Widersprüche in der bundesdeutschen Minderheitenpolitik

Gegenstand der folgenden Darlegungen ist die Politik der Bundesregierung gegenüber den nationalen bzw. ethnischen Minderheiten, mit der es ihr gelungen ist, die Konservativen rechts zu überhole.

Gegenstand der folgenden Darlegungen ist die Politik der Bundesrepublik gegenüber den nationalen bzw. ethnischen Minderheiten. Ich habe mich zwar schon mehrfach zu diesem Thema geäußert 1, doch sind inzwischen einige neuere Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Die von vielen Autoren postulierte Unterscheidung der Attribute national und ethnisch in Verbindung mit dem Begriff Minderheit ist ähnlich schwierig wie die zwischen den Kategorien Nation und Ethnos bzw. Volk. In vielen Kontexten ist sie praktisch gegenstandslos. Auch hier gilt, daß Ableitungen von der griechischen Wurzel ethnden Obergriff bilden. So wie der Begriff Nation die spezifische Entwicklung des Ethnos im Zusammenhang mit der Herausbildung des Kapitalismus impliziert, könnte man auch mit der nationalen im Unterschied zur ethnischen Minderheit spezifische Merkmale verbinden.

Georg Brunner, 1936 in Budapest geborener Osteuropaexperte, Professor für öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre und Ostrecht, hat 1996 in 2. Auflage 2 ein Buch mit dem Titel Nationalitätenprobleme und Minderheitenkonflikte in Osteuropa herausgebracht. Darin vertritt er folgende Auffassung: "Eine nationale Minderheit tendiert wegen der Staatsbezogenheit des Nationsbegriffs zur staatlichen Existenz und sollte deshalb zur Kennzeichnung solcher Gemeinschaften verwendet werden, die für sich allein oder als Teil einer außerhalb der Grenzen ihres Heimatstaats lebenden Nation zur Staatsbildung fähig sind" (S. 23). Unklar bleibt dabei, worin diese "Fähigkeit zur Staatsbildung " besteht und worin sie zum Ausdruck kommt.

Hier sollen unter ethnischen bzw. nationalen Minderheiten Teile der Bevölkerung eines Staates verstanden werden, die nicht zur dominierenden Nationalität gehören wollen und dadurch meist verschiedenen Benachteiligungen ausgesetzt sind.3 Bezogen auf Deutschland also Menschen, die zwar ständig hier leben, aber dennoch keine Deutschen sein wollen. Ich meine damit nicht sog. "Antideutsche", die die Parole "Deutschland verrecke!" an die Wände schmieren. Und auch nicht solche, die sich für nationslose "Europäer" oder "Weltbürger" halten. Es geht vielmehr um Migranten bzw. ihre Nachkommen, die vielfach schon in Deutschland geboren und hier aufgewachsen sind, oder um Angehörige von Bevölkerungsgruppen, deren Siedlungsgebiet schon vor Jahrhunderten - in der Regel gewaltsam - an deutsche Staaten angegliedert wurde.

Die Benachteiligungen können darin bestehen, daß Angehörigen von Minderheiten der Zugang zu bestimmten Berufen, Ämtern oder Erwerbsmöglichkeiten verwehrt wird. Besonders häufig sind Beschränkungen hinsichtlich des Gebrauchs der Muttersprache. Diese sind oft per Gesetz geregelt, während andere Benachteiligungen eigentlich ungesetzlich sind und dennoch praktiziert werden.

Die allgemeinste Restriktion bildet in vielen Staaten die Erschwerung des Erwerbs der Staatsbürgerschaft für Zuwanderer. Meist ist ihnen dadurch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte, selbst des aktiven Wahlrechts auf kommunaler Ebene, generell verwehrt. Betroffen sind davon allein in Europa Millionen Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg hier eingewandert sind. In ihrer Heimat wurden sie entweder wegen ihrer politischen Haltung verfolgt oder durch ethnische Säuberungen gefährdet. Viele kamen als "Wirtschafts flüchtlinge" oder "Gastarbeiter".

Sie bilden in allen europäischen Ländern sog. allochthone Minderheiten, die einen beträchtlichen Teil der Staatsbevölkerung ausmachen. Nur in den seltensten Fällen werden sie als Minderheiten anerkannt.4 Im Unterschied dazu gehören die autochthonen Minderheiten zur alteingesessenen Bevölkerung. In der Regel besitzen ihre Angehörigen die Staatsbürgerschaft ihres Heimatstaates.

Gilt in diesem die Doktrin der sog. "Staatsnation", nach der die Nation von allen Staatsbürgern unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit gebildet wird 5, bedeutet dies die Verweigerung des Minderheitenstatus. Dies hat fast überall einschneidende Restriktionen hinsichtlich des Gebrauchs der Muttersprache zur Folge. Leugnet die politische Klasse eines Vielvölkerstaates dessen multinationalen Charakter nicht, schließt das eine völlig unterschiedliche Behandlung der Minderheiten keineswegs aus.

Wird die Existenz von Minderheiten nicht geleugnet, wird in der Regel verschwiegen, daß der Anschluß ihres Siedlungsgebietes meist im Ergebnis feudaler bzw. imperialer Eroberungen, durch gewaltsame Unterwerfung einer oft erbitterten Widerstand leistenden Bevölkerung zustande kam.

