Kohle und Atom – einfach, aber nicht zukunftsfähig

 

Die Konfliktlinien verschieben sich

Der Umbau zum regenerativen Energiesystem erfordert ein breites Umdenken. Die neuen Konfliktlinien reichen mitunter bis in den eigenen Vorgarten, wie sich am Beispiel Ausbau der Stromnetze zeigt. Damit die Energiewende zum Erfolg wird, sind neue Koalitionen und Denkweisen gefragt.

Das Energiesystem, das wir kennen, mit dem wir aufgewachsen sind und auf dem der Wohlstand und die Lebensgewohnheiten breiter Teile der Bevölkerung in den westlichen Industriegesellschaften beruht, ist relativ einfach. Wir verbrennen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die unterirdischen fossilen Schätze Kohle, Gas und Öl, die über einen Zeitraum von Jahrmillionen entstanden sind, und nutzen sie zur Erzeugung von Wärme, Strom und zur Mobilität. Seit zwanzig Jahren wissen wir, dass wir damit auf dem besten Wege sind, das globale Klima unwiderruflich zu zerstören.

Darüber ist sich die internationale Klimawissenschaft einig, man diskutiert nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel vom Menschen gemacht ist, sondern ab welchem Temperaturanstieg völlig unvorhersehbare und unkontrollierbare Wetterphänomene eintreten werden und wie lange wir noch Zeit haben umzusteuern und die Weichen für eine CO2-freie Wirtschaftsform zu stellen. In Deutschland gibt es, anders als in den meisten anderen Ländern, einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass die andere traditionelle Säule unserer Stromversorgung – die Atomkraft – wegen der damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken und Gefahren keinesfalls eine Lösung unseres Klimaproblems sein kann. Wir müssen also unser Energiesystem von Grund auf neu bauen und stehen nun vor einem Transformationsprozess, der weit reichende Auswirkungen haben wird.

Bausteine der Energiewende: Sonne, Wind, Netze, Speicher

UmweltpolitikerInnen aller Couleur wie auch die Klima- und Umweltwissenschaft sind sich einig, dass eine nachhaltige Energieversorgung nur mit Erneuerbaren Energien möglich ist. Wir müssen also unsere Energieerzeugung so schnell wie möglich auf Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und Erdwärme umstellen. Für den Stromsektor heißt das: Die Stromversorgung aus vergleichsweise wenigen Großkraftwerken in der Nähe der industriellen Ballungsräume wird nach und nach durch die Stromerzeugung aus Windkraft-, Bioenergie- und Photovoltaikanlagen an viel mehr Standorten ersetzt. Perspektivisch müssen diese auch durch ein intelligentes System unterschiedlicher kleiner und großer Speicher für längere Flautezeiten ergänzt werden. In Deutschland werden Wind und Sonne im Stromsektor wegen ihres großen Potenzials die größte Rolle spielen. Wir sind schon ein gutes Stück auf diesem Weg vorangekommen: Im Jahr 2011 wurde schon ein Fünftel unseres Stroms durch regenerative Energien erzeugt. Damit haben die Erneuerbaren im vergangenen Jahr einen größeren Teil zum bundesdeutschen Strommix beigetragen als die Atomkraft. Die Erfolgsgeschichte beim Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik, die wir dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) und dem dort festgelegten Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien bei festgelegten Vergütungssätzen für den erzeugten Strom verdanken, hat uns inzwischen schon die nächsten Herausforderungen beschert.

Stromnetze als Flaschenhals der Energiewende?

