Transnationale Migranten als Träger neuer städtischer sozialer Bewegungen in den USA
Millionen von MigrantInnen, vor allem aus Lateinamerika, gingen 2006 in den Großstädten der USA auf die Straße, um gegen die Militarisierung der Grenzen und für soziale Rechte zu kämpfen.
Als im Frühjahr 2006 in Los Angeles ein lokales politisches Bündnis zu einer Demonstration gegen die geplante Verschärfung der nationalen Einwanderungsgesetzgebung aufrief, rechneten die Organisatoren mit 30.000 bis 40.000 Teilnehmern. Tatsächlich gingen am 25. März 2006 in einem der größten Protestmärsche in der Geschichte der Westküstenmetropole fast eine Million Menschen auf die Straße, denen sich in den folgenden beiden Monaten weitere fünf bis sechs Millionen in über einhundert Städten anschlossen (Flores-Gonzales 2006). Teil der beeindruckenden Massenmobilisierungen war auch eine bislang einmalige grenzüberschreitende Streik- und Boykottaktion von Immigranten- und Gewerkschaftsgruppen. Am "Day Without Immigrants", dem 1. Mai 2006, blieben in Chicago etwa ein Drittel aller Schüler und Schülerinnen dem Unterricht fern; am Hafen von Los Angeles streikten 90 Prozent der Lastwagenfahrer; führende Nahrungsmittel- und Fleischkonzerne stellten vorsorglich in der Hälfte ihrer Fabriken die Produktion ein; auch im Bausektor und in sozialen Einrichtungen kam es zu Engpässen; in vielen urbanen Einwanderungsquartieren blieb ein Großteil der Läden und Restaurants geschlossen (Kutalik 2006).
Auch wenn es nicht gelang, überall in den USA das normale großstädtische Leben lahm zu legen, hat der "Great American Boycott 2006", an dem sich auch Organisationen in Mexiko City und anderen lateinamerikanischen Metropolen beteiligten1, ein kaum zu übersehendes Zeichen gesetzt. Einige Kommentatoren deuteten ihn und die Großdemonstrationen bereits als den "Aufstand der neuen Sklaven" (La Republicca, 2.5.2006), andere als das "Erwachen des schlafenden Latino-Giganten" (Stephens 2006), wiederum andere als die Geburtsstunde einer neuen machtvollen Bürgerrechtsbewegung, welche das Potenzial habe, nicht nur den bislang "Unsichtbaren" - den etwa zwölf Millionen unautorisierten Einwanderern in den USA - eine Stimme zu geben, sondern auch die politischen Kräfteverhältnisse in den Vereinigten Staaten insgesamt nach links zu verschieben (Chacón/Davis 2006; Kwoba 2006). Dabei richten sich die Hoffnungen vorwiegend auf solche Bundesstaaten und urbanen Regionen, die gegenwärtig von weitreichenden sozialen, ökonomischen, aber vor allem demographischen Umbrüchen zugunsten von ehemaligen ethnischen Minderheiten betroffen sind.
Urbane Transformationen im Zeichen der Migration
Mit etwa 15 Millionen neuen Migranten erlebten die Vereinigten Staaten in den 1990er Jahren - gemessen an absoluten Zahlen - den bisherigen Höhepunkt ihrer Einwanderungsgeschichte (Fix/Passel 2001: 1). Nach Angaben der Zensusbehörde stellen die heute über 37 Millionen Immigranten in den USA die am schnellsten wachsende, mobilste, jüngste und urbanste Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Erwerbsquote dar (Pew Hispanic Center 2006). Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass die Zahl der US-Bewohner mit hispanischer, afroamerikanischer oder asiatischer Herkunft im Laufe des Jahres 2006 zum ersten Mal die Hundert-Millionen-Marke überschritt. Dies bedeutet, dass sie unterdessen ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen und (nicht-hispanische) Weiße in zehn Prozent aller Landkreise und in etwa der Hälfte der größten US-Metropolen nunmehr - zumindest in numerischer Hinsicht - die Minderheit bilden (Saine 2007).
Der Beginn gegenwärtiger transnationaler Zuwanderung2, welche vor allem die städtische Landschaft in den USA nachhaltig verändert und vielerorts den klassischen Schwarz-Weiß-Konflikt überlagert hat, wird in der Migrationsforschung auf Mitte der 1960er Jahre datiert. Der Immigration and Naturalization Services Act, der 1965 im Kongress unter dem Einfluss der Bürgerrechtsbewegung verabschiedet wurde, erleichterte die Einwanderung für Menschen aus der so genannten Dritten Welt, vor allem aus asiatischen Ländern, die zuvor strikten, auf rassistischen Kriterien basierenden Quotenregelungen unterlagen. Gleichzeitig erschwerte die Bundesregierung die legale Einreise für Arbeitsmigranten aus Mexiko und dem lateinamerikanischen Raum, wodurch in den folgenden Jahrzehnten - trotz einer fortschreitenden Militarisierung des Grenzregimes - der Anteil der unautorisierten Zuwanderung deutlich zunahm.3 Das Bemerkenswerte an dieser neuen Immigration, die sich bis vor kurzem noch auf die wichtigsten "Metro Areas" konzentrierte, ist, dass sie just zu einem Zeitpunkt einsetzte, als die meisten Industriestädte im Norden und Westen der USA eine Phase massiven Niedergangs, fiskalischer Krisen und ökonomischer Restrukturierungen durchliefen, gefolgt von der Flucht der weißen und afroamerikanischen Mittelschichten aufs Land oder in die suburbanen Wohngebiete. Ohne den Zuzug transnationaler Migranten in die oftmals aufgegebenen Innenstadtquartiere hätten etliche urbane Regionen nicht nur wesentlich stärker an Bevölkerung eingebüßt (Berube 2001). Viele hätten sich ohne ihre Arbeitskraft und vielfältigen unternehmerischen Aktivitäten auch nicht in dem bekannten Umfang kulturell und wirtschaftlich regenerieren können - sei es als moderne Dienstleistungs- und Handelsmetropolen, attraktive Touristenziele oder auch nur als Zentren von diversen Sweatshop-Industrien (vgl. Sassen 1998; Waldinger 2001). Zu den urbanen Ballungsräumen, in denen der Anteil ethnischer oder nationaler Minoritäten an der Gesamtbevölkerung inzwischen dem der (nicht-hispanischen) Weißen entspricht oder diesen sogar noch übertrifft, zählen neben den traditionellen "gateway cities" für Migranten wie New York, Los Angeles, Miami oder San Francisco mittlerweile auch zahlreiche Boomtowns im Süden bzw. Südwesten des Hinterlands, darunter Dallas, Houston, Atlanta sowie Phoenix.
