Faschismus hat viele Gesichter

Themenschwerpunkteditorial iz3w 339 (November/ Dezember 2013)

Ungarische Pfeilkreuzler oder lettische Donnerkreuzler, die dänische und die schwedische Nationalsozialistische Arbeiterpartei, Nationale Fronten in der Schweiz und in Frankreich: In jedem Land Europas marschieren faschistische Bewegungen, die die eigene Nation von allem und allen Fremden »säubern« wollen. Gewalt nehmen sie dabei in Kauf, wenn sie sie nicht sogar offen verherrlichen. Vom alten Faschismus italienischer Provenienz und erst recht vom Nationalsozialismus setzen sich viele dieser Bewegungen und ihre Parteien zwar durchaus ab, etwa indem sie von »Ethnopluralismus« faseln statt von »Herrenrassen«. Viele von ihnen wissen Elemente der bürgerlichen Demokratie zu schätzen, weil sie ihnen ermöglicht, ganz legal und mit Unterstützung des Staates und der Medien an Einfluss zu gewinnen.

Aber zu Recht hat sich für sie der Begriff »Neofaschisten« durchgesetzt, weil er darauf verweist, dass hier etwas Altbekanntes im neuen Gewand auftaucht. Semantische Verschiebungen und einige weibliche Führungsfiguren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ultra-Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Führerkult und Männerbündelei wesentliche Merkmale nicht nur der alten, sondern auch der Neuen Rechten sind.

 

Eine allgemein anerkannte, präzise Definition für Neofaschismus gibt es ebensowenig wie für Faschismus. Beides sind oftmals weniger analytische Kategorien denn Kampfbegriffe, mit denen politische Gegner belegt werden, um sie zu diskreditieren. Die Linke muss sich vorwerfen lassen, dabei besonders oft übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Großzügig verteilte Etikettierungen wie »faschistoid« führten zu einer Entwertung des Faschismusbegriffes, was unter anderem eine gewisse Ermüdung der Theoriediskussion zur Folge hatte. Im Einleitungsbeitrag dieses Themenschwerpunktes plädiert Mathias Wörsching demgegenüber für eine kritische Rekonstruktion von Faschismustheorien. Denn die historische Erfahrung des Faschismus heißt eben nicht, dass er bereits historisiert werden kann.

Die Beiträge von Ute Weinmann zu Russland, von Reiko Pinkert/Uwe Stegmann über Bulgarien und von Emre Arslan zur Türkei verdeutlichen, dass (Neo-)Faschismus alles andere als ein erledigtes Thema ist. Illustriert wird dies auch durch das Titelbild: Es zeigt eine moderne junge Frau in Sofia, die sich am »Lukov-Marsch« beteiligt. Alljährlich marschieren Neonazis aus Bulgarien und anderen europäischen Ländern auf, um den nationalsozialistischen bulgarischen General Hristo Lukov zu ehren, der 1943 von kommunistischen Partisanen getötet worden war.

 

Ist Faschismus ein rein europäisches Phänomen, das allenfalls in einige lateinamerikanische Länder und ins südliche Afrika exportiert wurde? Die Unschärfe des Faschismusbegriffes trägt dazu bei, dass diese Frage schwer zu beantworten ist. Doch unmöglich ist es nicht. Fasci, das Rutenbündel, ist der (Kampf-)Begriff, von dem sich der italienische Faschismus ableitet. Zum einen ist hier das Primat der Stärke, der Gewalt enthalten. Zum anderen das vorgestellte Verhältnis der Einzelnen zur Gemeinschaft: Das Individuum ist ihr untergeordnet. Die Gemeinschaft ist jedoch nicht als Gesellschaft vorgestellt, in der unterschiedliche Kräfte ein soziales Gefüge hervorbringen und in dem es (lösbare) Konflikte gibt. In der faschistischen Vorstellung ergeben möglichst gleichförmige Figuren eine homogene Gemeinschaft, die bündisch, rassisch oder völkisch gesetzte Nation. Wer außerhalb steht oder gestellt wird, wird als minderwertig betrachtet. Zu diesem Überlegenheitsgefühl kommt die Propaganda der Tat: Alles ‚Fremde’ wird gewaltsam verdrängt. Faschisten dulden kein Anderssein und keine andere Weltanschauung als die eigene.

In diesem Moment liegt die strukturelle Gleichförmigkeit der faschistischen Bewegungen, wie sie in Parolen wie »Indien den Hindus« oder »Finnland den Finnen« anklingt. Aber da solche Forderungen im Gegensatz zu Demokratie oder Sozialismus partikularistisch sind, rekurrieren sie auf sehr verschiedene, eigene historische Entwicklungen. Schon allein deshalb ergeben sich zwischen den faschistischen Bewegungen immer wieder große Unterschiede im Konkreten (wie Tobias Delfs am indischen Beispiel zeigt; ebenso die Debatte von Bernhard Schmid und Stephan Grigat um faschistische Elemente im politischen Islam).

 

Insbesondere in Bezug auf Afrika ist der Faschismusbegriff mit größter Vorsicht zu verwenden. Dieser Kontinent war lange Zeit eine Zielscheibe faschistischer Propaganda aus Europa. Doch Faschismus tritt aus der modernen Gesellschaft hervor, die sich selbstverständlich auch in Afrika findet. Das Genozid in Ruanda, bei dem 1994 über 800.000 Tutsi von Hutu-Milizen abgeschlachtet wurden, hatte faschistische Merkmale. Dem Morden lag eine Propaganda zugrunde, in der die Tutsi als inyenzi (Kakerlaken) bezeichnet wurden. Roméo Dallaire, Kommandant der UN-Blauhelme in Ruanda 1994, schreibt vom »fanatischen Rechtsextremismus«, in dessen Klima die Interahamwe-Milizen »die Abschlachtung eines jeden Tutsi erträumten«. Interahamwe heißt »diejenigen, die zusammenhalten«. Etymologisch gleicht dies dem fasces, dem Bündel, das den italienischen faschistischen Kampfbünden zugrunde lag. Doch reichen diese Parallelen aus, um den Hutu-Extremismus als faschistisch zu kategorisieren?

Diese Frage bleibt vorerst offen. In diesem Themenschwerpunkt plädieren wir für genaues Hinschauen und für historisch wie aktuell gut informierte Analysen. Sie ermöglichen zielgenaueres Vorgehen gegen faschistische und neonazistische Umtriebe als das bewusstlose Hantieren mit Begriffen.

 

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