Kurz gesagt: Das System der konventionellen Stromerzeugung und das Erneuerbare-Energien-System passen nicht zusammen. Vor uns steht ein gewaltiger Systemumbau, um zunächst den verbleibenden konventionellen Kraftwerkspark an die Erfordernisse der zunehmend schwankenden Einspeisung von Wind und Sonne anzupassen. Je höher der Anteil der wetterabhängigen Kraftwerke wird, desto wichtiger wird die Ergänzung des Wind- und Sonnenstroms in windarmen oder verbrauchsintensiven Zeiten durch hochflexible Kraftwerke. Für diese Aufgabe sind moderne Gas- oder in Zukunft auch Bioenergiekraftwerke geeignet. Kohle- und Kernkraftwerke sind schlechter regelbar und sind den neuen Aufgaben nicht oder nur sehr eingeschränkt gewachsen. Hinzu kommt, dass die regenerative Energieversorgung sich auf viel mehr Standorte verteilt. Gute Windstandorte sind in Deutschland oft im Norden und Osten fernab von den Ballungsräumen und Industriezentren im Westen und Süden der Republik mit hohem Stromverbrauch. Stabile Stromübertragungs- und -verteilungsnetze werden immer wichtiger, sie müssen verstärkt und ausgebaut werden. Gleichzeitig sind viele Leitungen, die in den 30er bis 50er Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, inzwischen veraltet und müssen ersetzt werden. Der Bau neuer Freileitungen stößt aber inzwischen regional oft auf Widerstand. Schon seit einigen Jahren kommt es vermehrt zu Konflikten bei der Planung und beim Bau neuer Hoch- und Höchstspannungsleitungen. Umweltschützer finden sich dabei oft in einem neuen Spannungsfeld wieder: Ist es vertretbar, eine Leitung, die zum Aufbau eines klimafreundlichen Stromsystems notwendig ist, wegen der Gefährdung einzelner Arten abzulehnen? Darf die neue Leitung über ein Naturschutzgebiet gespannt werden, um sie in größerer Entfernung einer Wohnansiedlung aufzubauen? In welchen Fällen sind Erdkabel eine Lösung und wie lässt sich regional die beste Lösung finden? Dies ist nur ein Teil der Fragen, auf die es oft keine einfachen Antworten gibt.

Von der Blockade zum Ringen um die beste Lösung

Die Konflikte um neue Hoch- und Höchstspannungsfreileitungen in Niedersachsen, Thüringen und andernorts haben gezeigt, dass die geltenden Regelungen zum Wohnumfeldschutz und die Abwägung der unterschiedlichen Interessen im Genehmigungsverfahren nicht ausreichen, um die Stromnetze zügig und konfliktarm auszubauen. Damit dies gelingt, ist ein Umdenken vieler gefragt: Planungsbehörden, Politik und Netzbetreiber sind gefordert, die Grundlagen der Stromnetzplanung und die konkreten Trassenplanungen früher als bisher offenzulegen und mit den Betroffenen und Interessierten über Konfliktfelder und -regionen zu sprechen. Zudem ist ein Technik-Dialog über Möglichkeiten, Grenzen und Innovationen bei Übertragungstechnologien notwendig, um ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, an welchen Stellen und auf welcher Spannungsebene Freileitungen durch Erdkabel ersetzt werden können oder sollen und wo Erdkabel, die sich im Verbundnetz anders verhalten als Freileitungen, kein adäquater Ersatz für eine Freileitung sind, damit keine Blackouts im Übertragungsnetz drohen. Einige regionale Konflikte ließen sich entschärfen, wenn die Rechtslage einen besseren Schutz des Wohnumfelds garantieren würde, um Bedenken von Anwohnern wegen eventueller Gesundheitsrisiken beim Betrieb neuer Leitungen ernst zu nehmen.

Das Landschaftsbild ändert sich

Eines ist klar: Die Umstellung des gesamten Energiesystems auf Erneuerbare Energien bewirkt größere Veränderungen unserer Lebensgewohnheiten und des Landschaftsbildes, als wir uns zurzeit vorstellen können. Die Energieversorgung eines Industrielandes mit Sonne und Wind verändert das Gesicht unserer Städte, Dörfer, Industriegebiete, des Waldes, der Felder und des Meeres nachhaltig und sehr ausgeprägt. Auch neue Stromleitungen werden dazugehören, denn auf den unteren Spannungsebenen im Verteilnetz bis 110 kV lassen sich die Leitungen technisch recht einfach in der Erde verlegen. Im Übertragungsnetz ist das hingegen nur sehr bedingt auf einzelnen Teilabschnitten möglich. Mit der neuen Erzeugungsstruktur geht aber – und das ist die große Chance, die in dem Umbau liegt – eine neue Struktur der Energiewirtschaft einher. Der Kraftwerkssektor wird schon jetzt nur noch teilweise von den „großen Vier“, den Ex-Monopolisten der Stromwirtschaft und Betreibern der Atomkraftwerke, beherrscht. Die regenerative Stromerzeugung ist zum Großteil mittelständisches Geschäft und innovative Konzepte der Beteiligung an Energie-Genossenschaften und Bürgerwindparks können manchen Nachteile des Umbruchs unserer Energielandschaft durch neue Möglichkeiten der Teilhabe aufwiegen.

 

Zum Thema Energiekämpfe siehe auch: