Kämpfe für ein freies Leben

Notre-Dames-des-Landes. Ursachen, Abläufe und Konflikte bei den ZAD-Räumungen in Frankreich

Im Januar 2018 wurde das Projekt Großflughafen Notre-Dames-des-Landes (NDDL) bei Nantes von der französischen Regierung nach jahrzehntelangem Widerstand aufgegeben (vgl. GWR 426). Vom 9. bis 16. April wurden 29 der ca. 100 verbliebenen illegalen Höfe und Projekte selbstverwalteten Lebens und Arbeitens auf dem Gebiet ZAD (Verteidigenswerte Zone) brutal geräumt. Weitere zehn Räumungen fanden Mitte Mai statt. Die Aktivistin Camille war dabei und berichtet. (GWR-Red.)

 

Bei einem Besuch des Hambacher Forsts lernte ich im Frühjahr 2017 Bewohner*innen der ZAD kennen und beschloss, dort hin zu fahren. Im Juni 2017 war ich erstmals eine Woche vor Ort und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Mikrokosmos an unterschiedlichem Wissen und an Aktivitäten, der hier geschaffen wurde, kombiniert mit politischen Diskussionen, einem respektvollen Umgang der Menschen untereinander und der herzliche Empfang bestätigten mir, dass ich hier nochmal vorbeikommen wollte. Im August 2017 kam ich erneut, angesichts der dortigen „intergalaktischen Woche“. Seit September 2017 hatte ich dann meinen Lebensmittelpunkt in Nantes und in der ZAD. Meine Motivation, immer wieder herzukommen, bestand darin, mir die alternativen Lebensweisen anzusehen. Ein Widerstand gegen ein staatliches Bauprojekt, der seit über 45 Jahren immer wieder aufflammt, bringt nicht nur eine Vielfalt an unterschiedlichen Formen der Gegenwehr gegen die immer weiter vorangetriebene Kapitalisierung unserer Welt hervor, sondern auch eine Vielzahl an Gestaltungsformen des Alltags. Die Organisation und Umsetzung der rechtsfreien Zone weckten meine Neugier. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, sich gegen die Umsetzung staatlicher Projekte aktiv und kollektiv wehren zu müssen.

Damit meine ich Bauprojekte und alle staatlichen Übergriffe, die individuelle Rechte verletzen und Großkonzernen und anderen neoliberalen Akteur*innen zu Gute kommen – was Widerstände gegen Privatunternehmen einschließt. Das Symbol einer Zone, in der die herrschende Ordnung nur eingeschränkt greift, stellt über die Grenzen der ZAD hinaus eine Utopie dar, die versucht, das Versprechen einzulösen, dass es anders möglich ist.

 

Einbindung in kollektive Zusammenhänge

 

Die Bekanntschaften, die ich im Hambacher Forst gemacht hatte, brachten mich unter. Sie stellten meine ersten Kontakte vor Ort dar.

Es hat etwas gedauert, bis ich einen Überblick über die Kollektive, Wohnorte, Gruppen und Aktivitäten bekam. Ich stellte auch fest, dass es Konflikte um politische Gruppierungen, z.B. die sogenannten „Appellist*innen“ gibt, die ich erst nach einiger Zeit verstand. Dadurch, dass die Organisation überall selbstverwaltet abläuft, findet man jedoch relativ schnell einen Platz. Jede Woche gab und gibt es eine „ZAD-News“, in der alle Aktivitäten aufgelistet sind. Ich konnte also bald in verschiedenen Gruppen aktiv werden – z.B. in einer Anti-Sexismus-Gruppe, bei der verschiedene Aktivitäten zu Sensibilisierung und einer kollektiven Positionierung zu diesem Thema ausgearbeitet wurden; oder in einer Gruppe, die jede Woche freitags für den „non-marché“ (Nicht-Markt) bretonische Galettes zubereitete, oder auch einen Garten-Tag im medizinischen Pflanzengarten durchführte usw.

