Das freiburger film forum zwischen Projektion und Repräsentation
Das filmische Bild von der Welt außerhalb der eigenen Grenzen ist meist geprägt von Stereotypisierung des Fremden. Das freiburger film forum hat sich deshalb seit nunmehr 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, anhand von Dokumentar- und Spielfilmen aus Afrika, Amerika, Asien und Ozeanien gewohnte Blicke zu irritieren. Kein leichtes Unterfangen, wie das diesjährige Festival Anfang Mai zeigte.
Was fällt einem zuerst beim Stichwort Hawaii ein? Palmen, Strand, hohe Wellen, Surfer, barbusige Frauen, die Hula tanzen ... Es mangelt nicht an Stereotypen, die einem automatisch durch den Kopf schießen, denkt man an die Inseln im Pazifischen Ozean. Woher stammen die Assoziationen? Bereits die europäischen Seefahrer verbreiteten Ende des 18. Jahrhunderts nach ihrer Rückkehr die Botschaft vom paradiesischen Idyll. Walfänger, Missionare, Kolonialherren und Touristen folgten ihren Spuren. Reiseberichte, Bilder, Fotos und vor allem Spielfilme aus Hollywood verstärkten den Mythos.
Vor diesem Hintergrund standen bei einem Workshop zu Beginn des freiburger film forums "Südseeträume - Stories beyond Beaches and Beauty. Projektion und Repräsentation in Südseefilmen" auf dem Programm. Vilsoni Hereniko, Professor für Literatur und auf Hawaii lebender Regisseur aus Rotuma (Fidschi), sowie Jeannette Hereniko, Gründerin des Hawaii Film Festivals und Filmproduzentin, schärften die Wahrnehmung der Teilnehmer mit der Dokumentation Hawaii On Screen, einer Kompilation aus Hollywood-Filmen mit Südsee-Sujet.
Von den Matrosen bei der Meuterei auf der Bounty aus den 30ern, dem Kriegsdrama Verdammt in alle Ewigkeit aus den 50ern über Elvis Presley in Blaues Hawaii in den 60er Jahren bis zu TV-Serien wie Hawaii O-5 oder Baywatch reduzieren alle Produktionen sowohl die Landschaft als auch die einheimische Bevölkerung auf ein dekoratives Beiwerk. Sie interpretieren die polynesische Kultur im vertrauten Kontext des westlichen Zuschauers. Dieses moderne Raubrittertum in der Südsee funktioniert so gut, dass es unmöglich scheint, gegen die Hegemonie der fremden Bilder eine originäre Perspektive auf marginalisierte Lebenswelten zu entwickeln.
Was tun, um diese Paradiesbilder zu brechen? "Wir müssen unsere eigenen Geschichten erzählen", antwortet Regisseur Vilsoni Hereniko (s. Interview) und macht vor, wie das geht. Sein Spielfilmdebüt The Land Has Eyes hatte letztes Jahr auf dem Sundance-Filmfestival Premiere. Fast nur mit Laienschauspielern auf seiner bislang touristisch unerschlossenen Heimatinsel Rotuma gedreht, schildert der Film die Geschichte des Mädchens Viki während der britischen Kolonialherrschaft. Ihr Vater, der kein Englisch spricht, wird von einem habgierigen Nachbarn des Diebstahls von Kokosnüssen beschuldigt. Ein korrupter Dolmetscher übersetzt vor Gericht zu seinen Ungunsten. Viki, die in der Schule zu den Besten gehört, kämpft um den Ruf des Vaters und vertraut dabei einer Legende. Durch die spirituelle Macht der "Kriegerin", nach der Mythologie erste Bewohnerin der Insel, klärt sie den Betrug auf und findet ihren eigenen Weg innerhalb der Familie sowie der Inselgemeinschaft.