Lebten Anfang der 1980er Jahre noch über 40 Prozent aller im Ausland Geborenen in New York und Los Angeles (Waldinger 1989: 213), so lässt sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine deutlich ausdifferenziertere geographische Verteilung erkennen, die nun auch vermehrt die suburbanen Gebiete und kleinere Städte erfasst. Die Liste der zehn "top hypergrowth destinations" für hispanische Migranten führen inzwischen in der nationalen Städtehierarchie bislang vollkommen unbedeutende Kommunen wie Raleigh-Durham, Charlotte und Greensboro in North Carolina an, gefolgt von Las Vegas oder Salt Lake City (Singer 2004: 5). Insgesamt sind transnationale Zuwanderer, die seit Mitte der 1990er Jahren vor allem aus Ländern wie Mexiko, El Salvador, der Dominikanischen Republik, den Philippinen, China, Vietnam oder Indien stammen, sowie ihre in den USA geborenen Kinder für schätzungsweise 40 Prozent des gesamten und 75 bis 80 Prozent des städtischen Bevölkerungswachstums zwischen 1990 und 2005 verantwortlich (Card 2007: 2). Wesentlich mehr Menschen als noch vor zwanzig Jahren leben heute in den Vereinigten Staaten in urbanen und suburbanen Nachbarschaften, die nicht länger von einer einzelnen ethnischen Gruppe dominiert werden.
Diese demographischen Verschiebungen, welche der Autor Richard Rodriguez unter dem Begriff "the browning of America" zusammengefasst hat, sind für die kommunalpolitischen Auseinandersetzungen um die Verteilung von Macht und Ressourcen nicht ohne Folgen geblieben. Obwohl zum Beispiel Latinos bundesweit derzeit nur etwa elf Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung ausmachen, haben sie das Potenzial, in näherer Zukunft auch außerhalb der Epizentren der Migration zu einem immer wichtigeren Teil städtischer politischer Koalitionen zu werden, deren Interessen von der Politik stärker berücksichtigt werden müssen. Bundesweit hat sich die Zahl von Latinos und Latinas in wichtigen kommunalen Ämtern von 987 in 1984 auf 1.624 in 2006, das heißt um 64 Prozent, erhöht (Barreto 2007: 439). Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass bei verstärkten Einbürgerungs- und entsprechenden Registrierungsbemühungen Immigranten und deren in den USA geborenen Kinder bereits bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2008 12,4 Millionen zusätzliche Wähler aufbieten könnten (Illinois Coalition for Immigrant and Refugee Rights 2006: 3). Vor allem Anhänger der Demokratischen Partei und deren Kandidaten erhoffen sich von den derzeit in allen größeren Städten angelaufenen "Citizenship Drives" einen entsprechenden Stimmen- und Machtzuwachs.
Politische Reaktionen zwischen Repression und Sanctuary Zones
Gleichzeitig nehmen Berichte über Konflikte auf der lokalen Ebene zu. In einer Umfrage des Pew Hispanic Research Institute klagen Migranten hispanischer Herkunft - unabhängig von ihrem legalen Status - über zunehmende Diskriminierungen im Alltag (Suro/Escobar 2006). Während in Washington noch über die zukünftige Ausgestaltung des nationalen Einwanderungs- und Grenzregimes verhandelt wird4, hat die derzeitige US-Regierung den Druck auf die urbanen Flüchtlings- und Immigranten-Communities mit verstärkten Razzien und Deportationen bereits deutlich erhöht. Bürgerrechtsgruppen zufolge haben diese nach den Massenprotesten im Frühjahr 2006 eine neue Qualität erreicht und sollen der gezielten Einschüchterung dienen (Immigrant Solidarity Network 2007). Die Medien melden, dass sich in einigen Bundesstaaten die Zahl der Verhaftungen von "undocumented workers" seitdem mehr als verdoppelt hat (Associated Press, 5.7.2007).5 Obwohl die Bush-Administration dies bestreitet, soll es im Rahmen der "Operation Endgame" des Heimatschutzministeriums Pläne geben, bis 2012 die größtmögliche Zahl von sich illegal in den USA aufhaltenden Personen aufzuspüren und zu deportieren (Vogel 2007).