Die Bewohner*innen der ZAD sind es gewohnt, neu Ankommende aufzufangen, die ersten Schritte der Einbindung in kollektive Zusammenhänge muss allerdings jede*r selbst leisten – mit Unterstützung der Anderen. Besonders spannend sind der Austausch der Kollektive untereinander und der Versuch, diese Beziehungen nicht-hierarchisch zu organisieren, ebenso die Konflikte und deren Austragung. Die ZAD beansprucht, eine „andere Welt“ schaffen zu wollen – ein Riesenthema, über das sich ein ganz eigener Artikel schreiben ließe. Zusammenfassend kann ich hier sagen, dass alle Beziehungen – Konflikte wie Freundschaften – sehr wichtig sind, um die Auseinandersetzungen mit eben jenen Fragen voranzutreiben, die da lauten: Welche Welt wollen wir? Wie gehen wir mit den unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten vor Ort um? Wie können wir es schaffen, für jede*n einen Platz zu schaffen – trotz bestehender Unstimmigkeiten hinsichtlich bestimmter Positionen.

 

Räumungen als Kaschieren der staatlichen Niederlage

 

Der Staat hat ein wichtiges Bauprojekt, das seit über 45 Jahren im Raum stand, abgesagt. Das bedeutete auch – vor allem medial –, sich dem Druck des Widerstands gebeugt zu haben. Das lässt gerade in anderen Widerstands-Kontexten eine starke Hoffnung aufkommen, dass es immer noch möglich ist, sich durch Widerstand gegen Projekte und Reformen erfolgreich aufzulehnen. Das ist m.E. einer der wichtigsten Gründe, warum der Staat überhaupt die Zerstörung der Zone in Angriff nahm. ZADs gibt es mehrere in Frankreich und es werden auch in anderen Städten und Dörfern Widersprüche gegen Bauprojekte lauter. Das Wecken von Hoffnungen und Motivationen für erfolgreichen Widerstand kommt dem Staat gerade sehr ungelegen, angesichts der Reformen Macrons und seiner elitären, den Neoliberalismus voran treibenden Agenda.

In den politischen Parteien, den Medien und der Gesellschaft wurden nach der offiziellen Absage des Projekts die Stimmen lauter, die den Weiterbestand der ZAD kritisierten. Der Flughafen werde doch nicht mehr gebaut, wieso sollten also Besetzer*innen weiter auf dem Gebiet leben? Das Handeln des Staates wurde also auch auf der Grundlage eines rechtlich nicht-legitimierten Fortbestands dieses Gebiets als ZAD eingefordert.

Auf der anderen Seite gab es seit dem Entscheid vom 17. Januar 2018 und der offiziellen Verlautbarung, dass ein öffentlicher Nutzen des Gebiets ab dem 8. Februar nicht mehr vorhanden sei, auch viele positive Berichte in den Medien über die Projekte der ZAD. Daher ist meine Vermutung, dass der Staat durch eine relativ zügige Räumung und Aktivierung seinerseits vor allem auch eine potentiell aufkommende unkalkulierbare Solidarität innerhalb der Gesellschaft unterbinden wollte.

Die Formen kollektiver Organisation, der landwirtschaftlichen Experimente in der ZAD, die außerhalb der staatlichen Normen stattfinden, stellen letztlich bestehende Regulierungen und die derzeitige sowie künftig geplante staatliche Organisation in Frage und sind daher für den Staat eine Bedrohung. Eine rechtsfreie Zone, die die kapitalistische Grundordnung des Staates kritisiert, sollte auf keinen Fall weiter toleriert werden.

Es ging hier darum, ein Exempel zu statuieren. Der Ablauf der sogenannten „trève hivernale“ (bis 31. März; eine sogenannte Winterpause für Wohnungsräumungen, die aus der Regierung Jospin in den Neunzigerjahren stammt) musste noch abgewartet werden, danach war jedoch eine schnelle Reaktion des Staates zu erwarten.

Zudem ist die ZAD international mit unterschiedlichen Widerstandsgruppen vernetzt, was sicherlich ein weiterer Grund dafür war, die Zerstörung des politischen Aktivismus in diesem Projekt anzustreben.

 

Die staatliche Forderung nach individueller Projektregistrierung

 

Die Forderung des Staates, die bisher offiziell als illegal geführten Besetzer*innen zu zwingen, ihre Projekte individuell bei der Präfektur zur Genehmigung einzureichen, bedeutet eine unglaublich große Herausforderung für die Organisation des kollektiven Widerstands der Menschen in der rechtsfreien Zone. Seitdem das minimalste gemeinsame Ziel – das Bauprojekt – weggefallen ist, werden allen die starken Differenzen unter den Bewohner*innen der ZAD bewusst. Eine neue Einigung zur Organisation des Zusammenlebens in der Zone muss ausgehandelt werden, was viel Anstrengung und Zeit bräuchte.

