Elitäre Hochschulreform

Repräsentanten der großen Unternehmen hierzulande haben ein neues Thema gefunden: Deutschland braucht andere Hochschulen. An den bestehenden, meint Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, werde "Mittelm

Repräsentanten der großen Unternehmen hierzulande haben ein neues Thema gefunden: Deutschland braucht andere Hochschulen. An den bestehenden, meint Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, werde "Mittelmaß und schlechter Durchschnitt" produziert, im internationalen Konkurrenzkampf um wirtschaftliche Spitzenplätze komme es aber auf die Elite an. Und so vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Einrichtung elitärer Bildungsstätten gefordert wird, zumeist mit dem Hinweis auf Harvard oder Stanford und andere Renommierhochschulen im Ausland.

Welche Folgen hätte es, wenn diese Forderungen realisiert würden? Sehen wir uns in Ländern um, die solche Elitebildungsstätten schon seit langem kennen, beispielsweise Frankreich, Großbritannien und die USA.

In Frankreich gibt es seit über 200 Jahren vom allgemeinen Universitätssystem getrennte Elitehochschulen, die Grandes Écoles. Die vor 30 Jahren eingeleitete soziale Öffnung der Universitäten ist an ihnen weitgehend vorbei gegangen. Die Masse der neu in die Hochschulen strömenden Kinder aus den mittleren und unteren Klassen und Schichten ist nur in die öffentlichen Universitäten gelangt, die von knapp 185 000 Studierenden im Jahre 1960 auf inzwischen gut 1,4 Millionen (unter Einbeziehung aller Hochschularten sogar ca. 2,1 Millionen) gewachsen sind. Ihre soziale Rekrutierungsbasis hat sich deutlich verändert. Die Grandes Écoles dagegen, vor allem die berühmten unter ihnen, haben ihren elitären Charakter bis heute bewahren können. Die Chancen der Kinder aus der Arbeiterschaft und den Mittelschichten, dort einen der begehrten Studienplätze zu bekommen, sind äußerst gering. An den vier bekanntesten dieser Bildungsstätten hatten Ende der 60er Jahre nicht mehr als gut 20 Prozent eine "origine populaire", also eine Herkunft aus Familien von Bauern, Arbeitern, Angestellten und Beamten, Handwerkern, Kaufleuten und kleineren Unternehmern; seitdem ist ihr Anteil nicht gestiegen, sondern auf heute nicht einmal mehr zehn Prozent gesunken. Diese soziale Spaltung geht einher mit einer extrem ungleichen Verteilung der öffentlichen Mittel für die Hochschulen. Obwohl alle Grandes Écoles zusammen weniger als fünf Prozent der Studierenden ausbilden, erhalten sie über ein Drittel des Hochschuletats. Daß sich eine solche Ungleichbehandlung auf die Qualität der Ausbildung auswirken muß, liegt auf der Hand.

Ähnlich in Großbritannien. Doch hier findet die soziale Selektion schon im allgemeinbildenden Schulwesen statt. Die seltsamerweise Public Schools genannten Privatschulen erheben pro Jahr Gebühren zwischen 5 000 und 15 000 Pfund (im Durchschnitt 6 150 Pfund für Tagesschulen und 10 500 Pfund für Internate) und schließen so die große Masse der Kinder aus der Arbeiterschaft und breiten Mittelschichten aus. Aus welchen Kreisen die SchülerInnen größtenteils kommen, zeigt ein Blick auf die Einkommensverhältnisse der Eltern. 1993 hatten die meisten von ihnen ein Jahreseinkommen von über 40 000 Pfund auf, während der durchschnittliche Wochenverdienst in demselben Jahr nur bei 288 Pfund für Männer und 182 Pfund für Frauen lag.

Diese soziale Selektion setzt sich im Universitätsbereich fort. Die Absolventen der Public Schools besuchen in weit überproportionalem Maße die beiden Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge. Mehr als 50 Prozent aller Oxbridge-Anfänger kommen von Public Schools; daran hat sich seit Jahrzehnten so gut wie nichts geändert.

In den USA entsprechen die Schulgebühren an den angesehenen Privatschulen ähnlich wie in Großbritannien etwa einem halben Jahreseinkommen eines Durchschnittsverdieners; 46 Prozent der Familien, die ihre Kinder in private Internatsschulen schicken, haben ein Einkommen, das mindestens das Vierfache des Durchschnittseinkommens ausmacht, 66 Prozent mehr als das Dreifache. Private Eliteuniversitäten wie Harvard oder Yale kassieren bis zu 45 000 Dollar pro Jahr, d.h. bis zur Höhe eines durchschnittlichen Familienjahreseinkommens, für ein Undergraduate-Studium und weitere 30 000 bis 55 000 Dollar jährlich für ein anschließendes Studium an einer Business, Law oder Medical School. Ungefähr 40 Prozent der Studienanfänger an den 70 Lehranstalten mit dem höchsten Prestige in den USA kamen Mitte der 90er Jahre aus Familien, deren Jahreseinkommen bei 100 000 Dollar und mehr lag. Die verschiedenen finanziellen Hilfen, die einem Teil der Studierenden zugute kommen, ändern an der starken sozialen Selektion aus zwei Gründen nicht viel. Zum einen wird die Unterstützung häufig nur in Form relativ zinsgünstiger Darlehen gewährt, muß nach dem Studium also zurückgezahlt werden. Bei Gesamtsummen von bis über 200 000 Dollar schreckt das viele ab, die aus nicht so begüterten Elternhäusern stammen. Zum anderen sorgt auch die Rekrutierungspraxis der angesehenen Privatuniversitäten für eine klare soziale Auswahl. Ihre Zulassungskommissionen begünstigen Kinder aus der Upper Class.

Fazit: Die Existenz besonderer Elitehochschulen verschärft die soziale Spaltung innerhalb des Bildungssystems. Auf der einen Seite stehen junge Leute aus "gehobenen gesellschaftlichen Kreisen", die in solchen Einrichtungen lernen dürfen, auf der anderen Seite bleibt die große Masse der Studierenden zurück, die sich mit einer stetigen Verschlechterung ihrer Lernbedingungen abfinden muß. Kommt es auch in Deutschland zum systematischen Aufbau von Elitehochschulen, so bedeutet das eine Neuverteilung der Bildungsressourcen zugunsten einer kleinen privilegierten Schicht. Chancengleichheit, bisher ein Leitbild des Bildungswesens in der Bundesrepublik, wird dann in die Abstellkammer der Geschichte verbannt.

Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule Darmstadt