Wie weiter nach Kopenhagen?

1. Offizielles Desaster durch Blockadehaltung der reichen Industrieländer

Nun ist die größte Konferenz aller Zeiten – die Welt-Klimakonferenz in Kopenhagen – als riesiges Desaster zu Ende gegangen. Ein wachsweiches, unverbindliches Papier ohne konkrete Verpflichtungen, der sogenannte Kopenhagen Accord, ist das schwache Ergebnis dieser Konferenz. Am Ende ist dieses Papier, das in völlig undemokratischer Weise von einer kleinen Gruppe von 25 Staaten in Nachtsitzungen zusammengeschustert wurde, verständlicherweise von der Vollversamlung der Länder nicht akzeptiert, sondern lediglich „zur Kennnis“ genommen worden.

Die wahre Ursache für das Scheitern dieser Konferenz liegt jedoch weder in einer Blockadehaltung der G77-Länder, noch in einer angeblich unkooperativen Haltung von China, noch in der Struktur und Komplexität einer solchen Konferenz, sondern vor allem in der absoluten Weigerung der reichen Industrieländer, ihre unzweifelhafte und faktische Schuld an diesem Weltproblem angemessen anzuerkennen und deshalb ambitionierte maximal mögliche Emissions-Reduktionsverpflichtungen für sich selbst zu akzeptieren und relevante Ausgleichszahlungen für ihre Klimaschuld1 vorzuschlagen, die den armen Ländern eine Bekämpfung des Klimawandels und Anpassungsmaßnahmen an die Klimaerwärmung ermöglichen würde.

Da von Seiten der reichen Länder in dieser Hinsicht keinerlei ernsthafte Vorschläge in die Verhandlung eingebracht wurden, ist der Ärger der überwiegenden Mehrzahl der Länder, insbesondere der ärmsten, vollkommen verständlich. Und auch die Weigerung von China, ein Ablenkungsmanöver der reichen Industrieländer im Hinblick auf die Gestaltung von Überprüfungsmaßnahmen nicht zu akzeptieren, ist verständlich, auch wenn diese Frage in einem zukünftigen Abkommen vernünftig geregelt werden muss.

Dabei ist es eine unabweisbare Tatsache, dass die anthropogene Klimaveränderung vor allem durch das global dominante kapitalistische Wirtschaftssystem verursacht wurde. Selbst wenn man erst ab dem Jahre 1990 rechnet, dem Referenzjahr, seitdem die Tatsache der menschengemachten Klimaveränderung mit ausreichender wissenschaftlicher Sicherheit nachgewiesen und allgemein bekannt ist, auch seit dieser Zeit sind die schädlichen Treibhausgase hauptsächlich durch die reichen Industrieländer verursacht worden. Auch der Kyoto-Prozess hat daran nichts geändert. So nahm die Summe der CO2-Emissionen der 10 größten westlichen Industrieländer von 1990-2007 sogar um fast 10 % zu2 – und nicht ab, wie im Kyoto-Protokoll eigentlich vereinbart (s. ISW download, November 2009).

Die dominierenden globalen Machtgruppen, die Öl-, Gas- und Kohlekonzerne, Auto-, Flugzeug- und Militärindustrie, die ein Interesse an der Verfeuerung fossiler Energieträger haben, machten keine Anstrengungen, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren (ein bisschen Greenwashing hat effektvoll davon abgelenkt). Es ist zu erwarten, dass sie auch in Zukunft solange ihre Macht und ihr Geschäft verfolgen, wie dies irgend möglich ist3.

Das Scheitern der Konferenz ist m. E. besser als ein verabschiedeter schlechter und unzureichender Kompromiss, der dann viele Jahre als Rechtfertigung gedient hätte, um notwendig radikalere und wirksame Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung zu vermeiden. So ist in aller Welt klar, dass die Klimakrise nicht gelöst ist und dass gänzlich neue Anstrengungen nötig sind.

Insofern muss man m.E. den armen Ländern eher für ihre Standfestigkeit dankbar sein, sodass nun auch in voller Klarheit, trotz aller Umdeutungsversuche, die Schuld und das Versagen der reichen kapitalistischen Länder sichtbar wird, die nicht bereit waren, substantielle Beiträge zur Lösung der Klimakrise zu leisten.

