman", der mit "Riesengewinnen Schlagzeilen" mache. Neben Bill Ackman nimmt die neonazistische Propaganda auch weitere Personen ins Fadenkreuz, die als Juden markiert und als Profiteure der Corona-Pandemie denunziert werden ("Boaz Weinstein, Jude und Gründer von Saba Capital Management"; die "Juden Cliff Asness und David Kabiller").

Rassistische Hetze gegen Geflüchtete

Die Corona-Pandemie wird von Beginn an immer wieder mit Geflüchteten in Zusammenhang gebracht, die in der rassistischen Sprache stets als "Asylanten" firmieren. Ein beliebtes Thema sind Coronaausbrüche in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften von Geflüchteten und Berichte über Quarantäne und Unruhen.

Die Agitatoren fordern: "Kriminelle Ausländer raus, Asylflut stoppen!" Bezugnehmend auf die Pandemie als Ausnahmesituation fordern sie: "Finanzierung des Asyl-Irrsinns muss ein Ende haben, da der Wahnsinn in Krisenzeiten erst recht unverantwortlich ist." Mit der Aussage "Für Asylanten galten die Einreiseverbote an Deutschlands Grenzen ohnehin nicht" wird den Leser*innen nahegelegt, dass Geflüchtete schuld seien an der Verbreitung des Virus.

"Apokalypse Now" und der Tag X

Sich als nationalrevolutionäre Partei verstehend, deutet die Partei Der Dritte Weg die Corona-Pandemie als Chance für einen Umsturz. Das "kapitalistische System", so schreiben die Nationalrevolutionäre, stehe "nicht nur wirtschaftlich kurz vor dem Bankrott", es sei auch "moralisch am Ende". Dieser Aufruf zum Umsturz kulminiert in der Aussage: "Zeit also für die nationale Revolution - Zeit für den Deutschen Sozialismus!", diese Aussage kann zugleich als Feststellung und Aufruf gelesen werden.

Fazit

In welcher Weise nutz(t)en unterschiedliche Akteure der extremen Rechten die Corona-Pandemie für die eigenen politischen Zwecke? Ungeachtet der vorhandenen Unterschiede im Einzelnen kristallisierten sich die folgenden Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Akteuren in Bezug auf Corona-Pandemie und Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen heraus.

1. Lässt man die Verlautbarungen der Akteure Revue passieren, so wird deutlich, dass sich deren Positionen im Laufe der Monate geändert haben. Zu Beginn diente die Corona-Pandemie noch dazu, vor den Exzessen der Globalisierung zu warnen. Während Der Dritte Weg und die NPD für einen völkischen Antikapitalismus stehen und auf Konzepte nationalstaatlicher Autarkie setzen, tritt die AfD für eine nationalistische Handelspolitik im Sinne eines "Deutschland zuerst" ein, die mittels Protektionismus die wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands im nationalistischen Sinne nutzen will.

2. Jenseits dieser großen ideologischen Fragen präsentieren sich die Parteien der Alten und Neuen Rechten als "Kümmerer". In ihrer Selbstinszenierung waren AfD und Der Dritte Weg darum bemüht, auf einer praktischen Ebene Informationen anzubieten, um abhängig Beschäftigte und Selbständige in Bezug auf Quarantäne, Krankheit, Kurzarbeit und Fernbleiben von der Arbeit wegen Kinderbetreuung zu beraten. Solche Serviceangebote haben den Charakter einer Beratung, die zur Verfügung gestellt wird - jenseits der ideologischen Positionierungen.

3. Die Verbreitung von Verschwörungsmythen spielte ab einem relativ frühen Zeitpunkt der Pandemie eine wesentliche Rolle. Wortspiele wie "P(l)andemie" insinuieren, dass sich hinter der Pandemie ein Plan verberge, der von langer Hand ersonnen worden sei. Wenige Wochen zuvor hatten dieselben Akteure noch den Vorwurf erhoben, die Regierung handele zu spät und nicht konsequent genug und lasse die Bevölkerung ohne Schutz. In diesen Verschwörungsideologien finden sich immer wieder - implizit oder explizit - antisemitische Anspielungen.

4. Zentrale Themen der extremen Rechten wurden von allen untersuchten Akteuren mit der Pandemie-Krise verbunden. Das zielt zunächst und vor allem auf Migrant*innen und Geflüchtete, die wahlweise als potenzielle Überträger des Virus ausgegeben oder als Regelbrecher denunziert wurden. In der langjährigen Geschichte des (Post-)Kolonialismus und Rassismus werden die "Anderen" immer wieder mit Seuchen, Epidemien und Pandemien in Verbindung gebracht. Rassistische Ressentiments, die in der Bevölkerung ohnehin weit verbreitet sind, werden mit allen Mitteln geschürt, indem ein Bedrohungsszenario aufgebaut wird.

5. Ausgerechnet jene Parteien und Bewegungen präsentieren sich in Zeiten der Corona-Pandemie als Verteidiger der Grund- und Bürgerrechte und als vermeintliche Retter der Demokratie, die selbst zur Gänze oder in Teilen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Sie prangern die Maskenpflicht ebenso an wie einen totalen Überwachungsstaat und warnen vor einer Ausschaltung der Legislative. Während die Querdenken-Demonstrant*innen das Grundgesetz vor sich hertragen, negieren die Parteien der extremen Rechten zentrale Grundrechte, wie die Menschenwürde, das Demokratiegebot und die Rechtsstaatlichkeit. Dennoch gelingt es diesen Parteien und Bewegungen, Teil der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu sein, ohne dass sich die Mehrheit dieser Bewegung daran stört.

