Die Neue Frauenbewegung und die 1968er Bewegung

Skizze einer Hassliebe

Die Beziehung zur 68er Bewegung war schwierig, aber für die Entstehung der Frauenbewegung von großer Bedeutung.

In vielen Ländern gründeten sich erste Frauengruppen vor dem Hintergrund von durch die 68er Bewegung hervorgebrachten Mobilisierungskontexten, die sich förderlich auf die Bereitschaft von Frauen auswirkten, an einem "revolutionären" Projekt mitzuwirken und die Verständigung unter Frauen erleichterten. Dies war an der Freien Universität Berlin ebenso der Fall wie an der Universität von Vincennes/Paris oder in Zürich. Frauen mit hohem Bildungskapital und überwiegend studentischem Hintergrund lernten sich bei Aktivitäten in der 68er Bewegung kennen, etwa in Kommune-Projekten, Kritischen Universitäten oder bei Demonstrationen. Die daraus erwachsenen Netzwerke waren eine Bedingung für die Gründung der ersten Frauengruppen innerhalb der 68er Bewegung.
Mit der Entstehung dieser Frauengruppen ging in vielen Ländern ein offener Bruch mit den männlichen Bewegungsanhängern einher. So probten Frauen in Frankreich, in den USA und in der Bundesrepublik den Aufstand gegen die männlichen Avantgarden, die, so die Kritik, ihren eigenen Gleichheits- und Befreiungspostulaten in der alltäglichen Praxis der Bewegung nicht gerecht wurden und die konventionellen Unterdrückungsverhältnisse zwischen den Geschlechtern reproduzierten. Bei der Jahresversammlung des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes (SDS) am 13. September 1968 kam es in Frankfurt zum Eklat zwischen männlichen SDS-Delegierten und Frauen des im Januar des Jahres gegründeten Aktionsrats zur Befreiung der Frauen, als die Vertreterin des Aktionsrats den SDS vergeblich aufforderte, die Frauenfrage mit in ihre Überlegungen einzubeziehen. In Frankreich drückte der Slogan "Le steak dÂ’un révolutionnaire est aussi longtemps à cuire que celui dÂ’un bourgeois" die vehemente Abgrenzung der Frauen aus. Man kann daraus schließen, dass die Frauen sich mit den Zielen und Realisationsformen der 68er Bewegung durchaus kritisch auseinandersetzten. Die Form, in der die Abgrenzung vollzogen wurde, verweist dagegen deutlich auf die Vorgängerbewegung zurück: Die Frauen nutzten die Aktionsform der Provokation, die Teil der Aktionsstrategie der Neuen Linken war. Bis heute ist "1968" in der Frauenbewegung umstritten, ist die 68er Bewegung Objekt der Anlehnung und der Abgrenzung zugleich.
Die Frauenbewegung ging weder in Frankreich noch in Italien oder der Bundesrepublik unmittelbar aus der 68er Bewegung hervor. Die Frauengruppen der 68er Bewegung zerfielen mit der Bewegung, aus der sie hervor gegangen waren. Doch konnte beispielsweise die Frauenbewegung in der Bundesrepublik, als sie sich kaum zwei Jahre später konstituierte, auf organisatorische Ressourcen der Vorgängerbewegung - Versammlungsorte, Verkehrskreise und Kommunikationsformen - zurückgreifen. Die von den Frauengruppen der 68er gegründeten autonomen Kinderläden und die Kommunen, die den Zerfallsprozess der sozialen Bewegung von 1968 überdauert hatten, boten ein ideales Rekrutierungspotential für die neue Frauenbewegung. Dieses Beispiel, dem andere hinzuzufügen wären, zeigt, dass die Bedeutung von "1968" für die Entstehung der neuen Frauenbewegung kaum überschätzt werden kann.