Aber nicht nur die Bundesbehörden haben ihre Gangart gegenüber Arbeitsmigranten ohne Papiere erheblich verschärft. In zahlreichen Städten im traditionell stärker nativistischen Süden und Südwesten des Landes sowie in solchen Regionen, die erst vor kurzem zum Ziel von verstärkter Zuwanderung wurden, werden die neuen Bewohner hispanischer oder asiatischer Herkunft von vielen Lokalpolitikern für Probleme wie ein marodes öffentliches Schulsystem, Kostenexplosionen im Gesundheitswesen, Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt oder eine steigende Wohnungsknappheit verantwortlich gemacht (Singer 2007). Auch das vermehrte Auftreten von Tagelöhnern im öffentlichen Raum - ihre Anzahl wird bundesweit auf knapp 120.000 geschätzt (Valenzuela u.a. 2006: i) - hat in vielen Städten und suburbanen Regionen nicht nur zu erheblichen Aufregungen, sondern bereits auch zu Übergriffen durch Polizei und sich zu Ordnungskräften aufschwingenden Bürgerinitiativen geführt (Hobbins 2007). Ein Ergebnis dieser Mobilisierungen von rechter Seite besteht darin, dass in etwa 90 Städten und Gemeinden in den USA in den letzten Jahren verschiedene Gesetze und Verordnungen zur "Sicherung der Lebensqualität" verabschiedet werden konnten, deren Absicht es ist, eine fremdenfeindliche Stimmung zu schüren (Favro 2007). Hausbesitzer müssen von nun an mit Geldbußen rechnen, wenn sie an Menschen ohne Papiere vermieten; lokalen Unternehmen, die "undocumented" beschäftigen, droht der Lizenzentzug; in zahlreichen städtischen Einrichtungen wurden "English-only-Regelungen" durchgesetzt und die lokalen Polizeien dazu autorisiert, den Aufenthaltsstatus von verdächtigen Personen zu überprüfen und eng mit den nationalen Sicherheits- und Einwanderungsbehörden zu kooperieren. Demgegenüber stehen 125 Kommunen, die sich inzwischen zu so genannten "Sanctuary Zones" für Menschen ohne Papiere erklärt haben, darunter auch Großstädte wie Chicago, Detroit, Los Angeles, San Francisco, Santa Fe, Baltimore, New York, Houston, Austin, Tuscon, Phoenix, Seattle und selbst der Sitz der Bundesregierung Washington D.C. (vgl. http://www.ojjpac.org/sanctuary.asp). Hier haben die Stadtversammlungen ihren Polizeikräften und öffentlichen Diensten explizit verboten, den zentralstaatlichen Behörden bei der Durchsetzung von Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen direkte Amtshilfe zu leisten (Favro 2007). In einigen von ihnen ist es Migranten - unabhängig von ihrem legalen Status - in den letzten Jahren sogar ermöglicht worden, an kommunalen Wahlen teilzunehmen. Städte wie New Haven in Connecticut oder Austin in Texas haben sich dafür entschieden, eigene lokale Personalausweise auszugeben oder Dokumente wie die mexikanischen Matriculas Consulares6 anzuerkennen, damit alle Einwanderer möglichst ungestört am öffentlichen Leben teilhaben können, ihre Kinder zur Schule anmelden, Führerscheine erwerben, Bankkonten eröffnen, Bibliotheken benutzen oder andere Dinge erledigen können, für die sie einen Identifikationsnachweis brauchen (vgl. Varsanyi 2006).
Soziale Bewegungen und Bündnisse für Immigrant Rights
Grob geschätzt bilden 600, meist kleinere Community-, Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen mit ihren Projekten wie Zentren für Arbeitsmigranten, Bildungseinrichtungen oder Rechtshilfestellen in etwa 100 Städten den Kern eines lose miteinander verbundenen Netzwerkes, das als das gegenwärtige Immigrant Rights Movement in den USA bezeichnet werden kann (Choy 2004; Moody 2006). Während die Massenproteste im Frühjahr 2006 und 2007 eine unmittelbare Reaktion auf angekündigte Gesetzesverschärfungen waren7, geht ein Großteil der lokalen Bündnisse auf seit den 1990er Jahren wiederbelebte Verbindungen zwischen Teilen der Arbeiterbewegung und Organisationsformen zurück, deren Bezugspunkt solidarische Beziehungen in Gemeinwesen sind, die entweder durch ethnische, religiöse, familiäre Bindungen oder eine räumliche Nähe bzw. einer Kombination aus diesen Faktoren zusammengehalten werden.
