Die scheußliche Dialektik des Windrades

Das Windmühlengeschäft wandelt sich: Am Anfang waren es Pioniere, die für die neue umweltschonende Technologie plädierten und das Einspeisungsgesetz durchsetzten. Dann wurde das Kapital hellhörig

Steffen Gäde machte 1991 seinen Facharbeiter für Pflanzenproduktion mit Abitur in einer LPG bei Jüterbog. Kurz danach mußte er zur Bundeswehr, anschließend war er arbeitslos. Nur jeweils im Sommer arbeitete er als Erntehelfer bei einem Bauern im Dithmarschen. "In der DDR war der Weg festgelegt gewesen, jetzt mußte ich mir selbst was überlegen." In der Prignitz gründete sich damals ein Verein zur Förderung von erneuerbarer Energie. "Wie funktioniert das mit Windkraftanlagen in Brandenburg?" fragte Steffen den Vereinsmitarbeiter Gerd Großer - und der spulte sein ganzes Wissen darüber ab, obwohl er dachte: "Dieser arbeitslose Jung-Traktorist kann ja doch nichts damit anfangen."
Steffen hatte bereits eine Windkraftanlage bei seinem Dithmarscher Bauern kennengelernt, der ihm jedoch entschieden abgeraten hatte: "Das funktioniert nicht im Binnenland." Ende 1991 wurde in der Prignitz die erste WKA aufgestellt, sie bewies in der Folgezeit, daß sich auch in Brandenburg Windenergie produzieren ließ. "Es gab dann ein Rieseninteresse an Windkraft. Ich hatte mir da schon einen Standort für die Windmühle ausgekuckt: auf dem Bennsberg in der Nähe, wo ich wohne." Die inzwischen in der Prignitz gegründete Gesellschaft für Projektmanagement Zopf GmbH fing sogleich an, die Anträge für ihn zu stellen, unter anderem bei der Preussen-Elektra-Tochter Märkische Energie-Versorgungs-AG (MEVAG) einen Antrag auf Netzanschluß.
Und beim Umweltministerium in Potsdam einen Fördermittelantrag: "Das ist im Prinzip eine Subvention des Landes." Ferner kümmerte sich Steffen Gäde um eine Bauvoranfrage bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Landkreises und um Bundeszuschüsse aus dem Projekt 250 Megawatt Wind. Außerdem mußte noch ein Standortgutachten beigebracht werden sowie ein ornithologisches Gutachten und ein Windgutachten, das die Zopf GmbH selbst erstellte. "Ich hatte sehr viel Idealismus, und mit der Aussicht, daß es vielleicht doch klappen könnte, wurden auch alle Widerstände überwunden." Weil ihm keine märkische Bank einen Kredit geben wollte, ging Steffen Gäde zu seinem Dithmarscher Bauern und mit dem zu dessen Commerzbank-Filiale in Brunsbüttel. Zwischendurch arbeitete er auch noch zwei Wochen bei einem Bioreisbauern in den japanischen Alpen - das Reisegeld hatte er sich zuvor bei seinem Dithmarscher Bauern verdient. Er entschied sich für eine WKA der Husumer Firma Vesta - mit einem Turm aus Stahlsegmenten, einer Naben-Höhe von 53 Metern, einem Rotor-Durchmesser von 39 Metern, mit 500 Kilowatt Nennleistung und einem durch das Standort-Windgutachten errechneten Jahres-Energieertrag von 720 000 Kilowattstunden. Die Anlage kostete 1994 insgesamt 1,07 Millionen Mark. Die MEVAG zahlte 1996 gemäß des Energieeinspeisungsgesetzes 17,21 Pfennig pro Kilowattstunde. Die Landesförderung, die dreißig Prozent der Gesamtkosten betragen sollte - es waren dann jedoch nur 26,7 Prozent beziehungsweise 297 000 Mark -, setzte die Commerzbank anstelle des fehlenden Eigenkapitals ein. "Da ich unterdessen ein frischgebackener Student ohne Bafög und ohne Einkünfte war, sollten wenigstens meine Eltern eine 250 000-Mark-Bürgschaft übernehmen, was sie dann auch taten. Hinzu kam noch zur Sicherheit die Eintragung einer Grunddienstbarkeit ins Grundbuch des Land-Eigentümers."
