Mehr Brot, bessere Spiele!

Zur Konjunktur von Sport und Literatur

Nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Sport endlich frei von eindeutigen, äußeren Zwecksetzungen und damit auch frei für die Literarisierung.

Ein unbestrittener Vorzug der 2002 in Berlin und Bonn gezeigten Ausstellung "Die griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit" bestand darin, daß sie den Athletismus nicht am Rande präsentierte, sondern zentral, als eine wichtige Form von Öffentlichkeit und Politik.1 In den sich um die athletischen Agone konstituierenden Öffentlichkeiten wurden politische, religiöse, wirtschaftliche, militärische, musische und andere Themen verhandelt, und Prestigetransfers aus der Athletik ins Nicht-Athletische gehörten zum Zweck öffentlicher Wettkämpfe. Athen 2004 bot eine weitere Gelegenheit, diese Öffentlichkeitsbildungen und ihre politische Bedeutung anhand neuerer Forschungen, besonders in Olympia, herauszuarbeiten und damit etwas ins Bewußtsein zu heben, was aufgrund von Bildungstraditionen und Hollywood für das Alte Rom gemeinhin als bekannt gilt, aber weniger für die auch unter römischer Herrschaft fortbestehenden griechischen Kampfspiele. Die Wagenrennen im Zirkus - allein auf sie war Juvenals satirische Formulierung panem et circenses (Sat. 10, 81) ursprünglich gemünzt - und die Gladiatur im Amphitheater mit ihrem "Vorprogramm" aus Tierhetzen und Hinrichtungen beherrschen noch die populäre Vorstellung der Modernen von - "perversen" - antiken politischen Spielen. Die Gladiatur wird von Forschern heute leichter dem "Sport in der Antike" zugeordnet, sofern sie athletisch anspruchsvolle, geregelte Kämpfe bot und wie die gymnischen Agone und die Wagenrennen geteilte Anhängerschaften an- und erzogen. Selbst politisch erscheint sie nun eher als reguläre Form des Machtkampfes und der Staatsbildung. Das läßt zwar die Umstände des paradigmatischen Spartakus-Aufstandes untypisch erscheinen, nimmt ihm aber nichts von seiner Logik und Würde.
Auch wenn antike Athletik und moderner Sport sich in Form und Funktion vielfach unterscheiden, lohnt es, sich dieser Zusammenhänge zu erinnern. Zum einen neigen wortgewaltige Kulturkritiker, die Sport als Öffentlichkeitsform ernst nehmen, heute eher zu einseitig pessimistischen Perspektiven. Zum anderen setzen diejenigen, die sich dem Sport in Detailstudien zuwenden, seinen Öffentlichkeitsstatus so selbstverständlich voraus, daß sie es unterlassen, diesen und seinen Strukturwandel selbst genauer zu untersuchen und als Voraussetzung ihrer Studien zu veranschlagen, so daß die Publikationen dieser Autorengruppe gelegentlich etwas ziellos wirken.
Zur ersten Gruppe zählt Peter Sloterdijk, wenn er in Fortschreibung klassischer bzw. klassizistischer Kritikmuster die Parallele zwischen der römischen Konjunktion von "Getreidezuteilungen und blutigen Spielen" und der heutigen von "Wohlfahrtsstaat und Massenkultur" zieht und dann systematisch zu einem Rundumschlag gegen den Athletismus als Signum politischer Megalomanie und gegen das Arenadenken, das heißt Siegdenken und Konsensfabrikation in panoptischen, zentralperspektivischen Kugelräumen, ausholt.2 Die Arena des Amphitheaters dient hier nicht wie etwa in der Kritischen Theorie als Metapher für einen offenen, demokratischen Raum des Interessenvergleichs unter Chancengleichen, sie steht eher für einen Käfig, in dem ein unfaires und tödliches Nullsummenspiel demonstriert und die integrierende Zustimmung zur Selektion derjenigen hergestellt wird, deren Leben sich auf Kosten der Unterlegenen verlängert. Die Versammelten sind hier bloße "Masse", die von schlechten und falschen Spektakeln fasziniert und geformt sind. Für die Behauptung, "daß der neuzeitliche Totalitarismus eine Ausgeburt des Stadion-Konsensus ist: In einem wogenden Phonotop, in dem hunderttausend Stimmen eine Lärmglocke über die Versammelten stülpen, entsteht das Phantom der Einmütigkeit" (626), bildet er eine Reihe vom Kolosseum der Flavier über Etienne-Louis Boulleé zu Werner March und Albert Speer - mit dem Seitenarm der Corrida: angeblich "letzter direkter Abkömmling" des "antiken Amüsierfaschismus" (335) - in die Gegenwart. Diese versetzt uns, so können wir schließen, in die neuen Arenen in Hamburg, "Auf Schalke" und in Düsseldorf, in das rekonstruierte Berliner Olympiastadion (Gerkan, Marg & Partner) und bald auch in das bunte Luftkissen der Münchner "Allianz Arena" (Herzog & de Meuron).
So richtig und wichtig diese Kritik angesichts des Gigantismus der "Events", regelmäßiger Geiselnahme der Zuschauerschaft durch Veranstalter und "Sender", der thematischen Besetzungen von "Spielen" mit Triumphialismus, Nationalismus, Körperfetischismus, Sozialdarwinismus und Wirtschaftsliberalismus, Starkult und Heldeninflation ist, so einseitig und perspektivenschließend tritt sie auf - historisch, empirisch und theoretisch. Damit verharrt Sloterdijk in der traditionellen Position des gekränkten Intellektuellen, der im Sport und in den Sportöffentlichkeiten seine gleichsam natürlichen Feinde erkannt hat.
Die Arena-Schmähung erfolgt auf Kosten der Geschichte, zunächst der Römer selbst, in der Denunziation der Gladiatur, auf die sich der Blick verengt, ihrer ganzen elaborierten Spannungs- und Machtbalance als bloßes "Gemetzel" unter dem legendären Daumen eines "Pöbels" (332, 334). Dahinter verschwinden vornehm die Griechen, als ob sie die grausame Glorifizierung des Siegers nicht gekannt hätten, nur weil sie keine oval geschlossenen Arenen bauten. Völlig absolviert werden die Briten des 19. Jh., das Sloterdijk nur als Lücke zwischen den "Kollektoren" der Französischen Revolution und denen von modernem Olympismus, Faschismus und Stalinismus wahrnimmt. Engländer haben in dieser Zeit nicht nur den Garten- und Landschaftsbau - eine andere populäre Konditionierungskunst - perfektioniert, sondern z.B. den Fußball zum Massenzuschauersport samt seiner eckigen und sozial deutlich segregierten Stadien entwickelt. Zugleich bewiesen frühe fans von Boxen, Fußball u.a., daß Zehntausende sich auch ohne gebaute Theater zu Sportfesten versammeln und eine "kritische" Masse bilden können. Das heißt, nicht erst das Stadion fusioniert (wenn es das tut), sondern die Massen manifestierten sich gewissermaßen selbst, bevor die Steine sie formten, und zwar häufig genug gegen die von Revolutionsängsten diktierten Versammlungsverbote. Parallel dazu wurde in den USA ebenfalls unabhängig vom Olympismus eine Schüsselarchitektur ohne trennende Terrassen kreiert, die in der "Yale Bowl" von 1914 ihr erstes Großstadion für etwa 70.000 Football-Zuschauer besaß. Es ist im übrigen überhaupt nicht gesagt, daß nicht-siegorientierte Spiele und "Kongresse" andere als runde oder ovale Bauten notwendig machen oder etwa offene und eckige Akteurs- und Publikumsanordnungen, sei es im Sport oder in der Politik, selbst weniger oder gar nicht agonistische und antagonistische Spiele bedingen.3 Gerade jetzt, da das Bild Roms und seiner Spiele gründlich überholt und von neuhumanistischen Verzeichnungen befreit wird, erwartet man etwas anderes als eine Wiederauflage römischer Horrorgeschichte.4 Ebnet man alle Unterschiede ein, läuft man Gefahr, genau dem Schematismus zu verfallen, den totalitäre Manipulatoren gern für sich in Anspruch nahmen, nämlich direkte Erben erhabener Antike zu sein. Die Kultur macht keine Sprünge, wie Sloterdijk selbst pointiert.
Empirisch wissen wir bis heute wenig über tatsächliche Wirkungen von Stadioninszenierungen und ihrer elektronischen Medialiserungen auf das Publikum, außer, dank der cultural studies, daß es die Ereignisse mehr oder weniger kreativ miterzeugt und nicht bloß passiver Empfänger ist. Die neuere Soziologie hat das Publikum spät entdeckt und sich auf abweichendes Verhalten, besonders den Hooliganismus, konzentriert. Außerdem sind die räumlichen Voraussetzungen athletischen Handelns und seiner Beobachtung in der deutschen Sportsoziologie lange vernachlässigt worden. Selbst zur Sportbegeisterung, ihren Facetten und Ursachen gibt es keine empirisch gesättigte Gesamtdarstellung.5 Das gibt Raum für Spekulationen. Die raumpsychologische Perspektive von Sloterdijks "Sphären"-Projekt wird dort verkürzt, ja, zum architektonischen Determinismus, wo sie die Mehrschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Arenaerfahrung auf Zentralismus und Konformismus reduziert. Sie gerät in die Nähe einer Manipulationstheorie, wenn sie z.B. den Partikularismus der Fangruppen oder das beglückende Erlebnis gespannter Gemeinsamkeit freier - d.h. zunächst: freiwillig und mit je eigenen Motivationen erscheinender Einzelner, die sich nicht "auflösen" wollen - als (relativ) autonome Momente ignoriert. Im Beharren auf das Mono- und Autothematische bestimmter Inklusionen verschwindet gerade an diesem Punkt des "Sphären"-Projektes der Weg ins Offene, Leichte, Multifokale. Auch Sportöffentlichkeiten sind theoretisch als komplexe Öffentlichkeiten verschiedener, inhaltlich wie formell mehrwertiger Vorgänge zu betrachten: Expression, Räsonnement (nicht bloß Ressentiment), Zelebration, Deliberation, Inspektion, Authentifikation, Sanktion, Akklamation, Gratifikation, ebenso wie Integration und Separation. Äußerungen und Aktionen erfolgen oft genug in Gegensätzen von Demonstration und Gegendemonstration, Repräsentation und Gegenrepräsentation.
Unbedingt ein Fortschritt ist jedoch Sloterdijks Versuch, in der grundsätzlichen Beachtung räumlich-gegenständlicher Arrangements menschlicher Versammlungen nicht bloß die Blickregime der Zuschauerschaft zu kalkulieren, das Spektakel, sondern auch den Spektakel, also das Stadion als mächtigen, aus seiner Sicht: totalen "Phonotop". Der von ihm betonte consensus erweist sich nicht so sehr als einer des Sinnes, sondern der Sinne. Das ist ein Faktor, der in Reflexionen über Zuschauersport oft vergessen wird - eine Theorie über den Konnex von Augen- und Ohrenzeugenschaft nach AugustinusÂ’ Bekenntnissen (6,8) ist noch nicht verfügbar. Selbst in der antihermeneutischen Deutung agonistischer Körperschauen als Präsenzerlebnis durch Hans Ulrich Gumbrecht scheint er keine große Rolle zu spielen. (Leider abstrahiert Sloterdijk gerade in diesem Punkt weitgehend von der sekundären Medialisierung des Stadionerlebnisses durch Rundfunk und Fernsehen, ebenso von den Sporträumen des Internets.) Grundsätzlich gilt aber auch hier: Der ekstatische Konsens, dessen akustischer Gewalt sich selbst distanziert Zuschauende nicht entziehen können, ist nichts Dauerndes und eher die Ausnahme. Diktatoren hätten ihn gern zur Regel gemacht, was ihnen aber nur bedingt gelang - Sloterdijk verweist auf gescheiterte Spielideen auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände.
