Folge-Beben

Wirtschaftliche Verwerfungen infolge der Hilfe.

Der Tsunami im Indischen Ozean hat nicht nur Kontinentalplatten verschoben. Es sieht ganz danach aus, als würde der von westlichen und finanzstarken asiatischen Ländern geführte "Wiederaufbau" das Wirtschaftsgefüge in der Region nachhaltig erschüttern. Aber auch das Machtgefüge scheint sich zu verschieben: Während die USA ungebeten ihre seit langem stärkste Präsenz im Indischen Ozean auffahren und Japan sich zum größten Hilfeland aufschwingt, führt sich Indien wie eine Großmacht auf.

Industrieanlagen wurden nicht in Mitleidenschaft gezogen. Den wirtschaftlich größten Schaden hat der Tsunami an der örtlichen Fisch- und Landwirtschaft angerichtet. Mit den Korallenriffen wurden ergiebige Fischereigründe vernichtet, Zehntausende von Fischerbooten und ein Vielfaches an Fischernetzen, aber auch Kühlräume und Weiterverarbeitungsanlagen zerstört. Hunderttausende von Fischern haben ihre Existenzgrundlage verloren.
Neben der Fischerei ist die zweitwichtigste wirtschaftliche Grundlage der am stärksten betroffenen Bevölkerungen der Küstenregionen der Reisanbau. Große Ackerflächen wurden von Salzwasser überschwemmt, teilweise bis in 90 cm Tiefe durchtränkt und das Land damit auf Jahre unbebaubar macht. Hinzu kommen die Schäden an der Infrastruktur, die Handel und Nahrungsmitteltransport verunmöglichen. Die größten Schäden meldet Indonesien, weil Sumatra für das Land die zweitwichtigste Lieferquelle für Reis ist und die Ernte im März anstand. An der Ost- und Südküste Sri Lankas war der Reis gerade ausgesät worden - in diesem Gebiet konzentrieren sich 60% des gesamten Reisanbau des Landes. Thailand als weltgrößter Reisexporteur hatte hingegen seine Ernte für 2005 schon eingefahren.
Die Welternährungsorganisation FAO befürchtet deshalb kurz- und langfristig Hungersnöte. Zwei Millionen Menschen haben nach ihrer Schätzung ihre Existenzgrundlage verloren. Diese neue Abhängigkeit birgt große Risiken für das Gleichgewicht der regionalen Wirtschaft, je nachdem wer von der Bereitstellung der enormen Mengen an benötigten Hilfslieferungen profitiert. Es steht zu befürchten, dass ein großer Teil dieser lokalen Wirtschaft auf immer verloren geht, die sog. Wiederaufbauhilfe zugleich die örtliche Wirtschaftsstruktur umkrempelt und die Menschen in andere, exportabhängige Wirtschaftszweige drängt.
Auch in Indien haben die Fischer die größten Schäden erlitten, die Behörden befürchten einen Rückgang des Exports an Meerestieren um 30%. Industrielle und touristische Zentren wurden nicht verwüstet. Der Schaden wird auf über 600 Millionen Euro geschätzt. Die will Indien aber selbst aufbringen - das Land hat ausländische Hilfe abgelehnt und sogar anderen betroffenen Ländern wie Sri Lanka Hilfe in Aussicht gestellt. Die indische Regierung hat sich auch verbeten, dass US-Kriegsschiffe mit Hilfsgütern indische Gewässer befahren. Eine ähnliche Unabhängigkeit hatte anfänglich auch Indonesien versucht an den Tag zu legen, konnte das aber nicht durchhalten. Insgesamt haben die USA 20 Kriegsschiffe und über 10000 Marinesoldaten in das Krisengebiet geschickt - ihre stärkste militärische Präsenz dort seit dem Ende des Vietnamkriegs.
Die Tourismusbranche wurde vor allem in Thailand, Sri Lanka und den Malediven getroffen. Die beiden letztgenannten Länder leben bis zu zwei Dritteln vom Tourismus. Sie sind für den Wiederaufbau auf ausländische Experten angewiesen, um das Kommunikationsnetz, defekte Rechenzentren und Anlagen für die Trinkwasseraufbereitung zu erneuern. Allerdings konzentriert sich die Wiederaufbauhilfe der Industrieländer gerade auf diese Bereiche: Infrastruktur und Tourismus. Die Touristikmesse Mitte Januar in Stuttgart verkündete deshalb stolz, trotz des Tsunamis gehe das Geschäft weiter, sie rechnet mit einer Normalisierung ab dem nächsten Jahr.
Westliche Versicherungen rechnen mit Gesamtschäden in Höhe von 10 Milliarden Dollar. Wenn sie dennoch nur geringe Forderungen (bis max. 100 Millionen Dollar) auf sich zukommen sehen, dann deshalb, weil bei den Fischern und Bauern solche Versicherungen nicht üblich sind. Ökonomen rechnen auch damit, dass das starke Wirtschaftswachstum in Asien (etwa 4%) nicht nennenswert durch den Tsunami beeinträchtigt wird.
Aber auch da verschleiert der statistische Durchschnitt eine grausame Realität: Während die lokale Wirtschaft nur unter großen Schwierigkeiten wieder auf die Beine kommen wird, wird für die nächsten Monate ein Boom im Bau- und Speditionswesen vorausgesagt. Nutznießer dürften in erster Linie finanzkräftigere asiatische und westliche Länder sein, die einen Wettlauf untereinander begonnen haben, um von dem kleinen Konjunkturprogramm Wiederaufbau zu profitieren.