Der Umgang der herrschenden Kreise von Vielvölkerstaaten mit den nationalen und sprachlichen Minderheiten kann sehr unterschiedlich sein. Von rigorosester Assimilierungspolitik wie in Frankreich bis zu völliger Gleichberechtigung wie in der Schweiz reicht da das Spektrum. Feststellen läßt sich auch, daß im 20. Jahrhundert und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa bei nach wie vor vorhandener Tendenz zur Ignorierung bzw. Assimilierung der Minderheiten gewisse Fortschritte auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes zu verzeichnen sind.

Eine zunehmend minderheitenfeindliche Politik entwickelte sich im Gegensatz dazu in den meisten "realsozialistischen" Staaten, insbesondere in der Sowjetunion.6

Ein besonderer Typ nationaler Minderheiten entsteht mit dem Zerfall von Vielvölkerstaaten. In der Regel dominiert in solchen Staaten eine Nationalität. Deren Angehörige - selbst die der Unterschichten - nehmen eine privilegierte Stellung ein.7 Dies hat zur Folge, daß sich kleinere oder auch größere Gruppen von ihnen mit der Zeit außerhalb ihres ursprünglichen Siedlungsgebietes inmitten der Minderheiten niederlassen. Viele von ihnen, zumal Angehörige der Oberschichten, empfinden sich als die eigentlichen Repräsentanten des Staatsvolkes und begegnen den Minderheiten oft ausgesprochen überheblich. Zerfällt nun der multinationale Staat in seine "nationalen Bestandteile", finden sich Hunderttausende, wenn nicht Millionen Angehörige der vorher dominierenden Nationalitäten gewissermaßen als Ausländer in den neuen, ihnen völlig fremd erscheinenden Staaten wieder. Deren gerade an die Macht gelangte Eliten sind natürlich an nichts weniger interessiert als an der Aufrechterhaltung der alten Privilegierung. Dachten die meisten der vorher zur dominierenden Nationalität Gehörenden in der Regel gar nicht daran, die Sprachen ihrer jeweiligen Umgebung zu erlernen, sollen sie nun nicht selten dazu gezwungen werden. Ein solches Schicksal widerfuhr nach der Auflösung Österreich-Ungarns am Ende des Ersten Weltkrieges vielen Deutschösterreichern und Ungarn.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren davon nicht nur die 25 264 385 (= 17,4 Prozent) außerhalb der Rußländischen Föderation lebenden Russen betroffen, die sich bei der letzten sowjetischen Volkszählung von 1989 zu dieser Nationalität bekannt hatten. Nicht viel anders erging es auch den Angehörigen aller nichtrussischen Nationalitäten, die, soweit sie nicht in deren geschlossenem Siedlungsgebiet lebten und dieses eine gewisse Autonomie besaß, zwangsläufig zur Russifizierung verurteilt gewesen waren.

Die Integration solcher Minderheiten in die Bevölkerung der neuen Staaten ist eine äußerst heikle Aufgabe. Ihre Lösung hängt nicht zuletzt vom guten Willen der Eliten der nunmehr im Staat dominierenden Nationalität ab. Wie der Umgang mit den so entstandenen russischen Minderheiten in manchen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zeigt, ist ein rationales Herangehen an dieses Problem keineswegs eine Selbstverständlichkeit.8

In der Politik der Bundesrepublik Deutschland, um die es hier gehen soll, spielt dieser Minderheitentyp verständlicherweise keine Rolle. Hinsichtlich des Umgangs mit den autochtonen und allochthonen Minderheiten ist sie ausgesprochen widersprüchlich, um nicht zu sagen schizophren. So besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Behandlung der Sorben, Dänen und Friesen sowie der Sinti und Roma, die von der Bundesregierung als nationale Minderheiten anerkannt werden, einerseits und den allochthonen Minderheiten andererseits.

Die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarats 9 hat die Bundesregierung bereits 1992 unterzeichnet. Ihre Ratifizierung wurde jedoch durch die Kohl-Regierung bis zu deren Abwahl hinausgezögert. Erst die rot-grüne Regierung hat die Charta 1998 vom Bundestag ratifizieren lassen. Der Grund des Zögerns war die mangelnde Bereitschaft der Konservativen, auch Sinti und Roma den Status einer autochthonen ethnischen Minderheit zuzuerkennen. Die Vertretungen der als solche anerkannten Sorben, Dänen und Friesen hatten jedoch darauf bestanden, daß auch dieses seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland lebende Volk, das zudem vom Völkermord der Nazis betroffen gewesen war, in die Geltung der Charta mit einbezogen wurde. Das Inkrafttreten der Charta am 1. 1. 1999 hatte unter anderem die Gründung eines Komitees für die Bundesrepublik Deutschland zur Folge, das eng mit dem in Brüssel wirkenden European Bureau for Lesser Used Languages zusammenarbeitet.