 

2. Beginn einer neuen Weltklimabewegung unter dem Motto „System change – not climate change“

Die Ereignisse in Kopenhagen haben jedoch auch eine andere, positive Seite, denn außerhalb des offiziellen Kongreßzentrums traf sich eine vielfältige und starke Protestbewegung. Es kann wohl von der Geburtsstunde einer neuen globalen Klimabewegung gesprochen werden. Dies drückte sich zum einen in der größten Demonstration gegen die Klimaerwärmung aus, mit über 100 000 friedlichen Menschen in Kopenhagen, zum anderen aber auch in zahllosen Veranstaltungen, Diskussionen und weiteren Demonstrationen während der gesamten zweiwöchigen Konferenz in Kopenhagen. Die zehntausende Aktivisten meist jüngeren Alters vertraten Millionen Menschen weltweit aus unterschiedlichsten Bewegungen (Bauern, Arbeiter, Landlose, Indigene, Linke, Grüne, soziale Bewegungen, Umweltgruppen, Institute usw.).

Auch die vielen Aktionen und neuartigen Internetkampagnen zeitgleich überall auf der Welt zeigten beispiellos großes Bürgerengagement4.

Inhaltlich muss man m. E. eine deutliche Politisierung der Umweltbewegung im Vergleich zur Situation z. B. vor 10 oder 15 Jahren konstatieren. Eine früher noch weit verbreitete manchmal nur eindimensionale Sicht auf die Umwelt und z.T. esoterische Einflüsse spielten jetzt kaum eine Rolle. Die allermeisten dort vertretenen Gruppen sehen Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und anderen Krisen (Finanzen, Hunger, Wasser..) des global herrschenden Systems. Die unumstrittene Losung über den meisten Aktivitäten, so auch beim alternativen „Klimaforum09“ war das Motto „Systemwechsel –kein Klimawandel“.

Eine gemeinsame inhaltlich-politische Position stellt die Deklaration von Kopenhagen (A People’s Declaration from Klimaforum09 „System change – not climate change“, December 2009)5 dar. Sie wurde im Vorfeld vor Kopenhagen sorgfältig vorbereitet und auf dem alternativen Klimaforum breit diskutiert und dann verabschiedet. Inzwischen haben fast 500 Organisationen und Gruppen aus der ganzen Welt diese Deklaration unterzeichnet (Stand, 3.1.2010).

Darin wird zunächst im Vorwort festgestellt: „Diese heutige Klimakrise hat ökonomische, soziale, Umwelt-, geopolitische und ideologische Aspekte, die sich wechselseitig beeinflussen. Allein die Situation des Zusammentreffens verschiedener Krisen – Klima, Energie, Finanzen, Ernährung, Wasser u. a. – legt uns nahe, uns zu vereinen und das dominante soziale und ökonomische System ebenso wie die globale Herrschaft zu transformieren, die derzeit notwendige Lösungen für die Klimakrise blockiert. Deshalb ist eine Bewegung von unten aufgefordert, jetzt zu handeln. Umwelt- und Klimaschulden müssen bezahlt werden. Es dürfen keine falschen, gefährlichen oder nur kurzfristigen Lösungen ergriffen werden, wie z. B. Kernkraft, Kohlenstoffemissionshandel und dabei Biokraftstoff-Verrechnung, Kohlenstoffspeicherung (CCS), Biokohle, Geoengineering. Stattdessen sollten wir einen wirklich nachhaltigen Übergang schaffen, der sich zum einen auf saubere, sichere und erneuerbare Ressourcen und zum anderen auf Energieeinsparung stützt. Wir begrüßen Allianzen zwischen Sozial- und anderen Bewegungen, die alle Altersgruppen, Geschlechter, Ethnien, Glaubensrichtungen, Gemeinwesen und Nationalitäten repräsentieren. Wir wollen die Zukunft in unsere eigenen Hände nehmen, indem wir eine starke und volksverbundene Bewegung von Jugendlichen, Frauen, Männern, Arbeitern, Bauern, Fischern, indigenen Völkern, Farbigen, städtischen und ländlichen sozialen Gruppen aufbauen; eine Bewegung, die in der Lage ist, auf allen Ebenen der Gesellschaft gegen die Umweltzerstörung und den Klimawandel zu handeln. Wir fordern eine neue internationale ökonomische Ordnung und unterstützen eine starke und demokratische UNO in Opposition zu G8, G20 oder anderen geschlossenen Gruppen von mächtigen Staaten.“