Steffen war nur Pächter. Im März 1995 wurde die Anlage aufgebaut und ging ans Netz. Seitdem läuft sie - "und zwar in der von Vestas angegebenen Verfügbarkeit von 98 Prozent. Der Wassermühlenbesitzer Gerd Grosser meinte, nachdem Steffen Gäde auf diese Weise Windmüller geworden war: "Nie hätte ich gedacht, daß er das schaffen würde, wo selbst ich, der ununterbrochen die Windenergie propagierte, das nicht ernsthaft in Angriff genommen hatte." 1999 beendete Steffen Gäde sein Studium Landeskunde und Umweltschutz und nahm einen Job als Meß- und Prüfingenieur bei der Firma Wind-Consult an, wo er Wind- und Ertragsprognosen für Windenergieanlagen sowie auch Windpotentialstudien erstellte. Zwei Jahre später kündigte er und absolvierte eine Ausbildung zum Projektmanager. Dann erwarb er ein Haus in einem Dorf bei Rostock, machte sich selbständig und gründete eine Familie. Und die ganze Zeit verlor er seine gute Laune nicht.
Unterdessen wandelte sich jedoch das ganze Windmühlengeschäft: Am Anfang waren es Pioniere, die für diese neue umweltschonende Technologie plädierten (gegen die Stromkonzerne, die ein Gebietsschutzmonopol besaßen) und das Einspeisungsgesetz durchsetzten. Besonders in der Prignitz entwickelte sich das zu einer regelrechten (und staatlich geförderten) WKA-Bewegung, mit der etliche kleine Firmen, das heißt Arbeitsplätze, in der Region entstanden. Aber dadurch wurde das Kapital hellhörig: In München und Stuttgart entstanden Ökofonds, die Gelder von Zahnärzten et cetera akquirierten und ganze Windparks planten - im Osten; denn in Baden-Württemberg und Bayern wollte man diese landschaftsverschandelnden rotierenden Türme nicht haben. Aber auch im Osten mußte man die Bürgermeister erst mal "überzeugen": Die schwäbischen Smarties argumentierten, es sei besser, die dafür ausgewiesenen Gebiete mit ganzen WKA-Clustern "aus einer Hand" zu bestücken, als wenn da jeder, der will, eine WKA hinstelle. Außerdem boten sie den Gemeinden kleine Geschenke an: eine Kita hier, eine Dorfplatzverschönerung da. Die Bürgermeister unterschrieben; aber dann murrten immer mehr Dorfbewohner: Sie hatten nichts davon, außer ständig diese surrenden Riesenspargel vor Augen.
Einige Bürgermeister versuchten daraufhin, vom Vertrag zurückzutreten. Da kannten sie aber die schwäbischen Fondsverwalter schlecht, die ihnen prompt eine Rechnung über 600 000 Euro schickten - für die bereits angelaufene Planungsarbeit. Die zumeist ehrenamtlichen Bürgermeister bekamen darob Hitzewallungen und Panikattacken - jedesmal wenn der Postbote kam. Schließlich erklärten sie sich einverstanden mit dem "Windpark" - und schimpften dafür über ihre verstockten Dörfler.
Um es kurz zu machen: Wir müssen dieser scheußlichen Dialektik Rechnung tragen - und weiter gegen diese Windmühlenflügel kämpfen! Selbst der Vorsitzende des Verbandes der WKA-Betreiber, ein friesischer Bauer mit zwei eigenen WKAs, meint: "Man darf solche Anlagen nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen und einfach irgendwo hinstellen."

in: Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII) Berlin, 4. Juli 2005, Heft 14