Eindrücke und Einschätzungen

Die Interventionistische Linke und die Marburger Arbeitskonferenz

Ein Gespenst geht um - (noch) nicht in Europa, aber offensichtlich in der bundesdeutschen Linken. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn es um die Interventionistische Linke (IL) geht ...

... Sie sorgt für Aufregung, weckt Erwartungen und ist fast zu einer sagenumwobenen Erscheinung geworden. Mit wie vielen Unzulänglichkeiten behaftet und wie fragil dieser "Organisierungsversuch" trotz Erfolge ist, zeigte die 2. Offene Arbeitskonferenz, zu der die IL vom 25.-27. April nach Marburg eingeladen hatte. Denn in Marburg wurden wohl viele BeobachterInnen, die an der IL Interesse zeigen, bislang aber noch zögern, sich ihr anzuschließen, enttäuscht - oder sagen wir es anders: auf den Boden der Realität zurückgeholt. Der Ablauf in Marburg mit seinen konzeptionellen Unzulänglichkeiten und unterschiedlichen Diskussionsniveaus entsprach der Verfassung, Qualität und dem Vermögen dieses Projekts. Marburg hat schonungslos und offen die Stärken und Schwächen der IL gezeigt. "Offene Arbeitskonferenz", der Titel war bewusst gewählt. Ging es der IL doch darum, zusammen mit anderen Fragen aufzuwerfen und zu klären, aber auch unter den IL-GenossInnen die Diskussion voranzutreiben. Vielleicht konnte das so nicht aufgehen. Eingeladen waren alle, die die IL kennen lernen wollten und sich für eine Mitarbeit interessieren. Drei von ihnen haben wir stellvertretend gebeten, uns ihre Eindrücke und Einschätzungen zu schildern. Dabei fällt auf, dass ihre Einschätzungen sich in vielen Punkten gleichen. Das wirft Fragen für die IL auf, die zu klären sind. Zuvorderst müsste geklärt werden, wie politische Arbeit vor Ort und bundesweites Agieren zusammengebracht werden können. Übereinstimmung müsste erreicht werden über das Verhältnis der "Mitgliedsgruppen" und der IL als bundesweitem "Akteur ". Das wird sie aber nur, wenn zeitgleich organisatorische Entscheidungen getroffen werden. Dies wird beim gegenwärtigen Stand zum einen vorläufig und zum anderen nur möglich sein, wenn ein großes Maß an Autonomie und Eigenständigkeit der an dem Projekt Beteiligten beibehalten wird. Dabei steht eine lokale Praxis der einzelnen Gruppen dem bundesweiten Anspruch der IL nicht entgegen: Nur da, wo IL drin ist, sollte auch IL draufstehen. Um entscheiden zu können, wo IL drin ist, muss das Projekt allerdings seine inhaltliche Praxis und seine praktischen Inhalte präzisieren. Das sollte aber nicht verwechselt werden mit einem Grundsatzprogramm oder prinzipiellen programmatischen Festlegungen. Die IL lebt von ihrer inhaltlichen Heterogenität, der Vielfalt der verschiedenen Ansätze und ihrer Offenheit. Das muss sie jetzt "intern" verstetigen und nach "außen" verstärkt vermitteln. mb.

Es geht voran - im Schneckentempo

An der IL fällt angenehm auf, dass sie versucht, das Sektierertum hinter sich zu lassen, dass sie die notwendige Pluralität der Linken anerkennt, in ihr eine Stärke sieht und eine nicht nur taktische, sondern strategische Bündnisorientierung gegenüber im weitesten Sinne progressiven gesellschaftlichen Kräften verfolgt. Erfreulich ist, dass die IL nun auch das Thema der Energie- und Klimapolitik aufgreift, nachdem die radikale Linke ökologische Themen in den 1990er Jahren eher vernachlässigt hatte. Obwohl die Diskussion in der IL dazu erst am Anfang steht, verlief sie auf hohem Niveau. Weniger gelungen waren die Diskussionen zu "sozialen Kämpfen", was zum Teil auch einfach an Zeitmangel lag. Insgesamt wurde in den Diskussionen deutlich, dass die IL von den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen weitgehend abgekoppelt ist. Dies ist sicher eine der gravierendsten Schwächen der IL. Eher unbefriedigend verliefen auch die Diskussionen zur "Organisationsfrage" im engeren Sinne. Die bereits am Anfang der Konferenz aufgeworfene Frage, wie eine bundesweite Organisierung der IL konkret aussehen sollte, blieb auch am Ende ungeklärt. Die Pole der Diskussion wurden markiert durch Avanti, eine Mitgliederorganisation mit einer klar definierten inhaltlichen Plattform und Organisationsstruktur auf der einen Seite und jene, die auf der Autonomie lokaler Gruppen und Individuen bestehen und den Sinn einer verbindlicheren bundesweiten Vernetzung bezweifeln, auf der anderen Seite. Dass die IL sich in absehbarer Zeit in eine Mitgliederorganisation nach dem Vorbild von Avanti verwandeln könnte, scheint mir nach dieser Konferenz unwahrscheinlich. Es wird wohl eher bei einem lockeren Netzwerk bleiben. Dass das inhaltliche Profil der IL jenseits allgemeiner Bestimmungen zu unscharf ist, wurde zwar vielfach bemängelt, doch blieb auch unklar, wie sich dies ändern könnte. Die Stärke der IL scheint weiterhin eher in der Organisation und Unterstützung von einzelnen Kampagnen zu liegen. Fazit: Es geht voran mit der Organisierung der IL, wenn auch nur im Schneckentempo. Thomas Sablowski

Zwiespältiges Resümee. Schafft die IL den Spagat?