Zu ihren zentralen Anliegen gehören das Recht von Migranten auf Familienzusammenführung, die Erleichterung der Einbürgerung, eine weitreichende Amnestierung für "Illegale" sowie die Stärkung von Arbeitsrechten und der gleichberechtigte Zugang zum Bildungssystem (Chacón 2006). Zudem wird den lokalen ethnischen Medien sowie den so genannten Hometown Associations von Einwanderern aus Latein- und Südamerika eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Mobilisierung und Politisierung der großstädtischen hispanischen Communties zugesprochen. Konzentrierten sich die meisten dieser "Heimatverbände" bis vor kurzem noch auf die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer meist ländlichen Herkunftsgemeinden, die sie mit umfangreichen Rücküberweisungen und philantrophischen Aktivitäten unterstützen, arbeiten einige seit Mitte der 1990er Jahre verstärkt mit Bürgerrechtsorganisationen in den USA zusammen und unterstützen Legalisierungskampagnen.8 Zentrale Bündnispartner im Kampf um Legalisierung sind darüber hinaus diverse Kirchengemeinden sowie die auf die wachsenden Dienstleistungsbranchen in den urbanen Arbeitsmärkten fokussierten Gewerkschaften wie die Service Employees International Union (SEIU) oder die Hotel, Restaurant, and Garment Workers (UNITE HERE), deren Mitgliedschaft inzwischen mehrheitlich aus ethnischen Minderheiten und neuen Migranten, darunter überproportional viele Frauen, besteht.9 Obwohl die Gewerkschaften nicht die zentralen Initiatoren der städtischen Großdemonstrationen waren, stellen sie - spätestens seitdem der Dachverband AFL-CIO seine ausgrenzende Position gegenüber Arbeitsmigranten ohne Papiere aufgegeben hat10 - mit ihrer Infrastruktur, ihren Mitgliedern und ihren finanziellen Ressourcen eine wichtige Unterstützung für Immigrant-Rights-Campaigns dar (Moody 2006; Milkman 2006). Zudem haben bundesweit agierende sozialpolitische Organisationen wie ACORN, das Center for Community Change oder die Industrial Area Foundation, die sich auf Community Organizing in einkommensschwachen städtischen Nachbarschaften konzentrieren und über mehre Hundert Mitgliedsgruppen verfügen, sowie einige der progressiven Stiftungen ihre Ressourcen für Kampagnen für Immigrant Rights in den letzten Jahren erheblich aufgestockt (Jonas/Tactaquin 2004). Sie sind neben den Gewerkschaften auch die wichtigsten Träger einer im Juni 2006 gegründeten Allianz, die sich "We Are America" nennt und sich unter anderem vorgenommen hat, über verstärkte Einbürgerungs- und Aufklärungskampagnen die Wahlbeteiligung unter Migranten deutlich zu erhöhen.
Organisierungsansätze in Los Angeles und Chicago
Während Los Angeles in den USA bei der gewerkschaftlichen Organisierung von neuen Migranten weiterhin eine unbestrittene Vorreiterrolle einnimmt (Milkman/Kye 2007), hat sich auch Chicago seit den 1990er Jahren zu einem Zentrum von immigrantenpolitischen Aktivitäten entwickelt (Olivo/Avila 2007; Rivera-Salgado u.a. 2005). Die im Ausland geborene Bevölkerung von Metro-Chicago wird auf 1,4 Millionen geschätzt, wobei auch hier die größte Gruppe von Einwanderern inzwischen aus Mexiko stammt (582.000), gefolgt von Migranten aus Polen (137.000) und aus Indien (76.000) (Paral/Norkewicz 2005: 3); in Los Angeles stellen Asiaten hinter Einwanderern aus Lateinamerika (2,5 Millionen) die zweitgrößte Immigranten-Community (1,2 Millionen Personen) (Los Angeles Almanac 2007). Beide Städte haben zudem einen relativ hohen Anteil von Bewohnern, die über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen und vor allem im wachsenden informellen Sektor und in temporären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Es wird geschätzt, dass allein in der Los Angeles Metropolitan Area über eine Million und im Großraum Chicago um die 400.000 unautorisierte Migranten leben (Fortuny u.a. 2007: vi).
In den politischen Auseinandersetzungen um deren Legalisierung und sozialen Rechte gehört die Coalition for Humane Immigrant Rights of Los Angeles (CHIRLA) zu einem der interessantesten Akteure, weil sie einerseits einen multi-ethnischen Ansatz verfolgt - sie fungiert inzwischen als Dachorganisationen von über 120 lokalen Migranten- und Bürgerrechtsgruppen in Südkalifornien - und zum anderen seit etlichen Jahren auf verschiedenen Ebenen politisch tätig ist.11 Sie wurde wie viele andere vergleichbare städtische Organisationen in den USA in Reaktion auf den 1986 verabschiedeten Immigration Reform and Control Act gegründet, als die Bundesregierung die letzte größere "Amnestierung" von unautorisierten Migranten beschloss. Ursprüngliches Ziel von CHIRLA war es, möglichst viele Menschen bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zu unterstützen und ihnen einen rechtlichen Beistand zu ermöglichen. Aber auch in der praktischen Unterstützung von arbeitsuchenden Migranten ohne Papiere hat CHIRLA frühzeitig neue Wege beschritten. Die erste Anlaufstelle, das CHIRLA Day Labor Project, wurde bereits 1988 ins Leben gerufen und gilt als der erste Organisierungsversuch von modernen Tagelöhnern im US-amerikanischen städtischen Raum. Etwa fünf Jahre später folgte der Aufbau des CHIRLA Domestic Worker Project, das sich gezielt an Frauen richtet, die sich als Putzhilfen, "Nannies" oder Pflegekräfte in Privathaushalten verdingen. Ihre Zahl wird für den Großraum Los Angeles auf etwa 250.000 mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 800 