»Russland für Russen«

Rechtsextreme Denkmuster sind auch im Osten verbreitet

Zumindest für die ehemalige Hauptstadt der Sowjetunion lässt sich konstatieren, was auf den ersten Blick wie ein Paradox erscheint: Rechtsextreme Denkweisen waren im Bewusstsein der russischen Bevölkerung kaum jemals so fest verankert wie heute. Gleichzeitig befindet sich die rechte Szene nach wiederholten Spaltungsprozessen in einer tiefen Krise. Grund zum Aufatmen ist dies allerdings nicht.

 

Anders als in vielen europäischen Staaten ist in Russland vorerst nicht mit einer erstarkenden parlamentarischen Präsenz extrem rechter Parteien zu rechnen. Seit der ersten Präsidentschaft von Wladimir Putin hat sich der Handlungsspielraum für die extreme Rechte im politischen Mainstream auf ein Minimum reduziert. Die Zulassungen zu Wahlen erhielten nur wenige ausgewählte Parteien. Das Kalkül, mit dem rechten Parteienzusammenschluss »Welikaja Rossija« (Großes Russland) 2007 den Sprung ins Parlament zu schaffen, ging nicht auf. Die Partei ist bis heute nicht registriert und hat dadurch an Bedeutung verloren.

Unter den derzeit knapp über 70 registrierten Parteien ist das extrem rechte Spektrum jedenfalls fast nicht vertreten, wenngleich sich einzelne, nicht explizit der Rechten zugehörige Parteien durch nationalpatriotische Inhalte hervortun. Wie sich an der großen Zustimmung zu homophoben Gesetzen und der eifrigen Gesetztätigkeit in der Duma zur Durchsetzung der systematischen Ausgrenzung von MigrantInnen messen lässt, finden sich faschistoide Elemente zumindest bei einzelnen VertreterInnen aller etablierter Parteien. Das trifft ebenso auf Strukturen wie die Kommunistische Partei Russlands (KPRF) zu, die historisch betrachtet der Linken zuzuordnen sind. Etablierte nationalistische Projekte des Kremls wie die liberal-demokratische Partei von Wladimir Zhirinowskij (LDPR) gelten aus der Perspektive radikaler russischer Nationalisten nicht als ihnen zugehörig und bilden mit ihnen auch keine organisatorische Einheit.

Ohne parlamentarische Vertretung konzentrieren sich die Aktivitäten der extremen Rechten auf den außerparlamentarischen Raum. Seit der Liberalisierung des Parteiengesetzes im Jahr 2012 streben zahlreiche Gruppierungen zwar eine Registrierung an, bislang aber ohne Erfolg. Insbesondere betraf dies neue politische Gebilde wie der »Nationaldemokratischen Partei« von Konstantin Krylow und die »Neue Kraft« von Walerij Solowjow. Ausnahmen bilden die legale Partei »Russische Volksunion« (ROS) des seit Ende der 1980er Jahren aktiven »Nationalisten alter Schule« Sergej Baburin sowie die dem Vizepräsidenten Dmitrij Rogozin nahestehende »Rodina« (Heimat).

 

Inszenierung als Opfer

Praktisch allen Rechten gemein ist, dass in ihrer Rhetorik mehr und mehr Referenzen an eine demokratische Umgestaltung zugunsten ihrer Vorstellungen zu finden sind. Der häufig bemühte Begriff »Nation« wird dabei nur selten in einem staatsbürgerlich-republikanischem Verständnis benutzt. Üblich ist vielmehr ein ethnischer Nationsbegriff, dem wahlweise eine kulturelle oder biologische Definition von Ethnos zugrunde liegt, mit zunehmender Tendenz zu einem mehr oder weniger offen propagierten biologischen Rassismus. Während bei Umfragen ermittelte Werte von über 50 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung zum Motto »Russland für Russen« offenlassen, wer genau unter die Bezeichnung »Russe« fällt, besteht bei den »Nationaldemokraten« kein Zweifel an deren biologisch-rassistischer Auslegung. Bislang war »Russe« im allgemeinen eine kulturell verstandene Identität, die nicht nur UkrainerInnen oder WeissrussInnen miteinschließt, sondern auch TatarInnen oder VertreterInnen kleinerer in Russland ansässiger Ethnien. Der russische Nordkaukasus hingegen, allen voran Tschetschenien und Dagestan, gilt in der Wahrnehmung der Bevölkerung ohnehin längst als Ausland.

