Solidarische Landwirtschaft

Ein Netzwerk für Verbraucher und Produzenten

Im Juli dieses Jahres wurde in Kassel der Dachverein eines Netzwerks gegründet, das eine Landwirtschaft jenseits von Gentechnik, Pestiziden, Tierquälerei und Agrobusiness fördern will. Das Netzwerk „Solidarische Landwirtschaft“ will eine bestimmte Form ökologischer Landwirtschaft propagieren und praktisch unterstützen: die Idee, dass Verbraucher und Produzenten eine vertrauensvolle Verbindung eingehen.(1)

Mit dieser Resonanz hatten die Organisatoren nicht gerechnet. Zur Informationsveranstaltung auf der Attac-Sommerakademie im Juli 2010 in Hamburg-Bergedorf waren so viele Interessierte erschienen, dass der Raum aus allen Nähten platzte. Die Veranstaltung sollte über das Konzept der solidarischen Landwirtschaft Auskunft geben. Hingetrieben hatte die Sorge um die sozialen und ökologischen Ungleichheiten, die mit der globalen Struktur der Landwirtschaft verbunden sind. Weitere Motivationen waren der Unmut über den zunehmenden Einfluss des Agrobusiness und der Wunsch nach qualitativ hochwertigen und gesunden Lebensmitteln. Mit der solidarischen Landwirtschaft wurde ein Konzept vorgestellt, das einen möglichen Weg aufzeigt, wie das entfremdete Verhältnis zur Natur wieder angeeignet werden kann. Die Grundidee besagt, dass die ökologische Landwirtschaft durch die Gründung von Höfen vorangetrieben werden soll, die jenseits des Weltmarktes wirtschaften. Die Risiken von Absatz und ungünstiger Wetterlage übernimmt eine mit dem Hof verbundene Gruppe von Menschen, die für ihr Engagement einen Anteil an den Ernteerträgen erhält.

„Freiheit durch Freihöfe“

Aufgrund des großen Widerhalls auf der Attac-Sommerakademie wurde beschlossen, ein weiteres Treffen zu organisieren. Auf diesem Treffen sollten interessierte Akteure zusammengebracht werden, um an Strategien zu feilen, wie die Gründung von solidarisch wirtschaftenden Hofgemeinschaften auch in Deutschland vorangebracht werden könnte. Die Tagung „Freiheit durch Freihöfe“ fand im Oktober 2010 in Kassel statt. „Freihof“ war zu diesem Zeitpunkt noch ein alternativer Name für das Konzept „solidarische Landwirtschaft“. Neben Aktivisten aus Attac-Zusammenhängen, der Umwelt- und Ökologiebewegung und der Entwicklungszusammenarbeit kamen auch Vertreter der wenigen bereits bestehenden, gemeinschaftlich wirtschaftenden Höfe in der Bundesrepublik.

Die Idee von einer gemeinschaftlich organisierten Landwirtschaft selbst ist nicht brandneu und besitzt eine eigene Geschichte. Prominent wird hier zumeist in den bereits veröffentlichten Artikeln zur solidarischen Landwirtschaft auf das Teikei-System in Japan verwiesen. Dieses soll sich in Japan seit den 1960er Jahren vor allem aus Besorgnis um die chemische Landwirtschaft und ihre ökologischen Auswirkungen entwickelt haben. Der Verein Biologischer Landbau in Japan (Japan Organic Agriculture Association, JOAA) spricht von 500 bis 1.000 Gemeinschaften, die nach diesem System wirtschaften, mit einer Größe von jeweils weniger als 10 bis zu über 5.000 Familien, die in diesen Gemeinschaften Mitglied sind.(2) In Nordamerika und Großbritannien ist das Konzept vor allem als „community supported agriculture“ (CSA) bekannt. Seine Entwicklung wurde in den 1980er Jahren vor allem von Akteuren aus dem Umkreis der biologisch-dynamischen Landwirtschaft vorangetrieben und ist damit durch die anthroposophische Weltanschauung beeinflusst. Prominent wird hierbei oft Trauger Groh genannt, der zu der Idee der gemeinschaftlich organisierten Landwirtschaft - die er dann in Nordamerika umsetzte - auf dem Buschberghof inspiriert worden sein soll, auf dem er einige Jahre als Landwirt gearbeitet hat. Der Buschberghof ist ein biologisch-dynamisch wirtschaftender Hof in Fuhlenhagen, zwischen Hamburg und Lübeck gelegen. In den USA wirtschaften inzwischen über 12.000 Höfe nach dem Prinzip. In Deutschland soll es neben den Buschberghof noch ganze 17 Höfe geben, die nach dem Prinzip der gemeinschaftlichen Landwirtschaft produzieren.