Am 16./17. November 2001 veranstalteten diese beiden Organisationen im Gebäude der Landesvertretungen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins in Berlin einen Kongreß zum Thema Sprachenvielfalt und Demokratie in Deutschland, an dem sich neben Vertretern der Sprachminderheiten sowie einschlägig befaßten Sprachwissenschaftlern auch hochkarätige Repräsentanten der Bundes- und Länderpolitik beteiligten. Letztere - die damalige Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Inneren, die Präsidenten der Landtage von Niedersachsen und Brandenburg, Staatssekretäre aus sächsischen und schleswig-holsteinischen Ministerien - sparten dabei nicht mit Eigenlob. Die Diskussionsbeiträge der unmittelbar Betroffenen, der Sprecher der Regional- und Minderheitensprachen 10 klangen weniger euphorisch. Besonders beeindruckend war der Beitrag des Rundfunkjournalisten und nach Jurij Bre¡zan wohl bekanntesten sorbischen Schriftstellers Jurij Koch.11 Er berichtete unter anderem darüber, daß das sächsische Kultusministerium unter Berufung auf Demokratie und Gleichheit vor dem Gesetz gegen den massiven Protest der Betroffenen sorbische Schulen schließt. Koch spricht von Schulen, die sich die Sorben "aus DDR-Zeiten hinübergerettet haben". Und zweifellos ist das Umdenken in der Haltung der BRD-Politik gegenüber den autochtonen Minderheiten auch durch die Bekanntschaft mit der Sorbenpolitik der DDR gefördert worden.

Unmittelbar nach dem Anschluß der DDR an die Alt-BRD gab es Versuche, beispielsweise die zweisprachigen Orts- und Straßennamenschilder abzuschaffen, weil diese den BRD-Bestimmungen widersprächen. 12 Die Reaktion der Domowina, der 1912 gegründeten, 1937 von den Nazis verbotenen und in der Oberlausitz bereits 1945 neu gegründeten Dachorganisation sorbischer Vereine, auf die Versuche, hinter die bewährte DDR-Praxis zurückzugehen, war jedenfalls so, daß sie bald eingestellt wurden. Die Forderung, den Minderheitenschutz in das Grundgesetz aufzunehmen, scheiterte am hartnäckigen Widerstand der Konservativen.

In einer Protokollnotiz zum Einigungsvertrag war jedoch vereinbart worden: "Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären im Zusammenhang mit Art. 35 des Vertrags:

1. Das Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und zur sorbischen Kultur ist frei. 2. Die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen werden gewährleistet. 3. Angehörige des sorbischen Volkes und ihre Organisationen haben die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben. 4. Die grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern bleibt unberührt." Zuständig für den Minderheitenschutz sind danach die Länder. In die Landesverfassungen Sachsens und Brandenburgs wurden Bestimmungen zum Schutz und zur Förderung der sorbischen Minderheit aufgenommen.

In der Verfassung des Freistaates Sachsen lauten diese: "(4) Im Siedlungsgebiet der Sorben können neben den Landesfarben und dem Landeswappen Farben und Wappen der Sorben ... gleichberechtigt geführt werden." (Art. 2); "(1) Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an... (2) Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung." (Art. 5).

In der Verfassung des Landes Brandenburg hat der Artikel 25 (Rechte der Sorben {Wenden}13) folgenden Wortlaut:

"(1) Das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes wird gewährleistet. Das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände fördern die Verwirklichung dieses Rechtes, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes. (2) Das Land wirkt auf die Sicherung einer die Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie hin. (3) Die Sorben haben das Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur im öffentlichen Leben und ihre Vermittlung in Schulen und Kindertagesstätten. (4) Im Siedlungsgebiet der Sorben ist die sorbische Sprache in die öffentliche Beschriftung einzubeziehen. Die sorbische Fahne hat die Farben Blau, Rot, Weiß. (5) Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen, daß in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken."

Das entsprechende Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben im Land Brandenburg (Sorbengesetz) wurde 1994 erlassen 14 und beim Landtag ein so genannter Sorbenrat gebildet.

Die Finanzierung der Förderung der sorbischen Minderheit erfolgt über eine Stiftung für das sorbische Volk, an der der Bund mit 50 Prozent und die Länder Sachsen und Brandenburg mit zwei Dritteln bzw. einem Drittel der zweiten Hälfte beteiligt sind. Im Zusammenhang mit Eichels "Sparkurs" kam es in den letzten Jahren zur Verzögerung der Auszahlung und zu Versuchen der Reduzierung der zugesagten Mittel.

In der am 1. August 1990 in Kraft getretenen neuen Landesverfassung von Schleswig-Holstein ist der Minderheitenschutz in Artikel 5 geregelt. Er lautet:

"(1) Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten. (2) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe 15 haben Anspruch auf Schutz und Förderung." In einem Memorandum zur Errichtung einer Stiftung für das friesische Volk forderten die Vorsitzenden nordfriesischer Organisationen im Februar 1992 den Bund auf, die Förderung friesischer Belange mit zu unterstützen. Hier hatte offensichtlich das sorbische Beispiel Pate gestanden. Enge freundschaftliche Beziehungen zwischen nordfriesischen Vereinigungen und der Domowina bestanden schon zu DDR-Zeiten.