Es ist leicht, die "Brot und Spiele"-Formel anklagend und verächtlich einzusetzen, zumal in Zeiten durchsichtigen Drängens mit Konsumappellen und "Hartz IV" - mehr "Peitsche" als "Zuckerbrot" - wie im Jahr 2004, das im Namen der Öffentlichkeit zugleich einige der interessiertesten Sportinszenierungen in der Geschichte der Berliner Republik bescherte. Vor allem mit den Präsentationen von Tour de France und den Athener Spielen gaben ARD und ZDF den Anspruch der Berichterstattung auf, um ihn durch Medaillenzählen und eine Selbstfeier der Medien zu ersetzen. Schwieriger als intellektuelle Erhebung über Popularpolitik ist, das Spektrum verschiedener Interessen, Motivationen, Rezeptionen des Publikums als public(s) zu erfassen und dann auch für den Sport endlich Konzepte demokratischer Öffentlichkeit zu entwickeln: von der Finanzierung sowie der dramatischen und ästhetischen Inszenierung der Veranstaltungen und der Kampfkultur auf Platz und Rängen über Wege und Normen der Medialisierung bis hin zu einem Kodex für politische Repräsentation und einem der Verbände für Eigen- und Fremdvermarktung und auch für den öffentlichen Umgang mit Regelverstößen. Die Problematik geht weit über die beliebte Sportethik hinaus. Zur Zeit, so scheint es, sind wir im Begründungszirkel der Programmverwalter gefangen, wenn etwa der ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf die Trias "einfacher Sport, Dramatik und deutscher Held" als Kriterium der Programmauswahl verkündet und sich dabei auf "die Quote" beruft. Weder morphologischer Fatalismus noch die "olympischen Idee" helfen hier. Die öffnende Alternative fehlt, und da trotz Hunger und Elend die Forderung panem, non circenses! nicht realistisch erscheint: Warum nicht Juvenals Formel zum Imperativ machen und auch über zeitgemäße Inszenierungen der agonalen Vernunft nachdenken? Ihre Kritik ist überfällig, für alle Sphären. - Für eine aufgeklärte Bejahung ihrer körperlich-kämpferischen Form bietet selbst deutsche Kulturgeschichte Inspiration. Sie kennt nicht bloß die steife Turntradition, höheren Zwecken dienende Vereine und Veranstaltungen, militarisiertes Kämpfen, leistungsverbissenes Trimmen oder die Angst der Geister vor dem ausgestellten Körper und ihre wohl noch größere vor den raumgreifenden Veröffentlichungen über diesen, sondern auch die geistreich-spielerische Sportkritik der Weimarer Republik und lange davor den z.T. frankophilen Spiel- und Körper-Ästhetizismus Heines, Vieths und Büchners. Stehen die Dinge also tatsächlich so, daß heute kein Weg an Arenen und Stadien vorbeiführt, dann kann man sich Besseres wünschen als die teure, schlecht verpackte und in ihrer Substanz ebenso dürftige wie zweifelhafte Kost, die derzeit staatlich verordnet wird, und mit Büchner verzichten auf "Gladiatorspiele", aber bitten, und zwar für alle, im Paket: "um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!" Und da die Bürgerschaft nach wie vor auf körperliche Zusammenkünfte nicht zu verzichten bereit scheint, gehören zu den Forderungen des Tages dann nicht bloß "olympische Spiele" - mit kleinem "o" -, sondern auch, das Bürgerforum zwischen Bundestag und Kanzleramt zu bauen - eben auf dem Forum standen die hölzernen Vorläufer des Kolosseums. Das gäbe den Amtsträgern Gelegenheit, sich körperlich der Wucht des öffentlichen Echos auszusetzen, das sie so fürchten, aber mit riskanten Vorschlägen in gedämpften Räumen so gern provozieren. VIP-Lounges und Sky-Boxen sind Verstecke, deren Benutzung jedem römischen Bürger ehrlos erschienen wäre.

Sport und Literatur für die Schule
Weniger mit großen morphologischen Fragen, hauptsächlich mit Bestandsaufnahme sind dagegen neue deutsche Einzelstudien zur Reflexion des Sports in der Literatur, in der bildenden Kunst und auch im Film befaßt. Leider thematisieren sie wenig die Konstruktion von Sport durch Literatur und Kunst. Die Anzahl etwa sportliterarischer Anthologien und entsprechender literaturwissenschaftlicher Untersuchungen ist hierzulande noch überschaubar. Das gilt selbst beim Thema Fußball (der hier einmal im Hintergrund bleiben soll), so daß einige der Monographien, die im folgenden vorgestellt werden, Pionierleistungen sind. Das Interesse am Thema Sport und Literatur ist keineswegs neu, es tritt jedoch mit neuem Schwung auf. Manche Arbeit ist offenbar noch angeregt vom gesamtdeutschen Sportenthusiasmus der neunziger Jahre, etwa dem "Boxboom", oder allgemeiner von der Prominenz, den der Zuschauersport im deutschen Wettbewerb privater und öffentlich-rechtlicher Medien inzwischen gewonnen hat. Zudem besteht nun die Möglichkeit, eine der erstaunlichen Erfolgsgeschichten des 20. Jh. zu bilanzieren. Und nicht zuletzt die Weitung der Literatur- zur Kulturwissenschaft und die Etablierung von gender studies, die im Sport ein verzweigtes System von Fabriken und Theatern der Vergeschlechtlichung und des Gendering vorfindet, spielen wohl eine Rolle. Explizit werden diese Anstöße jedoch kaum diskutiert; es überwiegen noch Sammelleidenschaft und Entdeckungsfreude. Gleichwohl scheinen auch hier Wünsche nach Spielverbesserung durch.
Direkt für die Erweiterung der Textgrundlage heutiger Sportbetrachtung hat Jürgen Court den Band "Was ist Sport? Sportarten in der Literatur" herausgegeben, mit dem sich seit langem wieder einmal der Sportverlag Hofmann dem Thema zuwendet. Der Literaturbegriff ist sehr weit gefaßt, viel weiter als bei den eine Neuauflage und Überarbeitung verdienenden Editionen anspruchsvoller Belletristik von Karl Schwarz aus dem Jahr 1967. Die Belletristik steht nun neben Sachtexten, die Techniken und Regeln erklären. Diese Sammlung ist für den Schulgebrauch - den Sport- wie den fächerverbindenden Unterricht - und die wissenschaftliche Lehrerbildung konzipiert und soll "das Theorie-Praxis-Gefälle zwischen der Ausführung des Sports und dem Wissen über ihn" überwinden helfen (11). Dafür werden nicht nur Klassiker wie Rilke und Ringelnatz, sondern mehrere unbekannte und heute schwer zugängliche Texte deutschsprachiger Autoren über den Sportbegriff und 19 Sportarten zusammengestellt, überwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jh. Inhaltlich geht es um die Entstehung und die Autonomie des Sports, seinen Kulturwert und nationale Eigenarten vor allem in Deutschland und England, den Turnen-Sport-Vergleich, interne (Technisierung) und externe (Politik) Instrumentalisierung, Heroismus u.a. Von den Fundstücken seien nur zwei genannt. Roderich Menzels "Geliebte Tennispartnerin" ist eine Romanze, die den Tennisclub als Verlobungs- und Heiratsmarkt und zugleich durch ihr Veröffentlichungsdatum - 1940 - eine politische Funktion der leichten Muse in der NS-Zeit belegt. Heinrich Steinitzer behauptet in Rousseaus Manier, daß der Sport den Kulturfortschritt nicht befördert hat, sondern im Gegenteil Verfall bedeutet. Seine strenge Kritik des "Bergsports" aus dem Buch "Sport und Kultur" von 1910 ist noch immer lesenswert, und sei es nur, um uns und Reinhold Messner bewußt zu machen, was er und seinesgleichen an Naturzerstörung durch Millionen unberufener Nachahmer hätten vermeiden können: "Am allercharakteristischsten zeigt sich die Unselbständigkeit der Alpinisten, soweit sie ihre Tätigkeit sportlich ausüben, in einer negativen Eigenschaft: sie können nicht schweigen." (68)
Natürlich bleiben auch einige Wünsche offen: Der Band im ganzen kommt sehr gut ohne den sonst unvermeidlichen Brecht aus, allerdings nicht Frank ThiessÂ’ Plädoyer "Dichter sollten boxen" (1926), der Volker Caysas Edition "Sport ist Mord. Texte zur körperlichen Betätigung" (1996) entnommen ist. Bedauerlicherweise wird hier wie auch bei anderen Stücken ohne Nennung der Originalquelle gearbeitet, ebenso fehlt ein erklärender Anhang. Caysas Verdienst war (u.a.), Thiessens Statement und Brechts Widerrede "Sport und geistiges Schaffen" wieder in direkte Verbindung gebracht zu haben. Günter Kunerts "Alter Boxer" (1972), immer gern in solche Anthologien aufgenommen, bildet hier nicht das nötige Gegengewicht, weil er ein anderes Thema hat. Sehr hilfreich ist dagegen Courts Zusammenstellung von Carl Diems männlich-jugendbewegtem und "kultur"-kritischem "Waldlauf" von 1913 und seiner finsteren Opferideologie in "Der Läufer von Marathon" von 1941, die mit Botho StraußÂ’ Polemik "Die Joggerin" von 1981 konfrontiert werden. Strauß trifft das "Fitting", einen anderen Kult, vernichtend, doch die gedachte Querverbindung zu Erich Loests frühem, geradezu anrührendem Lob weiblichen sozialistischen Kollektivsinns beim Volleyball in "Die beste Abteilung" (1953, aus den sehr erfolgreichen "Sportgeschichten") fördert schwerlich auf vergleichbare Weise eine Antwort darauf, "ob unter totalitären Bedingungen überhaupt die Rede vom unpolitischen Sport und der Erfahrung von Freiheit im und durch Sport erlaubt sein kann" (15). Einmal abgesehen von dieser politisch korrekten Frage aus der Einführung - warum griff man beispielsweise nicht zu einer Ableitung der Spartakiade-Bewegung aus dem apulischen Aufstand oder zum sportpolitischen Gründungsmythos der DDR, Gustav-Adolf Schurs Verzicht auf eine dritte Weltmeisterschaft im Straßenradfahren im Jahre 1960? Heinz Florian Oertel - in der Stoßrichtung Loest ähnlich, nur viel dramatischer - hatte dieses Ereignis in "Der Kniff vom Sachsenring" als Fahrt vom Ich zum Wir gedeutet.6 Das hätte nicht nur Vergleiche gestattet - historische mit dem "Wunder von Bern", das nicht vorkommt, oder dem Ruder-"Achter von Rom" (1960, mit Hans Lenk) und literarisch-politische wie den mit Uwe Johnsons Untersuchung der "Hierbleiber"-Motivationen in "Das dritte Buch über Achim" (1961) -, sondern auch eine Übung in der Analyse von Erzählstrukturen, etwa nach dem Vorbild Roland BarthesÂ’ "Die Tour de France als Epos" (1957), einem unschätzbaren Geschenk an die Pädagogik.
Im ganzen fehlen Court mehr neuere Texte - der jüngste ist von 1994: Eckhard Henscheids freilich hinreißende "Hymne auf Bum Kun Cha", den ersten Koreaner in der Fußball-Bundesliga. Immerhin soll ja letztlich die Jugend, die mit fortgeschrittener Körperstilisierung und elektronischem Mediensport konfrontiert ist, erreicht werden. Aber man vermißt auch schon so etwas inzwischen fast Altmodisches wie Ror Wolfs Persiflagen der Fußballreportage als Beispiel für das Sportgerede im Sinne Umberto Ecos, das ja, wie die "Epen", den Zuschauersport mitschöpft, oder Günter GrassÂ’ Polemik gegen den Leistungsfetischismus. Und gibt es keine Belletristik über Becker und Graf? Immerhin haben Dichter und Denker "Beckerfaust" und "Beckerhecht" einmal als Beginn einer anderen, Kampf und Kämpfer wieder ehrenden Bundesrepublik besungen. Oder über die Lauda, Senna und Schumacher? Court konfrontiert noch eine alte Eloge auf Bernd Rosemeyer mit der Heroismus-Kritik aus "LTI". Deshalb: Fortsetzungen sind dringend nötig.

Das Ende der Geschichte: sinnfreier Sport?
In Mario LeisÂ’ geschichtlicher Arbeit "Sport in der Literatur. Einblicke in das 20. Jahrhundert" kann man mehr Material finden. Der Autor beschreibt viele Plots, zitiert viel und liefert eine umfangreiche Bibliographie, fast ausschließließlich deutschsprachiger oder übersetzter Autorinnen (diese fehlen bei Court ganz) und Autoren, gegliedert in Prosa, Lyrik, Hör- und Schauspiel, Anthologien, "Essayistisches und Journalistisches", "Kulturkritisches" sowie die verwendete Sekundärliteratur (233-269). Die Auswahlkriterien sind allerdings nicht dargelegt. Auch die wegen des alten normativen "Kultur"-Begriffs für das ganze Unternehmen und nicht bloß für die "Anlaufschwierigkeiten" des Sports um 1900 (13ff.) folgenreiche Konzentration auf Deutschsprachiges wird nicht erklärt. Man fragt sich beispielsweise, wieso Heinrich Mann und Joyce Carol Oates nur als Essayisten auftauchen und nicht auch als Romanciers und warum Sartre und nur der erste Band der "Kritik der dialektischen Vernunft" (drei Seiten Fußball-Vergleich gegenüber einer eingehenden Box-Exegese im zweiten) und Camus (Boxen, Fußall, Schwimmen) überhaupt nicht? Und warum nicht Joseph Fischer, auch wenn der poetische Status von "Mein langer Lauf zu mir selbst" (1999) unsicher sein mag? Der Lauf und seine Allegorien spielen in der deutschen Sport- und Gesellschaftsgeschichte eine enorme Rolle, und Fischers Bekenntnis ist bereits Zeitgeschichte, mag er selbst es auch schon vergessen haben.