Der Film überzeugt durch seine fantasievolle Visualität, kreiert in seinen einführenden Szenen, dem Rekurs auf eine Legende, aber gerade bei dem durch Südsee-Klischees geprägten westlichen Publikum ein doppeltes Dilemma: Einerseits folgt es der aus einheimischer Perspektive erzählten authentischen Story, sieht aber andererseits in der eigenen Wahrnehmung die mit der neuseeländischen Schauspielerin Rena Owen (Die letzte Kriegerin) prominent besetzte Figur der "Warrior Woman" auf einer einsamen Insel im Baströckchen durch den Dschungel streifen. Hier greifen die Stereotype, und die ZuschauerInnen fühlen sich im als ursprünglich empfundenen Ambiente (viel zu) wohl oder lehnen es befremdet als "Ethno-Kitsch" ab. Ein Zwiespalt, der sich auf kurze Sicht nicht lösen lässt, weil eine entfremdete Bildsprache von den Inseln Ozeaniens keine Kriterien zur Verfügung stellt, um zwischen Projektion und Realisation zu unterscheiden.
Monotonie in der Südsee
So wie The Land Has Eyes bedienen sich auch zwei neuseeländische Kurzfilme von Maori-Filmemachern des jugendlichen Blickwinkels: O Tamaiti (Die Kinder) von Sima Urale, 2003 mit dem Silbernen Löwen in Venedig ausgezeichnet, und Two Cars, One Night von Taika Waititi, Berlinale-Gewinner 2004 und im Jahr darauf für den Oscar nominiert. In der Schwerpunktfilmreihe "Faszinierendes Ozeanien" entwickeln die beiden in Schwarzweiß gedrehten Filme eine bemerkenswert synchrone Ikonographie: Ihre jungen Protagonisten rücken durch die Perspektive der Kamera, die sie immer auf Augenhöhe begleitet, ins Zentrum. Die Erwachsenen werden zu Randfiguren.
Durch die soziale Not in der Familie sind die Kinder auf sich allein gestellt. Die Geschwister in O Tamaiti rücken zusammen, halten sich aneinander fest. Auch der neunjährige Romeo und die elfjährige Polly, die sich eines Abends in Two Cars, One Night auf dem Parkplatz treffen, sind für einige Stunden allein. Sie warten in jeweils einem Auto auf ihre Eltern, die sich in der Kneipe betrinken. Die Kinder imitieren coole Gesten der Erwachsenen, maulen sich erst gegenseitig an und fordern sich verbal heraus, bevor sie sich später einträchtig nebeneinander in einem der Autos die Zeit vertreiben. Beide Kurzfilme wirkten in ihrer formalen Strenge als monochromer Antipode zum kunterbunten Südseebild aus zweiter Hand.
Verloren im Transitraum
Von der Südsee nach Benin: Ein gefährliches Spiel, buchstäblich russisches Roulette in der algerischen Wüste, spielen Jonas und Roland in dem französischen Dokumentarfilm La Citadelle Europe - Lost in Transit von Gilles de Maistre. Die beiden leben in Benin und haben ein Ziel: Europa. Mit 250 Euro in der Tasche, Wanderschuhen sowie warmer Kleidung für kalte Wüstennächte und Tränen in den Augen beim Abschied von der Familie ziehen die beiden 25jährigen Männer los. Sie reisen weit, verlieren all ihr Geld an Schieber und Polizisten, werden mitten in der Wüste in einer Flüchtlingsgruppe allein gelassen, später ins Gefängnis gesteckt und gelangen nie ans Ziel. Bleibt, wo ihr seid, denkt man nach all den Strapazen, der Gefahr und der Aussichtslosigkeit des Unterfangens. Aber für die beiden wie für andere Flüchtlinge, die versuchen, die Wüste Richtung "Festung Europa" zu durchqueren, ist "Weggehen immer noch besser, als zu Hause zu bleiben".