Zwischen den in den Länderverfassungen ziemlich großzügig formulierten Bestimmungen zum Minderheitenschutz und der Verfassungswirklichkeit auf der Bundesebene klafft ein eklatanter Widerspruch. Während dort von nationalen Minderheiten, vom sorbischen Volk die Rede ist, steht dem hier der Artikel 116 GG entgegen. Danach wird jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, zum "Deutschen" erklärt. Diese Festlegung gilt also auch für die Angehörigen der autochthonen nationalen Minderheiten, denn diese sind Bundesbürger.

Geradezu makaber muß eine solche Bestimmung viele Sorben anmuten. Seit über tausend Jahren war der Gegensatz zwischen Sorbentum und Deutschtum eine konstituierende Komponente des sorbischen Identitätsbewußtseins, die durch die sorbenfeindliche Politik reaktionärer deutscher Obrigkeiten immer neu emotional aufgeladen wurde. Als die Domowina-Führung sich 1937 weigerte, der Forderung der Nazis nachzukommen und sich in einer neuen Satzung zur Organisation "wendischsprechender Deutscher" zu erklären, wurde dies vom Regime zum Anlaß genommen, alle sorbischen Vereinigungen zu verbieten und ihr Eigentum zu konfiszieren. Sorbische Funktionäre wurden verhaftet und wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat abgeurteilt. Sorbische Geistliche und Lehrer wurden aus der Lausitz ausgewiesen, die national bewußten Lehrer durch stramme Nazis ersetzt. Jeder sorbische Sprachunterricht wurde eingestellt und der öffentliche Gebrauch der sorbischen Sprache verboten.16

Sorbenfeindliche Politik als Ursache für sorbisch-deutsche Animositäten ist zwar nach dem Zweiten Weltkrieg sukzessive abgebaut worden. Der nationale Unterschied besteht jedoch nach wie vor und läßt sich auch mit noch so "verfassungspatriotischen" Argumenten nicht wegdiskutieren. Eigentlich wäre es kein Problem gewesen, nach dem Anschluß der DDR bei der an sich notwendigen Überarbeitung des Grundgesetzes die abwegige Formulierung "Deutscher ist ..., wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat" durch eine zutreffende zu ersetzen. Selbst die einfache Ersetzung von "Deutscher" durch "Bundesbürger" wäre angemessener, präziser auf jeden Fall "Bürger der Bundesrepublik Deutschland".

Ohne die umstrittene Verquickung mit der "deutschen Volkszugehörigkeit " wäre die Definition allerdings eine Tautologie und somit völlig überflüssig. So aber ist die Formulierung des Grundgesetzes verfassungsrechtlicher Ausdruck des vereinnahmenden deutschen Nationalismus, der Nichtdeutsche per Gesetz zu "Deutschen" macht, ob sie solche werden wollen oder nicht.

Diese Art von gesetzlicher "Zwangsgermanisierung" führt an sich schon die nicht nur in den Massenmedien unentwegt kolportierte Behauptung ad absurdum, im Staatsbürgerschaftsrecht der Bundesrepublik habe bis zu seiner Novellierung durch Rot-Grün der Grundsatz gegolten bzw. gelte noch immer: "Nur wer deutsches Blut in seinen Adern hat, ist auch Deutscher".17

Auch Politikwissenschaftler scheuen keineswegs gleichbedeutende Formulierungen. So behauptet beispielsweise Christoph Butterwegge, das BRD-Staatsbürgerschaftsrecht stütze sich auf die "völkische Abstammungslehre des ›deutschen Blutes‹".18

Selbst Bundeskanzler Schröder hat sich diese Legende zu eigen gemacht. In einem SPIEGEL-Interview bescheinigt er seiner Regierung eine Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts "jenseits von Blut und Boden", denn: "Das knapp hundert Jahre alte Blutrecht wurde abgeschafft".19

Die Definition des "Deutschseins" im Grundgesetz erweist sich jedoch auch als ernsthaftes Hindernis bei der Einbürgerung und Integration von Zuwanderern. Viele Nichtdeutsche erklärten in den Medien während der Kampagne der Unionsparteien gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, mit der die CDU Anfang 1999 die Landtagswahlen in Hessen gewann, gegenüber Journalisten, sie möchten zwar Bundesbürger werden, jedoch nicht ihre Nationalität aufgeben, also keine "Deutschen" werden.20 Während dieser Kampagne wurde auch deutlich, daß es nicht nur den per Grundgesetz sanktionierten vereinnahmenden, sondern auch einen keineswegs nur latenten ausgrenzenden deutschen Nationalismus gibt. Nicht wenige Deutsche verhehlten bei der Unterschriftensammlung nicht, daß sie überhaupt gegen die Einbürgerung von Ausländern sind. Und diese Haltung nehmen keineswegs nur rassistisch gesinnte Rechtsextremisten ein. Auch die etablierten Konservativen stemmen sich gegen eine Erleichterung der Einbürgerung.

Eigentlich müßten sich die Konservativen freuen. Auch sie führen doch ständig die Notwendigkeit der "Integration" der "ausländischen Mitbürger" im Munde. Allerdings meinen sie etwas anderes. Sie fordern Assimilation.

