Alles Gewohnheitssache

in (11.09.2006)

Wir gewöhnen uns an alles. Wir gewöhnen uns an die täglichen Nachrichten aus dem Irak, wo unser nordamerikanischer Freund und Verbündeter mit seiner lügnerisch begründeten Invasion ein Inferno

entfesselt hat, das täglich mehr Menschenleben verschlingt, inzwischen schon weit mehr als 100.000. Wir gewöhnen uns daran, daß er mit ähnlich lügnerischen Begründungen weitere Kriege vorbereitet. Wir gewöhnen uns daran, daß die Bundeswehr in immer mehr Ländern die schwarz-rot-goldene Fahne aufpflanzt: kürzlich im Kongo, demnächst in Nahost, wo sie nicht etwa den Libanon vor dem Angreifer Israel schützen, sondern Waffenlieferungen nach Libanon verhindern will, während Israel weiterhin deutsche Waffen bezieht (teilweise sogar geschenkt), obwohl die geltenden Vorschriften deutsche Waffenexporte in Konfliktregionen generell verbieten. Wir haben uns längst daran gewöhnt, in Wahlkämpfen belogen und an keiner wesentlichen Entscheidung beteiligt zu werden. Wir gewöhnen uns - trotz des Grundrechts auf "informationelle Selbstbestimmung" - daran, überall und jederzeit überwacht zu werden. Wir gewöhnen uns auch an die Abschiebung von Schulkindern, die hier geboren sind, nachdem Ihre Eltern einst aus fernen Ländern zu uns geflüchtet waren; am besten denken wir nicht darüber nach. Wir gewöhnen uns an tägliche Irreführung durch die Monopolmedien. Wir gewöhnen uns an Massenarbeitslosigkeit, Kinderarmut, an steigende Miet-, Fahr- und sonstige Preise, an sinkende Löhne und Renten, an Klassenmedizin und Klassenjustiz, an immer neue Gewinnrekorde der Konzerne. Wir gewöhnen uns an die Schließung von Schwimmbädern und Theatern, die Auflösung von Orchestern und geisteswissenschaftlichen Instituten. An die Vergiftung mit Kohlendioxid und Klimakatastrophen. Wir ziehen den Kopf zwischen die Schultern. Vielleicht überhören wir dann die Schreie der Opfer. Die meisten sterben leise.