WASG/PDS: Politische Neuformierung

Kurt Neumann (PDS)und Joachim Bischoff (WASG) schauen über die Bundestagswahl hinaus.

Mit seiner Ankündigung vorgezogener Neuwahlen hat Gerhard Schröder die Herausbildung einer gesamtdeutschen linken Alternative zur Sozialdemokratie enorm beschleunigt. Der massive Zeitdruck birgt allerdings auch die große Gefahr, dass ein Prozess, der eigentlich ein politischer Prozess sein soll, sich auf einen organisatorischen reduziert, der den notwendigen politischen Aufbruch erstickt. Über die Bündnisliste zu den Bundestagswahlen und den Aufbau einer Linkspartei danach sprach Angela Klein mit KURT NEUMANN von der PDS (Mitarbeiter der MdEP Tobias Pflüger und Sarah Wagenknecht) und JOACHIM BISCHOFF vom Bundesvorstand der WASG.

KURT NEUMANN
Wie bewertest du das Verhandlungsergebnis zwischen PDS und WASG? Es gibt Kritik am Ungleichgewicht zwischen PDS und WASG.
Ich finde es richtig, dass man gemeinsam dafür sorgt, dass es eine wirkliche Opposition im Bundestag gibt. Nach meinen eigenen Prüfungen ist es so, dass sich dies nur machen ließ durch eine Kandidatur auf Listen der PDS. Ich finde es auch richtig, dass man versucht, beim Namen deutlich zu machen, dass es nicht mehr nur die PDS ist, sondern mehr und vor allem mit stärkerer Ausstrahlung im Westen.

Bei den Mitgliedern der WASG kommt es so an, dass sie nun das Recht haben, auf offenen Listen der PDS zu kandidieren, aber keinerlei Einfluss darauf, wie diese Listen aussehen. Manche fordern, die PDS müsse der WASG ermöglichen, die Vertreterversammlungen mitzuwählen, die über die Kandidaturen entscheiden.
Ich halte das nicht für möglich, das wurde von vielen schon durchgeprüft. Ich denke, dass zwei verschiedene Stufen eines Prozesses in eins gesetzt werden. Jetzt geht es darum, die Bundestagswahlen vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass erfolgreich, d.h. rechtlich unanfechtbar eine antineoliberale Position in den Bundestag gewählt werden kann. Für die Zeit danach ist fest vereinbart, dass ein Fusionsprozess eingeleitet werden soll, der natürlich zu einem anderen Ergebnis kommen wird als eine bloß umbenannte PDS.

Bisher ist dieser Prozess ein rein bürokratischer. Man schaut, dass man die Auflagen des Wahlleiters erfüllt, damit man eine Fraktion hinbekommt. Von Inhalten ist noch keine RedeÂ…
Die sollte man jetzt schleunigst auf den Weg bringen. Ich bin sicher, dass die inhaltlichen Übereinstimmungen so groß sind, dass es nicht schwer fallen wird, ein Wahlprogramm zu schreiben. Was die grundsätzliche programmatische Ortientierung betrifft, so ist dieser Prozess mit einem Wahlprogramm nicht zu leisten, das muss der Fusionsprozess nach den Wahlen mit einem Parteiprogramm und einem Parteistatut leisten.

