Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit will einen radikalen Politikwechsel

Im März 2004 haben die "Wahlalternative" und die "Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" ihre Zielsetzung der Öffentlichkeit vorgestellt: eine möglichst breit angelegte Auseinandersetzung ...

... Auseinandersetzung mit neoliberal bestimmter Politik und Aufklärung für sozial verträgliche Alternativen und Lösungsstrategien. Grundlage sind die gemeinsamen Anliegen und Forderungen von Gewerkschaften, Sozialverbänden, kirchlichen Gruppen, globalisierungskritischen Bewegungen, Umweltorganisationen und anderen sozialen Vereinigungen sowie von fortschrittlichen WissenschaftlerInnen.
Die entscheidende Frage lautete nicht, ob eine neue politische Formation den Kapitalismus umgestalten oder abschaffen kann. Es geht darum, die vorherrschende sozial reaktionäre und aggressive Entwicklung der entfesselten Globalisierung aufzuhalten und eine andere Politik und Entwicklungsrichtung durchzusetzen. Voraussetzung dafür sind veränderte gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, die auch neue soziale Kompromisse ermöglichen. Die Geschichte hat gezeigt, dass dies im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse möglich, aber zugleich immer begrenzt ist. Grundsätzliche Kritik des Kapitalismus und Diskussionen über Möglichkeiten seiner Überwindung haben ihren Platz in diesen Wahlalternativen, sollen aber nicht die gemeinsame politische Arbeit dominieren.

Die enorme positive Resonanz in der Öffentlichkeit und einer Vielzahl von Veranstaltungen mit hoher Beteiligung im gesamten Bundesgebiet hat in den letzten Monaten zur Herausbildung eines Netzwerkes von weit über 10.000 BürgerInnen geführt, die an der Herausbildung einer politischen Alternative zur herrschenden großen Koalition des Neoliberalismus interessiert sind. Die Demoskopen haben ermittelt, dass es eine relevante Anhängerschaft für eine neue Wahlformation gibt. Die vielen AktivistInnen, die in den letzten Wochen in Regionen politische Strukturen aufbauen, haben mithin einen relevanten gesellschaftlichen Hintergrund. Die ursprünglich unabhängig voneinander gegründeten Initiativen haben Anfang Juli ihre Zusammenlegung zu einem gemeinsamen Verein mit dem Namen "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" beschlossen.

Warum als Zwischenstufe einen Verein?

Faktisch haben mehrere tausend BürgerInnen ihre Kritik an dem Parteien- und bisherigen Wahlsystem konkret darin umgesetzt, dass sie an der Herausbildung einer neuen Wahlformation mitwirken wollen. Um eine solche Beteiligung bundesweit demokratisch und transparent organisieren zu können, ist eine Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit der Beteiligten unverzichtbar. Alle Interessenten haben jetzt die Möglichkeit, dieser politischen Vereinigung beizutreten (Mindestbeitrag 2,- Euro im Monat). Entscheidet sich der größte Teil der bisherigen Interessenten für eine Mitgliedschaft, können bis zum Herbst 2004 in allen Bundesländern Landesorganisationen aufgebaut werden. Auf Basis der Mitgliederverteilung soll auf einer Bundesversammlung gegen Ende 2004 über die programmatische Ausrichtung und die Bildung einer neuen politischen Formation entschieden werden. Vorgesehen ist, dass in einer Mitgliederbefragung eine solche Entscheidung mit 2/3 Mehrheit gebilligt werden muss. Der Verein hat also die Aufgabe, den demokratischen Entscheidungsprozess über die definitive Herausbildung einer neuen Wahlformation möglich zu machen. Selbstverständlich bleibt die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung während der nächsten Monate nicht eingefroren und es wäre durchaus vorstellbar, dass Entwicklungen und Veränderungen eintreten, die ein Abrücken vom Projekt einer neuen Linkspartei nahe legen.

Das Neue der gegenwärtigen politischen Situation besteht darin, dass sich nicht nur viele Mitglieder von der SPD abwenden, sondern Kernbereiche ihrer bisherigen sozialen Basis und insbesondere der gewerkschaftlich organisierten abhängig Beschäftigten eine neue politische Interessenvertretung suchen. Dieser Trend muss aufgegriffen werden, ohne interessierte Potenziale mit radikalen Parolen oder unpassenden Diskussionsbeiträgen über die (Un-) Reformierbarkeit oder Überwindung des Kapitalismus abzuschrecken. Gesellschaftliche Formierungs- und Lernprozesse müssen am Bewusstseinsstand der Menschen ansetzen und brauchen Zeit.

Warum eine neue Wahlformation?