US-Dollar geschätzt, darunter mehrheitlich Migrantinnen, deren Arbeitsverhältnisse behördlich nicht gemeldet sind. Auch beim Garment Worker Center (GWC), das 2001 mit der Unterstützung von CHIRLA, der Korean Immigrant Workers Association und dem Asian Pacific American Legal Center gegründet wurde, sind Frauen asiatischer und hispanischer Herkunft die Hauptzielgruppe der Organisierungsbemühungen. Die Nonprofit-Organisation Sweatshop Watch (2005) geht davon aus, dass in Los Angeles County mindestens 140.000 Näherinnen, darunter auch Kinder, in 4.500 oftmals nicht registrierten Kleinbetrieben durchschnittlich 50 bis 60 Stunden pro Woche tätig sind, zu Hungerlöhnen von 3 bis 4 US-Dollar pro Stunde. Zielsetzung von GWC ist "to empower garment workers in the Los Angeles area and work in solidarity with other low-wage immigrant workers and disenfranchised communities in the struggle for social, economic and environmental justice" (zit. nach Benner u.a. 2005: 28). Obwohl der größte messbare Erfolg des Zentrums nach eigenen Angaben darin besteht, über direkte Aktionen wie Streiks, Boykottkampagnen und gerichtliche Klagen ausstehende Lohnansprüche in der Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar durchgesetzt zu haben, versteht sich das GWC nicht als reines Unterstützungsnetzwerk für Niedriglohnarbeiterinnen. Sweatshop-Worker, welche die Ressourcen und die Dienste des Zentrums nutzen wollen, die von Gesundheitsleistungen, Kinderbetreuung, Sprachkursen bis kostenloser Rechtshilfe reichen, müssen sich die dazu verpflichten, einen Teil der Infrastruktur des Zentrums selbst zu übernehmen, regelmäßig an Workshops, Weiterbildungen und öffentlichen Protestaktionen teilzunehmen und ihre Erfahrungen an andere Arbeiterinnen und Community-Organisationen weiterzugeben. Während sechs Festangestellte für Recherche, Öffentlichkeitsarbeit und individuelle Beratung zuständig tätig sind, bestimmen die etwa 350 festen Mitglieder, die in Komitees organisiert sind, über die Ausrichtung der politischen Aktivitäten. Als Mitglied des Multi Ethnic Immigrant Workers Organizing Network beteiligt sich das GWC seit Jahren an Anti-Kriegs-Demonstrationen, Legalisierungskampagnen und unterhält vielfältige Kontakte zu ähnlichen Organisationen in anderen Ländern. 2005 etwa reiste eine Delegation von Textilarbeiterinnen des GWC nach Hongkong, um gegen ein WTO-Treffen zu demonstrieren und um sich mit chinesischen Sweatshop-Arbeiterinnen auszutauschen (Garment Worker Center 2006).
Auch in Chicago gibt es seit 1986 eine mit CHIRLA vergleichbare Dachorganisation - die Illinois Coalition for Immigrant and Refugee Rights (ICIRR) -, in der gegenwärtig 80 Gruppen zusammengeschlossen sind, von denen etwa ein Drittel im Großraum von Chicago angesiedelt ist. Ähnlich wie in Los Angeles gehören auch hier von den Gewerkschaften unabhängige Workers Center, deren Anzahl seit Ende der 1980er Jahre bundesweit von fünf auf über 160 angestiegen ist (Fine 2007: 57), zu einem wichtigen Teil der "globalisierten Arbeiterbewegung von unten". Sie bieten Orte, an denen vor allem Migranten und Tagelöhner unterschiedlicher ethnischer und nationaler Herkunft zusammenkommen, ihre Erfahrungen austauschen und kollektive Handlungsansätze entwickeln können. Im Unterschied zu den zwanzig Zentren im Großraum von Los Angeles, die gleichmäßig über die Stadt verteilt sind, finden sich die meisten der zehn Anlaufstellen für prekär Beschäftigte in Chicago in den von mexikanischen Einwanderern geprägten Nachbarschaften, in denen die katholische Kirche und Hometown Associations häufig einen Großteil des sozialen und gesellschaftlichen Leben bestimmen.
Dass Glaubensgemeinschaften in den USA eine nicht zu unterschätzende Ressource für Kämpfe um soziale Grundrechte bilden, zeigt auch das 1996 in Chicago gegründete Netzwerk National Interfaith Committee for Worker Justice, das bundesweit über 60 Mitgliedsorganisationen umfasst (The Boston Globe, 4.8.2006). Seit 1998 stellt das Interfaith Workers Rights Center in Chicago in zwei Kirchengemeinden seine Informationen und Beratungsdienste in Englisch, Spanisch, Russisch und Polnisch zur Verfügung. Es ist nicht auf eine Beschäftigungsbranche konzentriert, sondern verfolgt im Wesentlichen zwei Strategien: Zum einen versucht es, Migranten über ihre Rechte aufzuklären und in Kontakt mit lokalen Gewerkschaftsorganisationen zu bringen. Zum anderen mobilisieren seine zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter in verschiedenen Glaubensgemeinschaften Unterstützung für Legalisierungskampagnen und lokale Arbeitskämpfe. Bei direkten Boykottkampagnen und Demonstrationen zur Durchsetzung von Arbeitsrechten, die sich in den vergangenen Jahren zum Beispiel gegen Walmart oder andere Supermarktketten richteten, treten Priester und Rabbi häufig Seite an Seite mit Gewerkschaftsfunktionären und Community-Aktivisten auf, was diesen Protesten eine stärkere moralische Kraft verleiht. Im Mai 2007 erklärten Vertreter von über 50 Kirchengemeinden aus 18 Städten, darunter Los Angeles und Chicago, Menschen ohne Papiere vermehrt vor dem Zugriff der nationalen Einwanderungsbehörden schützen zu wollen, indem sie ihnen Asyl in ihren Räumlichkeiten gewähren (Dyrness/Irazábal 2007). Damit knüpfen sie an die Praxis des Sanctuary Movements aus den 1980er Jahren zur Unterstützung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Zentralamerika an.