Ähnlich aussichtslos ist das Setting in Tarifa in Südspanien: Ein tiefblauer Horizont, an dem das Meer in einer bewegungslosen Geraden anliegt. Eine traumhaft ruhige Nacht am Mittelmeerstrand - perfekt zum Flüchten. Tarifa Traffic - Death in the Straits of Gibraltar des in Berlin lebenden schwedischen Regisseurs Joakim Demmer fängt das Flüchtlingsdrama auf der anderen Seite ein, an seinem Endpunkt in Europa, auf der anderen Seite des Mittelmeers, dort, wo auch Jonas und Roland hin wollten. Am Tag nach dieser ruhigen Nacht begleitet der Filmemacher einen Mitarbeiter des Roten Kreuzes auf seiner Tour entlang des Strandes. "So ein schöner Platz", sagt dieser und kontrolliert mit seinem Fernglas den Strand, "der zu etwas anderem wird." Die ersten Touristen lassen sich im Sand nieder. Surfer stoßen ihre Bretter aufs Meer. Über 200 Tote wurden nach Schätzungen des Rote-Kreuz-Mitarbeiters im letzten Jahr an diesem Abschnitt angespült. Flüchtlinge aus Marokko, aus der südlichen Sahara, die mit ihren Schlauchbooten kentern, nicht schwimmen können und "vom Meer verschluckt werden". "Man sollte nicht sterben, wenn man auf der Suche nach dem besseren Leben ist", sagt ein Polizist später und schaut dabei auf den Ozean.
Auf der Suche nach einem besseren Leben ist auch Daniel Barrientos in Peru. Ihn lernte der schwedische Regisseur Mikael Wiström vor dreißig Jahren kennen. Seine Dokumentation über eine komplizierte Verbindung zwischen Reich und Arm eröffnete das diesjährige freiburger film forum. Eine gute Wahl, denn Compadre schildert nicht nur den täglichen Kampf der Familie von Daniel um Würde und Wohlstand, sondern reflektiert parallel die Rolle des für peruanische Verhältnisse wohlhabenden schwedischen Regisseurs, der sie über einen langen Zeitraum begleitete - erst als Fotograf, dann als Regisseur.
Asymmetrische Verhältnisse
Beide Arbeitsweisen vereint er in innovativer Form in seiner dokumentarischen Betrachtung, die 2004 entstand. Fotos, die Wiström 1974 bei der ersten Begegnung mit Daniel und seiner Frau aufgenommen hatte, montiert er wie einen Scherenschnitt auf aktuell belichtetes Zelluloid. Der dadurch entstehende verzögerte Fluss zwischen statischem Foto- und dynamischem Filmmaterial setzt sich in der narrativen Struktur fort: Wiström dokumentiert die eigene Beteiligung, stellt sich und seine Position als Beobachter mit ins Bild und in Frage, schreibt aber gleichzeitig am "Drehbuch" des Lebens von Daniel mit, indem er ihm und seinen Angehörigen die Reise in das Dorf seiner Jugend ermöglicht. Ein Anstoß auf emotionaler Ebene, der zwiespältig bleibt, weil Wiström die Eigenbeteiligung an dieser Herausforderung seiner Protagonisten nicht im Film dokumentiert, sondern sie sich erst in der Diskussion mit dem Publikum in Anschluss an die Filmvorführung erschließt.
Das freiburger film forum ist ein Biotop im Festivaldschungel: Es gibt keine Stars, sondern "nur" RegisseurInnen, die dem Publikum ihre Filme zeigen und darüber reden wollen. Es gibt keine Effekthascherei durch oder Konzentration auf einen Wettbewerb, sondern "nur" das Abspielen des von einem fünfköpfigen Programmteam ausgewählten Repertoires, die Vorstellung von Film und - wenn anwesend - RegisseurIn sowie das Angebot zur Diskussion. Diese konkurrenzfreie Form der Gestaltung harmoniert mit dem Anspruch an die Filmauswahl, die einen neuen Blick auf Dokumentar- und Spielfilme aus anderen Kontinenten bieten soll.
Wer dieses Jahr in Freiburg mit auf die filmische Reise rund um den Globus ging, sah sich mit Grenzen konfrontiert - in der eigenen Wahrnehmung eines fernen Archipels, als geschlossene "Festung Europa" gegenüber Flüchtlingen, in Asymmetrien zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen.
Ulrike Mattern ist freie Journalistin und Redakteurin in Berlin.