All jene Strukturen, die eine parlamentarische Vertretung anstreben, verstehen sich als Teil der demokratischen Oppositionsbewegung gegen das Putinsche Herrschaftsmodell und versuchten von den Massenprotesten 2012 zu profitieren. Das gelang allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Einerseits konnten Konstantin Krylow und seine MitstreiterInnen von der Bewegung »Russkije«, Wladimir und Alexander Tor, im demokratischen Lager Fuß fassen und somit ihre politischen Inhalte transportieren. Insbesondere die Inszenierung als Opfer staatlicher Repressionen und ihre vermeintlich ideologiefreie Unterstützung politischer Gefangener aus dem nationalistischen Umfeld, darunter auch verurteilte Mörder, schienen der massiven Präsenz von VertreterInnen rechtsextremer Bewegungen in der Oppositionsbewegung eine gewisse Legitimation zu verschaffen. Doch deren Basis betrachtete die Annäherung an die liberale Opposition mit zunehmender Skepsis, zumal sich der wachsende Bekanntheitsgrad keineswegs im Zulauf neuer Mitglieder niederschlug.

Außerdem manifestierte sich im rechten Lager immer deutlicher eine Spaltung hinsichtlich vermeintlich oder tatsächlicher pro-westlicher Positionen versus einer im nationalistischen Spektrum generell überwiegenden Ablehnung des Westens. Auch der jährlich im November stattfindende »Russische Marsch« mit maximal 7.000 Teilnehmenden beeindruckt heute, nach dem Moskau zehn Mal größere oppositionelle Demonstrationen erlebt hat, höchstens noch durch Provokationen wie Auftritte in SS-Uniformen, wie es im vergangenen Jahr der Fall war.

 

Selbstorganisierte Razzien

Die relative Stärke der extremen Rechten bleibt bislang auf die ‚Straße’ beschränkt. Erfolge feiern sie nur dann, wenn es gelingt, sich als Sprecher oder Vollstrecker des »russischen Volkes« in Szene zu setzen. Das erfolgreichste Projekt des letzten Jahrzehnts ist die 2011 verbotene »Bewegung gegen illegale Immigration« DPNI. Sie verfolgte nicht nur in Moskau, sondern über ihr breites Netzwerk auch in anderen Regionen Russlands das Konzept der Ethnisierung sozialer Konflikte. Nach dem Verbot konstituierte sie sich als Bewegung »Russkije« (»Russen«) erneut. Innere Querelen sorgten in diesem Jahr für einen deutlichen Imageverlust. In den Metropolen Moskau und Petersburg gehen neue lokale Gruppierungen inzwischen nach einem ähnlichen Prinzip vor und laufen ihnen sogar teils den Rang ab.

Im vergangenen Sommer eskalierte die ohnehin weit verbreitete fremdenfeindliche Stimmung in einem solchen Maß, dass innerhalb kürzester Zeit bei Umfragen zumindest in der russischen Hauptstadt die Folgen von Migration als dringlichstes Problem benannt wurden. Alle anderen seit Jahren an der Spitze stehenden Themen wie Korruption, Verkehrskollaps und kommunale Wohnungswirtschaft wurden auf untere Ränge verwiesen. Bereits seit Herbst 2012 organisieren AktivistInnen der »Russkije«, die »Liga zur Verteidigung Moskaus« und allen voran die »Swetlaja Rus«-Razzien an Wohnorten von MigrantInnen – gelegentlich sogar unter Beteiligung der Migrationsbehörde, die jedoch Kontakte zu rechten Organisationen bestreitet. Auf dieser Welle gründete sich mit dem »Schild Moskaus« eine Gruppierung, die personelle Überschneidungen mit ultrarechten Fußballhooligans und, was ebenfalls in der rechten Szene nicht untypisch ist, kremlnahen Jugendorganisationen aufweist.