Auch die im Jahr 2000 von mexikanischen Frauen gegründete Unión Latina de Chicago oder die Organisation Pueblo Sin Fronteras - beides wichtige Akteure in den lokalen Bündnissen für Immigrantenrechte in Chicago - halten ihre Treffen und größeren Veranstaltungen in Räumen von Kirchengemeinden ab. Pueblo Sin Fronteras konzentriert sich seit Ende der 1990er Jahre auf die Unterstützung von Familien, die von Abschiebungen bedroht sind, und arbeitet dabei vor allem mit Stadtteilinitiativen, Schulen und Bildungseinrichtungen zusammen. Die öffentlichen Versammlungen, auf denen über ihre politischen Kampagnen entschieden wird, folgen den Prinzipien der Zapatistas (Cano 2004). Das von der Unión Latina 2004 ins Leben gerufene Albany Park Workers Center dient zum einem als Nachbarschaftszentrum, in dem Wohnungs- und Schulprobleme sowie aufenthaltsrechtliche Fragen behandelt werden, und zum anderen als erste von Tagelöhnern selbst organisierte Vermittlungsagentur für Arbeitssuchende im Mittleren Westen, wobei die Organisatoren ausdrücklich Wert darauf legen, dass diese "basisdemokratisch" strukturiert sei (Black 2005).
Die praktischen Herausforderungen, mit denen hybride Organisationsformen wie die Unión Latina oder auch die beschriebenen Projekte von CHIRLA in Los Angeles - die zum Teil an präfordistische Ansätze der Arbeiterorganisierung erinnern (Rosenberg 2006) - konfrontiert sind, könnten kaum größer sein. Zunächst ist ihre finanzielle Grundlage äußerst prekär. Da Beiträge von Mitgliedern nur einen minimalen Teil der Kosten abdecken können, hängen alle Workers Center von Spenden und von der Unterstützung durch Stiftungen oder manchmal auch städtischen Behörden ab (Fine 2005). Aufgrund ihres Politikansatzes, drei Strategien/Komponenten - erstens soziale Dienstleistungen (Rechtshilfe, Bildungsangebote, Jobvermittlung etc.), zweitens Öffentlichkeitsarbeit/Eintreten für politische Reformen und drittens Organizing/Empowerment - miteinander zu verknüpfen, müssen sie zudem sehr flexibel sein und ständig eine tragfähige Balance zwischen diesen Bereichen herstellen, die sowohl den Bedürfnissen und Interessen der hilfesuchenden Migranten als auch den eigenen Organisationszielen entspricht (Bahn 2006). Hinzu kommt ihr Anspruch, basisdemokratische und kollektive Strukturen aufzubauen und einen Brückenschlag zwischen Menschen ganz unterschiedlicher nationaler, ethnischer und kultureller Herkunft zu vollziehen, die oftmals noch nicht einmal eine gemeinsame Sprache sprechen.
Zudem agieren viele der Zentren, zumal wenn ihre Hauptzielgruppe undokumentierte Migranten sind, in einer Art "legalen Grauzone". Bislang stellen fehlende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse in den USA kein rechtliches Hindernis dar, einer Gewerkschaft beizutreten, an Organisierungskampagnen teilzunehmen oder Arbeitgeber wegen Lohnprellungen oder rassistischen und sexistischen Diskriminierungen zu verklagen.12 Sollten jedoch nur einige der im Kongress vorliegenden Gesetzesvorschläge zum Ausbau inländischer Kontrollen oder zur Kriminalisierung von Unterstützerstrukturen demnächst eine Mehrheit finden, dann könnte dies für viele Workers Center schnell das Aus bedeuten (vgl. National Employment Law Project 2006). Aber selbst wenn der Kompromiss bezüglich der Reform des nationalen Einwanderungsgesetzes - was zu erwarten ist - weniger harsch ausfallen und einige Legalisierungsoptionen beinhalten wird, bleibt ein weiteres grundsätzliches Dilemma bestehen. Um ihr wichtigstes Ziel - die nachhaltige Verbesserung von Arbeitskonditionen und Mindeststandards in den durch informelle Beschäftigungsverhältnisse geprägten städtischen Ökonomien - durchsetzen zu können, sind sie zu klein und haben zu wenige Ressourcen. In der Regel erreichen Workers Center nicht mehr als einige wenige Hundert Beschäftigte, so dass sie keinen Ersatz für starke Gewerkschaften, sondern lediglich eine sinnvolle Ergänzung darstellen können (Rosenberg 2006).
Außerdem können einige Aktivitäten von Workers Center unter Umständen auch einen "systemstabilisierenden Charakter" annehmen. Indem sie sich zu Interessenvertretungen einer begrenzten Anzahl von Beschäftigten in den informellen Sektoren der urbanen Arbeitsmärkte entwickeln, erfüllen sie mancherorts auch ordnungspolitische Funktionen, indem sie zum Beispiel Konflikte in den Betrieben entschärfen oder dafür sorgen, dass sich Tagelöhner konform verhalten, aus dem öffentlichen Raum verschwinden bzw. nur noch an bestimmten Plätzen in der Stadt geduldet werden, wo sie niemanden stören. Dort, wo sie selbst durch Jobvermittlung die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften bedienen, tragen sie zudem zwangsläufig zu einer Konsolidierung von auf Ausbeutung basierenden städtischen Reproduktionsmechanismen bei, die sie - aufgrund ihrer begrenzten ökonomischen und politischen Macht - nur sehr bedingt beeinflussen können. Zudem ist es denkbar, dass in Zeiten erhöhter Erwerbslosigkeit und wachsender Konkurrenz auch um schlecht bezahlte Arbeitsplätze die kommunale und öffentliche Unterstützung abnehmen wird, und sich somit die Zentren auch als ein typisches Produkt des Wirtschaftsbooms der 1990er Jahre erweisen könnten.
