Kommentar: Antisemitismus wegen Auschwitz

Eine Nachbetrachtung zum "Fall Möllemann"

In den vergangenen Wochen hat sich in Deutschland - wieder einmal - ein Lehrstück über den hiesigen nachfaschistischen Antisemitismus abgespielt, ...

... der sich vom Antisemitismus des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts absetzt. Letzterer stellte noch ein umfassendes Weltbild dar: Alle als bedrohlich empfundenen Phänomene der anbrechenden kapitalistischen Moderne wurden einer weltweiten Verschwörung der Juden und deren verderblichem Wirken in Wirtschaft, Politik und Kultur zur Last gelegt; die Vernichtung dieser "Feinde aller Völker" bildete den logischen Fluchtpunkt.

Nicht, dass es einen derartigen Antisemitismus als Welterklärung nach 1945 nicht mehr gäbe. Grundlegend für den gegenwärtigen Antisemitismus in Deutschland ist jedoch, dass durch die "deutsche Tat Auschwitz" hierzulande das verloren ging, worauf jedes Bedürfnis nach "nationaler Identität" konstitutiv angewiesen ist: die fraglose Gewissheit, einer "guten Nation" anzugehören. Hieraus resultiert ein starker Wunsch nach Entlastung von der deutschen Vergangenheit, der nur allzu leicht in einen Antisemitismus "nicht trotz, sondern wegen Auschwitz" mündet.

Dieser "sekundäre Antisemitismus" will nicht mehr die Welt in toto erklären. Wohl aber macht er die Juden für den prekären Zustand der "deutschen Identität" verantwortlich. Das schlechte nationalistische Gewissen wähnt sich als leidendes Opfer, das verfolgt von jüdischen Schuldvorwürfen gebeugten Hauptes durchs Leben gehen müsse. Der sekundäre Antisemitismus wird spätestens dann manifest und aggressiv, wenn sich das Bedürfnis nach "Normalität" und "Schlussstrich" durch Einspruch gerade von jüdischer Seite bedroht sieht. Dann gilt es sich "endlich" zu wehren gegen die rachsüchtigen und medienmächtigen Juden und deren "Moralkeule" Auschwitz.

Deshalb ist auch die Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus so verlockend: Die deutsche Vergangenheit wird bestens entsorgt, indem die unschuldigen Opfer der Vergangenheit zu den schuldigen Nazi-Tätern der Gegenwart erklärt werden, gegen die mit allen gebotenen Mitteln vorgegangen werden müsse. Insbesondere die Neue Linke leistete auf diesem Feld der Vergangenheitsbewältigung seit Ende der 60er Jahre Pionierarbeit. Sie warf Israel einen "Holocaust" und eine "Endlösung der Palästinenserfrage" vor. Viele endeten folgerichtig bei der Forderung: "Israel muss weg!"

Für diese Mechanismen bietet der Fall Möllemann neuerliches Anschauungsmaterial: Der FDP-Vize sprach bereits im letzten Herbst von einem israelischen "Staatsterrorismus", der "seine Soldateska im Westjordanland von der Leine" lasse. Auf Kritik seitens des Zentralrats der Juden reagierte er in typisch antisemitischer Manier und erklärte die Deutschen zu einem von Juden geknechteten Volk: "Aus einem Gefühl der Schuld heraus" traue sich niemand in Deutschland, die Politik Israels zu kritisieren. "Die ganze Nation duckt bei diesem Thema weg". Auch Außenminister Fischer betreibe aus Angst eine "liebdienerische Politik gegenüber Israel". Und wer jagt den Deutschen soviel Angst ein? Die Medienmacht der Juden, personifiziert in Michel Friedman: "Wer sich mit ihm im Fernsehen anlegt, wird zum Antisemiten erklärt". Keinen Antisemitismus konnte der FDP-Vize hingegen in den Äußerungen des Ex-Grünen und potenziellen Mitglieds seiner Landtagsfraktion Karsli erkennen. Dieser hatte mehrfach von "Nazimethoden" Israels, einer drohenden "Vernichtung der Palästinenser" und einer weltweiten "zionistischen Lobby" phantasiert, vor der selbst US-Präsident George Bush "ständig auf die Knie fallen" würde. Entschuldbare "missratene Formulierungen" seien dies, meinte Möllemann und konterte die heftige Kritik des Zentralrates umgehend mit dem typischen antisemitischen Anwurf, die Juden seien selbst schuld am Antisemitismus: Es habe "kaum jemand den Antisemiten mehr Zulauf verschafft als Herr Sharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner untoleranten, gehässigen und überheblichen Art".

Der nun folgenden Entrüstung und dem Vorwurf des Antisemitismus trotzte Möllemann in populistischer Heldenpose: Er werde trotz der "öffentlichen Hetzjagd" vor dem Juden Friedman "nicht kriechen", sondern weiterhin das aussprechen, was alle Deutschen dächten. Mochten die E-Mails auf seiner Homepage vor antisemitisch-nationalistischem Ressentiment strotzen - Möllemann berief sich stolz auf die Woge der Zustimmung des "ganzen Volkes in ganz Deutschland", die ihn umbrande.

Heftige Israelkritik, die Verteidigung antisemitischer Äußerungen, das Stereotyp von der jüdischen Medienmacht, die den Deutschen Schuldgefühle einrede und jede offene Meinungsäußerung des "Volkes" über Israel unterdrücke, die perfide antisemitische Legitimationsfigur, die Juden seien selbst schuld, die Selbstdarstellung als verfolgte Unschuld, die nur der unterdrückten Stimme des Volkes Ausdruck verleihe - bei Möllemann findet sich nicht nur ein veritabler sekundärer Antisemitismus, sondern er ist der erste etablierte Politiker im Nachkriegsdeutschland, der diesen aus Machtkalkül über Wochen hinweg propagierte und bediente.

Weitaus offenere Worte zu Israel findet noch der Newsletter der von Möllemann präsidierten Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Hier finden sich Monat für Monat antisemitische Tiraden: In Deutschland veranstalte eine "wie auf Fernsteuerung sich empörende Presse" eine "Hexenverfolgung" gegen alle Israelkritiker, die "gewählten Politclaqueure" in Berlin seien "geistige Lakaien", die ständig "Ergebenheitsadressen nach Tel Aviv senden". Dort führe eine "Totschlägerregierung" einen "Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk". Die israelische "Vernichtungs- und Tötungsmaschinerie" ziele auf eine "ethnische Säuberung", um die Westbank "palästinenserfrei" zu machen. Da müssen Deutsche leider das Todesurteil fällen: "Israel hat jeden Kredit verspielt" und ginge nunmehr "vollends seiner physischen Rechtfertigung verlustig". Besser kann man den "Antisemitismus wegen Auschwitz" nicht zu Ende denken.