Selbstverständlich darf keinem Nichtdeutschen verwehrt sein, Deutscher zu werden, wenn er sich wirklich assimilieren lassen will. Völlig unzulässig aber ist, in dieser Hinsicht Druck auszuüben, wie dies all die tun, die unentwegt von der deutschen "Leitkultur" schwadronieren.21

Es geht darum zu gewährleisten, daß alle ständig in Deutschland lebenden Nichtdeutschen, seien es Polen, Russen, Türken, Kurden, Mongolen, Vietnamesen, Tamilen, Tutsi oder Angehörige eines beliebigen anderen Ethnos, so sie wollen, ihre Nationalität behalten dürfen und gleichzeitig das Recht erhalten, nach möglichst großzügig definierten und gehandhabten rechtlichen Bestimmungen gleichberechtigte Bundesbürger werden zu können. Sofern sie religiös sind, müssen sie auch das ungeschmälerte Recht behalten, sich ohne jede Beeinträchtigung zu ihrem christlich orthodoxen, jüdischen, islamischen, buddhistischen, hinduistischen oder sonst wie immer gearteten Glauben zu bekennen, dessen Feste zu feiern und seine Gebräuche zu praktizieren, es sei denn, diese verstießen gegen die allgemein akzeptierten Menschenrechte. Anders läßt sich die vielbeschworene interkulturelle Gesellschaft nicht gestalten.

Es gilt also, die Vermengung von Nationalität und Staatsbürgerschaft, mit der wir vor allem im Umgang mit Altbundesbürgern ständig konfrontiert werden, zu überwinden. Als Bezeichnung eines Bürgers der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von seiner Nationalität erschiene mir Deutschländer 22 geeignet.

Den gleichen Terminus hatte Rolf Koch 1996 schon vorgeschlagen und folgendermaßen begründet: "Er grenzt nicht aus, ist auch keine Negativ-Definition wie Nichtdeutsche, sondern drückt einerseits die biographische Verbundenheit mit der Bundesrepublik aus, läßt andererseits aber auch Raum für kulturelle Identitäten und Selbstdefinitionen".23 Der "gelernte Ossi" weiß eigentlich, daß man seine Nationalität nicht durch einen administrativen Akt ablegen kann, um gleichzeitig eine andere anzunehmen. Es ist pure Heuchelei, wenn die Konservativen beteuern, sie wollten die Integration der "Ausländer". So, wie sie diesen Begriff umschreiben, handelt es sich um Assimilation, um völlige Aufgabe der ursprünglichen Identität.

Da sie wissen, daß sie die Germanisierung nicht erzwingen können, gestehen sie implizit auch ein, daß sie gar keine Integration wollen. Sie wollen, was sie früher offen hinaus posaunten, heute aber nicht mehr zu sagen wagen: "Ausländerrückführung" im Sinne des westdeutschen zurückführen = reduzieren.

Natürlich erweisen auch die einer echten Integration keinen guten Dienst, die, wie manche Vertreter bzw. Anhänger der derzeitigen Regierung unentwegt wiederholen, man müsse es Ausländern erleichtern, "Deutsche zu werden".24 Ohne es zu wollen, schüren sie damit geradezu Vorbehalte gegen die Einbürgerung.

Wenn also die Minderheitenpolitik der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der keine 150 000 Seelen ausmachenden autochthonen Minderheiten zweifellos gewisse Fortschritte aufzuweisen hat, begegnet sie den mehrere Millionen zählenden allochthonen Minderheiten mit einer nicht nachvollziehbaren Ratlosigkeit. Dem Vorwort Alastair G. H. Walkers zur bereits zitierten Dokumentation des Kongresses vom November 2001 ist zu entnehmen, zunächst sei eine Einbeziehung der Sprachen "sowohl autochthoner (alteingesessener) als auch allochthoner (kürzlich eingewanderter)" Minderheiten vorgesehen gewesen. "Im Zuge der weiteren Vorbereitungen wurde jedoch beschlossen, den Kongreß auf die autochthonen Sprachen zu beschränken."

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Inneren der ersten rot-grünen Regierung, Frau Sonntag-Wolgast, bemerkte in ihrer Kongreß-Einführung, vielleicht ließen sich "einige Prinzipien, die in den zwei Tagen des Kongresses ausgearbeitet werden", auch auf die Sprachen der allochthonen Minderheiten übertragen.

Den Eindruck völliger Ratlosigkeit mußte man auch aus den widersprüchlichen Äußerungen von Bundesinnenminister Schily und seinen ständigen Konzessionen an die Union gewinnen. Kaum im Amt, sprach er sich entschieden gegen zweisprachige Straßennamenschilder in Kreuzberg aus.25 Daß er keine "türkischen Enklaven" und keine "zweisprachigen Ortsschilder" will, erklärte er im Januar 2000 in Hamburg vor Delegierten der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD).26 Dann wieder versicherte er allen Nichtdeutschen, niemand wolle ihnen die Aufgabe der eigenen Identität abverlangen.