Unterschiedliche Motive und Interessen

Auf dem Treffen in Kassel wurde klar, dass die an einer gemeinschaftlich orientierten Landwirtschaft Interessierten unterschiedliche Motive und Interessen haben. Auch wenn das Konzept gerne im Umkreis der anthroposophischen Weltanschauung propagiert wird, ist die Grundidee doch weltanschaulich offen, lassen sich hiermit auch anarchistische oder kapitalismuskritische Ideen verbinden. Neben der weltanschaulich unterschiedlich gefärbten Kritik am Agro-Food-System brachten die Höfe auf dem Treffen in Kassel auch ihre wirtschaftlichen Interessen mit ins Spiel. Wie könnten diese unterschiedlichen Motive und Lebenswelten vereint werden und welcher Name wäre für das Netzwerk am geeignetsten? Das war eine der Hauptfragen, die sich stellte. Als kleinster gemeinsamer Nenner stellte sich das Interesse an der Durchsetzung des von den Vereinten Nationen garantierten „Recht auf Nahrung“ heraus. Darin spiegelt sich in diesem Zusammenhang vor allem das Interesse an hochwertigen, regional und ökologisch erzeugten Lebensmitteln.

Solidarität zwischen städtischen Bewohnern und ländlichen Hofbesitzern

Letztendlich entschied man sich neben Alternativen wie „CSA“ und „Freihof“ für den Namen „Solidarische Landwirtschaft“. Solidarische Landwirtschaft bedeutet zuallererst Solidarität zwischen städtischen Bewohnern und ländlichen Hofbesitzern. Solidarität wird dabei sowohl als Verbundenheit verstanden als auch als gegenseitige Hilfe. Diese solidarische Beziehung ist gerade keine Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten im herkömmlichen Sinne. Denn die Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten ist gewöhnlich eine Marktbeziehung, die jederzeit - wie zum Beispiel beim Einkauf im Biosupermarkt oder bei der Abo-Kiste - abgebrochen werden kann. Erforderlich für die Grundidee der solidarischen Landwirtschaft ist eine beständigere und vertrauensvollere Beziehung. Das Vertrauen in die Beständigkeit der Beziehung soll durch Gemeinschaftsbildung erreicht werden, die durch einen fortlaufenden ländlichen und städtischen Kontakt hergestellt wird und auch vertraglich abgesichert sein kann.

Austritt aus dem Weltmarkt

Die Hofgemeinschaft tritt für alle Risiken ein, die sich für den Hof durch ungünstige Wetterlage oder notwendige Anschaffungskosten ergeben. Im Gegenzug erhält der Verbraucher nicht nur seinen Anteil an den Ernteerträgen, sondern auch Wissen darüber, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Darüber hinaus bekommt er durch seine regelmäßigen Besuche auf dem Land quasi eine Fortbildung über ländliche Erzeugung und kann dadurch seine Kenntnisse über Produktion und Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft erweitern. Damit wird - zumindest am Rande - ein Beitrag zur Ernährungssouveränität auch in den Ländern des industrialisierten Nordens erreicht. Auch für die Hofleute sollte darum die Beziehung über eine reine Vermarktungsstrategie hinausgehen. So wird es dem Hof mit seinem Austritt aus dem Weltmarkt ermöglicht, wieder tier- und pflanzengerecht und in direktem Kontakt zu den Bedürfnissen derjenigen, die er ernährt, zu produzieren. Inwiefern diese Ideale von den jeweiligen Höfen umgesetzt werden, muss im Einzelnen überprüft werden. Fest steht, dass jeder Hof in das Netzwerk aufgenommen werden kann, der mindestens die Hälfte seiner Produktion über eine solidarische Beziehung zu seinen Abnehmern vertreibt.