Als letztlich verantwortlich werden im Abschnitt Ursachen zwei grundsätzliche Punkte benannt:

Zum einen sind es „die ungleichen Besitz- und Kontrollverhältnisse im Hinblick auf die Ressourcen. Dies resultiert aus einem nicht nachhaltigen globalen ökonomischen System, das sich auf die Aneignung der lokalen, nationalen und weltweiten Gemeingüter durch lokale und globale Eliten stützt.“

Als Verantwortliche werden die „weltgrößten transnationalen Konzerne“ benannt und deren „Konkurrenz untereinander um Ressourcen und größere Marktanteile und auch Handelsvereinbarungen im Rahmen der WTO und anderer internationaler Finanzinstitutionen durch die EU und USA ...“.

Als zweite tiefere Ursache wird die grundsätzliche Denkstruktur angesprochen, die den Menschen „als reines ökonomisches Wesen“ definiert. Diese Ideologie wird „durch globale Medienkonzerne und Marketingfirmen verstärkt, die den Egoismus, das Konkurrenzdenken, den Konsumismus und grenzenlose Akkumulation des privaten Wohstandes propagieren, dabei die sozialen und ökologischen Konsequenzen eines derartigen Verhaltens völlig vernachlässigen“.

Demgegenüber sei es notwendig zu erkennen, „dass die menschliche Gattung Teil sowohl der Natur als auch eingebunden in Gesellschaft ist, dass wir die Integrität der ‚Mutter Erde’ respektieren und uns um Frieden zwischen den Kulturen bemühen müssen. Es gilt, den Geist der menschlichen Solidarität und der Verwandtschaft mit allem Leben zu verstärken“.

In der Deklaration wird davon gesprochen, dass es weitreichende Transformationen hin zu einem Systemwandel geben müsse. Sechs Schritte zu einem derartigen tiefgreifenden, nachhaltigen Übergang werden genannt:

1. Ernährungssouveränität und ökologische Landwirtschaft:

„.. Es gilt, das Recht der Völker, Gemeinwesen und Länder aufrechtzuerhalten, ihr eigenes System der Produktion, Landwirtschaft, Ernährung, Umgang mit Land und Wäldern in ökologischer, sozialer und kultureller Selbstbestimmung zu gestalten ...“

2. Demokratische Eigentumsverhältnisse und Kontrolle der Wirtschaft:

„Die gesellschaftlichen Produktionseinheiten müssen in Richtung einer demokratischeren Form des Eigentums und Managements reorganisiert werden. Das Finanzsystem muss öffentlichen Interessen dienen und Mittel für die nachhaltige Transformation von Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistung bereitstellen ...“

3. Energiesouveränität: „.. eine dramatische Reduzierung des Energieverbrauchs in reichen Ländern mit einem Mix von erneuerbaren und öffentlich kontrollierten Energiequellen ...“

4. Ökologische Planung von städtischen und ländlichen Räumen: „.. eine radikale Reduktion des Energie- und Ressourceneinsatzes und die Verminderung von Abfall und Luftverschmutzung, insbesondere indem eine lokal basierte Versorgung der Grundbedürfnisse gefördert wird. Dabei ist ein grundsätzlich neues Transportsystem zu planen ...“

5. Erziehung, Wissenschaft und Kultur:

„.. Öffentliche Erziehung und Forschung ist umzuorientieren, um die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Umwelt zu berücksichtigen und nicht in erster Linie kommerziell profitable und den Eigentümern dienende Interessen. Patente auf Ideen und Technologien sind zu eliminieren, um einen fairen und gerechten Austausch zwischen reichen und armen Ländern zu befördern..“

6. Ein Ende für Militarismus und Kriege:

„.. Das derzeit auf fossile Energieressourcen gründende Entwicklungsmodell führt zu Gewalt, Krieg, militärischen Konflikten um die Kontrolle von Energie-, Land-, Wasser- und anderen Naturressourcen. Dies ist durch die US-geführte Invasion und Besetzung u.a. des Irak und Afghanistans demonstriert. Bauern und andere indigene Gemeinschaften werden gewalttätig vertrieben, um Platz zu schaffen

z. B. für den Anbau von Agrotreibstoff-Plantagen. Billionen Dollar werden jährlich für den Militär-Industrie-Komplex verwendet, diese sollten stattdessen für nachhaltige Übergangsmaßnahmen eingesetzt werden...“

Zu den konkreten Klimaverhandlungen werden in der Deklaration in bemerkenswerter Klarheit folgende weitere Forderungen gestellt:

Beendigung der fossilistischen Ära in den nächsten 30 Jahren; dazu 40%-Reduktion der Treibhausgas-Emissionen der Industrieländer bis 2020 im Vergleich mit dem Jahr 1990.

Reparations- und Kompensationszahlungen für die Klimaschulden der Industrieländer.

Stop der Entwaldung von Regenwäldern. Markt- und rein Technologie-orientierte falsche und gefährliche Lösungen werden eindeutig abgelehnt.

Zusätzlich zu den o. g. strengen Reduktions-Regeln wird eine angemessene globale CO2 –Emissionssteuer gefordert.

Unverantwortliche internationale Institutionen wie WTO, IWF und Welt-Bank werden zugunsten demokratischer und verantwortlicher Institutionen, die in Übereinstimmung mit der UN Charta handeln sollen, abgelehnt.

Diese Deklaration ist der Aufruf „zum Aufbau einer globalen Bewegung von Bewegungen in einer breiten Allianz von sozialen und Umweltbewegungen, Gewerkschaften, Bauern, zivilgesellschaftlichen und anderer verbündeter Parteien, um im täglichen politischen Kampf auf lokalem, nationalem und internationalem Level zusammenzuarbeiten ...“.

 

Hoffnung ALBA

Im Alternativspektrum besonders hervorzuheben ist die positive und kämpferische Wirkung lateinamerikanischer Gruppen, die z.T. direkt von linken Regierungen unterstützt werden. Das lateinamerikanische Staatenbündnis ALBA6 (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América) spielt dabei eine ermutigende Rolle. Die Regierungschefs von Bolivien, Evo Morales, und Venezuela, Hugo Chavez; vertraten progressive Positionen sowohl innerhalb des offiziellen Kongresses wie auch auf einer speziellen alternativen großen Kundgebung außerhalb.

Evo Morales machte auf dem Kongress folgenden beherzten Vorschlag für ein weltweites Referendum.

„.. Und ich möchte hier fünf Fragen aufwerfen, damit die Vereinten Nationen vom Verhandlungstisch die Befragung der Völker der Welt über den Klimawandel einleiten können.

Die Fragen für das weltweite Referendum über den Klimawandel lauten:

• Sind Sie damit einverstanden, unter Anerkennung der Rechte der Mutter Erde, die Harmonie mit der Natur wieder herzustellen? ...

• Sind Sie damit einverstanden, das System des Überkonsums und der Verschwendung zu ändern, welches im kapitalistischen System begründet ist? ..

• Sind Sie damit einverstanden, dass die entwickelten Länder ihre Treibhausgasemissionen reduzieren und abfangen, damit die Temperatur nicht um mehr als ein Grad Celsius ansteigt? ..

• Sind Sie damit einverstanden, alles, was für Kriege ausgegeben wird, umzuwidmen und einen Etat, der höher ist als der Etat für Verteidigung, dem Problem des Klimawandels zuzuweisen?.“

Als fünften Punkt, einen Vorschlag zur Diskussion unter den Präsidenten:

• „Sind Sie mit einem Tribunal für Klimagerechtigkeit einverstanden, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die die Mutter Erde zerstören? ...“

Als Reaktion auf das Scheitern des Klimagipfels hat Evo Morales zwischenzeitlich die sozialen Bewegungen aus aller Welt zu einer alternativen Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel vom 20. bis zum 22. April 2010 nach Cochabamba in Bolivien eingeladen.