Für diese Initiativen gibt es einen doppelten gesellschaftspolitischen Hintergrund. Zum einen geht es um die seit Jahren anhaltende Politik des Sozialabbaus und der Zerstörung der sozialen Rechte. Der Sozialstaat in seiner derzeitigen Ausgestaltung ist nicht in der Lage, eine angemessene Versorgung derjenigen Bevölkerungsteile zu gewährleisten, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben und daher von den Risiken der kapitalistischen Marktwirtschaft betroffen sind. Weder die Sicherungsziele der Lebensstandarderhaltung noch die der Armutsvermeidung werden realisiert. Auch eine hochwertige Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung ist nicht gewährleistet. Ferner führt die Anbieterdominanz im Gesundheitssystem zu einer relativ teuren Versorgung, die durch Unter-, Über- und Fehlversorgungen geprägt ist.

Zum anderen sind viele BürgerInnen von den traditionellen Parteien enttäuscht; vor allem die Mitgliederverluste bei der SPD gehen im letzten Jahrzehnt in die hunderttauschende. Beunruhigender ist die zunehmende Zurückhaltung, sich an der politischen Willensbildung und an Wahlen überhaupt noch zu beteiligen. Auch die jüngsten Kommunalwahlen in Thüringen haben die vorherrschenden Abstimmungstrends, wie sie in den Europawahlen sichtbar wurden, bestätigt. Lediglich die PDS konnte leicht an Stimmen zulegen.

Wie zu erwarten, werden diese Wahlergebnisse nicht nur bei PDS-Mitgliedern als Bestätigung der Politik der PDS gewertet. Es steht außer Frage, dass die PDS in der augenblicklichen Konstellation zwar hinzu gewinnt, aber von dem anhaltenden Vertrauensverlust des politischen Systems und der massiven Wählerkritik an der SPD partizipiert sie nur begrenzt. Die wichtige Frage in diesem Zusammenhang: Kann eine Wahlalternative, die im politischen Spektrum gleichfalls links verortet wird, einen Teil des Unmuts auffangen, oder wird es letztlich auf eine Schwächung des politischen Angebotes der Linken hinauslaufen?

Die neue Wahlformation will sich nicht mit der wachsenden Partei- und Politikverdrossenheit abfinden, der Trend zu immer geringerer Wahlbeteiligung soll umgekehrt werden. Es geht in einem neuen Wahlprojekt auch um einen Beitrag zur Entwicklung einer neuen politischen Kultur.

Politische Bewegung und breiter sozialer Protest

Die Regierungskoalition will ihren unsozialen Kurs der Agenda 2010 durchziehen, auch wenn Mehrheiten der Bevölkerung dagegen sind. Die bürgerliche Opposition hat für die Zeit nach dem Regierungswechsel eine knallharte Version der Sanierungspolitik angekündigt. Die rot-grüne Regierungskoalition denkt über weitere Einschnitte in das soziale Netz nach, weil die Agenda 2010 keine wirtschaftliche Erholung und eine entsprechende Entspannung bei den Finanzen der öffentlichen Hände und Sozialkassen gebracht hat. Grund für die ökonomische Strukturschwäche ist die unzureichende Nachfrage in der Binnenwirtschaft.

Seit Jahrzehnten betreibt die wirtschaftliche und politische Elite eine Kritik des Sozialstaates. Immer wieder werden die soziale Sicherheit und die tariflichen Rechte der Arbeitenden für die ökonomisch-sozialen Probleme verantwortlich gemacht. Trotz dieser kontinuierlichen Indoktrination und praktischen Zerstörung steht fest :Es gibt keine politische Legitimität für die Zerstörung des Sozialstaates. Auch die Protestbewegungen in anderen europäischen Bewegungen zeigen: Die mit Sicherheit weitaus individualistischer eingestellte BürgerInnen am Beginn des 21. Jahrhunderts sind in der großen Mehrheit eben keine egoistischen BürgerInnen. Es gibt einen politischen Auftrag für solidarische Veränderungen der sozialen Sicherungen.

Der Wahlalternative geht es darum, den gesellschaftlichen Widerstand und politischen Protest in den nächsten Monaten auf folgende Punkte zu bündeln und für einen Politikwechsel zu werben:

