Dublin II - Ein System kollabiert

RLS-Reihe «Handlungsfeld Europa»

Diskussion / Vortrag

betahaus, Berlin
Mit Cornelia Ernst (MdEP DIE LINKE), Dr. Silja Klepp (Uni Bremen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Küstenforschungsprojekt INTERCOAST und Autorin des Buches «Die Europäische Union zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Die Geografie des Flüchtlingsrechts auf dem Mittelmeer») und Frederica Benigni (Flüchtlings-Aktivistin aus Italien); Moderator: Koray Yilmaz-Günay (Referent für Migration bei der RLS)

Dublin II, hinter dieser harmlos klingenden Bezeichnung verbirgt sich, wie nicht selten in der Europäischen Union eine Politik, die Menschen, in diesem Fall, Flüchtlingen, die Möglichkeit Asyl zu beantragen erschwert und teilweise gar unmöglich macht. Die Dublin II Verordnung regelt die Verantwortlichkeit für Asylverfahren unter den EU-Mitgliedsländern. Auch das klingt erst einmal vernünftig. Ziele ist es demnach „… den für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat möglichst rasch zu bestimmten und angemessenen Fristen für die einzelnen Verfahrensstadien festzulegen“. Damit wird ein großer Teil der Aufnahmeaktivitäten an die EU Außengrenzen verlagert, wo dementsprechend auch der größte Verwaltungsaufwand entsteht. Wesentlich dramatischer jedoch ist, dass viele Länder an diesen Außengrenzen weder über die notwendige Infrastruktur, noch über auch kurzfristige Unterbringungskapazitäten verfügen, um den Flüchtlingen adäquat Unterstützung zukommen zu lassen und häufig auch nicht den politischen Willen aufbringen, ihnen zu ihrem Recht auf Asyl zu verhelfen. Gleichzeitig wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, dass es so nicht wirklich gibt. Hierzu genügt ein Vergleich der Zahlen des UNHCR. Die weitaus meisten Flüchtlinge (80% von 44.000 000 in 2010) verbleiben in ärmeren Ländern, allein Pakistan beherbergt 2 Millionen Flüchtlinge. Seit die Dublin Verordnung 2003 erstmals in Kraft trat ging in Deutschland die Zahl der Flüchtlinge kontinuierlich zurück. So waren es 2010 laut BAMF insgesamt 41.232, davon erhielten 643 eine Anerkennung, ca. 10.000 erreichten eine Duldung, abgelehnt wurden 27.255 und in 10.537 Fällen wurden formell also auch nach der Dublin II Verordnung entschieden. Das bedeutet konkret, dass Flüchtlinge laut Ersuchen Deutschlands in andere Länder zurückgeführt, oder abgeschoben wurden. Wie stark Deutschland von Dublin II profitiert, belegen die Zahlen der Ersuche von Deutschland (an andere EU und Schengen-Staaten), die mit 9.734 Anfragen zu Buche schlagen, während Deutschland im Gegenzug nur in 2.888 Fällen angefragt wurde.

In Griechenland sind die Zustände in den Flüchtlingslagern so dramatisch, dass der EUGH die Rückübersendung nach Griechenland aus humanitären Gründen verbot. Solche Verhältnisse gibt es aber nicht nur in Griechenland, auch in Polen, Ungarn, Bulgarien und Italien entspricht die Situation bei der Unterbringung der Flüchtlinge nicht eben humanitären Grundsätzen. Statt nach einer Lösung zu suchen, die sowohl den EU-Ländern an den Außengrenzen Unterstützung gewährt und die Situation für die Flüchtlinge verbessert, wird mit der Grenzschutzagentur FRONTEX deren Lage noch verschärft. Europas „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, gilt nur in extrem engen Grenzen für Menschen auf der Flucht und für diejenigen, die den Preis für unseren Wohlstand zahlen. Die Möglichkeit aus humanitären Gründen ein Asylverfahren auch dann durchzuführen, wenn ein Flüchtling sich vorher in einem anderen EU- oder Schengen Staat aufhielt, wird, obwohl auch in Dublin II vorgesehen, so gut wie nie genutzt.
Europa muss sich an seinen nach außen proklamierten Werten messen lassen können und so ist die Frage berechtigt, warum das System von Dublin II, obwohl es „kollabiert“ und auch innereuropäisch nicht funktioniert, nicht in Frage gestellt und abgeschafft wird?