Kunert und Loest sind bei Court die einzigen Vertreter von DDR-Geschichte, das entspricht ungefähr den Gepflogenheiten (Becher und Kant etwa sind ja schwieriger einzuordnen); Ostdeutschland und Osteuropa - Majakovskij, Mandelštam, Szymborska, Lev Tolstoj ... - werden gewöhnlich vernachlässigt, obwohl der Sport dort eine enorme Rolle spielte. Leis erwähnt nur Péter Nádas und in einer Fußnote Nabokov - Nabokov! Insofern ist es ein Fortschritt, wenn er im Kapitel über sportliche und sportpolitische Pflicht-Diskurse ausführlicher auf ostdeutsche Literaten eingeht, und zwar, im Vergleich mit Johnson und Lenz, auf Becher, Loest (vor und nach 1981), Neutsch, Dieter Schubert, Zimmering, den Sportästhetiker Günter Witt. In anderen Zusammenhängen werden weitere Autoren berücksichtigt, aber ein differenziertes Bild entsteht nicht, weder von der Literatur - Kritiker an der staatlichen Körperpolitik konnte er angeblich nicht entdecken, obgleich er selbst schon Hein und Kunert erwähnt, Kerstin Hensel z.B. aber übersieht - noch von der "komplexeren Ost-Realität" jenseits der Propaganda vom Sport als Mittel sozialistischer Erziehung (94, 164f., 208). Von beidem weiß er nichts und will er nichts wissen.
Die anderen Kapitel behandeln den Nationalismus deutscher Turner (ohne ATB und ATSB), die Militarisierung des Sports, Ideologeme des Arbeitersports, den Zivilisationsdiskurs, d.h. die destruktiven Folgen vor allem des Berufssports, besonders im Boxen, den Zuschauersport, das Körper-Geist-Verhältnis, die Unvereinbarkeit von Liebe und Sport, dessen Eigenweltlichkeit: die temporäre Weltausgrenzung, für die Per Olov Enquists Metapher von der "Glaswand des Sports" herangezogen wird, sowie, im stolzen Abspann "I did it", Belege für Luhmanns These vom Körper als "Fluchtpunkt der Sinnlosigkeit" (auch sonst figurieren Systeme und Semantiken allenthalben) aus den achtziger Jahren: Alejandro Gándaras, Günter Herburger, Michael Köhlermeier, Martin Walser. Die Abrisse sind voller historischer Entstellungen (z.B. über Turnvater Jahn, der ausschließlich als Franzosenfresser erscheint, und die 1848er, über Kugelstoßen bei den Griechen wie die militärischen Zwecke ihrer Athletik) und pauschaler Behauptungen (über eine angebliche Eindimensionalität der US-Sportliteratur gegenüber einer vieldimensionalen deutschen, Sport als anthroplogische Konstante, angeblich kontinuierlich ansteigene Zuschauerzahlen u.a.) und bemühen sich nicht um Begriffe. Sport wird eingangs nicht definiert und griechische Agonistik und Athletik (Früheres bleibt unbekannt), Goethes "Sport" und die Spiele des 20. Jh. sind alles eins. Doch nach und nach scheinen Selbstzweck, Autonomie, agonaler, siegorientierter Kampf und Zuschauerbindung als Merkmale auf und die Vorstellung einer Entwicklung von unschuldigen, zweck- und medienfreien Anfängen über, hauptsächlich, politischen Mißbrauch bis zum "Abhängen" aller Bedeutungen und "Umklammerungen" in der Gegenwart. Dabei wird einerseits ständig unhistorisch von Literatur auf "die Realität" geschlossen, andererseits erscheint letztere als der - unbehauene - Grenzstein, an dem Fiktion und Utopie zurückgewiesen werden. Leis führt seine eigene Erklärung der faszinierten Bindung von Literatur an Sport, nämlich den von diesem gebotenen Freiraum für die Imagination von Menschenmöglichem zu nutzen, ad absurdum.
Das Ganze wäre nicht der Rede wert, handelte es sich nicht um die ironielose methodische Seligsprechung der Fun-Generation (200). Denn die Abfolge der genannten Kapitelthemen soll eine behauptete Realentwicklung von Literatur und Sport verfolgen: von der extremen politischen Instrumentalisierung (DT, Nationalsozialismus) bis zur, in der Konsequenz ebenso extremen, Autonomisierung eines Sports "ohne allzu ernstgemeinte weltanschauliche Attitüden". Die historische "Motivauflockerung" entspräche "in etwa der Emanzipation des Sports im 20. Jahrhundert" (12). Es scheint keine anderen Kriterien zu geben, nichts Drittes zwischen Vereinnahmung und dem Telos "entspannter", "ungezwungener", "unkomplizierter" Bewegung und Erzählung. Politik und Wirtschaft sind zwar immer da, aber nicht wahr, wenn man sich, angeblich sinn- und ideologiefrei, immer mal kurz Stil und Rausch hingibt. Das ist das Programm, und man reibt sich die Augen vor einem derart relaxten Luhmann-Verschnitt; er kommt auch nicht aus Bielefeld.

Die Geburt der Sportpoesie aus dem Sportessay
Mit ",Bizepsaristokraten‘. Sport als Thema der essayistischen Literatur zwischen 1880 und 1930" verfolgt auch Hanns-Marcus Müller eine historische Veränderung. Jedoch nimmt er sich, und das ist neu und erfrischend, nicht abermals die Reflexion des entstehenden deutschen Sports in der Literatur vor, sondern die Frage, wie, mit welchen Erfindungen, diese jenen "gemacht", "nämlich propagiert, problematisiert und persifliert" hat, so daß er in den zwanziger Jahren als "das signifikante Synonym einer neuen Zeit" erlebt werden konnte (14, 19). Seine These lautet, die kulturanalytische Sportessayistik - Zeitungsartikel, Glossen, Reden, Aufsätze, Dissertationen - habe mit bestimmten begrifflichen und rhetorischen Mitteln nicht nur eine entscheidende Rolle in den theoretischen und praktischen Auseindersetzungen um die Modernität der neuen dynamischen Leiblichkeit und Körperlichkeit gespielt, sondern auch diejenigen Sportmotive erst vorformend literarisiert, die dann in Romanen, Erzählungen, Lyrik und Dramen auftauchten (17f., 22, 136). Damit ergänzt er faktisch und z.T. auch ausdrücklich Christiane Eisenbergs Studie ",English sports‘ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939" von 1999. Gegenüber den zwanziger Jahren, die Literatur- und Kulturwissenschaft noch immer in Bann halten, wertet auch Müller anhand sporttheoretischer Kontroversen die Inkubationszeit vor dem Ersten Weltkrieg auf. Er möchte ebenfalls vermeiden, den Erfolg des Sports aus dem "Zeitgeist" - Jugendbewegung, Großstadterlebnis und -kritik u.a. - zu erklären; also Erscheinungen, die selbst erst im sachlichen wie fiktionalen Zusammenhang begriffen werden müssen. Die Essayistik nutzte die Metaphern "Loch", "Vakuum", "Strudel" für die empfundene existentielle Leere im fin de siècle, die der Sport gefüllt habe (56ff.). Konkreter: Eisenberg hatte etwa das Defizit an Geselligkeitsinstitutionen als Erfolgsfaktor der sports herausgearbeitet (z.B. mit dem Heiratsmarkt Tennis). Müller möchte gegenüber Eisenberg jedoch mehr die Zeitgleichheit und Reflexivität von Bürgerlichkeit und Antibürgerlichkeit des Sports unterstreichen und hiermit die Untergangsstimmungen der Zwanziger berücksichtigt wissen (43). Eisenbergs starke soziologische Betonung der Eigenweltlichkeit des Sports teilt er nicht, besonders nicht für die NS-Zeit (157f., 161). Das wird jedoch, bedingt wohl durch den Zeitschnitt 1930, an dem die Untersuchung endet, nicht ausdiskutiert.7
Vom "Sport", im Unterschied zu Spiel und Arbeit, handelt Müller in dem minimalen Sinne "der ‚Körperdemonstration‘, des als Wettkampf (auch mit/gegen sich selbst) inszenierten Körperleistens". Er gebraucht das Wort summarisch und im Singular (aber nicht für ein Subjekt wie Leis), um den Bezug zu den Eindeutigkeit behauptenden Quellentexten zu wahren und, Eisenberg folgend, um die Hauptsache, den neuen Habitus der Sportlichkeit, zu erfassen (30f.). Ausgehend von einer im logischen Sinne ursprünglichen Sprach- und Inhaltlosigkeit des Sports - ein "leeres Gefäß": hier stützt er sich wie Leis auf Karl Ludwig Pfeiffer und negiert ohne erkennbare Not das Mimetische des Sports - geht es ihm um das "Problem der Ambivalenz". Er möchte die grundsätzliche Widersprüchlichkeit der ihm gegebenen Kulturbedeutungen vorführen (20ff., 27ff., 76): Modernitätsaffirmation und -kritik bzw. Kompensation der Industrialisierungsfolgen, Modernismus und Archaismus, Rationalität (Quantifizierung, Apparate) und Irrationalität (Feier des Vitalen), Demokratie (Freiwilligkeit und Freiheitlichkeit, Gleichheit, Regelbefolgung, Individualismus) und Demokratiefeindschaft (martialisch: "Soldaten in kurzen Hosen"), Maschinenverherrlichung (besonders im Boxer) und -ablehnung (die Ritterlichkeit des Bergsteigers), Individualismus und Kollektivismus, Naturhaftigkeit und gesellschaftliche Organisation (Kracauers Ornamente), Intellektualismus (Willen!) und Anti-Intellektualismus (der Buchtitel zitiert eine typische Klage Gustav Stresemanns über unverdiente Zurücksetzungen der "Geistesaristokraten" von 1927).
Müller entwickelt die Topoi und Argumentationen der Sportapologetik und Sportkritik in kurzen Abschnitten, meist anhand prägnanter Zitate. Im ersten Kapitel "Das mißvergnügte Vergnügen. Sport als Wille im Maschinenzeitalter" thematisiert er vor allem verschiedene Lehren der "Kälte" (ohne Helmut Lethen) und "Härte" ("Materialismus" und "Seele"), ",England‘ und ‚Amerika‘ als kulturtypologische Konstanten", die politischen Besetzungen des Sports, Metaphysiken des Willens und der Selbstzweckhaftigkeit sowie "[d]ie Geburt des Sports aus dem Geiste des Zuschauens", das heißt: aus der massenhaften Begeisterung über die mathematisch klare, darin märchenhafte Ausstellung von Wahrheit und Gerechtigkeit und dem Verlangen nach mehr beglückendem "Leben des Nichtgelebten", wie Müller Beobachtungen Kasacks und Meisls zusammenfaßt. Das zweite Kapitel "Nacktheit, Tierheit, Vitalismus: Der Sportkörper als secessio corporis" (ein Ausdruck Thiessens) stellt drei Punkte dar. Erstens die Befreiung von der viktorianischen Mode und Moral, die neue "Kameradschaft" der Geschlechter - "Nüchternheit" statt "Lüsternheit" - und Dilemmata der Maskulinisierung der Frau. Zweitens werden Schelers vitalistische Sportapologetik mit Nietzsches früher Sportkritik (in "Zur Genealogie der Moral": "Was bedeuten asketische Ideale?") konfrontiert und Bemühungen um die Überwindung des Körper-Geist- bzw. Leib-Seele-Dualismus diskutiert. Drittens wird Musils, an Kleist und Nietzsche anschließende, nicht-apologetische Feier selbstgewisser, reflexionsloser, perfekt-präziser Kraft und Bewegung in den Bildern des "Panthers" und des "genialen Rennpferdes" erörtert. Abschließend beachtet Müller den narzißtischen Persönlichkeitstypus, wie er im Kraftmenschen und, vielleicht noch prägnanter, in der unnahbaren Physiognomie des künstlichen, eingefrorenen Lächelns erscheint, also etwa in den Entstellungen, die gern als "amerikanische Leere" bezeichnet und inzwischen mit dem "cheerleader"-Import auch in Deutschland institutionalisiert werden. Müller erwähnt die Fußballer Maradona und Pelé als Beispiele für die "Masken des Erfolgs" (Martin Kessel), welche die Persönlichkeit von öffentlichem Besitz gewordenen Athleten nicht mehr beschützen, sondern ersetzen und damit das Sportmärchen beenden. Die deutsche Vereinigung gab nun Gelegenheit, solche physiognomischen Verkünstlichungen infolge des plötzlichen Einbruchs von Öffentlichkeit in den ostdeutschen Sport beschleunigt wie im Labor zu beobachten: Katarina Witt ist das Paradebeispiel. Die Geschichte ihrer "Amerikanisierung" ist noch zu schreiben.
Nicht nur bekannte und hier mit Gewinn wieder zu lesende Poeten wie Brecht, Kasack, Polgar, Joseph Roth und, ja, die eine Poetin Fleißer, sowie die Theoretiker Jaspers, Kracauer, Mannheim, Scheler, Simmel, eher am Rande Adorno und Klages, kommen zu Wort, sondern auch weniger bekannte Pioniere wie Heinz Risse ("Soziologie des Sports", 1921, 1979), Fritz Giese ("Geist im Sport. Probleme und Forderungen", 1925) oder Schelers Schüler Alfred Peters ("Psychologie des Sports", 1927) - Müller hält ihn für den "bis heute brillantesten Sporttheoretiker".