Aussichten
Noch zeichnen sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen eines Großteils der neuen Migranten in den USA durch eine erhebliche Unsicherheit und überproportional hohe Armutsraten aus, und es wird sich erst noch zeigen müssen, ob sie ihre "Masse" sowie ihre strategisch günstige Position in einigen Sektoren der postindustriellen städtischen Ökonomien tatsächlich langfristig zu ihrem Vorteil nutzen werden können. Über die Hälfte aller seit den 1990er Jahren Zugewanderten müssen sich - trotz einiger beachtlicher Zugewinne durch erfolgreiche gewerkschaftliche Organisierungskampagnen etwa im Reinigungs- oder Gesundheitssektor - bislang mit dem staatlichen Mindestlohn oder mit Einkommen begnügen, die nur wenig darüber liegen (Capps u.a. 2007: 2). Zudem sind sie weiterhin überproportional stark in Bereichen beschäftigt, die keinerlei Sozialleistungen oder Krankenversicherung bieten und als "high-risk occupations" gelten.
In den aktuellen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Migrationspolitik bieten die seit Ende der 1980er Jahre aufgebauten Strukturen und Bündnisse in den großstädtischen Communities - wie sie hier exemplarisch am Beispiel Los Angeles und Chicago beschrieben wurden - jedoch eine wichtige organisatorische Grundlage, um auf die zunehmenden Angriffe von staatlicher Seite sowie rechten Bürgerbewegungen überhaupt reagieren zu können. Durch ihre Verknüpfung von arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Forderungen und ihrem Ansatz der Selbstorganisierung sind vor allem die Workers Center ein innovativer Versuch, in den urbanen Nachbarschaften, die zunehmend multi-ethnisch zusammengesetzt sind, neue kollektive Strukturen für gemeinsames politisches Handeln aufzubauen. Indem sie gezielt die Lage derjenigen zum Ausgangspunkt nehmen, die sich in der Hierarchie der US-Gesellschaft und Ökonomie - sei es aufgrund ihres legalen Status, fehlender Englischkenntnisse oder formaler Qualifikationen - am untersten Ende wiederfinden, setzen sie zudem ein Zeichen, dass es keine "Unorganisierbaren" gibt. Zusätzlich haben Workers Center und andere Bewegungen für Immigrant Rights das Potenzial, durch ihren Politikfelder verbindenden Charakter die insbesondere für US-amerikanische städtische Auseinandersetzungen typische Trennung zwischen "the politics of works" und "the politics of community" tendenziell aufzuheben, weil vor allem die neuen Migranten und "Illegalen" in ihren Überlebensstrategien darauf angewiesen sind, diese Bereiche stärker zusammenzubringen.
Die Tatsache, dass in die gegenwärtigen Organisierungsansätze von Arbeitsmigranten über die nationale und kulturelle Vielfalt ihrer Träger und deren weltweiten Verbindungen und Netzwerke zunehmend Erfahrungen aus sozialen Bewegungen aus anderen Ländern einfließen, verleiht ihnen auf eine spezifische Weise auch einen transnationalen, aber keinen postnationalen Charakter. Evident ist zwar, dass sich in ihnen vermehrt Ansprüche auf die Einlösung von grundlegenden sozialen und ökonomischen Rechten - unabhängig vom legalen Status und Herkunft - widerspiegeln und formulieren. Trotzdem scheint für die meisten Akteure die Legalisierung und längerfristig auch die Einbürgerung eines möglichst großen Teils der neuen Migranten der einzige effektive Weg zu sein, diese Ansprüche tatsächlich durchsetzen zu können. Dementsprechend bleibt die nationalstaatliche Ebene der zentrale Referenzpunkt, auch wenn einige Organisationen versuchen, aufgrund der aktuellen Machtkonstellationen in Washington Zugeständnisse wie zum Beispiel die gesellschaftliche Anerkennung oder Duldung von unautorisierten Migranten auf der regionalen und städtischen Ebene zu erstreiten.
Auch die These von einigen Stadtsoziologen, dass sich in den US-Metropolen so etwas wie "postkoloniale Kämpfe" beobachten lassen, in denen Migranten aus der Dritten Welt aufgrund ihrer wachsenden Bedeutung in den städtischen Dienstleistungsökonomien und demographischer Verschiebungen die weißen globalen Eliten herausfordern können (vgl. z.B. Sassen 1998), scheint von den Realitäten nicht gedeckt. Noch ist der American Dream, der allen bei entsprechenden Anstrengungen eine Mittelschichtsexistenz mit Eigenheim und einem College-Studium für die Kinder verspricht, nicht ausgeträumt. Zumindest in den bisherigen Auseinandersetzungen um Migrantenrechte lassen sich wenige Hinweise darauf finden, dass sich die Mehrheit der daran beteiligten Akteure als "Rächer der weltweit Entrechteten und Ausgebeuteten" begreift oder dem US-amerikanischen politischen und wirtschaftlichen System grundsätzlich feindselig gegenübersteht. Darauf verweist auch ein bemerkenswerter Artikel mit der Überschrift "Why Aren't U.S. Cities Burning?" (Katz 2007), der die friedlichen Immigrantenproteste in den US-amerikanischen Großstädten mit den gewaltförmigen urbanen Aufständen in Frankreich vergleicht. Er beschreibt die unterschiedlichen Kooptations- und Kontrollstrategien gegenüber Immigranten und Minderheiten in beiden Ländern und kommt zu dem Schluss, dass der in den USA vorherrschende Ansatz der selektiven politischen Inkorporation und weitreichenden ökonomischen Integration von Einwandergruppen in den Städten dem westeuropäischen Umgang mit Migranten insofern überlegen sei, als dass er gegen staatliche Institutionen gerichtete Aktionen und Ausschreitungen in den letzten Jahren verhindert habe. Ob es dabei bleibt und welche Ausrichtung städtische soziale Bewegungen in den USA, nicht nur die von Migranten, in den kommenden Jahren angesichts anhaltender gravierender Armutsprobleme und einer zunehmend fremdenfeindlichen Stimmung und Gesetzgebung im Land annehmen werden, ist eine spannende Frage.