Aktionen und Aktivitäten
Die Soziale Bewegungsforschung unterscheidet zwischen einer expressiven, auf die Identität der Bewegung gerichteten und einer instrumentellen, auf Veränderungen in der politischen Sphäre zielenden Aktionslogiken sozialer Bewegungen. Mit dem Blick auf kulturelle Ausdrucksformen des Feminismus (Frauenmusik, Frauengesprächsgruppen, Frauenfeste, Frauentherapie, Frauentheater...) wird der Frauenbewegung dabei in der Regel die expressive Aktionslogik zugeschrieben. Gegen diese Interpretation spricht, dass die Frauenbewegung ursprünglich keinesfalls eine rein identitätsorientierte, sondern immer auch eine auf die politische Konfrontation zielende Bewegung war. Dies zeigte sich insbesondere im Kampf gegen die Abtreibungsgesetzgebung. Die Frauenbewegungen spielten mit den Regeln des politischen Feldes, indem sie die vorgesehenen Kanäle der Interessensartikulation nutzten, aber auch bewusst überschritten und umgingen.
Um die Vielfalt der feministischen Aktivitäten zu systematisieren, scheint es angebracht, idealtypisch zwischen Ausdrucksformen und Aktivitäten eines kulturellen und eines sozialen Feminismus zu unterscheiden. Der symbolische Feminismus zielte entsprechend auf eine Veränderung "in den Köpfen", während der soziale Feminismus bei der Veränderung der sozialen Bedingungen ansetzte, welche die Frau als zweitrangiges Geschlecht hervor brächten. Die Vielfalt der Themen, aber auch die Ausdifferenzierung des Feminismus in verschiedene Strömungen brachte nicht nur vielfältige Betätigungsfelder, sondern auch eine Multiplikation von Aktionsformen mit sich. Demonstrativ-appellativen, manchmal auch direkte Aktionen mit provokativem Charakter kam eine zentrale Funktion zu: Unzählige lokale, nationale und mitunter auch internationale Demonstrationen fanden statt. Verglichen mit anderen neuen sozialen Bewegungen war die Strategie der Frauenbewegung jedoch weniger auf Massenmobilisierung denn auf qualitative, durch Symbolkraft wirkende Aktionen gekennzeichnet: Nasse Windeln wurden bei offiziellen Veranstaltungen in den Saal geworfen, Büstenhaltern öffentlich verbrannt oder Karikaturen vom Papst und anderen Verteidigern des Abtreibungsverbots verteilt. In Genf mauerten Anhängerinnen des Mouvement pour la libération des femmes (MLF) den Eingang des Rathauses zu, nachdem die kommunalen Autoritäten beschossen hatten, das autonome Frauenzentrum zu schließen. Aber die Anhängerinnen der Frauenbewegung bedienten sich auch der vorgesehenen Kanäle der Willensbildung, indem sie Massenpetitionen lancierten ("Ich habe abgetrieben"), versuchten, auf Politiker und Politikerinnen einzuwirken und, in der Schweiz 1977, auf eine Volksabstimmung zur Freigabe der Abtreibung drängten.

Kontroverse Narrationen
Kontrovers wird bis heute über die "Geburtsstunde" der neuen Frauenbewegung diskutiert, wobei die Anhängerinnen des symbolischen Feminismus 1968 und die mit dieser "Chiffre" verbundene Bewegungskultur für sich beanspruchen, während Vertreterinnen des sozialen Feminismus die Entstehung der Frauenbewegung auf die Kampagne zur Liberalisierung der Abtreibung datieren, also für Frankreich und die Bundesrepublik auf das Jahr 1971. Mit dem Anspruch, an der "Gründung" der Bewegung beteiligt gewesen zu sein, versuchen die jeweiligen Lager, ihre Anwärterschaft auf die Führung der Bewegung und ihre Repräsentation nach außen zu legitimieren. Überwog für die einen, trotz aller Kritik an der "sexuellen Revolution" der 68er, das Moment des Aufbruchs und der Erneuerung, das von der 68er Bewegung ausgegangen sei, akzentuierten die anderen, dass der "eigentliche" Aufbruch der Frauenbewegung später stattgefunden habe. Die Bedeutung von "1968" für die neue Frauenbewegung lag damit auf der symbolischen Ebene in seiner anhaltenden Wirkung als (negatives und positives) Bezugsereignis.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "zwei, drei, vieleÂ… achtundsechzig", Wien, Frühjahr 2008.

Der Text ist eine stark gekürzte Version eines Aufsatzes, der in Kürze erscheint in: Jens Kastner und David Mayer (Hg.): Weltwende 1968? Ein Jahr in globalgeschichtlicher Perspektive, Wien 2008 (Mandelbaum Verlag).