Wenige Wochen vor der dann knapp gewonnenen Bundestagswahl ließ er die Katze aus dem Sack. Am 27. Juni überschrieb die Süddeutsche Zeitung ein fast eine Seite füllendes Interview, das Innenminister Schily dem SZ-Redakteur Heribert Prantl gegeben hatte, mit dem Satz "Ich möchte keine zweisprachigen Ortsschilder haben." Nun kommt dieser Satz im Text des Interviews nicht vor. Es muß sich jedoch allmählich herumgesprochen haben, daß es Schily bei seinen vergeblichen Versuchen, zu einer vertretbaren Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik zu gelangen, vor allem darauf anlegt, den Migranten den unbehinderten Gebrauch ihrer Muttersprachen zu verweigern und daß dabei Ortsschilder eine Rolle spielen.27 Er wählt also das denkbar untauglichste Mittel, das geeignet ist, jedwede Integration zunichte zu machen. Denn es ist absurd, ausgerechnet der zahlenmäßig stärksten nichtdeutschsprachigen Minderheit die Aufgabe der Muttersprache abzuverlangen.28

Die beste Integration sei also die Assimilation, die völlige Aufgabe der eigenen Identität. Dem ehemaligen Linksradikalen und nunmehrigen SPD-Minister war das Kunststück gelungen, die Konservativen rechts zu überholen. Er hatte sich für die reaktionärste Variante der Minderheitenpolitik entschieden. An Realitätsblindheit ist eine solche Haltung nicht zu überbieten. Denn es geht ja gar nicht darum, die "Entwicklung" von Minderheiten, von "Parallelgesellschaften", wie es im Jargon der Kohlregierung meist hieß, zu verhindern. Sie existieren ja längst.

Das Echo auf Schilys Provokation war merkwürdig verhalten. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck nannte Schilys Äußerungen "nicht glücklich". Müntefering warnte vor "problematischen Begriffen". Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Cem Özdemir meinte immerhin, der Begriff erwecke den Eindruck einer "Leitkultur-Debatte auf sozialdemokratisch ". Die Formulierung "Koalitionskrach um Schily", mit der Neues Deutschland am 28. Juni seine Sammlung von Auszügen aus Agenturmeldungen überschrieb, erscheint jedenfalls reichlich übertrieben.

Mit verständlicher Empörung reagierten eigentlich nur die unmittelbar Betroffenen. Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, der Türke Mehmet Kilic, warf Schily vor, einen "rechtspopulistischen Wahlkampf mit sozialdemokratischem Etikett" zu führen.29 Und damit dürfte er den Nagel auf den Kopf getroffen haben.

Der in Schilys Assimilierungspostulat zum Ausdruck kommende vereinnahmende deutsche Nationalismus muß durch seine extreme Ausprägung zu entsprechendem Widerstand herausfordern. Damit spielt er zwangsläufig auch dem ausgrenzenden Nationalismus der extremen Rechten in die Hände. Die rot-grüne Koalition indes sah nach ihrer vielleicht auch dadurch ermöglichten Wiederwahl keinen Grund, auf eine erneute Ernennung des Bundestagsalterspräsidenten Schily zum Bundesinnenminister besser zu verzichten.

Ronald Lötzsch - Jg. 1931; Prof. Dr., Sprachwissenschaftler (Arbeiten vor allem zur Sprachtypologie und Kontaktlinguistik) und Minderheitenforscher Sorabist), Berlin. Zuletzt in UTOPIE kreativ: Was ist ein Volk und was eine Nation?, Heft 103/104 (Mai/Juni 1999).

1 Am ausführlichsten in meiner 2001 von der Rosa- Luxemburg-Stiftung in ihrer Reihe Manuskripte (Nr. 16) veröffentlichten Studie Die Linke und ihr Verhältnis zu Nation und Nationalstaat. Nationalismus und nationale Minderheiten (im folgenden angeführt als rls-Studie).

2 Die 1. Auflage erschien 1993 im Verlag der Bertelsmann Stiftung.

3 Näheres zum terminologischen Aspekt s. rls-Studie S. 86-89.

4 Eine solche Ausnahme bilden aus Griechenland stammende Makedonier, die nach dem Ende des griechischen Bürgerkrieges in die Tschechoslowakei emigrierten. In der Tschechischen Republik sind sie heute als nationale Minderheit anerkannt.

5 Ausführlicher in Verf., Was ist ein Volk und was eine Nation, in: UTOPIE kreativ 103/104 (Mai/Juni 1999), S. 15-30 (im folgenden angeführt als Was ist ein Volk) sowie in der rls-Studie, S. 74-80. Dort gehe ich auch näher auf die Minderheitenpolitik Frankreichs ein, die in Westeuropa mit dem 1793 verhängten generellen Verbot ihres offiziellen Gebrauchs das krasseste Beispiel für eine auf vollständige Assimilierung ausgerichtete Haltung gegenüber Minderheitensprachen liefert. Andererseits kann auf die Schweiz verwiesen werden, deren alteingesessene Bürger, ganz gleich, ob sie Deutsch, das heißt normalerweise einen alemannischen Dialekt, Französisch, Italienisch oder Bündnerromanisch sprechen, sich als Angehörige einer Nation, der schweizerischen oder eidgenössischen, verstehen. Dies wurde möglich, weil alle vier Sprachgemeinschaften gleichberechtigt sind.