Literatur
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Endnoten
1 Zeitungsberichten zufolge beteiligten sich in Mexiko Hunderttausende an einem Boykott gegen US-amerikanische Ketten wie McDonald's, Starbucks oder Walmex. Die Frente Zapatista organisierte am 1. Mai 2006 in Tijuana eine Demonstration zum US-Konsulat und zum Grenzübergang, der mehrere Stunden geschlossen blieb (Martinez 2006).
2 Ich benutze den Begriff "transnationale Zuwanderung" hier vor allem in Abgrenzung zur in den USA stark ausgeprägten Binnenmigration. Inwieweit es für die meisten der heutigen Migranten zutrifft, dass sie über nationalstaatliche Grenzen hinweg mehrere Orte und Identitäten auf Dauer miteinander verbinden und daher in ihren sozialen Beziehungen und Praktiken neue Formen" transnationaler Gemeinschaften und Räume" zum Ausdruck kommen, wie in Teilen der Literatur behauptet, ist m.E. noch nicht ausreichend erforscht.
3 Bezogen auf die Gruppe aller in den USA lebenden Immigranten wird der Prozentsatz der "undocumented" gegenwärtig auf 30 Prozent, davon 78 Prozent aus Mexiko, geschätzt (Passel 2006: i). Es wird davon ausgegangen, dass sich ihre Zahl seit Mitte der 1990er Jahre - auch als Konsequenz von NAFTA - mehr als verdoppelt hat und sich inzwischen jedes Jahr etwa 500.000 bis 800.000 Personen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in den USA niederlassen (ebd.).
4 Zu den aktuellen Gesetzesentwürfen sowie den politischen Positionen zur Einwanderungspolitik in den USA gibt Ostendorf (2007) einen hervorragenden Überblick.
5 Nach Angaben der für inländische Kontrollen zuständigen Behörde US Immigration and Customs Enforcement (ICE) wurden im Jahr 2006 186.600 Menschen des Landes verwiesen; im Sommer 2007 warteten etwa 28.000 Menschen in Internierungslagern des ICE auf ihre Abschiebung, deren Aufnahmekapazitäten - in Antizipation strikterer Gesetze - auf 60.000 Plätze aufgestockt werden sollen (Lee 2007). Human Rights Watch (2007) gibt an, dass die meisten Deportationen von Ausländern von der Behörde mit Verstößen gegen Einreisebestimmungen und Verurteilungen wegen Drogendelikten und Diebstahl begründet werden.
6 Hierbei handelt es sich um spezielle Personalausweise, die seit 2001 von der mexikanischen Bundesregierung für alle in den USA lebenden mexikanischen Staatsbürger ausgestellt werden (vgl. Varsanyi 2006).
7 Die meisten Beobachter sind sich einig, dass die Empörung über die so genannte Sennsen-brenner Bill - eine 2006 im Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetzesinitiative, die vorsieht, sowohl den "illegalen Aufenthalt" als auch die Unterstützung von "Illegalen" als Straftat zu behandeln - auschlaggebend für die hohe Beteiligung war (Chacón/Davis 2006).
8 In der Forschungsliteratur zu Hometown Associations gibt es stark variierende Einschätzungen zu deren politischer Ausrichtung. Während einige Autoren sie als mehrheitlich konservative und patriarchisch strukturierte Eliteorganisationen beschreiben, die wenig Interesse an gesellschaftspolitischen Veränderungen in den USA haben, betonen andere ihren Wandel hin zu wichtigen transnational agierenden Akteuren, die demokratisch organisiert sind und neue Partizipationsmöglichkeiten in den großstädtischen Migranten-Communities der USA eröffnen (vgl. Fox 2006).
9 Von den 1,8 Millionen Mitgliedern der SEIU, die hauptsächlich Beschäftigte im Reinigungs- und Sicherheitsgewerbe, im Pflege- und Gesundheitssektor sowie im öffentlichen Dienst vertritt, sind etwa zwei Drittel Migranten (Costantini 2006).
10 2000 beschloss der Executive Council des gewerkschaftlichen Dachverbands AFL-CIO, sich für die Legalisierung von "undocumented immigrants" einzusetzen. 2002 startete die SEIU die bundesweite Kampagne "A Million Voices for Legalization".
11 Alle folgenden Angaben zu CHIRLA beruhen - wenn nicht anders angegeben - auf einem 2002 im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes durchgeführten Interview mit einer Mitarbeiterin bzw. auf Angaben ihrer website (http://www.chirla.org).
12 So haben auch undokumentierte Migranten in den USA Zugang zu Arbeitsgerichten, um Lohnansprüche und die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen einzuklagen, da die Gerichte bislang nicht den Aufenthaltsstatus der Kläger überprüfen und auch nicht mit den Einwanderungsbehörden kooperieren.
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Dieser Aufsatz erschien zuerst in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 149, 37. Jg., 2007, Nr. 4, S. 579-595
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