Am Ende des Buches vermißt man die zusammenfassende Rückkopplung an die Sozialgeschichte; einen Vergleich mit ausländischer Essayistik (z.B. in bezug auf die rhythmische Konstruktion und Destruktion von Sporthelden - nicht alle Völker betreiben ihren Fall mit Leidenschaft), die ja wahrgenommen und übersetzt wurde, besonders in der Künstler- und Intellektuellenzeitschrift "Querschnitt"; eine Einschätzung des Verhältnisses von Reportage und Essayistik, und hauptsächlich, wenigstens an einem Fall, die Anwendung der These an einem literarischen Werk. Die Essayistik mag den Sport für die Literatur vorfabriziert haben, aber mit welchen konkreten Effekten für die fiktionalere Literatur und die gesellschaftliche Wahrnehmung des Sports, soweit sie durch erstere vermittelt worden war? Beispielsweise offenbart bereits ein einfacher motivgeschichtlicher Vergleich der "Querschnitt"-Aufsätze mit den deutschen Unterhaltungsromanen der Zwischenkriegszeit zum Thema Boxen - Stephanie Haerdle hat ihn jüngst vorgenommen -, daß diese im ganzen ein viel differenzierteres und kritischeres Bild des Berufsboxens zeichneten als jene.8 Trotzdem: Müllers Arbeit ist ein vielversprechender Anfang auf einem Forschungsgebiet (besonders was die Weimarer Republik betrifft), das man mitunter schon für erschöpft zu halten versucht ist. Die Anregungen reichen allerdings bis in die Gegenwart, wenn Müller z.B. darauf besteht, daß Musil mit dem Sportkörper nicht allein Kraft und Mechanik, sondern ein Kampf- und Angriffsvermögen militärisch-strategischen Typs assoziiert (122f., 206), und wenn er im Epilog, noch vor dem 20. März 2003, fragt: "Wenn jetzt also Krieg kommt, was wird aus den Helden des Sports, wenn der Opfertod plötzlich wieder mehrheitsfähig wird und nicht das Privileg einzelner bleibt?" Nun, noch wird weltweit mehr oder weniger zynisch darauf geachtet, daß das Privileg eines bleibt, und es ist, infolge der Fortsetzung nahezu aller sportlichen Großspiele nach dem 11. September 2001, auch nicht ausgemacht, wie Müller wohl vermutet, daß die öffentliche Heroisierung des Soldaten wieder vor die des Athleten treten wird. Schon die heutige Rekrutierungspolitik spricht dagegen. Doch daß auch in den sogenannten postheroischen Gesellschaften weder Carl Diem noch Victor Klemperer tote Hunde sind, wird hinreichend deutlich. Die drängende Frage scheint zunächst zu sein, wer im Westen Vorbilder für die "heroische Indifferenz" im Alltag gegenüber terroristischen Anschlägen liefert, die etwa Herfried Münkler anmahnt. Ob dabei ausgerechnet der Sport und einer mit Kampf- und Siegerideologie eine Rolle spielt? Taugt er nicht auch Terroristen zum Vorbild? Und: Was gehört wie in die Medien, besonders, wenn Sport und Krieg sich simultan ereignen und sich in ihren Inszenierungsästhetiken, in Wort und Bild, direkt gegenüberstehen?

Box-Mythen
Mit der Poetisierung einer ganzen Sportart und den Geschlechterbeziehungen in sportiven Handlungszusammenhängen wenden sich Manfred Luckas und Nanda Fischer spezielleren Themen zu. Unter dem Herbert Asmodi entliehenen Titel ",Solange du stehen kannst, wirst du kämpfen.‘ Die Mythen des Boxens und ihre literarische Inszenierung" möchte Luckas den von ihm ausgemachten Korpus Boxliteratur als Genre erstmalig literatur- und kulturwissenschaftlich würdigen. Zu diesem Zweck extrahiert er hauptsächlich aus englisch- und deutschsprachiger Literatur des 20. Jh. die wichtigsten Themen und Motive: Boxen als Mittel sozialen Aufstiegs, Karrierekurven mit dem "Paradigma des Scheiterns", die Aura von Ringrisiko und Ringtod, die kriminelle Boxwelt, die Repräsentation und Verhandlung ethnischer Konflikte zwischen Weißen und Schwarzen (die Suche nach der "großen weißen Hoffnung" seit Jack London, der "braune Bomber" Joe Louis) sowie Juden und Nicht-Juden (das Klischee des intellektuellen, unsportlichen Juden), religiöse Verklärungen der Boxer und ihres Tuns, medizinische und moralische Topoi der Boxkritik sowie die Komik der Kampfes (groteske Bewegungsfehler, regelwidrige Angriffe, Unglücke), wobei der Verfasser als Amateurboxer wenig Verständnis für schwarzen Humor aufbringt und Komik allein als Verharmlosung von Gewalt wahrnimmt; so bleibt auch der Boxer als komische Sozialfigur (z.B. bei Fielding oder Dostojewski) unbeachtet. Diesem Hauptteil werden ein Abriß der Boxgeschichte mit Glossar, ein Überblick über die "Roaring Twenties" und eine Einführung in den Literaturkorpus und das Verhältnis von Boxern und Literaten vorausgeschickt. Leider reflektiert Luckas nicht über die Verhältnisse von Oralität und Literalität, verbaler und nicht-verbaler Sprache.9 Den inhaltlichen Abschluß bilden Kapitel über das Boxkampfkino und über den Männlichkeitsdiskurs: mit einem Vergleich von Boxen und Stierkampf (als Antidot gegen die verbreitete Deutung der Corrida als Wettkampf empfiehlt sich Karl Brauns Studie "Der Tod des Stiers. Fest und Ritual in Spanien", 1997) sowie Paragraphen über Frauenboxen und die Reflexionen von Schriftstellerinnen, vor allem Djuna Barnes und Joyce Carol Oates.
Eine umfangreiche Bibliographie (327-396) ist nach Anthologien, Boxhistorie, Biographien und Autobiographien, Übersetzungen, deutscher Literatur seit 1990, Film, Kunst, Internetforen usw. geordnet. In diesem Zusammenhang selten vorkommende Autoren wie Ernst Jünger und Kurt Pinthus sind hier auch verzeichnet. Wie bei Leis stellt sich die Frage, ob nicht die entsprechende Kinder- und Jugendliteratur gesondert kategorisiert und untersucht werden sollte. Immerhin bildet sie ein beliebtes Erziehungs- und Unterhaltungsmittel, und im Boxen scheint das Genre ein spezielles Adoleszenz-Thema zu besitzen, das im übrigen auch einen Ost-West-Vergleich gestatten sollte.10 Grundsätzlicheres berühren, so sie strikt vorgenommen werden, Einschränkungen des Textkorpus auf "Sportliteratur" (im nicht-pejorativen Sinne), die bestimmte Werke ausschließen, die sich aber auf signifikante Weise des gestischen Potentials von Sport und Bewegungspraxen bedienen, ohne Sportler/innen oder bestimmte Sportarten ins Zentrum zu stellen. Das trifft zum Beispiel auf Döblins Faustkampfmetaphorik für das "Stehaufmännchen" im Kampf gegen die "dunkle Macht" modernen Schicksals in "Berlin Alexanderplatz" zu oder Philip Roths "Der menschliche Makel". Im Zentrum des zuletzt genannten Bestsellers (2000) steht ein Universitätsprofessor, der für seine familiäre und berufliche Karriere seine schwarze Herkunft mit einer suggerierten jüdischen verleugnet. Er ist über einen bestimmten Sport - Boxen - in einer wiederum bestimmten Auffassung gekennzeichnet, so daß dieser zum gesellschaftlich gültigen Symbol für radikale Selbsterschaffung, einen neuen Menschen und den individualistischen Kampf um Anerkennung, im Gegensatz zum kollektiv-politischen, wird.
Luckas stellt wie schon in seinem Lesebuch "Ring frei!" (1997) viel Stoff zusammen, aber er verweilt nicht bei ihm. Gemessen an seinen hohen akademischen Ansprüchen und auch als Text muß das Projekt als gescheitert gelten; es bleibt ein großes Magazin, das weiterer Ausbeutung harrt. Das liegt zunächst an der unsinnigen Behauptung, daß die ausgewerteten Texte bisher "nie als wissenschaftlich relevant wahrgenommen wurden" (13). Auch wenn vorhandene Untersuchungen allein zu Brecht und Musil, die er selbst verzeichnet, kein Boxliteraturgenre postulierten (warum sollten sie?), bleiben die von ihm festgehaltenen Besonderheiten dieses Genres - Gemeinsamkeiten wie das Thema des sozialen Aufstiegs, der kriminellen Verbindungen, die Lebenskampfmetapher, das Sinnbild existentiellen Scheiterns, bestimmte Personenkonstellationen (86) - wie auch die der Versprachlichung von Boxkämpfen - Dichte, Parataxe, Tier- und Maschinenmetaphern u.a. (127ff.) - unsicher, weil er keine Vergleiche liefert. Für verläßliche Aussagen bedürfte es zudem quantitativer Analysen. Mitunter stellt Luckas selbst fest, daß ein bestimmtes Thema in der von ihm überblickten Literatur selten auftaucht (z.B. die Komik, 250), so daß dessen Auswahl prekär ist. Hier zeigt sich das Engagement des Verfassers, dem bestimmte Themen seines Sports wichtig sind und der empört ist über die Ignoranz von Dichter- und Professorenzunft. Die Boxgeschichte überwiegt; manche Abschnitte, z.B. diejenigen über Rassismus und Komik, enthalten auffallend wenig Literaturanalyse. Und am Ende stellt er die als schwierig empfundene Zusammenfassung so vieler heterogener Texte zu einem Korpus selbst in Frage (325).
Negativ wirkt sich insgesamt die Theorieabstinenz des Buches aus. Es kommt nicht zu konzentrierten Argumentationen. Das betrifft vornehmlich den "zentralen" Mythosbegriff (105ff.), den Luckas in Anlehnung an BarthesÂ’ Konzept der Alltagsmythen einsetzt, ohne daß dessen Verständnis von Struktur und Präsenz im weiteren wirklich zum Tragen kommt. Mythos heißt oft bloß Überhöhung und Verklärung, und die als Chrakteristikum des Boxens bezeichnete "Ambivalenz von Mythos und Realität", die auch die Literatur präge (84f.), steht mehr für eine Verbindung von Fiktionalem und Nicht-Fiktionalem, als daß damit verdeutlicht würde, wie welche Realität und welcher "Mythos" erzeugt würden, wie genau eine Gestalt oder ein Vorgang literarisch "Präsenz" erhalten ("Präsenz", "Potenz" und "Paradigma" werden nahezu mechanisch wiederholt), oder wo, wann und wie ein bestimmter Topos entsprungen ist. Kennzeichnend für solche Ungenauigkeit sind auch unerklärliche Urteile wie: Das Boxen wird gegenwärtig vor allem aus der Genderperspektive untersucht, die Körperbegeisterung der zwanziger Jahre galt hauptsächlich dem "Element der Kraft" - nicht z.B. dem des Kampfes? -, in der Boxliteratur wird selten Kritik an der Sportart geäußert; oder die kontraintentionale Behauptung, die Darstellung von Brutalität, Gewalt und Selbstzerstörung im Film "Raging Bull" sei eine Verdichtung der "Quintessenz des Boxens" (12, 74, 321, 275). Schließlich kann man Autor und Verlag nicht den Vorwurf ersparen, einen unredigierten Text - "als Manuskript gedruckt"- veröffentlicht zu haben. Der Sprung vom assoziationsreichen und sorgfältig edierten Lesebuch zur akademischen Prosa ist mißlungen, so daß sich ausgerechnet bei diesem Thema keine Lesevergnügen einstellen will.

Athletische Geschlechter
Trocken, aber instruktiv demonstriert Nanda Fischer in "Sport als Literatur. Traumhelden, Sportgirls und Geschlechterspiele", daß der deutsche Sportdiskurs seit etwa 1900 der Belletristik eine reiche Bilderwelt für die Auseinandersetzung mit modernen Genderkonzepten gegeben hat. An ausgewählter deutschsprachiger fiktionaler Prosa und einem Theatertext untersucht sie, wie in der ersten Hälfte des 20. Jh. die Bildwelt des Sports, im weiten Sinne: der neuen Sport- und Bewegungskulturen, für die Entwürfe ganzer Gesellschaftssysteme, hauptsächlich aber von Männlichkeit, Weiblichkeit und Geschlechterbeziehungen genutzt wurde. Ein Band über die zweite Hälfte des 20. Jh. soll folgen, doch schon im ersten verweist sie auf spätere Entwürfe, z.B. die leistungssportkritischen von Grass (vor allem "Katz und Maus") und Enquists "Der Sekundant". Ergänzend werden drei amerikanische Beispiele herangezogen - John R. Tunis sowie die in den USA schon vor längerem wiederentdeckten Kate Chopin und Zelda Fitzgerald -, um das Spektrum der Weiblichkeitsentwürfe zu erweitern, etwa mit der Betonung weiblichen Individualisierungs- und Individuationsstrebens durch Sport, und um die kulturellen Einflüsse des Vorbildes USA anzudeuten. Das erinnert an einstige männliche Ängste vor der unabhängigen und sachlichen US-Athletin als Bedrohung deutscher Kultur. Insgesamt belegt auch Fischer mit ihrer Textauswahl, daß die entscheidende sportliche Modernisierung Deutschlands bereits vor dem Ersten Weltkrieg erfolgte und nicht erst in den Zwanzigern (51, 256, 267).