 

3. Perspektiven einer Weltklimabewegung – Implikationen für Marxisten

Hier das komplette Scheitern einer offiziellen globalen Klimapolitik, dort andererseits erste Ansätze einer neuen qualifizierten alternativen Weltklimabewegung. Wie geht es nun weiter?

In diesem vielfältigen, von so vielen Ängsten begleiteten, so viele unterschiedliche Lebenssituationen betreffenden und von so vielen unterschiedlichen Einflüssen betroffenen Prozess ist es wichtig, dass das Denken und Handeln auf hohem politischen Niveau und mit Vernunft weitergeführt wird. Ich denke, dass in diesem Prozess insbesondere auch auf Marxisten in aller Welt neue Herausforderungen und große Aufgaben zukommen.

Die Klimakrise entwickelt sich mehr und mehr, zusammen mit den weiteren o.g. Krisen zu einem zugespitzten Kampffeld auf allen Ebenen. Die Naturgesetze werden sich früher oder später mit Gewalt bemerkbar machen, wahrscheinlich zuerst gerade bei den armen Ländern, die bisher am allerwenigsten zur Treibhausgasemission beigetragen haben. Wenn die reichen Industrieländer fortfahren, sich wie bisher zu weigern, effektivste, maximal mögliche Reduktionsmaßnahmen zu ergreifen und sich außerdem weigern, ihre Klimaschuld anzuerkennen, indem sie dem globalen Süden die notwendigen Finanzmittel und auch Technologien vorenthalten, um eine gesellschaftliche Entwicklung ohne fossile Rohstoffe zu ermöglichen, dann werden Naturkatastrophen auftreten und so faktisch eine Richtungsänderung in der globalen Politik erzwingen.

In welche Richtung diese Änderung dann jedoch gehen wird, hängt entscheidend davon ab, ob die alternative Bewegung weltweit weiterhin auf Vernunft basiert, sich demokratisch, partizipativ und die vielfältigen positiven kulturellen Stränge achtend entwickelt und kräftig genug ist, um autoritäre, ökoimperialistische und ökofaschistische „Lösungen“ zu verhindern. Um die auf dem Weg dorthin und dann sich stellenden Fragen vernünftig beantworten zu können, ist ein Denkgebäude, das sich aus Aufklärung, Humanismus und Marxismus speist und eine politische Tradition, die die verschiedenen Versuche in der Geschichte, sich gesellschaftlich zu befreien, kritisch reflektiert und praktisch unterstützt, unverzichtbar. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass Marxisten ihre eigenen Quellen des Denkens, die sich bewährt haben, bewahren, andererseits aber auch viele neue Aspekte und neue Situationen reflektieren und ihre so möglicherweise veränderten Antworten in die alternative Diskussion einbringen.

Eine grundlegende Erkenntnis, die in der marxistischen Philosophie des dialektischen Materialismus angelegt ist, sieht lediglich zwei entscheidende Quellen jeglichen Reichtums. Das ist zum einen der arbeitende Mensch, zum anderen aber die Natur, aus der die Rohstoffe stammen und die es uns erlaubt, überhaupt zu leben. Diese grundlegende Sichtweise des Reichtums und die Zerstörung beider Quellen dieses Reichtums durch die kapitalistische Produktion wird sehr schön in folgendem Marx-Zitat aus dem „Kapital’ formuliert:

„Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW 23/529).

Die Ausbeutung des Arbeiters durch das Kapital haben Marx und Engels in ihrem Werk sehr ausführlich behandelt. Die Ausbeutung der Natur bzw. der Erde haben sie sehr deutlich gesehen, wenn auch nicht ausgearbeitet. Heute, 150 Jahre später, steht diese Seite der Zerstörungskraft des Kapitalismus gleichwertig neben der Frage der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft und muss heute entsprechend in Theorie und Praxis berücksichtigt werden.

Mit diesem Bewusstsein können europäische Marxisten auch gut Evo Morales verstehen, der aus seiner bolivianisch indigenen Herkunft in Kopenhagen ausführlich von „Pachamama“ der „Mutter Erde“ gesprochen hat als unserer Heimat, die respektiert werden muss und nicht zerstört oder vermarktet werden darf.

Umgekehrt bietet der Marxismus für die indigenen Bewegungen einen geeigneten Rahmen, um zu den eigentlichen Ursachen der Zerstörung von Natur und Mensch zu kommen. Wie nur wenige andere Präsidenten betonten Evo Morales und Hugo Chavez das kapitalistische System als Ursache der Naturzerstörung und des Klimawandels und den Übergang zu einem sozialistischen System als globale Notwendigkeit.

Dass das Verhältnis zwischen Mensch und Natur durchaus auch mit Respekt und einer Achtung vor der Natur nach dem Prinzip der Vorsorge geprägt sein sollte, gehört in der marxistischen Philosophie eigentlich zum Grundverständnis. Deshalb sind schmerzliche Fehler in realsozialistischen Gesellschaften (z. B. Aralsee, Luft-Schadstoffemissionen) offensiv zu reflektieren und konstruktiv zu kritisieren. Sie können durch konkrete historische Rahmenbedingungen oder durch schlichtes Unvermögen, Unsensibilität und Unwissen zur damaligen Zeit evtl. entschuldigt werden, von der grundsätzlichen ethischen Haltung sind sie jedoch nicht mit einem vernünftigen marxistischen Verständnis der Mensch-Natur Beziehung vereinbar.

Dies wird z. B. von Engels in der Dialektik der Natur sehr klar ausgedrückt:

„Wir werden bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ Und weiter:

„Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehn und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unserer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. ... Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen ...“ (MEW 20/453).

Auch die bei anderen Umweltbewegungen stark verbreitete Denkweise der verantwortungsvollen Treuhänderschaft, der Gemeingüter und der Nachhaltigkeit ist im Marxismus im Grundsatz angelegt, wie folgendes Zitat aus dem 3.Band des Kapitals belegt:

„Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (MEW 25/784).

Auch gegen die Zerstörung der Landwirtschaft, und der Quellen der Fruchtbarkeit des Bodens und des Wassers, die ein Kampffeld z. B. der weltgrößten fortschrittlichen Bewegung der Kleinbauern „via campesina“ ist, wurde bereits von Marx vor 150 Jahren in bewundernswert weitsichtiger Weise reflektiert und kritisiert, wie folgendes Zitat aus dem Kapital belegt:

„Jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit.“ (MEW 23/529).

Diese Zitate erinnern daran, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit und Ökologie zu einem elementaren Verständnis der Mensch – Natur Beziehung im Marxismus mit seinem materialistisch, humanistischen Grundverständnis gehört.

Eine zentrale Rolle in der zukünftigen globalen Klimaagenda wird das Thema Klimagerechtigkeit zwischen Nord und Süd spielen. Gerade auch bei dieser Thematik sind Marxisten aufgrund ihrer langen internationalistischen und solidarischen Tradition prädestiniert, global gemeinsame, klare Positionen zu entwickeln. Das für reiche Industrieländer nicht sehr angenehme Thema der Klimaschuld und daraus resultierender erheblicher Finanzbeträge ist auch für marxistische Kräfte in diesen Ländern keine leichte Kost.

Auch die Frage Wachstum, Rückbau von krebsartigem Konsumismus, anderes, nachhaltiges und verallgemeinerbares Konsumptionsmodell, grundsätzlich nachhaltige Ökonomie als Vision ist von Marxisten in unterschiedlichen Ländern und zu verschiedenen Zeiten immer wieder neu und konkret im politischen Alltagskampf z.B. um Arbeitsplätze und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu beantworten ...

