Baustart für die weltgrößte Ethanol-Pipeline in Brasilien. UmweltschützerInnen und Indigene befürchten eine Ausweitung des Zuckerrohranbaus
Eine Megaleitung soll Treibstoff für umgerechnet 420 Millionen Pkw-Tankfüllungen jährlich befördern. Brasiliens Regierung und Petrobras wollen zukünftig den Löwenanteil des Agrosprit-Weltmarkts abdecken. UmweltschützerInnen, Indigene und MenschenrechtlerInnen fürchten ein massives Voranschreiten der Ethanolfront in Zentralbrasilien.
In Anwesenheit des scheidenden Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva wurde Ende November 2010 in Brasilien der erste Spatenstich für eine gigantische Pipeline gelegt, die mittelfristig die größte Ethanol produzierende Region Brasiliens, die Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Goiás im zentralen Mittelwesten des Landes, mit den Ballungszentren São Paulo und Rio de Janeiro verbinden soll. Das umgerechnet 2,4 Milliarden Euro teure Bauvorhaben soll bei Fertigstellung 21 Millionen Kubikmeter Ethanol pro Jahr über rund 1.000 Kilometer transportieren. Das nun begonnene Teilstück zwischen Ribeirão Preto und Paulínia mit 202 Kilometern Länge soll Mitte 2012 fertig sein. Der brasilianische Erdölkonzern Petrobras erwartet durch die Pipeline eine Kostenersparnis beim Transport um zehn bis 50 Prozent, je nach Länge der Pipeline. Noch-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva schätzt, dass durch den Transport des Treibstoffs durch die Röhre etwa 80.000 LKW-Fahrten aus dem Landesinneren wegfallen könnten. Des Weiteren liege ein beträchtlicher Teil der Strecke entlang einer bereits bestehenden Gas-Pipeline; die Umweltauswirkungen seien dadurch minimiert.
Seit gut zwei Jahren wird in Brasiliens Ethanolindustrie eine Vielzahl
von Logistikprojekten für den Agrartreibstoff geplant und diskutiert.
Dabei geht es vor allem um die technische Umsetzung des Transports aus
den zentral gelegenen Produktionsregionen an die dicht bevölkerte Küste.
Ethanol-Pipelines galten lange als technisch schwer umsetzbar, da
Ethanol mit Wasser reagiert, so dass Kondensbildung in der Pipeline
strikt ausgeschlossen werden muss. Doch Petrobras ist sich sicher, die
technischen Probleme gelöst zu haben und will nun mit diesem Projekt die
größte Ethanol-Pipeline der Welt schaffen. Brasilianisches Zuckerrohr
gilt auf den Weltmärkten als wirtschaftlich konkurrenzfähiger als
entsprechende Produkte aus anderen Staaten. Allerdings führen die
brasilianischen Zuckerrohrfirmen seit Jahren unter anderem die
Schwarzliste zu Sklavenarbeit an, die von der
Nichtregierungsorganisation Repórter Brasil in Zusammenarbeit mit der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem Institut Ethos
herausgegeben wird.
Hingegen sprach der Vorsitzende von Petrobras, José Sérgio Gabrielli,
von einem „historischen Moment“. Das von Petrobras und dem japanischen
Unternehmen Mitsui in Zusammenarbeit mit mehreren brasilianischen
Konzernen durchgeführte Projekt wird laut Informationen der Tageszeitung
Estado de São Paulo größtenteils durch BNDES finanziert, der
bundeseigenen Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung
Brasiliens. „Es ist absurd, dass BNDES dafür Geld gibt“, kommentiert
João Pinto von der Plataforma BNDES, einem zivilgesellschaftlichen
Netzwerk, das sich dem Monitoring der Arbeit der Staatsbank verschrieben
hat. „Diese Megapipeline wird die Agrarfront weiter ausweiten, massive
Konflikte in den Ethanolgebieten Zentralbrasiliens sind die Folge“,
sagte Pinto gegenüber den LN.
Das Konsortium, das die Ethanol-Pipeline baut, will sie bis an die
Hafendocks von São Sebastião im Bundesstaat São Paulo und Ilha d‘Água im
Bundesstaat Rio de Janeiro ausbauen. Damit zielen sie auf den Export
des Ethanols ab. AbnehmerInnen wären die Märkte der Konsumentenstaaten
Japan, USA und Europa. Denn dort bestehen gesetzliche Verpflichtungen
zur Beimischung von Agrartreibstoffen. Nach Zahlen des brasilianischen
Außenhandelssekretariats Secex gingen im Jahre 2008 knapp 30 Prozent der
Ethanol-Exporte Brasiliens in die EU. Im Jahre 2008 entsprach dies 1,4
Milliarden Litern. Nun plant Brasilien 21 Milliarden Liter Ethanol pro
Jahr alleine durch die neue Pipeline zu befördern. Dies entspricht
umgerechnet 420 Millionen Tankfüllungen durchschnittlicher Pkws. Weitere
Pipelineprojekte sind in Planung.
Am einen Ende der Pipeline befinden sich die Hafenterminals, um das
Ethanol in alle Welt zu verschiffen. Doch was ist am anderen Ende? Die
Pipeline wird sich beim Inlandsterminal in Paulínia, im Bundesstaat São
Paulo, zweiteilen. Der eine Arm verläuft in Richtung des Bundesstaates
Goiás, der etwas südlichere zielt ins Zentrum des Bundesstaates Mato
Grosso do Sul. Und dort ist man geteilter Meinung über die Pipeline.