Gründung unterstützen, Erfahrungsaustausch fördern

Ziel des Netzwerkes „solidarische Landwirtschaft“ ist es, Produzenten und Konsumenten zusammenzubringen und dabei ihren Charakter und den Charakter ihrer Beziehung zueinander zu verändern. Im eigentlichen Sinn des Wortes dürften dann Produzenten nicht mehr Produzenten und Konsumenten nicht mehr Konsumenten genannt werden. Der im Juli in Kassel gegründete Verein versteht sich als Dachorganisation einer breiten Bewegung, die bei der Gründung von Höfen hilfreich zur Seite steht. Damit ist das Ziel des Netzwerkes ganz praktisch ausgelegt: die Gründung von Höfen zu unterstützen und den Erfahrungsaustausch zwischen Interessierten und den bereits bestehenden Gemeinschaftshöfen zu fördern. Mehrere Bücher sind bereits in Arbeit, welche die Erfahrungen mit der gemeinschaftsbasierten Landwirtschaft vermitteln sollen. Ebenso konnte eine eigene Internetpräsentation aufgebaut werden, auf der sich im Downloadbereich weiteres Informationsmaterial befindet. Man sieht, das Netzwerk hat seine Arbeit gerade erst aufgenommen, aber es steckt viel Dynamik darin.(3)

Welche weiteren Strategien bei der Forderung, den Anteil an ökologisch produzierender Landwirtschaft zu erhöhen, von den beteiligten Akteuren verfolgt werden, bleibt ihnen selbst überlassen. Damit erhebt das Netzwerk nicht einen Alleinlösungsanspruch für die drängenden Probleme im Agro-Food-Bereich. Mit einer breiten Bewegung könnte gezeigt werden, dass ein anderes Wirtschaften, eine andere Landwirtschaft, möglich ist. Damit wird aber nur aufgezeigt, dass es prinzipiell Alternativen geben kann, nicht aber, worin genau diese Alternativen - auch in gesellschaftlicher Hinsicht - bestehen. Ebenso bleibt offen, inwiefern die Höfe einen emanzipatorischen Charakter tragen und einem humanistischen Menschenbild verpflichtet sind. Diese weitergehenden politischen Fragen zu klären, ist aber auch nicht Anspruch des Netzwerkes. Initiiert werden soll eine Agrarreform von unten. Die Gründung von Gemeinschaftshöfen allein wird für eine Agrarreform sicherlich nicht ausreichen. Das Modell der solidarischen Landwirtschaft kann jedoch als Modell einer ökologischen und sozial gerechten Landwirtschaft genommen werden, vor allem aber als ein Modell für ein lebendiges Stadt-Land-Verhältnis. Es tappt damit nicht in die antimoderne „Alle-zurück-aufs-Land“-Falle, sondern lässt sich mit gesellschaftlichen Fortschrittskonzepten vereinbaren.

Vorbild Frankeich

Motiviert wurde die Gründung des Netzwerkes durch den Erfolg in Frankreich. Hier wurde der erste Gemeinschaftshof Anfang des Jahrtausends 2001 gegründet, nun aber, zehn Jahre später, sind in der „Vereinigung zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft“ (Association pour le Maintien d’une Agriculture Paysanne, AMAP) über tausend Höfe organisiert.(4) Gerade wegen der Breite an Impulsen und Motiven unterschiedlichster Akteure an einer alternativen und ökologischen Landwirtschaft bestehen gute Chancen, dass das Netzwerk in der Bundesrepublik ebenso wie in Frankreich zu einer breiten Bewegung wird.

Birgit Peuker ist promovierte Techniksoziologin und lebt in Berlin

 

Fußnoten:

(1) Ich danke Rolf Künnemann, einem der Initiatoren des Netzwerkes, für das ausführliche Gespräch über Hintergründe und Motivation bei der Gründung des Netzwerks.

(2) Vgl. www.joaa.net/english/teikei.htm.

(3) Die Internetpräsentation ist zu erreichen unter http://www.solidarische-landwirtschaft.org.

(4) Vgl. die Zahlen auf der Homepage des Netzwerkes http://miramap. org/OriginedesAMAP.html.