Dass gerade auch dabei im Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie Marxisten aufgerufen sind, vernünftige Antworten zu geben, liegt auf der Hand. Das von Kopenhagen positiv berichtete, sehr tief verbreitete Gefühl und Wissen, dass die Lösung des Klimaproblems nur mit einer Änderung des politischen, ideologischen und ökonomischen Systems einhergehen kann, bedeutet für Marxisten eine in dieser Art neue Situation und Voraussetzung, produktiv und konstruktiv an dieser weltweiten und breiten Debatte teilzunehmen. Diese Debatte steht noch am Anfang und ist naturgemäß diversifiziert. Doch die Gleichzeitigkeit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise mit dieser Klima- und Umweltkrise macht es einfacher, Verständnis und Zustimmung für konsequente marxistische Analysen und Zukunftsvisionen zu erreichen. Wenn selbst bürgerliche Ökonomen, wie Nicolas Stern im Zusammenhang mit dem Klimawandel von dem „größten Marktversagen“ des Kapitalismus sprechen, dann ist die Situation für Diskussionen um neue, breit partizipative und demokratisch planwirtschaftliche Ansätze, auch unter dem Aspekt neuer informationstechnologischer Möglichkeiten akut.

Der drohende Klimawandel wird wohl in der einen oder anderen Form (z. B. Green New Deal, Ökofaschismus, ..) auch durch das kapitalistische System beantwortet werden. Durch die Klimakrise ist die kapitalistische Krise endgültig auf ein globales Niveau, mit der realen Bedrohung durch eine Klimakatastrophe, gehoben. Dadurch ist das Thema Mensch-Natur-Beziehung, Ökologie neben die Themen Ökonomie, Arbeit, Soziales und das Thema Krieg und Frieden in das Zentrum des politischen Kampfes um die Hegemonie und schließlich um die Macht auf diesem Globus gerückt. Um dem Rechnung zu tragen, sollten m.E. Marxisten diskutieren, ob dies nicht auch in der Sprache zum Ausdruck kommen sollte, indem wir von unserer Vision als partizipativem, demokratischen Ökosozialismus sprechen.

Im Wort Ökosozialismus würde kohärent und prägnant zum Ausdruck kommen, es geht um die zwei Säulen jeglichen Reichtums in der Menschheit, einerseits um die Natur, die Erde und andererseits um die Arbeit, den arbeitenden Menschen. Indem das sozialistische Projekt mit dem ökologischen verknüpft wird, käme die auf Tradition beruhende Vitalität des Marxismus zum Ausdruck.

 

 

 

 

 

 

1 Eine nach dem Prinzip der Klimagerechtigkeit einfach nachvollziehbare, transparente und gerechte Methode zur Berechnung derartiger Klimaschulden ist nach dem sogenannten „Budgetansatz“ möglich; s. Institut für sozial ökologische Wirtschaftsforschung München: ISW download – Newsletter v. 19.11.2009, http://www.isw-muenchen.de/ download/Kopenhagen-hs-112009.pdf

2 Bei dieser Rechnung ist der Sondereffekt der Deindustrialisierung von Osteuropa – insbes. Russland, Ukraine und Polen – nach der Wende 1990 nicht berücksichtigt, denn dieser Effekt kann nicht als nachhaltige Klimaschutzmaßnahme gewertet werden.

3 s. Institut für sozial ökologische Wirtschaftsforschung München e.V.; ISW-Report Nr. 73 „Klima-Killer Konzerne“, S. 25 ff.

4 s. http://www.climate-justice-now.org ; http://www.climate-justice-action.org/ ; http://viacampesina.org; www.foei.org; http://www.climatenetwork.org/; http://www.jubileesouth. org/news/About_Us.shtml; www.350.org; u. a.

5 s. http://www.klimaforum09.org/The-Declaration-process? lang=da

6 Staatenbündnis aus z. Zt. acht Staaten Lateinamerikas und der Karibik: Venezuela, Kuba (seit Dez. 2004), Bolivien (seit April 2006), Nicaragua (seit März 2007), Dominica (seit Jam. 2008), Ecuador, Antigua u. Barbuda, St. Vincent u, die Grenadinen (seit Juni 2009), Honduras (seit Aug. 2008, Austritt durch das Putschregime im Jan. 2010). s. a. http://www.alternativabolivariana.org/