Nahezu alle Texte werden mit den Fragen nach Geschlechterbildern und -beziehungen durchdekliniert. Das wirkt schematisch, gewährt aber einen Überblick über verschiedene Inszenierungen und Konstellationen, in denen Sport- und Bewegungskulturen als Bildspender und -empfänger (letzteres vor allem mit Tier-, Maschinen- und Kriegsmetaphern) fungieren. Für die sportive Systembildung stehen Frank Wedekinds zuverlässig skandalöse wie revolutionäre Hedonismus-Utopie in "Mine-Haha oder über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen" (1901/ 1903), die Gesellschaft als Gemeinschaft in Friedrich Torbergs "Die Mannschaft" (1935), "Der Schwimmer" (1901) von Henry Mackay als demgegenüber individualistische Kritik am Leistungssystem - diese hellsichtige Stirner-Adaption gilt als erster deutscher Sportroman -, Utopie und Kritik der Freizeitgesellschaft bei Brecht ("Mahagonny", 1929) und Hermann von Wedderkop ("Adieu Berlin", 1927) sowie die Antiutopie einer rationalistischen Sportinsel in Horváths "Schlamperl"-Fragment (1933).
Im Kapitel über die "Traumhelden" werden affirmative und ideologiekritische Männlichkeitsentwürfe behandelt, erstere u.a. bei Remarque, letztere bei Thomas Mann ("Tonio Kröger"), Horváth, Olga Wohlbrück ("Athleten", 1921, ist möglicherweise der erste von einer Frau verfaßte deutsche Boxerroman) und Musil. Bei letzterem bemüht sich Fischer nicht um die Müller interessierende Sinnhaftigkeit des berühmten Ausdrucks vom "genialen Rennpferd", sondern um den Nachweis, daß Musils Kritik am Nur-Athleten gerade verbietet, geistige und sportliche Leistungen völlig gleichzusetzen (130ff., 248). An weiteren Texten, z.T. sehr verkürzt, kommen auch die Konzepte vom "Sport als Kampf um Leben und Tod im Berg- und Bergsportroman" und die "Gleichsetzung von Sport und Krieg" zur Sprache. Fischer geht mehrfach auf NS-kompatible Narrationen ein und hält fest, daß insbesondere Sportlerinnen als Zentralfiguren in der "anspruchsvollen Literatur" zwischen 1933 und 1945 kaum noch vorkommen. Trotzdem bleibt die Prosa der NS-Zeit etwas konturlos; weitere Textanalysen oder Abschnitte würden möglicherweise den Rahmen sprengen, aber diese Zeit verlangte zumindest eine eigene Zusammenfassung. Das Prinzip der Textauswahl hätte dies ermöglicht, denn Fischer beschränkt sich gerade nicht auf mehr oder weniger vertraute Klassiker der Moderne, sondern schließt Trivial- und Unterhaltungsliteratur ein, um Zeitströmungen und Alltagsideologien besser zu erfassen (73; die drei Textsorten sind in der Bibliographie jeweils als solche gekennzeichnet). Unter den vergessenen Romanen sind, außer Wohlbrücks, auch "Die Starken. Ein Athletenroman" (1907) von Dolorosa (Maria Eichhorn) und "Lill. Der Roman eines Sportmädchens"(1929) von Rudolf Stratz hervorzuheben. Auch in Zeitschriften hat Fischer systematisch nach Texten gesucht, so daß sie, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, insgesamt ein Drittel ihrer Quellen für Neuentdeckungen halten kann (33). Letztlich muß man konzedieren: Solange die weit verstreuten Zeitschriftenbestände dieser Epoche nicht digitalisiert sind, kann man Projekte wie dieses nicht mit vertretbarem Aufwand realisieren. Überhaupt wäre eine interaktiv ergänzbare Online-Bibliographie sehr hilfreich, um Forschungszeit zu sparen und den Überblick zu erleichtern.
Die Reflexionen über die sportliche "neue Frau" und die weiblichen und männlichen Blicke auf sie werden historisch verfolgt. Die Spanne reicht vom "Aufbruch" mit Kate Chopins "The Awakening" (1899) über die Tanz- bzw. Ballett-Texte von Brod, Döblin und Kafka zu den "Sportkarrieren" (Kasimir Edschmid, Rudolf Stratz) und den "Karrierefrauen" mit dem herausragenden Roman Fleißers "Mehlreisende Frieda Geier" (1931, in der Überarbeitung von 1972: "Eine Zierde für den Verein") als Abschluß. Ob Fleißers Aufsatz "Sportgeist und Zeitkunst. Essay über den modernen Menschentyp" (1927) so naiv war, wie Fischer behauptet, sei dahingestellt; sie zieht ihn als einen gleichrangigen Text heran, über dessen Sportbegeisterung die Autorin im dezidiert leistungssportkritischen Roman nur konzeptionell hinausgegangen sei. Hier liegt ein Fall vor, an dem sich Hanns-Marcus Müllers Perspektive auf das Verhältnis von Essay und Erzählung anwenden ließe, ein anderer wäre Musils oder von Wedderkops Werk. Bei Chopin und Fleißer findet Fischer die ästhetisch wie inhaltlich anspruchsvollsten prospektiven Modelle der "neuen Frau" (244): Chopin betonte sehr früh und liberaler als etwa Wedekind selbstgewählte lustvolle Körpererfahrung als Bedingung weiblicher Autonomie; Fleißer verteidigt den "Sportsgeist" gegen ein Leistungs- und Vereinssystem, das weder sexuell noch politisch und ökonomisch demokratische Geschlechterbeziehungen zuläßt.
Die prominenten zeitgenössischen Disziplinen dieser Texte sind Schwimmen und Tennis sowie, als nicht-sportive Bewegungskultur, der Tanz, durch den, wie mit Boxen und Ringen, Fischer auch Zirkus und Varieté als frühe, gleichsam noch uneigentliche, stellvertretende Arenen aufnimmt. Dazu kommen Autorennen, Alpinismus, Fliegen u.a. Während nun Luckas einer Sportart bzw. einem Genre ein besonderes semantisches Potential zuzusprechen scheint, kommt Fischer für ihre Fragestellung zu dem Ergebnis, "daß die semantische Vielfalt der Sportmetaphern [...] vorrangig auf die jeweiligen Inszenierungen der verschiedenen Sportmodelle zurückzuführen ist und weniger von der dargestellten Sportart abhängt" (256f.). Als vorrangig gegeneinander abgewogene Modelle erscheinen (Hoch-)Leistung, Erlebnis sowie Gesundheit bzw. Hygiene. Mit ihnen werden dann solche Themen verhandelt wie: Körper und Geist, Geist und Leben (das große Thema Thomas Manns), Körper und Ich, das Streben nach Sieg, Rekord und Dominanz gegenüber dem nach Spiel, Entgrenzung und Rausch, das meßbare Leistungsergebnis und der Prozeß (die Intensität des Kampfes), Sport und Krieg, Sport und Liebe, Sex, Ehe, Familie und Mutterschaft u.a.m. Der modelltheoretische Ansatz überzeugt zunächst. Er bedarf jedoch weiterer Prüfung, zumindest an der Metaphorik des Radfahrens und Radsports. Diese großen Emanzipationsvehikel, die um 1900 nicht einfach irgendeine Bewegungs- und Sportart unter anderen darstellten, kommen im ganzen Buch erstaunlicherweise kaum vor (50f.). Auf vergleichbare Weise scheint 20 Jahre später das Boxen - durch die Assoziation von Stärke, Härte, Kampf und Gewalt als dominant maskulinen Gebieten - als Sportart, mit relativer Unabhängigkeit vom inszenierten Sport- bzw. Boxmodell (z.B. "Schläger" vs. "Techniker"), eine spezielle Anziehungskraft besessen zu haben. So wurde der ideelle Berufsboxer, wie Ulrike Schaper jetzt anhand von Illustrierten, Magazinen, Literatur und Sportreportage zeigt, in der Weimarer Republik zum reaktiven Gegenbild der "neuen Frau".11 Fischer sieht die Modellperspektive vor allem an der Literarisierung von Schwimmen, Tennis, Tanz und Autorennsport bestätigt, ohne diese dem Boxen (u.a. bei Musil) oder anderen Disziplinen noch einmal gegenüberzustellen. Hier sind zugleich Sportarten, Modelle und poetische Form zu vergleichen.
Luckas berücksichtigt das Frauenboxen und die Stellungnahmen von Autorinnen zum Boxen, und das heißt vornehmlich: zur Männlichkeit des Männerboxens. Fischer bezieht grundsätzlich mehr Autorinnen ein und hält deren poetisch-intellektuellen Beitrag angesichts der insgesamt geringen Zahl von Schriftstellerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jh. für beträchtlich (256). Luckas kann in BarnesÂ’ und OatesÂ’ Werken keinen besonderen Frauen- bzw. weiblichen Blick ausmachen, außer vielleicht episodisch die Fähigkeit, in Hegels Sinn abstrakt zu denken und also nicht so sehr Muskeln und Kampffähigkeit, sondern die Schönheit der Boxer zu beurteilen. Das ist wenigstens dahingehend zu ergänzen, daß Oates in den achtziger Jahren politisch und poetisch eines der stärksten Statements zum Vergleich von Boxen und Gebären als die Geschlechter trennenden Erfahrungen des Gebens und Nehmens von Leben formuliert hat.12 Gleichzeitig erkannte sie aus Sicht der einmal selbstverständlich männlichen und maskulinen Boxwelt die Boxerin als Monstrosität. Seitdem aber etabliert sich diese anomische Figur und eignet sich auch noch die "andere" schmerzvolle Erfahrung an, mit noch unabsehbaren Folgen. Fischer stellt sich nun direkt die Aufgabe, den weiblichen im Unterschied zum männlichen Blick auf die sportiven Genderkonstruktionen zu analysieren, dabei scheint sie beide jeweils mit dem Geschlecht der Schreibenden zu identifizieren; zumindest wird dies nicht auseinandergelegt (wie auch die Begriffe Geschlecht, Gender und Inszenierung nicht eingeführt werden). Zum Befund gehört, daß Autorinnen für Frauen das emanzipative Potential des Sports und dabei eher und prinzipiell die Innenperspektive auf weibliche Körperlichkeit betonen (vom freien Bewegungserlebnis bis hin zu den Qualen des Gebärens, z.B. bei Chopin) und auch mehr Gespür für das Gewaltpotential traditioneller männlicher Stärke beweisen (244f., 250, 256).13 Es spricht einiges dafür, das Einbringen bestimmter Erfahrungen eher Autorinnen als Autoren zuzuerkennen, doch reicht dies kaum für die Definition eines "weiblichen Blicks", wenn dieser etwa eine exklusive Sichtweise bedeuten soll, zumal auch in der vorliegenden Textauswahl zwei Autoren mit avancierten Entwürfen neuer Geschlechterbeziehungen und Genderbilder die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bewiesen haben: Musils Androgynitätsexperiment im "MoE" (1921-1942) und Edschmids nichtpolares Kameradschaftsmodell in "Sport um Gagaly" (1928).

Sport im Bild
Fischers Buch ist wunderbar und ungewöhnlich reich mit Reproduktionen zeitgenössischer Gemälde, Graphiken, Photographien, Titelseiten von Büchern und Zeitschriften versehen. Die Illustrationen machen deutlich, daß Sporterzählung und Sportbild letztlich zusammen analysiert werden müssen, wie auch, daß die Deutschen mit Bildbänden und Analysen zu dem, was verkürzt und oft abwertend Sportkunst genannt wird, nicht verwöhnt sind. Zwei Untersuchungen reagieren auf diese Lücke. Karin Rase erforscht das Motiv des Boxsports in der bildenden Kunst der Weimarer Republik, unter Berücksichtigung der prägenden griechisch-römischen und englisch-amerikanischen Vorgeschichten: "Kunst und Sport. Der Boxsport als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse".14 Am bekanntesten sind sicher die Max Schmeling gewidmeten Gemälde und Skulpturen, die dieser Epoche eines ihrer markanten Gesichter gegeben haben. Rase zeigt, daß sie Teil einer großen Anzahl von Kampfszenen und Boxerporträts bilden, die sich mit dem Einzelkämpfer als - oft tragischem - Helden der dynamischen und darin unsicheren Industriegesellschaft befassen. Die im Untertitel enthaltene These sowie die zu ihr führende Perspektive bewegen sich in den traditionellen Bahnen der Reflexionsforschung, aber Rase beachtet auch einige aus dem Kunstbetrieb selbst kommende Anstöße und Strategien dieser Bildproduktion und mit dem abgesteckten Feld von Pressezeichnung, Graphik, Gemälde, Skulptur (Photographien, Plakate und, bis auf eine Ausnahme, Illustrationen werden ausgeklammert) ist der Erforschung formal-künstlerischer Zusammenhänge und der Produktion von Sinn und Gesellschaft in und durch, sozusagen, Boxsport-Kunst eine breite Basis gegeben. Diese muß sicher erweitert werden - die Fülle des Materials ist in einem Schritt unmöglich zu bewältigen. Nicht zuletzt betrifft das die auffallend geringe Zahl kritischer Bildkommentare zur Symbolik des Boxens und des Boxers in der Weimarer Republik, darunter solche allerdings bedeutenden, die Rase nicht analysiert: Paul Klees hintergründiges Porträt von Angriffs- und Triumphgeist und Hannah Hoechs Demontage männlicher Kraftposen.