Nun schränkt aber die Art, wie das Zusammengehen beider Organisationen eingeleitet wird, nämlich als rein organisatorisches Top-down-Projekt, den Spielraum für eine Diskussion über die inhaltliche Orientierung ein. Die WASG hat sich ja nicht nur in Kritik an der Politik der Bundesregierung, sondern auch an der PDS gegründet - insbesondere dort, wo diese an der Regierung ist. Wie können solche Debatten zum Tragen kommen, nachdem man eine gemeinsame Fraktion gebildet hat?
Das sind ja auch Diskussionnen innerhalb der PDS. Wir hatten z.B. die Diskussion über die EU- Verfassung, wo eine klare Mehrheit die EU-Verfassung abgelehnt hat, der Berliner Landesverband der PDS dies aber anders sieht und sich anders verhalten wollte. Diese Prozesse werden weitergehen. Ich sehe auch in der WASG unterschiedliche Strömungen. In Berlin gibt es z.B. eine sehr starke, manchmal abstrakt oppositionelle Haltung, während in anderen Bereichen eher eine gewerkschaftlich konstruktive vorhanden ist, bis hin zur Bereitschaft auch zur Regierungsbeteiligung. Da besteht großer Klärungsbedarf. Aber jetzt sind wir in einer Phase, die stark durch formelle Zwänge bestimmt ist. Solange die Bundestagswahlen nicht vorbei sind, können wir bestimmte Diskussionen nicht konstruktiv abschließen - wir müssen rechtzeitig die Kandidaten aufstellen und die Listen einreichen, sonst sind wir vier Jahre nicht im parlamentarischen Prozess.
Man kann sagen, das ist nicht so wichtig, man sollte sich diesen Zwängen nicht unterordnen, wir machen nur die gründliche inhaltliche Diskussion und kommen vielleicht in vier Jahren dazu, ins Parlament zu ziehen. Ich hielte das für falsch, denn in der jetzigen Phase ist es politisch dringend notwendig, dass im Bundestag wieder eine Opposition ist. Gleich welche Regierungskonstellation sich durchsetzt, keine der anderen Parteien im Bundestag stellt eine wirkliche Opposition dar. Da muss was Neues rein, das müssen wir gewährleisten.

Wie wird die Perspektive einer Linkspartei in der PDS diskutiert? Welche Resonanz gibt es auf dieses Projekt in Ostdeutschland?
Das ist unterschiedlich. Es gibt eine Menge Neueintritte, es gibt auch sehr viele, die das stark unterstützen, Es gibt allerdings aus zwei Richtungen auch Vorbehalte in der PDS: die eine ist mehr die Regierungsposition, die dazu neigt, Koalitionen überzubewerten, die andere sagt, wir dürfen sozialistische Positionen nicht durch Fusionen aufs Spiel setzen, wir müssen uns die Handlungsspielräume, die wir in der PDS haben, erhalten.
Kurzfristig denke ich, muss man den Namen PDS, mindestens den Hinweis auf sozialistische Positionen, für die Wahllisten aufrechterhalten. Längerfristig muss man genau diskutieren, was an Traditionen auch der PDS zu bewahren ist. Ich halte das nicht für unwichtig. Denn diese 15 Jahre bedeuten einen Entwicklungsprozess der PDS und der verschiedenen Gruppierungen in ihr, das muss sich in einer neuen parteipolitischen Formation wiederfinden können. Es wird ein Prozess der Annäherung, des wechselseitigen Verstehens, auch des kulturellen Verständnisses einsetzen müssen, der mit der organisatorischen Fusion nicht abgeschlossen ist.

JOACHIM BISCHOFF
Woran ist die Wahlpartei gescheitert?
Eine Wahlpartei hat den Charme, dass sie der Start in eine mittelfristige Perspektive ist. Vom Wahlgesetz her hätte dies aber verlangt, dass beide Parteien sofort ihren Fusionswillen erklären müssen, sonst wäre das nicht durchgegangen. Eine sofortige Fusion hätte die WASG sehr ins Hintertreffen gebracht: Die WASG hat keine Leute mit Mandaten, keinen Apparat, und wir sind sehr viel offener und bezogen auf die gegenwärtigen Fragen des Kapitalismus kritischer aufgestellt. Insofern wäre ein solcher Schritt für die PDS, und eingeschränkter für die Wahlalternative, eine Zerreißprobe geworden. Die PDS ihrerseits hat eindeutig gesagt, das will sie nicht, das kriegt sie nicht hin.

