Fußball im Ausnahmezustand

in (29.05.2006)

Fußball ist eine hochgefährliche Sache: Da werden Angriffe gestartet, und da wird geschossen; da wird die Verteidigung überrannt, und da werden Menschen verletzt. Besonders gefährlich scheint die

fußballbegeisterte Masse Mensch aus aller Welt, die sich an solchen Spektakeln nicht nur delektiert, sondern mitunter ein dynamisches Eigenleben entfaltet - Randale und Gewalt inbegriffen.

"Die Welt zu Gast bei Freunden" - das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft droht ob allfälliger Sicherheitsrisiken mehr und mehr zum Etikettenschwindel zu geraten. Die verheißene Gastfreundlichkeit wird dadurch konterkariert, daß die Bundesrepublik das sportliche Mega-Ereignis zum Anlaß nimmt, noch weiter aufzurüsten, noch schärfer zu kontrollieren, abzuschotten und auszugrenzen, Macht zu demonstrieren und abzuschrecken. Ein Großaufgebot von Polizei, Geheimdiensten, Schnelljustiz und Militär ist mobilisiert, um gegen die beschworenen Gefahren, von denen etliche nie auszuschließen sind, gewappnet zu sein.

Ein Blick in das Nationale WM-Sicherheitskonzept und in die Massenmedien verrät: Sicherheitsstrategen feilen schon lange an einem WM-tauglichen Bedrohungsszenario, in dem besoffene Fußball-Fans, gewaltbereite Hooligans, fingerfertige Taschendiebe, brutale Zuhälter und Menschenhändler eine gewichtige Rolle spielen; nur noch getoppt von einer ständig lancierten "Gefahr des Internationalen Terrorismus", obwohl es hierfür keinerlei Anzeichen gibt - im Gegensatz zum alltäglichen rassistischen Terror gegen Migranten, der offiziell gehörig heruntergespielt wird, wie die erregte Debatte um "no-go-areas" in Brandenburg zeigt.

Die Fußball-WM gerät immer mehr zu einer Antiterrorübung und zugleich zum Einfallstor für umstrittene Sicherheitsmaßnahmen und -techniken - denken wir nur an die mit Überwachungschips verwanzten WM-Tickets, an die polizei- und geheimdienstlichen Sicherheitsüberprüfungen von über einer Viertelmillion Menschen, die im Zuge der WM irgendwelche größeren oder kleineren Aufgaben haben. Denken wir auch an die vorsorgliche Erfassung und Speicherung der genetischen Fingerabdrücke von Hooligans, an die Gewalttäterdatei "Sport", in der auch bloß Verdächtige gespeichert werden. Oder denken wir an die extensive Videoüberwachung von Stadien und Stadtzentren, an die angekündigte Vertreibung von Bettlern, Punks und Drogenabhängigen aus den Innenstädten und nicht zuletzt an den Einsatz von Bundeswehrsoldaten und die Überwachung des Luft- und Landraums durch AWACS-Aufklärungsflugzeuge.
Greifen wir nur drei der gravierendsten WM-Sicherheitsmaßnahmen heraus:

Informationssammlung
Besteller von WM-Tickets müssen inquisitorische Fragen beantworten und höchst persönliche Daten preisgeben; sie müssen zum Beispiel ihre Nationalität mitteilen und sogar angeben, wessen Fans sie sind - also für welche Nationalmannschaft das Fußball-Herz schlägt. Mit diesen Informationen sollen wohl die Fan-Ströme gesteuert und in den Stadien gefahrmindernd verteilt werden. Denkbar ist aber auch, daß Fans, die etwa die saudi-arabische oder iranische Nationalmannschaft favorisieren, zumindest Argwohn erwecken, wenn nicht gar Präventivmaßnahmen auslösen.

Alle Karteninteressenten müssen auch ihre Ausweis- oder Reisepaßnummern preisgeben - obwohl deren Erhebung und Nutzung als Personenkennziffern gesetzlich verboten ist. Alle erhobenen Daten werden beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zentral gesammelt, gespeichert und mit vorhandenen Dateien abgeglichen. Wer bei diesen Abgleichsverfahren durchfällt, erhält kein Ticket - ohne jegliche Begründung.

Da alle WM-Tickets zu Kontrollzwecken mit RFID-Chips versehen sind, kann jeder Fußballfan damit an jedem Ort innerhalb und außerhalb der Stadien per Funk geortet und identifiziert werden, ohne es selbst zu merken. Mit diesem Verfahren lassen sich Bewegungsprofile der Betroffenen erstellen. Die WM wird damit für die Massenanwendung einer umstrittenen Überwachungsinfrastruktur mißbraucht, die später auch bei anderen Veranstaltungen eingesetzt werden kann. Mit diesem Großfeldversuch können Hunderttausende von arglosen Fußballfans als Testobjekte kontrollierbar gemacht werden - wie Handelobjekte und Warenbestände, für deren logistische Bewältigung diese Technik ebenso eingesetzt wird wie in den neuen bundesdeutschen Pässen als auslesbare Speicher für biometrischen Merkmale.