Im Rahmen dieser Razzien dringen junge Männer teils maskiert in Wohnheime oder angemietete Kellerräume der MigrantInnen ein. Sie zerschlagen häufig das Mobiliar, zerstören persönliche Gegenstände und übergeben die BewohnerInnen der Polizei zu Ausweiskontrollen. Dieses anscheinend von den Behörden gedeckte Vorgehen ruft kaum öffentliche Empörung hervor. Ende Juli starteten unter dem Motto »russische Säuberungen« in den Metropolen Razzien auf Märkten und an Straßenständen. Zwar leitete die Polizei in St. Petersburg Strafermittlungen gegen die Initiatoren der anfangs geduldeten Aktionen ein, eine Skandalisierung der Angriffe gegen MigrantInnen blieb jedoch auch diesmal aus. Erst die Errichtung eines Abschiebelagers Anfang August in Moskau, in dem Hunderte MigrantInnen, davon viele aus Vietnam, in Zelten untergebracht waren, sorgte zumindest kurzzeitig für Aufregung, was immerhin nach drei Wochen zur Schließung des Lagers führte. In diesen Zeitraum fiel außerdem der Wahlkampf für die erstmals seit zehn Jahren anberaumten Bürgermeisterwahlen, wobei alle KandidatInnen die ohnehin aufgeheizte Stimmung weiter schürten, indem sie das Thema illegale Migration für ihre Zwecke ausbeuteten.

Rassistisch motivierte Gewalt gehört schon seit vielen Jahren zum russischen Alltag. Allein seit Jahresbeginn wurden mindestens 15 Menschen ermordet. Die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher ausfallen, denn häufig können die genauen Hintergründe und Täter selbst in Mordfällen nicht eindeutig ermittelt werden. Weniger folgenreiche Übergriffe kommen meist gar nicht erst zur Anzeige. Für die unzähligen kleinen, autonomen Neonazigruppierungen, aus denen seit dem vergangenen Jahrzehnt auch etablierte Strukturen der extremen Rechten ihren Nachwuchs rekrutieren, herrschten lange Zeit fast optimale Bedingungen. Umfangreiche Strafermittlungen setzten erst ein, als der Staat sein Herrschaftsmonopol angegriffen sah. Dabei stehen im Visier der Neonaziszene nicht nur MigrantInnen und nicht-slawisch aussehende Menschen, sondern auch AntifaschistInnen oder beispielsweise Richter wie der 2010 ermordete Eduard Tschuwaschow.

 

Querfront bis hin zu Anarchos

Fast allen Gruppierungen im Neonazispektrum ist ein positiver Bezug zum Nationalsozialismus gemein, wie auch die Orientierung am Neuheidentum. Neben areligiösen Tendenzen findet aber auch die Orthodoxie als christliche Religion vermehrt AnhängerInnen innerhalb der Rechten. Per Internet verbreitet sich Wissen um zahlreiche neue Variationen rechtsradikalen Gedankenguts aus dem Westen, die dann auch in Russland Einzug halten. So erfassen beispielsweise Querfront-Strategien selbst die anarchistische Szene. Deren größter organisierter Zusammenschluss, die  »Autonome Aktion«, spaltete sich im vergangenen Sommer, nachdem zuvor in Teilen eine personelle und in der Konsequenz auch politische Annäherung zum nationalrevolutionären Milieu stattgefunden hatte. Nationalismus, Antifeminismus und insbesondere Homophobie sind durchaus auch in antifaschistischen Zusammenhängen verankert.

Die Kampfansage antifaschistischer Gruppen an Neonazis dämmte zwar die rechte Gewalt gegen die Antifa-Szene ein, leistete jedoch machohaften Attitüden und einem Militanzverständnis Vorschub, die emanzipatorischen Ansätzen zuwiderlaufen. Staatliche Repressionen gegen AntifaschistInnen, darunter auch gegen einige der wenigen SprecherInnen der Bewegung, behindern zudem die Weiterentwicklung von einer Subkultur zu einer in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren politischen Kraft. Vor diesem recht düsteren Bild können immerhin die Kundgebungen kleiner anarchistischer und trotzkistischer Splittergruppen gegen Abschiebelager einen positiven Eindruck hinterlassen.

 

 

Ute Weinmann ist freie Journalistin in Moskau.