6 Näheres auch hierüber in der rls-Studie (S. 80-83, 93-130).

7 Hinsichtlich der Sowjetunion s. hierzu Verf., Sowjetische Nationalitätenpolitik von Lenin bis Gorbatschow, in: Lothar Hertzfeldt (Hg.), Die Sowjetunion. Zerfall eines Imperiums, Frankfurt/M. 1992, S. 67-101 (Anmerkungen S. 317-320) bzw. rls- Studie, S. 101-105.

8 Besonders kraß war die Mißachtung der Interessen der russischen Minderheit in den neunziger Jahren in Lettland. Hierzu s. Was ist ein Volk, S. 29, bzw. rls- Studie, S. 83. Das Bestreben, möglichst bald Mitglied der EU werden zu können, hat inzwischen zu einer Annäherung an deren postulierte und in einigen EU-Staaten auch teilweise realisierte Maßstäbe geführt.

9 Der englische Text wurde veröffentlicht in Tove Skutnabb-Kangas/Robert Phillipson (Eds.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination, Berlin - New York 1995, p. 383-395).

10 Nachzulesen in Sprachenvielfalt und Demokratie in Deutschland. Dokumentation des Kongresses vom 16.-17. November 2001 in den Landesvertretungen Niedersachsen und Schleswig- Holstein, Berlin. Zusammengestellt von Alastair G. H. Walker. Herausgegeben von European Bureau for Lesser Used Languages, Komitee für die Bundesrepublik Deutschland, Brüssel 2002.

11 Dokumentation, S. 89 f.

12 In der Tat spielen Dänisch und Nordfriesisch in der Öffentlichkeit Schleswig- Holsteins keine Rolle. Daß in Flensburg die Hinweise für die Benutzung von Parkautomaten auch eine dänische Version aufweisen, ist wohl weniger den einheimischen Dänen als den Besuchern aus Dänemark zu verdanken. Straßennamen in Sölring, der nordfriesischen Inselmundart, sieht man verschiedentlich auf Sylt. Der obersorbischen Zeitung Serbske Nowiny (Â’Sorbische ZeitungÂ’) vom 20. Juli 2001 war zu entnehmen, daß die circa 2500 Ostfriesen im niedersächsischen Saterland begonnen haben, zweisprachige Ortsschilder aufzustellen.

13 Mit der zusätzlichen Verwendung dieses Namens kommen die brandenburgischen Behörden den Bestrebungen von Niedersorben entgegen, sich auch auf diese Weise von den Sorben der Oberlausitz sprachlich abzugrenzen. Denn die Obersorben verwenden seit der Befreiung vom Naziregime als deutsche Entsprechung der allen Sorben gemeinsamen muttersprachlichen Eigenbezeichnung Serb nur noch das davon abgeleitete Sorbe. Gleiches gilt für die von den Ethnonymen Wende bzw. Sorbe abgeleiteten Adjektive wendisch bzw. sorbisch. Der Name Wende und das damit korrespondierende Beziehungsadjektiv wendisch gehen auf Wörter zurück, mit denen die Germanen ursprünglich alle Slawen bezeichneten. In Deutschland und Dänemark, den beiden germanischsprachigen Staaten, in denen von allem Anfang an auch Slawen lebten bzw., wie in Deutschland, noch immer leben, wurde dieser Sprachgebrauch beibehalten. Allerdings unter Beschränkung auf die im Lande siedelnden Minderheiten. Auch die Sorben verwendeten, wenn sie deutsch sprachen oder schrieben, früher die Fremdbezeichnungen Wende und wendisch. Da diese im Sprachgebrauch von Deutschen nicht selten eine pejorative Nebenbedeutung erhielten, wurden sie von national bewußten Sorben zunehmend vermieden und stattdessen Sorbe bzw. sorbisch gebraucht. Die Ersetzung von Fremdbezeichnungen durch von den Eigenbezeichnungen abgeleitete Ethnonyme entspricht einer weltweiten Tendenz. Auch Roma und Sinti, Saamen oder Inuit wollen nicht mehr "Zigeuner", "Lappen" bzw. "Eskimos" genannt werden. Die gegenläufigen Bestrebungen einiger brandenburgischer Sorben sind ein Anachronismus. Mit dieser Problematik setzt sich die in Sielow bei Cottbus geborene, aber nicht mehr zweisprachig aufgewachsene Sorbin Marianne Buckwar-Raak in ihrem Buch Wendin? Sorbin? Lusizerin! Auf den Spuren unserer Geschichte (2000) auseinander.

14 Das Land Sachsen hatte bereits 1948, vor seiner 1952 im Rahmen der Verwaltungsreform der DDR erfolgten Abschaffung, ein entsprechendes Gesetz angenommen. Nach der Wiederherstellung der Länder 1990 wurde die Gültigkeit dieses Gesetzes nicht angefochten.

15 In der Minderheitenpolitik des BRD-Landes Schleswig-Holstein wird, wenn auch nicht konsequent, zwischen der "Volksgruppe " der Nordfriesen und der "nationalen Minderheit " der Schleswiger Dänen unterschieden. Für die Nordfriesen bietet der Terminus "Volksgruppe" den Vorteil der Überbrückung der jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen "deutschgesinnten" und "nationalen" Friesen. Näheres hierzu in der rls-Studie, S. 87f.