Sie ist also an politischen Gründen gescheitert, die in den jeweiligen Organisationen liegen, nicht an juristischen Gründen?
Ich würde es härter formulieren. Elke Breitenbach vom Berliner PDS-Vorstand hat in einer öffentlichen Diskussion gesagt: Der Vorstand sieht sich in einer Verantwortung gegenüber einem Parteiapparat mit Beschäftigten, er sieht sich in einer Verantwortung gegenüber einer parteinahen Stiftung, die PDS ist seit längerem Bestandteil der staatlichen Parteienfinanzierung, sie hat durch die Wahlverluste in Schleswig-Holstein und NRW auch beträchtliche finanzielle Verluste - in der Größenordnung von 800000 Euro - zu verarbeiten. Zusätzlich zu den politischen Problemen machten dies Probleme der PDS einen Blitzstart in ein solches Projekt nicht möglich.
Weil dem so ist, konnte man nur die beiden Ebenen voneinander trennen. Man musste sagen: Wir wollen eine gemeinsame Liste als Zweckbündnis, dazu brauchen wir eine programmatische Verständigung, aber weil die Fristen so kurz sind und es sich um eine Wahlplattform handelt, müssen nicht alle strategisch-politischen Differenzen geklärt werden. Davon kann einiges in der offenen Diskussion bleiben.
Das Projekt der gemeinsamen Liste gehört auch nicht mehr nur uns. Sie wird von Teilen der Beschäftigten, der sozial Benachteiligten, Rentner usw. gewünscht. Deshalb müssen die beiden Parteien diesen Schritt machen und zusehen, dass sie zu einer Vereinbarung kommen, die die mittelfristige Perspektive nicht zum bloßen Wunschbild verkommen lässt. Wir müssen die strategische Herausforderung begreifen, die darin liegt, es nicht bei einer kurzfristig vereinbarten Wahlliste zu belassen, sondern ernstlich zu prüfen, ob unter den Bedingungen des Kapitalismus im 21.Jahrhundert und der Verstärkung der neoliberalen Offensive soviel Verständigungs- und Veränderungspotenzial da ist, dass man in eine gemeinsame neue politische Formation gehen kann - die dann allerdings für andere offen sein muss.

Die Diskussion über eine neue Partei kann unterschiedlich angegangen werden. In der PDS gibt es offenkundig viel technischere Vorstellungen: Die beiden Parteivorstände setzen sich zusammen, schreiben ein Parteiprogramm und ein Statut und melden das beim Wahlleiter an.
So kann ich mir das nicht vorstellen. Dies wird es natürlich auch irgendwann geben müssen. Aber davor möchte ich, dass wir in der Breite der Gesellschaft und in der Breite der Organisationen diskutieren. Das Argument, das dann immer kommt, es sei ein alter Fehler der Linken, ideologisch an solche Fragen heranzugehen, teile ich nicht. Wenn wir nüchtern mit dem Ausgangspunkt "Defensive" umgehen, sehen wir eine große Gemeinsamkeit unter vielen linken Parteien und Strömungen. Wir haben aber auch große Differenzen, die kommen aus der Geschichte und aus einem unterschiedlichen Blick auf diese Gesellschaft und ihre Entwicklungstendenzen.
Doch wir befinden uns in einer neuen Situation. Das Neue kommt durch die Sozialforen und die globalisierungskritische Bewegung, die alle dasselbe Problem aufwerfen: Wie kann man bei gemeinsamer Zielsetzung mit sehr unterschiedlichen Beurteilungen, Wertungen und theoretischen Zugängen umgehen? Aus meiner Sicht macht es Sinn, solch einen Zugang auch für eine Partei zu versuchen, diese neue Kultur aufzugreifen und weiter zu entwickeln.
Wir brauchen eine relativ breite Phase der Debatte. Wir haben sehr unterschiedliche Auffassungen, wie die sozialen Sicherungssysteme weiter zu entwickeln sind, wir haben große Differenzen, wie der Mix Lohnerhöhung, Erhöhung von Mindesteinkommen, Arbeitszeitverkürzung und öffentliche Investitionen zu gestalten ist. Wir haben eine große offene Baustelle, weil wir die liberalen Maßnahmen zwar zurücknehmen können, damit das Geschäft der Transformation dieser Gesellschaft aber noch nicht erledigt haben.
Wir können versuchen, bestimmte Schwerpunkte in Kommissionen und Kongressen zu behandeln, können dies auf Länderebene untersetzen und dann versuchen, eine Programmatik und ein Statut zu entwickeln.