Der Schwerpunkt zwanziger Jahre ist bei Rase wie bei Luckas (45-79) gerechtfertigt, weil das Berufsboxen in Deutschland erst nach dem Ersten Weltkrieg legalisiert und Massenzuschauersport wurde, das allerdings sehr schnell. Doch selbst in der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Boxen muß auch in Deutschland bereits vorher Bedeutsames geschehen sein, und nicht "bloß" die Verarbeitung englischer, amerikanischer, französischer u.a. Einflüsse (die deutsche Rezeption Jack Johnsons, des ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeisters, ist z.B. ein Forschungsdesiderat). Rase bringt dafür Beispiele; auch ein so trivialer "Roman eines Boxers" wie der von Max Schievelkamp von 1920 legt das nahe.15 Er enthält bereits das fertige Arsenal der mit dieser Figur verbundenen Stereotype: sozialer Aufstieg, Neuanfang durch Abschied von der eigenen sozialen und der gesellschaftlichen Vergangenheit (hier: Adel, Monarchie und Militär), das mönchische Trainingsleben - gefährdet durch die Weichmacher Alkohol, Frauen und Nikotin -, ein (konservativ aufgelöstes) Emanzipationsdrama mit selbständigen und unselbständigen Frauen, deren Voyeurismus, die Großstadt als Fabrik und als Sumpf, die Entgegensetzung von ehrlicher Sportarbeit und verdorbener Gesellschaft, ihre Theater eingeschlossen, usf.
Während es bei Karin Rase trotz expressiver Kunst aus aufregendster Zeit ästhetisch recht beschaulich zugeht, unternimmt Stephan May alles, um sowohl der Modernität des Mediums Film als auch der des Berufsboxens gerecht zu werden. Schock ist das Thema der komplexen und zupackenden Studie "Faust trifft Auge. Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms". Vor allem Benjamins Theoreme über moderne Erfahrung und Deleuzes Arbeiten über filmische Intensität werden dafür genutzt, daneben kommen Eisenstein, Freud, Kracauer, Lacan und Foucault zum Einsatz. Film und Sport sind in ihrer Erfolgsgeschichte eng miteinander verbunden, und das Boxen stand gleich an der Wiege, bei Edison wie bei Skladanowsky. May konzentriert sich auf die Entwicklung seit den dreißiger Jahren, besonders auf die einflußreichen Werke "Body and Soul", "The Set up", "Fat City", "Raging Bull" und die "Rocky"-Serie. Der Horizont umfaßt jedoch nahezu die gesamte Geschichte bis zum Jahr 2000, von Edisons Kinetograph (1894) bis zu "Fight Club" (1999) und "Gladiator" (2000). "Girlfight" (2000) und neuere Dokumentarfilme über Boxerinnen bleiben jedoch unbeachtet. Mit drei verschränkten Perspektiven - "Achsen" - begegnet May der Faszination des Filmboxers (Körper, Milieu, Glauben und Gewalt): der "Mythologie des Opferkampfes", die mit den Popularmythen des Westerners der Frontier-Zeit und des Gangsters verglichen wird, die "Attraktion schlagender Körperlichkeit" und die "Reflexion erschütterten Daseins", bei der May immanente ästhetische Reflexionen auf die Filmerzählungen, die "das Lesen" anregen, hervorhebt: Rhythmuswechsel, die Differenz von Boxer- und Schauspielerkörper, Oberflächeninszenierungen in Spannung zum Handlungsverlauf u.a. Auf ästhetische Kreativität im Dienste spiritueller Freiheit läuft diese Betrachtung hinaus. May stellt nicht nur dar, wie der Filmboxer und seine Kämpfe innerhalb und außerhalb des Rings gemacht werden, sondern auch wie dieses Genre die ästhetische Theorie bereichern kann, etwa die noch zu sehr der Wahrnehmungskontinuität verpflichtete Ästhetik Martin Seels (135ff.) oder Aby Warburgs Pathoskonzept (196ff.).16
Im Verhältnis zu den neuen literaturwissenschaftlichen Arbeiten besteht Mays entscheidende Anregung darin, ästhetischer Form und Medienfragen grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Weg von der bislang vorherrschenden Sportarten-, Themen- und Motivforschung und hin zum Laokoon-Problem führt eine zur historischen Bildwissenschaft erweiterte Kunstwissenschaft, wie sie etwa Horst Bredekamp anstrebt. Einen anderen Weg weist Michael Franz mit einer "literaturwissenschaftlich verankerten Kultursemiotik" in "Von Georgias bis Lukrez. Antike Ästhetik und Poetik als vergleichende Zeichentheorie", dem ersten Band einer Reihe "Historische und systematische Studien zu einer vergleichenden Zeichentheorie der Künste und Kulturformen" (Zentrum für Literaturforschung Berlin). Unter Berücksichtigung moderner, vor allem pragmatistischer Semiotik gibt Franz eine umfassende Darstellung der antiken Zeichentheorien, die in der Anwendung auf den Boxer vom Quirinal, einer heute in Rom, im Thermenmuseum, aufgestellten Plastik, gleichsam kulminiert (542-579). Beim Thermen-Boxer handelt es sich um eine bis auf die Augen und Abnutzungsspuren, die eine einst öffentliche Ausstellung vermuten lassen, vollständig erhaltene Bronze eines sitzenden, mit Caestus bewehrten nackten Faustkämpfers, die im Vergleich zur bekannten klassischen Athletenskulptur durch Kerben und Materialeinarbeitungen ein ungeschöntes, aber nicht mitleidiges Berufs- und Menschenbild ausstellt. Hinweise auf Versehrtheit und Alter steigern den Melancholie-Gestus der Figur, die blockhaft und in der Vereinigung klassischer und hellenistischer Merkmale zugleich heterogen gebildet ist. In FranzÂ’ Erörterung von, so die Überschrift, "Strukturaspekte[n] des semiotischen Phänomenalismus" erscheint sie schnell so anziehend rätselhaft wie der gewaltige Torso vom Belvedere im Vatikan (3. oder 2. Jh. v.u.Z.), einer anderen Kämpferskulptur im gespannten Ruhestadium des "Dazwischen", die vor einigen Jahren als "Sinnender Aias" entschlüsselt und vervollständigt worden ist. Franz beansprucht nicht, die Diskussion um Benennung, Bedeutung und Datierung der Skulptur zu beenden. Aber unter Zusammenführung von politischer Geschichte (Poliskrise und römische Haltungen zur griechischen Kultur), mit Veränderungen von Athletismus und Festspielkultur, Geistesgeschichte (Kynismus, Stoa, Epikurismus), Kunstgeschichte (Polyklet, Lysipp u.a.) und Mythenrezeption (Wandel und Gestaltung des Herakles-Bildes) kann er die Einordnung in das 1. Jh. begründen, indem er über die Stilanalyse hinaus den Blick auf die kommunikative Offenheit eines monumentalen künstlerischen Ganzen und auf seine "indexikalisch-symbolischen Verweisungen" richtet (551, 574).17 Faktisch ergänzt er damit auch den Katalog zur eingangs erwähnten Klassik-Präsentation, welche Veränderungen des griechischen Athletismus nach der römischen Kolonisation ausläßt.

Problemfall Sport und Literatur
In ihrer Einführung gibt Nanda Fischer einen kurzen Überblick über die Standardmonographien zum Sportdiskurs in der US-Belletristik und ihrer Geschichte. Daraus ist ersichtlich, wie tief die kulturelle Versportung der USA im 19. und 20. Jh. reicht und wie fortgeschritten das Wissen über Heldentypen, das Verhältnis von Spiel und Arbeit, Spielen und Sporten, "Sportlertum" und "Spielertum"18 bereits ist. Allerdings herrscht selbst in den USA kein Konsens darüber, was genau den Gegenstand einer Erforschung von Sprache und Literatur des Sports bildet. Dafür gibt es seit 1983 ein Forum, dies zu diskutieren: "Arete. The Journal of Sport Literature", seit 1988 unter dem Titel "Aethlon". Eine solche Zeitschrift könnte sich in Deutschland wohl nur schwer halten. Deutsche Fans dürfen auch nicht hoffen, jedes Jahr einen Band "Beste deutsche Sporterzählungen" geschenkt zu bekommen (die Reihe "Best American Sports Writing" erscheint seit 1991). Ein Mangel muß das nicht sein, denn inwiefern US-amerikanische "Sportliteratur" überhaupt ein Maßstab für die deutsche Literatur sein soll und kann, wird über die beliebte Feststellung von Ungleichgewichten hinaus gar nicht gefragt. Doch Veränderungen im öffentlichen Diskurs deuten sich an. Immerhin ging der Kisch-Preis bereits dreimal an Reportagen über lokale und regionale, in allen Fällen ostdeutsche Sportkultur (Christoph Dieckmann: "Eine Liebe im Osten", FC Carl Zeiss Jena, 1994; Birk Meinhardt: "Alle sind wir da, bis auf Erich Honecka", EHC Eisbären Berlin, 1999; Alexander Osang: "Ein brauchbarer Held", "Täve" Schur, 1999). Und die hier versammelten Studien drücken gerade ein fachüberschreitendes Interesse aus. Schon sie allein widerlegen hinreichend Marcel Reich-Ranickis Verdikt von der Literaturunfähigkeit des Sports - es stammt von 1964, wird aber bis heute gern zitiert, um einen Zwist der "feindlichen Brüder" zu beklagen.
Der zumindest als "schwierig" geltenden Beziehung von Sport und Literatur widmet die Zeitschrift "SportZeiten" ein ganzes Heft. Thomas Schmidt führt heutige Spannungen noch einmal auf Auseinandersetzungen um "Winckelmanns körperzentriertes Griechenlandphantasma" im 18. Jh. zurück, in denen die Leibesübungen in der Konkurrenz um die Bildungswege des ganzen Menschen der Literatur unterlagen, deren Sieg dann zu einer "Erblast" für Literatur und Literaturwissenschaft geworden sei.19 Erik Eggers - er provozierte diese Nummer - sieht die Gründe für das von ihm behauptete "Versagen der deutschen Autoren" in fortbestehenden intellektuellen Vorbehalten, dem Mangel an Pathos und Humor im Sportjournalismus - ein Plädoyer für ein ironisch abgesichertes Bekenntnis zum Heldentum nach englischem Vorbild? -, im Meiden biographischer Ansätze in Geschichtsschreibung und Literatur sowie in der langen Instrumentalisierungsgeschichte des Sports. Demgegenüber gewährt Günter Witt eine kurze -literaturpolitische und bibliographische Nachhilfe zum "Platz des Sports in der Literatur der DDR": Nicht den Dichtern, sondern dem Vergessen einer "literarischen Leistung" gilt seine Klage. Weitere Aufsätze haben Horváths Sportmärchen (Stefan Jacob), die gymnastisch-literarischen Kalküle der Renaissance-Dialoge über den Salto von Archangelo Tuccaro (Sandra Schmidt) und den Korpus der Box-Literatur (Manfred Luckas) zum Gegenstand.
Daneben formuliert Michael Gamper einen diskurstheoretischen Zugriff von Literatur auf Sport, mit dem er die Reduktion sportbezogener Literaturwissenschaft auf Motiv-, Autoren- oder Kulturgeschichte verhindern möchte. Denn Literatur könne 1. durch Perspektivenerweiterung stereotype Sporterzählungen untergraben (z.B. LenzÂ’ "Brot und Spiele", 1959), 2. "zeitgenössische Diskurselemente durch Wiedereinspeisung älterer Konzepte als kontingente Konstrukte [...] entlarven" (Musils "Als Papa Tennis lernte", 1931), 3. "Diskurskritik vornehmen, indem sie als ‚reflektierende Wiederholung‘ die Bestimmungen des Sportdiskurses neu konnotiert" (Fleißers o.g. Essay von 1927 und die Romanfassung von 1931), 4. "mit der ‚reflektierenden Wiederholung eine intermediale Diskursreflexion betreiben, indem sie die spezifische mediale Aufbereitung des Sportdiskurses thematisiert" (Jelineks "Sportstück", 1998; Jelineks weitere Sportkritik bleibt hier wie auch bei Leis unbetrachtet; 45-51, im Orig. z.T. mit Hervorhebungen). Alle vier Formen und beispielhaften Anwendungen überzeugen, auch und gerade beim "Sportstück", da Gamper mit Foucault, Derrida und Deleuze nicht versucht ist, wie Leis (171f.) unter Rekurs auf Pfeiffers Null-Semantik-These "nicht klar" definierte Körper und Sport gegen ideologische Instrumentalisierungen zu verteidigen, sondern in Jelineks - und, das sei hinzugefügt, Einar Schleefs - postdramatischer Inszenierung eine adäquate Reaktion auf zurichtende Wiederholungen in Medieninszenierungen erkennt. Nur: Diese diskurskritischen Leistungen erbringt die Literatur nicht allein am Sport und dieser empfängt sie nicht allein von anspruchsvoller Literatur. Und: Ist es Zufall, daß der literarische Zugriff auf Körper und Bewegung in diesem Ansatz nicht thematisiert wird? Gampers Diskursanalyse ist hier gleichwohl der entschiedenste Versuch, eine positive Bestimmung des Verhältnisses der Literatur zum Sport vorzunehmen. Faktisch belegt Gamper an der Literatur, was oft auch an der bildenden Kunst frappiert: eine Art doppelter Mimesis mit je eigenen Kreationen und Logiken, worin Kunst das "erste" mimetische Verhältnis des Sports zur Welt offenbart und kommentiert.