Der Aufruf zur Konferenz hatte uns ziemlich gefallen, und dass die IL den zur Zeit bundesweit ernsthaftesten Organisierungsansatz in der radikalen Linken darstellt, ist kaum zu bezweifeln. Gleichwohl hatten wir uns nach dem G8 zunehmend gefragt, wo denn die IL geblieben war, wo sie konkret intervenieren wolle. Weder bei der angelaufenen Vorbereitung der Camps08, noch bei der Initiative für globale soziale Rechte und auch nicht beim Euromayday - um drei für uns aktuell bedeutende Prozesse zu erwähnen - taucht die IL auf, auch wenn jeweils einzelne Personen oder Gruppen aus der IL beteiligt sind. Es war für uns weniger überraschend, dass unser Einwand, hier würde Organisierung einseitig vor Inhalte gesetzt anstatt sich in und mit den Inhalten zu organisieren, von einigen HauptrednerInnen abgeblockt wurde. Entsprechende Nachfragen wurden am Eröffnungsabend der Konferenz zunächst zurückgewiesen: Es ginge erstmal um die "Formierung eines neuen Akteurs", alles andere würde sich zeigen. Enttäuschend für uns war, dass sich dazu fast keine Zwischenstimmen zu Wort meldeten und wir quasi als Querulanten hingestellt wurden. Doch inhaltliche Unterbestimmheiten im "nur gefühlten Konsens" der IL, Differenzen oder - je nach Sichtweise - Vielfalt kamen schon am zweiten Tag sehr viel offener zur Sprache. FelS aus Berlin betreibt den Mayday, die Nürnberger Organisierte Autonomie den revolutionären 1. Mai. Viel weiter auseinander geht ja kaum. Dennoch überwiegt glaubwürdig das Bemühen um den pluralistischen Ansatz, der Vielfalt als Chance und Garant für einen sich weiterentwickelnden Prozess begreift. Die Initiative für globale soziale Rechte wurde interessiert aufgenommen, zum Doppelcamping in der Schlusserklärung dann doch aufgerufen. Letzteres mit erneutem Zögern, ob denn darunter der "eigentlich wichtige Organisierungsprozess" nicht zu sehr leide ... Unser Resümee von Marburg bleibt jedenfalls zwiespältig. Ob und wieweit wir uns auf die IL einlassen, bleibt davon abhängig, ob Fragen der Organisierung und die inhaltliche Praxis im notwendigen Spagat angegangen werden wollen. Eben auch als konkret (mit-)intervenierender Akteur im August bei Hamburger Campaktionen oder im nächsten Frühjahr gegen die NATO in Straßburg ... glocal group Hanau

Spannungsfelder deutlich geworden

Von der Offenen Arbeitskonferenz (OAK) habe ich vor allem die Frage mitgenommen, wie eine bundesweite Struktur gut funktionieren kann, ohne dabei die lokale Verankerung der beteiligten Gruppen einzubüßen. Die Konferenz vermittelte mir glaubhaft ein ernsthaftes Interesse an der Schaffung einer linksradikalen bundesweiten Zusammenarbeit. Der Austausch über unterschiedliche lokale Praxen der IL-Gruppen hat mir neue Ideen, aber erstmal keinen Einblick in die Gestaltung des Gemeinsamen gebracht. Erst als es darum ging, welche Aktionen die IL unterstützt und welche Aufrufe sie unterschreibt, sind dann doch noch Spannungsfelder deutlich geworden, in denen sich die IL bewegt: Auf der strategischen Ebene sind für mich vor allem die Pole von lokaler Ansprechbarkeit und bundesweiter Sichtbarkeit und das Verhältnis von gemeinsamer inhaltlicher Auseinandersetzung und nach außen gerichteter Kampagnenarbeit zu nennen. Auch organisatorisch hat die IL potenziellen Klärungsbedarf präsentiert. Sei es das Verhältnis von Gruppen, Großorganisationen und Einzelpersonen in der IL betreffend oder hinsichtlich des leidigen Themas transparenter und kollektiver Entscheidungsfindung. Insgesamt stelle ich mir die Frage, ob die IL als Struktur wirklich den realen Kräften der in ihr versammelten Gruppen entspricht. Alle Beteiligten nennen die lokale Verankerung als ihren politischen Schwerpunkt - zu Recht. Viele versuchen seit Jahrzehnten, eine bundesweite linksradikale Organisierung aufzubauen - ebenfalls zu Recht. Ich denke, dass die IL ein guter Versuch ist, beides real werden zu lassen. Die kurzfristige Vorbereitung und die teilweise unpassend gewählten Methoden und Abläufe lassen für mich nicht auf mangelnde Fähigkeiten, sondern auf knappe Kapazitäten schließen. Eine formale Offenheit war gegeben - auf der Ebene der Gespräche mit "Neuen" ließ sie aber etwas zu wünschen übrig. Bei allen Fragezeichen und Problemen kommt mir die IL aber wie ein Haufen vor, der schon ein riesengroßes Stück zusammen zurückgelegt, einige große Hürden gemeinsam überwunden und damit eine Basis auf einem Niveau geschaffen hat, die einiges linkes "Dazwischengehen" real ermöglichen kann. Melike, aktiv bei solid.org Bremen aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 528/23.5.2008