Weg mit Hartz IV! Keine Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose, keine Verschlechterungen bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Keine Förderung des Ausbaus von Niedriglohnsektoren (Mini-Jobs, ungeschützte Leiharbeit, prekäre Selbständigkeit). Arbeitslohn und Sozialeinkommen müssen eine eigenständige Lebensführung ermöglichen. Deshalb unterstützen wir die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (1.400 EUR brutto).
Keine Verlängerung der Arbeitszeit! Arbeitszeitverkürzung sichert und schafft Arbeitsplätze. Deshalb: 35-Stunden-Woche als tarifliche Regelarbeitszeit und Novellierung des Arbeitszeitgesetzes auf Grundlage der 40-Stunden-Woche. Das ist auch der Einstieg für eine weitergehende Umverteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern mit dem Ziel: mehr Zeitsouveränität für alle.
Sicherung und Erneuerung des Sozialstaats! Einführung einer Bürgerversicherung, die alle Haushalte und alle Einkommen erfasst und die Finanzierung qualitativ hochwertiger Gesundheitsdienstleistungen sicherstellt. Die Altersrenten müssen den Lebensstandard sichern und armutsresistent sein. Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Keine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen; Finanzierung hochwertiger Bildung für alle durch ein solidarisches Steuersystem und ohne Studiengebühren.
Reichtum besteuern! Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen. Wiedereinführung einer einprozentige Vermögenssteuer, Reform der Erbschaft- und Schenkungssteuer, Abschaffung des Ehegattensplittings, Spitzensteuersatz von mind. 47%, Bekämpfung der Steuerhinterziehung, Stopfen von Steuerschlupflöchern für Großverdiener wie für international tätige Unternehmen.

Wir kritisieren nicht nur die soziale Ungerechtigkeit der Agenda-Politik, sondern attackieren gleichfalls die Behauptung, dass mit dieser Politik die Wachstumsschwäche und deren finanzielle Folgen beseitigt werden können. Die vorherrschende Politik ist sozial ungerecht und wirtschafts- und finanzpolitisch falsch.

Wir brauchen eine steuerpolitische Kurskorrektur bei höheren Einkommen, Vermögens- und Unternehmensbesteuerung. Durch einen Steuersenkungswettbewerb kommen wir nicht zu einem höheren qualitativen Wachstum. Die Krise der Kommunalfinanzen und das Absinken der öffentlichen Investitionen ist eine Folge dieser falschen Politik. Wir müssen die Steuern für hohe Vermögen erhöhen und dürfen den Spitzensteuersatz nicht weiter absenken. Eine solche Politik lieferte die Grundlage für öffentliche Investitionen, aktive Beschäftigungspolitik, Verbesserung der Sozialeinkommen und letztlich für ein qualitatives Wachstum und eine Wohlstandsentwicklung im Sinne der großen Bevölkerungsmehrheit. Wir wollen nicht ein zeitliches Strecken des Sparkurses, sondern einen grundlegenden Kurswechsel. Eine andere Politik ist nicht nur sozialer und gerechter, sie ist auch wirtschafts- und gesellschaftspolitisch besser.

Die Wahlalternative tritt für den Aufbau einer neuen politischen Formation ein.

Sie will durch öffentliche Aktionen und Demonstrationen den Zorn der Menschen und ihre Alternative in die Öffentlichkeit tragen.
Es geht um eine breite Aufklärung über die tatsächlichen Probleme und ihre Ursachen sowie über soziale Alternativen - gegen die neoliberale Propaganda.
Nicht zuletzt geht es auch um eine Alternative bei den kommenden Wahlen: Der Ausgangspunkt für eine andere Politik sind vielfältige Initiativen und Bewegungen, Gewerkschaften und andere Organisationen, die die Interessen der Menschen und eine andere Politik vertreten. Das starkes Bündnis aller Kräfte, die außerparlamentarisch für eine andere Politik eintreten, muss gestärkt werden. Die Wahlalternative will das gesellschaftliche Bündnis gegen die herrschende Politik ausbauen und entwickeln. Sie ist eine Sammlungsbewegung im Zusammenhang des breiten Protest, keine linke Kaderpartei.

Eine Wahlalternative muss insoweit eine Partei bilden, als das Wahlgesetz vorschreibt, dass zur Bundestagswahl nur Parteien antreten können. Sie unterliegt dann den Regelungen des Parteiengesetzes, muss aber nicht Partei heißen und ein Parteileben im traditionellen Sinne organisieren. Selbstverständlich muss die Organisation demokratisch aufgebaut sein, die konkrete Struktur wird noch zu diskutieren sein. Vor allem muss sie als verbindender Zusammenhang von Personen funktionieren, die primär in Gewerkschaften und anderen Interessenvertretungen, Bewegungen, Organisationen und sozialen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Initiativen und Projekten aktiv sind und dort im Sinne der Ziele der sozialen Alternative wirken. Sie muss in der Lage sein, Informationen und Orientierungen zu vermitteln und Diskussionsprozesse zu organisieren und abzuschließen und zu bestimmten Zwecken und Aktivitäten die Leute zu mobilisieren. Die wahlpolitische Organisation ist nur ein besonderer Teil eines Gesamtzusammenhangs sozialer und demokratischer Bewegungen, den es herzustellen gilt.

aus: Kommentar auf der Sozialismus-Website vom 7.7.2004