Sicherheitsüberprüfung
Fußballer, Journalisten, freiwillige Hilfskräfte, Reinigungskräfte oder Würstchenverkäufer, aber auch Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten müssen sich im Rahmen der Akkreditierung für die WM einer polizei- und geheimdienstlichen Sicherheitsüberprüfung unterziehen - durchgeführt von Landeskriminalämtern und Verfassungsschutzbehörden unter Leitung des Bundeskriminalamtes. Das betrifft über 250.000 Menschen, die sich als potentielle "Innentäter" der Durchleuchtungsprozedur stellen müssen, um später in den Sicherheitszonen um und in den Stadien ihren beruflichen Tätigkeiten nachgehen zu können - sofern sie nicht als "Sicherheitsrisiken" aussortiert werden.

Schon die Teilnahme an Demonstrationen oder Kontakte zu Organisationen, die als "extremistisch" gelten, können dazu führen, daß die Antragsteller abgelehnt werden - ungesicherte Verdachtsdaten von Geheimdiensten oder Polizei, etwa über eingestellte Ermittlungsverfahren, genügen. Auch die Besorgnis möglicher Erpreßbarkeit, also etwa Schulden, sexuelle Normabweichungen oder "Zweifel an der Zuverlässigkeit oder am Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung" reichen aus, um zu einem personellen "Sicherheitsrisiko" deklariert zu werden.

Das Bundeskriminalamt (BKA) gibt nach dem Sicherheitscheck eine positive oder negative Empfehlung an den DFB, der die Entscheidung über die Zulassung trifft und den Arbeitgeber unterrichtet. Die Betroffenen selbst erfahren nicht, wegen welcher "Sicherheitsbedenken" eine Akkreditierung abgelehnt wird, und sie haben kaum Überprüfungs- und Widerspruchsmöglichkeiten, obwohl ihnen durch die Verweigerung der Akkreditierung schwere berufliche und wirtschaftliche Nachteile entstehen können - bis hin zu faktischen Berufsverboten.

Für diese Überprüfungsverfahren gibt es keine gesetzliche Grundlage - deshalb müssen die Betroffenen eine "informierte Einwilligungserklärung" abgeben. Von Freiwilligkeit kann dabei kaum die Rede sein: Denn ein Arbeitnehmer, der vor der Alternative steht, seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder einer Überprüfung zuzustimmen, willigt nicht wirklich freiwillig ein. Deshalb schwebt das Verfahren nach Ansicht von Datenschützern in einer rechtlichen Grauzone, verstößt in weiten Teilen gegen Datenschutzregeln und dürfte schon wegen der Dimension unverhältnismäßig sein.

Militarisierung
Wir befinden uns seit Jahren in einer Phase zunehmender Militarisierung der "Inneren Sicherheit", in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inneren des Landes steht - obwohl hierzulande Polizei und Militär schon aus historischen und politischen Gründen sowie nach der Verfassung grundsätzlich zu trennen sind. Gleichwohl hat der Einsatz im Inland längst begonnen - etwa über die Notstandsgesetze der 1960er Jahre im Notstandsfall, bei Katastrophen sowie über die "Verteidigungspolitischen Richtlinien".

Bundessicherheitsminister Wolfgang Schäuble und auch Kriegsminister Franz Josef Jung (beide CDU) wollen per Grundgesetzänderung die Bundeswehr regulär als nationale Sicherheitsreserve im Inland einsetzen. Und es gibt Pläne, den "Verteidigungsfall" per Definition vorzuverlagern, um ihn auch im Fall von Terroranschlägen ausrufen zu können, die damit kriegerischen Angriffen gleichgesetzt werden.

An solche Militäreinsätze im Inland soll sich die Bevölkerung allmählich gewöhnen - und die WM dient als willkommenes Exerzierfeld: Bundeswehrsoldaten werden bald logistische Hilfe leisten, um die Polizei zu entlasten, Tausende stehen sozusagen "Gewehr bei Fuß" - obwohl Soldaten keineswegs für zivil-polizeiliche Aufgaben ausgebildet sind, sondern bekanntlich zum Kriegführen und Töten.

Es scheint, als würde in einer Art von nationalem Sicherheitswahn der Ausnahmezustand geradezu herbeiphantasiert, als müsse sich der Gastgeber Deutschland vor einem feindlichen Überfall schützen, als wäre die WM ein Großschadensereignis und kein Sportfest. Wir erleben einen populistischen Sicherheitsaktionismus, der ganz besonders den Daten- und Persönlichkeitsschutz und damit Bürgerrechte von Hunderttausenden schwer beschädigt - Grund- und Freiheitsrechte, die letztlich einem vermeintlichen Mehr an Sicherheit geopfert werden, ohne die Risiken damit wirklich ausschalten zu können.

Diese Art von "Sicherheitspolitik" folgt einem Trend, der seit den Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 vorangetrieben wird. Seitdem liefert die "terroristische Gefahr" eine bewährte Super-Legitimation für schwere Grundrechtseingriffe. Diese Entwicklung bildet sozusagen die Folie, auf der die Fußball-WM 2006 genutzt, ja instrumentalisiert wird, um neue umstrittene Eingriffsbefugnisse und Techniken zu legitimieren, zu popularisieren und endgültig in großem Maßstab durchzusetzen. Mit der WM rückt der autoritäre Präventions- und Sicherheitsstaat um ein ganzes Stück näher.