6. In der Propaganda der untersuchten Parteien und Bewegungen dient die Pandemie als Beleg oder zumindest Katalysator für eine finale Krise des politischen Systems. Stichworte wie "Tag X" oder Aussagen wie "Endlich. Das Ende der westlichen Welt" sind Ausdruck der Erwartung, die alte "globale Weltordnung" mit ihren "liberal-demokratischen Pseudo-Werten" sei am Ende. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Mobilisierung der extremen Rechten zum "Sturm auf Berlin". An der Aktion auf der Treppe des Reichstages nahmen nicht nur Reichsbürger*innen und Neonazi-Kader der NPD und der Partei Der Dritte Weg teil, sondern auch Mandatsträger*innen der AfD.6

7. Bedeutsam sind Debatten um Strategie und Taktik im Umgang mit der Querdenken-Bewegung und deren Umfeld. Diese werden vor allem in den sog. Theorieorganen Sezession und Compact geführt. In Bezug auf "Querdenken" sind die Positionen hier unterschiedlich. Während Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich, einerseits konstatiert, dass es durchaus ideologische Differenzen gebe, betont er auf der anderen Seite, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik und Österreichs Demonstrationen möglich seien, an denen politische Akteure der extremen Rechten selbstverständlich als Teil der Bewegung akzeptiert werden, ohne dass sie seitens der Veranstalter oder Demonstranten ausgeschlossen oder abgedrängt werden. In Bezug auf die Corona-Protestbewegung in Österreich spricht er gar von einer "Sternstunde" und bringt seine "Hoffnung" zum Ausdruck. Zwar gelte "nach wie vor, daß das diffuse Meinungsmilieu der Coronademos ebenso wie ihre Zielsetzungen nicht als ›rechts‹ im klassischen Sinne zu begreifen" seien. Dennoch wachse auch in Österreich das "Potential für eine organisierte, basisdemokratische und im besten Sinne des Wortes ›populistische‹ Protestbewegung".7 In eine ähnliche Richtung argumentiert Jürgen Elsässer, der in den Querdenker-Sympathisant*innen und -Demonstrant*innen Menschen sieht, die im weitesten Sinne der Öko-Bewegung zuzurechnen und mehr oder weniger politisch naiv seien, da sie noch nicht von der linken oder grün-alternativen Bewegung beeinflusst worden seien. Demnach sei es aus Perspektive des völkisch-nationalistischen Lagers möglich und geboten, den eigenen ideologischen Einfluss geltend zu machen, um im Bündnis mit dem Potenzial, das sich unter dem Dach von Querdenken versammelt hat, gemeinsam Strategien zu entwickeln.

Anmerkungen

1) Vgl. auch: Gudrun Hentges/Gerd Wiegel 2021 (i.E.): "Instrumentalisierung der Corona-Pandemie durch die extreme Rechte", in: Georg Gläser/Gudrun Hentges/Julia Lingenfelder (Hg.): Demokratie im Zeichen von Corona, Berlin.

2) Oliver Nachtwey/Robert Schäfer/Nadine Frei 2020: Politische Soziologie der Corona-Proteste, Universität Basel 2020 (Abrufbar auf den Seiten der Uni Basel). Die Befragung beruht auf Fragebögen, die über Telegramm-Gruppen der Corona-Kritiker_innen verteilt wurden. Die Autor_innen weisen mehrfach darauf hin, dass sie keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben können.

3) Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 188. Sitzung: 23701 f.

4) Dieses wie auch die folgenden Zitate der Partei Der Dritte Weg finden sich auf der Seite https://der-dritte-weg.info.

5) Ostmark. Bundeskanzler Sebastian Kurz erwartet unglaubliche wirtschaftliche Auswirkungen durch Corona-Pandemie, 18.3.2020; Im Gespräch mit einem Virologen, 18.3.2020; Corona-Krise: System ist am Ende, 3.4.2020; Lehren aus der Corona-Krise. Die Globalisierung als Irrweg, 9.6.2020.

6) Facebook-Account von Aufstehen gegen Rassismus Offenburg (2.9.2020); https://www.facebook.com/AgROffenburg/posts/-afd-scheitert-beim-sturm-auf-berlin-ein-stadtrat-aus-offenburg-und-weitere-afd-/702060763725899/.

7) Martin Sellner, "›Alle auf den Ring‹. Die Sternstunde der Demo in Wien", in: Sezession v. 2.2.2021; https://sezession.de/63947/alle-auf-den-ring-die-sternstunde-der-demo-in-wien.

Prof. Dr. Gudrun Hentges ist Professorin an der Universität zu Köln und leitet dort den Lehr- und Forschungsbereich "Politikwissenschaft, Bildungspolitik und politische Bildung". Demnächst erscheint ihr Band "Demokratie im Zeichen von Corona" (hrsg. gemeinsam mit Georg Gläser und Julia Lingenfelder) im Berliner Metropol-Verlag. Gerd Wiegel ist Referent für die Themen Rechtsextremismus/Antifaschismus der Bundestagsfraktion DIE LINKE.