Teils direkt, teils indirekt legt dieses Themenheft einige Feststellungen zum für problematisch gehaltenen Verhältnis der Literaturwelt zur Sportwelt nahe. Sie scheinen trivial, seien mangels einer Überblicksdarstellung zur Kennzeichnung der Lage gleichwohl notiert:
Das "Problem" ist zunächst wesentlich eine Erfindung der Sportprotagonisten.
Diese haben zugleich sehr viel, wenn nicht das meiste Material zur Widerlegung der Behauptung, (deutsche) Literaten und Literaturwissenschaft ignorierten den Sport, zusammengetragen.
Die Tradition von "Bildung" und "Kultur" hat die Institutionalisierung des deutschen Sports und die zugehörigen Reflexionsformen in bedeutendem Maße geprägt, ohne daß sie Besonderheiten der Poetisierung oder Nicht-Poetisierung von Sport und Bewegungskulturen hinreichend erklärt. Eine befriedigende Darstellung und Erklärung solcher Besonderheiten unter Beachtung vielfältiger sport-, literatur-, sozial-, wirtschafts-, politik-, kunst- und mediengeschichtlicher etc. Faktoren ist ein Desiderat.
Die Klage über einen deutschen Sonderweg, so sie nicht überhaupt bloß sportapologetisch motiviert ist, beruht in beträchtlichem Maße auf einer völlig einseitigen Ausrichtung an Großbritannien und den USA, darüber hinaus ist sie komparativisch schlecht gestützt; selbst über die entsprechenden Literaturen Frankreichs, Italiens und Spaniens, um nur diese zu nennen, herrscht keine angemessene Vorstellung.
Die Gründe dafür, warum Sport zum literarischen Thema wird, können z.B. in der Begeisterung über Körper- und Bewegungserleben liegen, in der Dominanz eines Zuschauersports, dessen Nobilitierungs- und Finanzierungsverlangen, dem Wandel von Erzähltechniken oder der Randexistenz und dem Hunger von Poeten, die auch sie zum Brot oder in die Nachbarschaft mit anderen Außenseitern treibt. Allgemein sind sie weder in dem Sport noch in der Literatur an sich zu suchen, sondern in historisch-konkreten, veränderlichen Konstellationen, die beide bestimmen und transzendieren.
Die Frage nach dem (weiter zu erforschenden) Wert von Literatur und Sport und ihrer spezifischen Verbindung ist von früheren deutschen Gesellschaften faktisch beantwortet worden - in poetischen und sportlichen wie politischen, militärischen, pädagogischen u.a. Zwecksetzungen sowie in deren Abwehr. Neue Antworten verlangt die liberale Demokratie - falls es noch dieses Modell sein soll: Wie wollen wir leben und miteinander umgehen? Was bedeuten uns Wettbewerb, Kampf, Konflikt und Kooperation; Individualität, Autonomie und Gemeinsinn; (Höchst-)Leistung, Sieg, Niederlage und Scheitern; Authentizität, Performanz und Inszenierung; Hierarchie, Elite, Fairneß und Gewalt; Geschlechter und Gender...? In welchen - möglichst effektiven und interessanten - Formen von Öffentlichkeit wollen wir darüber verhandeln, und wie können sich die Intellektuellen in diesen positionieren?
Die Einschätzung, nach dem Ende des Kalten Krieges sei der Sport endlich frei von eindeutigen, äußeren Zwecksetzungen und damit auch frei für die Literarisierung, bildet ein Gegenstück zu Sloterdijks Schäumen gegen den Sport-Totalitarismus. Sie verdankt sich signifikant sorgloser Blindheit sowohl für die beschleunigte Rationalisierung, Professionalisierung und Kommerzialisierung von Freizeit- und Leistungssport seit den Neunzigern und für die gleichzeitige Versportung des neoliberalen Wirtschafts- und Menschentyps als auch für neue politisch-patriotische Eitelkeiten wie denen des Innenministeriums, dessen oberster Diener sich bevorzugt mit Großereignissen schmückt, die Deutschland der Welt zeigen, und dafür gern einmal den Einsatz für Kinder- und Jugendsport vernachlässigt. Hier ist das Feld der Zwecke, auf dem auch das Spiel von und zwischen Sport und Literatur läuft, in Sport-, Literatur- und anderen Öffentlichkeiten, nicht zuletzt der politischen. Das Sammeln und Sichten von "Sport-Literatur" wird unvermeidlich weitergehen20, doch so wie die Theorie sich der Vielfalt der Diskurse und deren Realien stellen muß, ist die Empirie auf die reflexive Versicherung ihrer gesellschaftspolitischen Voraussetzungen angewiesen. Das mag sich alles übertrieben politisch anhören, doch die Themen der "Sportliteratur" waren von Beginn an nicht klein - das dokumentieren alle genannten Untersuchungen. Und letztlich leben die vielbeschworenen Utopien Sport und Literatur von dem, wovon sie sich entfernen.

Anmerkungen
1 Die griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit. Berlin, Mainz: Antikensammlung Berlin - SMPK, Philipp von Zabern 2002. Siehe zum folgenden z.B. Ulrich Sinn: Das antike Olympia. Götter, Sport und Kunst. München: C.H. Beck 2004.
2 Peter Sloterdijk: Schlagfertig. Müssen wir die Gewalt in der Popkultur neu betrachten? [...]. In: Der Tagesspiegel, 24.11.2002, S7. Ich beziehe mich im folgenden vor allem auf: Ders.: Im selben Boot. Versuch über die Hyperpolitik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993; Ders.: Peter Sloterdijk im Gespräch mit Hans-Jürgen Heinrichs: Die Sonne und der Tod. In: Lettre International, (2000) 48, 32-47; Ders.: Sphären II, 1. Exkurs 1: Später Sterben im Amphitheater. Über den Aufschub, römisch, 326-339; Sphären III, C 2: Die Kollektoren. Zur Geschichte der Stadion-Renaissance, 626-646; über das "Phonotop" vgl. Sphären III, 362, 377-387.
3 Siehe jüngst zum historischen Sinn von Parlamentsstrukturen: Philip Manow: Der demokratische Leviathan - eine kurze Geschichte parlamentarischer Sitzanordnungen seit der französischen Revolution. In: Leviathan 33 (2004) 3, 319-347.
4 Differenzierte und kontextbewußte Einschätzungen werden z.B. erarbeitet in: Carlin Barton: The Sorrows of the Ancient Romans. The Gladiator and the Monster. Princton: Princton University Press 1993; Dies.: Roman Honor. The Fire in the Bones. Berkeley: University of California Press 2001; Marcus Junkelmann: Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren. Mainz: Philipp von Zabern 2000; Ders.: Hollywoods Traum von Rom und die Tradition des Monumentalfilms (Kulturgeschichte der antiken Welt, 94). Mainz: Philipp von Zabern 2004; Eckart Köhne, Cornelia Ewigleben (Hg.): Caesaren und Gladiatoren. Die Macht der Unterhaltung im antiken Rom. Mainz: Philipp von Zabern 2000; Donald G. Kyle: Spectacles of Death in Ancient Rome. London, New York: Routledge 1998; Thomas Wiedemann: Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom. Darmstadt: Primus 2001 (Emperors and Gladiators, London: Routledge 1992). - Zum Stand der Diskussionen über die Öffentlichkeitskultur der Römischen Republik siehe Karl-Joachim Hölkeskamp: Rekonstruktionen einer Republik. In: Historische Zeitschrift, Beiheft 38. München: Oldenbourg 2004.
5 Selbst eine so vielschichtige Untersuchung wie "Sport Fans. The Psychology and Social Impact of Spectators" stellt Zuschaueraggression in den Mittelpunkt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß keine der bekannten positiven oder negativen Deutungen der gesellschaftlichen Wirkungen von Sportzuschauerschaft qualitativ und quantitativ hinreichend begründet sind (Daniel L. Wann [u.a.], New York, London: Routledge 2001, 207). Zur theoretischen Modellierung von Publikumsmotiven siehe zuletzt: Karl-Heinrich Bette: Sportbegeisterung und Gesellschaft. In: Carsten Kruse, Ilka Lüsebrink (Hg.), Schneller, höher, weiter? Sportpädagogische Theoriebildung auf dem Prüfstand (Schriften der Deutschen Sporthochschule Köln, 49). Sankt Augustin: Richarz 2004, 46-78. Eine Raumblindheit der deutschen Sportwissenschaft konstatiert Bernhard Boschert: Der Sport und der Raum - der Raum des Sports. In: SportZeiten, 2 (2002) 2, 19-37.
6 Klaus Ullrich: Die Urenkel des Spartacus. Zur Geschichte und zum Werdegang der Kinder- und Jugendspartakiaden der DDR. Mit Beiträgen von Horst Schiefelbein und Wolfgang Richter. Berlin: Sportverlag 1972, bes. 7-34; Ders.: Spartakiademosaik. Anekdoten, Episoden, Protokolle, Reportagen, Skizzen. Berlin: Sportverlag 1983, bes. 124-137; Heinz Florian Oertel: Immer wieder unterwegs. Berlin: Sportverlag 1966, 44-57.
7 Christiane Eisenberg erweiterte ihr Argument von der Eigenweltlichkeit des Sports inzwischen zum programmatischen Aufruf, die Sportgeschichtsschreibung neu zu orientieren: Die Entdeckung des Sports durch die moderne Geschichtswissenschaft. In: Hans Joachim Teichler (Hg.), Moden und Trends im Sport und in der Sportgeschichtsschreibung. Hamburg: Czwalina 2003, 31-44; siehe auch die Kontroverse darum in "Sport und Gesellschaft" 1 (2004) 1, 73-95.
8 Stephanie Haerdle: Darstellungen von Boxsport und Boxsportlern in der Literatur der Weimarer Republik. Magisterarbeit, Institut für Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin, 2003. Die Autorin fand sechs Box-Unterhaltungsromane zwischen 1920 und 1931, von denen zuvor nur zwei im Kontext von "Sport und Literatur" (durch Nanda Fischer) diskutiert wurden. "Der große Kampf. Roman" von Ludwig v. Wohl wäre ein siebenter, obgleich er hauptsächlich in Paris und New York spielt und nur ein kurzes Lob "des in Deutschland doch noch so jungen Boxsportes" aus französischem Munde enthält (Berlin, Leipzig: K.F. Koehler 1926, 222-229). Auch die herangezogenen Texte von Leonhard Frank, Erich Kästner und Ernst Krenek bereichern das Analysematerial. Die insgesamt hervorgehobenen Motive sind: Modernität, Abwehr des Rohheitsvorwurfs, Tier- und Maschinenmetaphorik, Männlichkeit, Heldenscheitern, Nationalismus und Rassismus, Größenwahn, Domestikationsversuche durch Frauen.
9 Gewisse, aus der Dominanz von Körpersprache erwachsende und besonders Außenstehenden auffallende Schwierigkeiten verbaler Kommunikation unter Boxern beobachtet Torsten Schulz in "Der Boxermacher. Manfred Wolke und seine Champions" (Leipzig: Gustav Kiepenheuer 2002). Mit Besonderheiten nicht-verbalen Lernens und seiner Erforschung im überwiegend nicht von den Aktiven selbst verschriftlichten Boxen bzw. WWF-Wrestling befassen sich Laurence DeGaris: Meanings and Identities in Boxing: Intersections of Race, Ethnicity, Gender, Class, and Age, Doctoral Diss., Storrs: University of Connecticut 1997 (unveröff.); Loïc Wacquant (Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto, Konstanz: UVK 2003). Stellungnahmen zum Methodenstreit zwischen diesen beiden teilnehmenden Beobachtern erscheinen demnächst in der Zeitschrift "Sport und Gesellschaft".