16 Ausführlich in Geschichte der Sorben, Band 3, Bautzen 1976, S. 117-182).

17 So zum Beispiel Sigrid Averesch in der Berliner Zeitung vom 16. Oktober 1998 in einem Artikel mit der Überschrift "Nach 95 Jahren ist das deutsche Blutsrecht passé".

18 Christoph Butterwegge: Globalismus, Neoliberalismus und Rechtsextremismus, in: UTOPIE kreativ, Heft 135 (Januar 2002), S. 61.

19 Vgl. Der SPIEGEL, Nr. 30/2002, S. 27. Etwas näher gehe ich auf diese Frage in der rls-Studie (S. 138 f.) ein. Eine ausführlichere Darstellung, die auch den historischen Aspekt berücksichtigt, muß jedoch einer speziellen Arbeit vorbehalten bleiben.

20 Eine junge Türkin mit deutschem Paß formulierte es gegenüber dem SPIEGEL (2/1999, S. 29) folgerndermaßen: "Natürlich bin ich Türkin, und meine Kinder werden es auch sein. Und deren Kinder wohl auch."

21 In der Kontroverse um Bundesinnenminister Schilys Forderung nach Assimilation der allochthonen Minderheiten, auf die noch einzugehen ist, zitiert die Tageszeitung vom 28. Juni 2002 den innenpolitischen Sprecher der SPD Dieter Wiefelspütz, der die Auffassung vertrat, seine Partei fordere lediglich "Integrationsbereitschaft ". Ob sich ein Zuwanderer assimilieren lassen wolle, sei "eine freie Entscheidung".

22 Die Homonymie mit dem Namen einer Wurstsorte sollte uns nicht stören. Ivo Bozic, der in der Jungle World vom 13. Februar 2002 darauf anzuspielen scheint, ist offenbar nicht bekannt, daß in Deutschland lebende Türken dieses Wort in deutschsprachigen Texten als Äquivalent für das türkische Wort mit der Bedeutung "Deutsch(land) türke" verwenden. Erstaunlicherweise überschrieb das Neue Deutschland am 15./16. Februar dieses Jahres im Zusammenhang mit den erneuten Kontroversen zum Zuwanderungsgesetz einen Kommentar von Claus Dümde ohne jede weitere Erläuterung mit dem Wort "Deutschländer". Man kann vermuten, daß damit einbürgerungswillige und nach Auffassung des Kommentators einzubürgernde Nichtdeutsche gemeint sind.

23 Rolf Koch: Medien mögenÂ’s weiß. Rassismus im Nachrichtengeschäft. Erfahrungen von Journalisten in Deutschland und USA, München 1996. Zitiert nach der Besprechung von Peter Böhm in junge Welt vom 30. Juli 1996.

24 Geradezu penetrant plazieren manche Zeitungen derartige Losungen in dicken Balkenüberschriften. So die Tageszeitung zu Artikeln über Einbürgerungshemmnisse "Deutschwerden dauert" (22./23. Januar 2000) oder "Schneller deutsch werden" (10. Juli 2002). Oder am 9. Februar dieses Jahres die Berliner Morgenpost "34 000 Berliner wollen Deutsche werden". Gemeint sind natürlich Berliner Migranten.

25 So in einem am 15. November 1998 im Tagesspiegel veröffentlichten Interview.

26 Nach Tageszeitung vom 24. Januar 2000.

27 Lediglich die zweisprachigen Orts- und Straßennamenschilder im sorbischen Siedlungsgebiet scheinen Schily nicht zu stören. Jedenfalls hat er sich während seines mit "großem Bahnhof" bedachten Besuchs bei der Domowina im letzten Jahr dazu nicht geäußert. Haben ihm etwa die in den Medien thematisierten verwandtschaftlichen Beziehungen zu Sorben, die er entdeckt haben will und die er auch im SZ-Interview erwähnt, gewisse Rücksichten auferlegt?

28 O-Ton Schily: "Ich will nicht, dass sich eine homogene Minderheit entwickelt, deren erste Sprache Türkisch ist ... Die Muttersprache muß Deutsch sein oder werden."

29 Tageszeitung vom 28. Juni 2002.

in: UTOPIE kreativ, H. 151 (Mai 2003), S. 406-414

aus dem Inhalt:

Gesellschaft: Analysen & Alternativen
CHRISTOPH BUTTERWEGGE Migrant(inn)en, multikulturelle Gesellschaft und Rechtsextremismus in den Massenmedien 395
RONALD LÖTZSCH Widersprüche in der bundesdeutschen Minderheitenpolitik 406
Geschichte & Politik

FRITZ VILMAR "... nur noch ein Haufen kalter Asche". Aufstieg und Zusammenbruch des Sozialismus. Was tun? 415
STEPHEN ERIC BRONNER "Was tun?" und Stalinismus 425 FRANK RICHTER Für eine Rekonstruktion des historischen Materialismus 435
STEPHAN WOHANKA Ist die Vergangenheit für die Gegenwart verantwortlich? Geschichte als Interpretation 446
Standorte

ANDREAS HEYER Politische Utopien der europäischen Neuzeit 456
ULRICH BUSCH Vergessene Utopien: Friedrich Nietzsches Vision vom Übermenschen 460