Abschreckung – per pedes?

in (11.05.2016)

Unter der Überschrift „Mission am Ostrand der Nato: Bundeswehr beteiligt sich an Abschreckung gegen Russland“ berichtete Der Spiegel dieser Tage, dass deutsche Truppen nach Litauen entsandt werden könnten, wenn eine entsprechende Mission zur Rückversicherung der östlichen NATO-Partner beim nächsten Pakt-Gipfel in Warschau im Juli beschlossen werde. Während Obamas jüngstem Besuch in Deutschland soll Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hannover – anwesend waren auch die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs und Italiens – bereits eine diesbezügliche Zusage gemacht haben. Dem Spiegel zufolge sei ein Bataillon von bis zu 1.000 Mann pro Land angedacht.
Das würde die Russen natürlich ganz gewiss davon abhalten, mit dem Baltikum zu verfahren wie mit der Krim. Experten bezweifeln zwar, dass der Kreml ein vergleichbares Vorgehen auch nur in Erwägung zieht, denn bei den baltischen Staaten handelt es sich immerhin um Mitglieder des Nordatlantikpaktes, dessen Kern eine Beistandsklausel ist. Aber man weiß ja nie bei diesen unberechenbaren Moskowitern …
Damit deren Abschreckung allerdings auch wirklich funktioniert, sollte ihnen auf gar keinen Fall der jüngste „Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ in die Hände fallen, von der zuständigen Ministerin Ende November 2015 dem Parlament vorgelegt. Diesem Papier ist nämlich, je nach Gemütsverfassung des Lesers, Ernüchterndes bis Erschreckendes zu entnehmen:

  • Von 93 noch vorhandenen Methusalem-Jagdbombern des Typs Tornado standen 2015 – wegen Erprobung und Instandsetzung – nur 66 Stück zur Verfügung, was aber nicht bedeutete, dass sie auch einsatzfähig waren. Dieses Kriterium erfüllten nur 29 Flugzeuge, gleich 44 Prozent.
  • Nicht wesentlich besser sah es beim wesentlich jüngeren Modell Eurofighter aus: Einsatzbereit waren nur etwa 55 Prozent des Bestandes.
  • Beim anderen Methusalem der Luftwaffe, dem Transportflugzeug Transall, kamen bei Bedarf immerhin noch 57 Prozent vom Boden in die Luft.
  • Nicht so beim nigelnagelneuen Helikopter NH90: lediglich fünf von bisher 23 Maschinen, also bloß circa 22 Prozent, konnten tatsächlich abheben.
  • Dem standen die Marine-Hubschrauber vom Typ Sea Lynx in nichts nach. „Die Einsatzbereitschaft des Waffensystems“, so der Bericht, „hat sich auf einem Niveau von durchschnittlich vier einsatzbereiten Maschinen eingependelt.“ Von insgesamt 22. Trotzdem war das echter Fortschritt: Noch 2014 flog gar keiner dieser Helikopter.
  • Doch getoppt hat die Statistik der lahmste Vogel von allen, der Kampfhubschrauber Tiger: Von 43 Maschinen waren 2015 im Schnitt ganze sechs kampfbereit, rund 14 Prozent.

Und wie sieht es beim Heer aus? Dazu teilte der Bericht mit: „Für die Landsysteme […] kann bei einem insgesamt erfreulichen Verfügungsbestand eine gute Einsatzbereitschaft, die regelmäßig über 70% liegt, festgestellt werden.“ Das ist doch eine gute Nachricht! Zumindest für alle, die nicht wissen, wie im Hause von der Leyen gerechnet wird. Da werden Systeme, die beim Hersteller zur Reparatur stehen, nämlich ganz einfach nicht mitgezählt. Oder mit den Worten des Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans-Peter Bartels: „[…] damit lügt man sich natürlich ein bisschen in die Tasche […] Denn je mehr ich bei der Industrie stehen habe, desto besser ist die Verfügbarkeit zuhause, weil alles, was kaputt ist, ist nicht da. Also das ist keine sinnvolle Statistik, um festzustellen, wie gut ist man eigentlich bei der Materialerhaltung und bei der Einsatzfähigkeit.“ Ganz praktisch sah das so aus, dass 2015 von 641 geschützten Transportfahrzeugen des Typs Dingo im Jahresmittel gerade mal 287 einsatzbereit waren. 44 Prozent. Und vom Gesamtbestand an 244 Kampfpanzern Leopard 2 waren lediglich 126 diensttauglich, immerhin etwa 52 Prozent.
Falls der Bericht den Russen aber dennoch in die Hände fällt, sollte man sie vielleicht wenigstens ganz schnell an die Historie erinnern – schließlich ist Napoleon auch fast ausschließlich mit Fußtruppen bis Moskau gekommen! Und nicht zuletzt enthält der Bericht selbst zumindest einen dezidiert abschreckungsrelevanten Hinweis: Bei einem Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags, so heißt es in dem Papier, könnte die Bundeswehr auch Flugzeuge einsetzen, die sie in Friedenszeiten wegen einer überfälligen Inspektion oder einer abgelaufenen Zulassung nicht benutzen darf.
Na, wenn das nicht Aussichten sind …