10 Zum Beispiel W.K.v. Nohara: Theo boxt sich durch. Berlin-Grunewald, Augsburg: Vier Tannen 1949; Werner Bauer: Arne boxt sich durch. Berlin: Der Kinderbuchverlag 1978. Eine Übersicht gibt Rolf Geßmann: Kinder- und Jugendliteratur zu Sport und Spiel: Eine kommentierte Bibliographie (Schriften der Deutschen Sporthochschule Köln, 32). Sankt Augustin: Academia 1995.
11 Ulrike Schaper (Boxen und Männlichkeit in der Weimarer Republik. Magisterarbeit, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin 2004) untersucht Codierungen des Boxens (Männlichkeit, Aufstiegstraum, Lebenskampf, Kriegsersatz), des Boxers (Härte, Tatkraft, Schnelligkeit, Wille, Fairneß, Intelligenz, Sachlichkeit, Schönheit u.a.) und dessen Positionierung zwischen "Natürlichkeit und Technik" in bezug auf den Wandel der Geschlechterverhältnisse.
12 Joyce Carol Oates: You Must Remember This, New York: E.P. Dutton 1987 (Die unsichtbaren Narben, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1992); Dies.: Golden Gloves. In: Dies., RavenÂ’s Wing. Stories. London: J. Cape 1987, 50-69. Zur Interpretation siehe Kasia Boddy: Watching the Fight: Women Spectators in Boxing Fiction and Film. In: Tim Armstrong (ed.), American Bodies. Cultural Histories of the Physique. Sheffield: Academic Press 1996, 204-212; Daniel Morris: Performing Violence. Joyce Carol Oates on Boxing and the Paintings of George Bellows. In: Ders., Remarkable Modernisms. Contemporary American Authors on Modern Art. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2002, 139-154. Morris diskutiert den Vergleich von Schreiben/Malen und Boxen und das Problem der Repräsentation von Gewalt.
13 Siehe z.B. die divergierenden Urteile über die Besonderheiten femininer Sportstimmen (Außenseiterposition und Autonomiestreben, Betonung körperlicher Ganzheit, von Gemeinschaftlichkeit, Schwesterschaft und Solidarität, Ablehnung von aggressivem Wettkampf und Hagiographie u.a.) in: Susan J. Bandy: The Female Voice in American Sports Literature and the Quest for a Female Sporting Identity. In: Michael Cocchiarale, Scott D Emmert (eds.), Upon Further Review. Sports in American Literature. Westpont, CT; London: Praeger 2004, 99-109; Don Johnson: The Sporting Muse. A Critical Study of Poetry About Athletes and Athletics. Jefferson, NC; London: McFarland 2004, 103-119.
14 Rases Buch enthält aus Kostengründen nur 55 Abbildungen, die Dissertationsschrift (Kunsthistorisches Institut der FU Berlin, 2001, Bd. 2) 167, teils farbige Abbildungen. Weiterführende Überlegungen zu Boxen und Boxerkörper in der bildenden Kunst der Zwanziger finden sich bei Angela Stercken: Vom Fortschreiten der Kunst, vom Fortschritt des Menschen. In: Hans Körner, Angela Stercken (Hg.), 1926-2002/ Ge So Lei. Kunst, Sport und Körper. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2002, 250-278.
Das Verhältnis von "Kunst und Sport" betrachteten jüngst auch zwei Bände (169, 170) des "Kunstforum. International" 2004; Bd. 169 enthält zwei Aufsätze über antike und moderne Stadionbauten: "Von der Erdmulde zur Hysterieschüssel". - Zum kontroversen innerdeutschen Vergleich siehe Britta Schmidt: Kalter Krieg auf dem Ascheplatz. Momente der Sportdarstellung in der bildenden Kunst Ost- und Westdeutschlands. In: Sport in der zeitgenössischen Kunst. Kunsthalle Nürnberg, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2001, 78-119 (deutsch und englisch); Günter Witt: Bewundert, geschmäht - auch vergessen? Malerei, Grafik und Plastik der DDR zum Thema Sport. In: Beiträge zur Sportgeschichte, Nr. 15 (2002), 18-31. Die wohl erste westliche Monographie über Sport und Körperkultur in der frühen sowjetischen Kunst stammt von Nina Sobol-Levent: Healthy Spirit in a Healthy Body. Representations of the Sports Body in Soviet Art of the 1920s and 1930s. Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 22004. Zu den heute vergessenen Dokumenten dieser Geschichte gehört die umfassende, noch international ausgerichtete Ästhetik der "fizkulÂ’turnoe iskusstvo" von S.[V.] Mileev: Iskusstvo i fizičeskaja kulÂ’tura. Moskva, Leningrad: FizkulÂ’tura i turizm 1931; ihre Eckpunkte: der vollendete Körper und die Bewegung als Gegenstände; das Ideal und "Problem" der Nacktheit; Natur, griechische Kunst und Maschinen als Vorbilder; das Primat der Statue; Fortschritts- und Aufbaupathos, Formationstheorie und Erziehungsauftrag der Kunst.
15 Max Schievelkamp: In der dritten Runde. Der Roman eines Boxers. Leipzig-Reudnitz: Verlagsanstalt Vogel & Vogel 1920 (bei Fischer irrtümlich: 1921).
16 Vor allem mit der Darstellung von Klassen- und "Rassen"-Konflikten in den von May analysierten Filmen befaßt sich Aaron Baker in: Contesting Identities. Sport in American Film. Urbana and Chicago: University of Illinois Press 2003.
17 Franz weicht damit ab von Nikolaus Himmelmanns Darstellung und der Datierung auf das 1. Jh. v.u.Z. (in: Ders. (Hg.), Herrscher und Athlet. Die Bronzen vom Quirinal. Milano: Olivetti 1989), auf die Karin Rase (40f.) sich stützt.
18 Zu dieser wichtigen Unterscheidung siehe John Dizikes: Sportsmen and Gamesmen. Columbia and London: University of Missouri Press 2002 (Boston: Houghton Mifflin 1981).
19 Weiterführend zu den Debatten um das Griechenvorbild nach Humboldts Weichenstellung für die Gymnasialbildung: Ingomar Weiler: The Living Legacy: Classical Sport and Nineteenth-Century Middle-Class Commentators of the German Speaking Nations. In: J.A. Mangan (ed.), Reformers, Sport, Modernizers. Middle Class Revolutionaries. The European Sports History Review 4 (2002), 10-34. Wirkungen der Griechenidealisierung auf die Sportikonographie behandelt Esther Sophia Sünderhauf: Griechensehnsucht und Kulturkritik. Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840-1945. Berlin: Akademie Verlag 2004.
20 Unkommentiert seien hier weitere Titel aufgeführt, die auf verschiedene Weise zum Thema gehören und o.g. Bibliographien ergänzen: Leila Ali, with David Ritz: Reach! Finding Strength, Spirit, and Personal Power. New York: Hyperion 2002; Aufwind, Endspurt, linker Haken. Sporterzählungen. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1953; Helmut Belke: Der Faustkampf. Mit Holzschnitten von Gerd Schittek. Hamburg: Hansischer Gildenverlag 1948; Jean-Paul Besse: Les Boxeurs et les Dieux. LÂ’esprit du ring dans lÂ’art et la literature. Paris: LÂ’Harmattan 1998; Marion Brandt: TURNVATER UNSER. Zur Sportthematik in ausgewählten literarischen Texten. In: Helga Grubitsch, Eva Kaufmann, Hannelore Scholz (Hg.), "Ich will meine Trauer nicht leugnen und nicht meine Hoffnung". Veränderungen kultureller Selbstwahrnehmungen von ostdeutschen und osteuropäischen Frauen nach 1989. Bochum: Dr. Dieter Winkler 1994, 81-93; Roald Dahl: Matilda. London: Viking Books 1988 (Reinbek: Wunderlich im Rowohlt 1989); Paul Gallico: Matilda. New York: Coward-McCann 1970 (K.O. Matilda. Aus dem Englischen von Rudolf Rocholl. München, Gütersloh, Wien: C. Bertelsmann 1972); Robert Hedin, Michael Waters (eds.): Perfect in Their Art. Poems on Boxing from Homer to Ali. Carbondale: Southern Illinois University Press 2003; Wolfgang Hilbig: gewöhnlicher rassismus. In: STIMME STIMME. Gedichte und Prosa. Leipzig: Philipp Reclam jun. 1983, 74; Ders.: Das Provisorium. Roman. Frankfurt a.M.: S. Fischer 2000; Nadja Klinger: Volleyball. In: Lichtungen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik 33 (2002) 91, 122-127; Werner Krauss: Die nabellose Welt [ca. 1964-1967]. Berlin: BasisDruck 2001; Thomas Leabhart (ed.): Theatre and Sport. In: Mime Journal 1996; Kito Lorenz: In fairem Wettstreit. In: Ders., Wortland. Gedichte aus zwanzig Jahren. Leipzig: Reclam 1984; Claudius Luenstedt: Musst boxen. In: Ders., Zugluft. Musst boxen. Vaterlos. Drei Stücke. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 2004, 47-90; Steffen Mensching, Hans-Eckardt Wenzel: Die Letzte Ölung; Die Meisenwürger vom Friedrichshein. In: Dies., Der Abschied der Matrosen vom Kommunismus. Texte der Revuen. Berlin: Eulenspiegel Verlag 1999, 7-40, 183-221; Claude Meunier: Ring noir: Quand Apollinaire, Cendrars et Picabia découvraient les boxeurs nègres. Paris: Plon 1992; Leo N. Miletich: Dan StuartÂ’s Fistic Carnival. College Station, TX: Texas A&M University Press 1994; Christine Müller: Casanova boxt sich durch. In: Dies., Männerprotokolle. Berlin: Der Morgen 1985, 10-25; Juri Olescha: Neid. Roman [1927]. Aus dem Russischen. von Ingeborg Schröder. Berlin: Volk und Welt 1973; Nick Pitt: The Paddy and the Prince. The Making of Naseem Hamed. London: Yellow Jersey Press 1998; Marian Prominski: Der Torwart von Santa Barbara und andere Sportnovellen (OpowieÅ›ci Sportowe) Berlin: Sportverlag 1953; Franco Ruffini: Teatro e Boxe. LÂ’ "atleta del cuore" nella scena del Novecento. Bologna: Il Mulino 1994; Peter W. Schmidt (Hg.): Manege frei! Zirkusgeschichten. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 1994; Emil Szittya: Der Mann der immer dabei war. Roman [1929-30]. Wien: Löcker 1986; Kurt Tucholsky: Deutschland, Deutschland über alles. Ein Bilderbuch von Kurt Tucholsky und vielen Fotografen. Montiert von John Heartfield. Reinbek: Rowohlt, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1929, 1964ff.; Gene Tunney: Wie ich Weltmeister wurde. Berlin-Schöneberg: Peter J. Oestergaard Verlag o.J. [1927]; Klaus Ullrich: Murphys letzter Kampf. Kriminalerzählung. Berlin: Militärverlag der DDR 1983 (Das Taschenbuch, 210); Kazimiez WierzyÅ„ski: Olympischer Lorbeer. Zur IX. Olympiade. Aus dem Polnischen von Josef Heinz Mischel. Berlin-Grunewald: Horen-Verlag, 1928; Gareth Williams: "The Dramatic Turbulence of Some Irrecoverable Football Game": Sport, Literature and Welsh Identity. In: Grant Jarie (ed.), Sport in the Making of Celtic Culture. London, New York: Leicester University Press 1999, 55-70; Hedda Zinner: Selbstbefragung. Berlin: Der Morgen 1989, 158-160.

Besprochene Literatur

Jürgen Court (Hg.): Was ist Sport? Sportarten in der Literatur (Texte - Quellen - Dokumente zur Sportwissenschaft, 30). Schorndorf: Hofmann 2001, 239 Seiten
Nanda Fischer: Sport als Literatur. Traumhelden, Sportgirls und Geschlechterspiele. Zur Theorie und Praxis einer Inszenierung im 20. Jahrhundert. Eching: F+B, Abb., 315 Seiten
Michael Franz: Von Georgias bis Lukrez. Antike Ästhetik und Poetik als vergleichende Zeichentheorie. Berlin: Akademie Verlag 1999, Abb., 680 Seiten
Mario Leis: Sport in der Literatur (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 67). Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000, 270 Seiten
Manfred Luckas: "Solange du stehen kannst, wirst du kämpfen." Die Mythen des Boxens und ihre literarische Inszenierung. Berlin: dissertation.de - Verlag im Internet 2002, 396 Seiten
Stephan May: Faust trifft Auge. Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms. Bielefeld: transcript 2004, 30 Abb., 414 Seiten
Hanns-Marcus Müller: "Bizepsaristokraten". Sport als Thema der essayistischen Literatur zwischen 1880 und 1930. Bielefeld: Aisthesis 2004, 231 Seiten
Karin Rase: Kunst und Sport. Der Boxsport als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Mit einem Geleitwort von Jan Hoet (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII, 396). Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, 55 Abb., 328 Seiten
Peter Sloterdijk: Globen. Sphären II. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, Abb., 1015 Seiten; Schäume. Sphären III. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, Abb., 916 Seiten
Sport und Literatur. In: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 3 (2003) 1, S. 4-111.

Dr. Wolf-Dietrich Junghanns, Philosoph, Stanford University / Berlin Study Center