Freude herrscht bei den Zuckerbaronen und der Politik. Seit
Bekanntwerden der Pipelinepläne 2008 verfiel die Politik in Mato Grosso
do Sul in rege Betriebsamkeit. Vorrangiges Projekt im Bundesstaat: Die
geltende Gesetzeslage umzuschreiben, nach welcher zwischen den einzelnen
Zuckerrohr verarbeitenden Ethanolfabriken ein Abstand von 25 Kilometern
bestehen musste. Dieser Mindestabstand war vorgeschrieben worden, um
dem rasanten Zuwachs an Agrospritfabriken Einhalt zu gebieten, die wie
Pilze aus dem Boden zu schießen drohten. Doch als die Pipelinepläne
bekannt wurden, gab es in der Politik in Mato Grosso do Sul kein Halten
mehr. Flugs wurde mit schnell gezimmerter parlamentarischer Mehrheit das
Gesetz Nr. 3.404 geändert – und der Mindestabstand abgeschafft. Der
Gouverneur André Puccinelli sprach anlässlich der Gesetzesänderung im
Jahre 2008 davon, „nicht in die Vergangenheit zu schauen, sondern die
vor uns liegende Zukunft zu sehen“. Und die sieht einen rasanten Anstieg
in der Ethanolproduktion kommen. Lag die Produktion im Bundesstaat 2007
noch bei 600 Millionen Litern Ethanol pro Jahr, so lag sie 2008 bereits
bei 1,5 Milliarden Litern. Für 2009 prognostizierte Puccinelli 2,5
Milliarden Liter.
Egon Heck vom Indigenenmissionsrat CIMI aus Mato Grosso do Sul bestätigt
diese Zahlen. Er sieht allein bis 2012 mehr als eine Million Hektar
fruchtbaren Landes in Mato Grosso do Sul in Händen der neuen
Ethanolbarone. Heck arbeitet seit vielen Jahren mit Indigenen im
Bundesstaat zusammen. 40.000 Guarani-Kaiowá leben in Mato Grosso do Sul.
Von den ihnen laut der brasilianischen Verfassung von 1988
zugesprochenen Ländereien, haben sie dort Zugang zu nur 18.500 Hektar.
„1973 wurde den Indigenen versprochen, der Prozess der Anerkennung der
Territorien werde fünf Jahre dauern. Nun im Jahre 2010 sind immer noch
95 Prozent der den Indigenen versprochenen Territorien nicht demarkiert,
viele von ihnen noch nicht einmal identifiziert“, berichtet Heck. Das
liege einerseits an den Großfarmern, die jeden, auch die
Indigenenbehörde FUNAI, am Betreten des Landes hindern, und andererseits
am mangelnden Willen der Politik, so Heck.
Jônia Rodríguez von der Menschenrechtsorganisation FIAN in Brasilien
bestätigt das – und weist auf die rasante Ausweitung des Zuckerrohrs in
Mato Grosso do Sul hin. „Bis 2012 werden weitere 40 Ethanolfabriken
gebaut, vor fünf Jahren waren es im ganzen Land nur zehn. Weitere 35
sind im Planungsstadium“, so Rodríguez. Und sie legt dar, was das für
die Guarani-Kaiowá bedeutet. Rund 12.000 Guarani-Kaiowá in Mato Grosso
do Sul arbeiten auf den Zuckerrohrfeldern. „In den letzten Jahren wurden
1.000 Zuckerrohrarbeiter aus sklavenähnlichen Verhältnissen im
Bundesstaat befreit“, berichtet sie. „800 von den Sklaven waren
Guarani-Kaiowá.“
Hinzu komme, so die Menschenrechtsaktivistin, dass die massive
Ausweitung der Zuckerrohrplantagen den Guarani-Kaiowá ihren
verfassungsmäßig zustehenden Zugang zu ihrem Land verwehrt. „Dies
bewirkt die Verletzung ihres Menschenrechts auf Nahrung“, erläutert
Jônia Rodríguez den Zusammenhang. Die Folge: Liegt die
Kindersterblichkeit in Brasilien bei einem Durchschnitt von 23 Kindern
je 1.000 EinwohnerInnen, so liegt sie bei den Guarani-Kaiowá bei 48. Die
durchschnittliche Lebenserwartung in Brasilien liegt bei 74 Jahren –
die Guarani-Kaiowá werden im Durchschnitt nur 45 Jahre alt.
Anastácio Peralta von den Guarani-Kaiowá aus Mato Grosso do Sul kämpft
um den Zugang zu ihrem Land. Auf Einladung von FIAN war er Anfang
Dezember nach Europa gekommen, um auf die Menschenrechtsverletzungen,
die die Guarani-Kaiowá erleiden, aufmerksam zu machen. „Auf dem Papier
haben wir alle Rechte, aber in der Realität haben wir unser Recht auf
Land verloren“, beklagt Peralta. Schuld seien die Regierung und die
Großfarmer. „Wo man auch hinschaut in Mato Grosso do Sul: Da gibt es
Platz für Zuckerrohr, Soja, Rinder – aber für uns Menschen, die wir dort
seit Jahrtausenden leben, für uns ist dort kein Platz“, bekundet
Peralta. Aber er hat die Hoffnung nicht aufgegeben. „Sie haben unsere
Zweige abgeschnitten, unsere Bäume gerodet – aber unsere Wurzeln
abzuhacken, das haben sie nicht geschafft“, sagt er. „Wir werden weiter
um unser Land kämpfen – und gegen die Ethanolfabriken hier.“
Text: // Christian Russau
Ausgabe: Nummer 439 - Januar 2011
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