Kommissionen, das klingt sehr nahe an den bisher bestehenden Parteien.
Deshalb wollen wir so etwas Ähnliches schaffen wie ein paritätisch besetztes Steuerungskomitee - mir ist kein besseres Wort eingefallen-, das wir um andere Strömungen und Organisationen gern erweitern wollen. Es soll den Überblick über den Diskussionsprozess behalten und auf Defizite hinweisen, damit Fragen nicht ausgeklammert bleiben (z.B. bedarfsorientierte Grundsicherung vs. bedingungsloses Grundeinkommen), die in einem Programm geklärt werden müssen.

Gibt es Vorbehalte gegen eine solche Öffnung und einen pluralistischen Parteiansatz?
Ich denke, in der WASG nicht. Ich habe gehört, dass mindestens der linke Flügel der PDS ein solches Vorhaben eher als verstärkte Sozialdemokratisierung einer sozialistischen Partei wertet. Ich halte das zwar für überzogen, aber mir ist klar, dass diese Skepsis geäußert wird. Solche Argumente müssen mit einbezogen werden.

Im Wesentlichen geht es darum, dass nicht einfach zwei Parteien zusammengehen, sondern dass etwas Neues entsteht.
Richtig. Das ist auch ein Kern dessen, was hinter der Auseinandersetzung um den Namen der Wahlliste steht. Der Name ist das große Symbol, ob man sich darauf verständigen kann, dass das Neue, was man anschiebt, nicht nur PDS+ ist, auch nicht nur PDS/WASG (was wahlrechtlich nicht geht), sondern er schon in der Bundestagswahl deutlich signalisiert, hier kommt was Neues - mindestens der Aufbruch.

Wenn die SPD in die Opposition geht, wird die Abgrenzung zu ihr nicht einfach werden.
Das ist eine der großen Herausforderungen. Positiv kann man sagen: Auf einmal reden auch führende Vertreter der SPD von Kapitalismus, sind selbst für Herrn Clement und Herrn Eichel wieder höhere Löhne denkbar, wird nach monatelanger Abwehrhaltung sogar ein Gesetz gemacht zum erweiterten Bezug von Arbeitslosengeld I. Solche Wendungen wird die SPD in der Opposition verstärkt betreiben.
Die große strategische Herausforderung ist europaweit: Werden sich die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in Europa aus ihrer Selbstverstrickung mit dem Neoliberalismus freimachen können und damit noch einmal eine andere Entwicklung einschlagen, oder ist es so, wie Lafontaine mit Blick auf Frankreich und auch Deutschland sagt: Faktisch haben wir die Spaltung schon. Den sozialdemokratischen Parteien sind die unteren sozialen Schichten weggelaufen, auch die Funktionsträger. Die Mehrheit der französischen PS ist im Verlauf der Kampagne zur EU-Verfassung ins Lager des Nein gewechselt. Es wird ihr kaum noch gelingen, sich wieder zusammenzuleimen oder sich insgesamt nach links zu öffnen.
Hier gibt es objektiv eine strategische Differenz zwischen PDS und WASG, weil die Wahlalternative sehr skeptisch auf diese Prozesse guckt, während die PDS das klassische Konzept verficht, von links Druck auf die SPD auszuüben, damit ihr reformerisches Potenzial zum Tragen kommt.