Es kam fast täglich zu Versammlungen und zu Streitigkeiten zwischen unterschiedlichen politischen Positionen in der ZAD. Zunächst gab es bis zu den anstehenden Räumungen Anfang April noch klare gemeinsame Forderungen und Positionen, z.B. die Notwendigkeit für die enteigneten Bäuer*innen und Bewohner*innen, ihre Rechte so schnell wie möglich vollständig wiedererlangen zu können; die Ablehnung jeglicher Vertreibung derjenigen, die in den letzten Jahren in den Wald gezogen sind (was inzwischen durch die Räumung ihrer Wohnorte geschehen ist); ein Wille, das Land in der ZAD langfristig durch die Bewegung zu übernehmen, d.h. von Bäuer*innen, Naturschützer*innen, Anwohner*innen, Vereinen, alten und neuen Bewohner*innen.

Die Besetzer*innen und die einzelnen Komponenten des Widerstands waren sich darüber einig, dass eine „COC Collective“ (Code des obligations et des contracts; Kollektiver Verpflichtungs- und Vertragskodex) das gemeinsame Ziel aller war, um das Gebiet weiterhin kollektiv zu nutzen. Als nach einigen Treffen mit der Präfektur klar wurde, dass eine solche kollektive Konvention nicht akzeptiert werden würde sowie andere Formen der kollektiven Projektweiterführung ebenfalls abgelehnt würden, wurde beschlossen – allerdings nicht in geschlossener Übereinstimmung –, dass ein Maximum an Projektformularen eingereicht würde, die auch nicht-landwirtschaftliche Projekte mit einschließen sollten, um die Vielfalt in der Zone zu betonen. Eine umfassende Aufzeichnung der Funktionsweisen der Projekte wurde auf den Formularen festgehalten, um die kollektive Dimension der Projekte zu unterstreichen und den eingeschränkten Rahmen der Individualprojekte auf diese Weise ein wenig zu sprengen. Es wurden Kollektivbegriffe benutzt, z.B. die Form der Association (Verein) mit dem Namen der Präsident*in (rein auf dem Papier), um diese Formulare dann so einzureichen.

Natürlich waren die Meinungen zum Einreichen der Formulare geteilt und einige Menschen in der ZAD wollten weder ein Projekt einreichen noch aus der bisher möglichen Anonymität gegenüber dem Staat heraustreten. Der immense politische Druck und die militärische Intervention auf dem Gebiet führten zu vielen, emotional geführten Diskussionen. Einige Bewohner*innen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlten, haben die ZAD inzwischen verlassen. Eine Spaltung der Bewegung ist m.E. schon irgendwie Wirklichkeit geworden.

Bewohner*innen, die keine Forderungen stellen und sich die Freiräume nehmen, ohne auf den Staat zuzugehen, sind vergleichsweise isolierter. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Einreichung der Formulare zu einer Art „Zähmung“ der Menschen durch den Staat führt und wie sich diese langfristig auf den bisher geschaffenen Freiraum auswirken wird.

Ich möchte dennoch nicht von einer kompletten Zersplitterung der Bewegung sprechen. Die Bewegung muss sich neu definieren und sich neue gemeinsame Ziele stecken sowie über die kollektive Weiterführung und das Weiterleben der sozialen und kulturellen Vielfalt diskutieren. Das ist ein Prozess, der nicht erst jetzt beginnt, aber in Anbetracht der Umstände etwas schneller vorangetrieben wird.

 

Traumatisierende Erfahrungen bei den Räumungen

 

Die ersten drei Tage der Räumungen habe ich persönlich als traumatisierend erfahren. Die militärische Präsenz war extrem angsteinflößend und destabilisierend. Bereits die Präsenz von 2500 Gendarmen im Verhältnis zu den 200 Bewohner*innen unterstrich den Willen des Staates, auf gewaltsame Weise die rechtsfreie Zone zurückerobern zu wollen. Die meisten Unterstützer*innen kamen erst ab dem zweiten Tag der Räumungen (10. April) in die Zone, da es uns unmöglich war, klare Daten der Räumungen nach außen zu kommunizieren. Aus meiner Perspektive begann besonders der 3. Tag der Räumungen friedlich und unter gewaltfreien Gedanken: ein Picknick, zu dem auch Nachbar*innen aus den umliegenden Dörfern, Bäuer*innen und andere Unterstützer*innen gekommen waren. Dieser Tag sowie die anderen Tage endeten für mich persönlich extrem gewaltvoll – hier kann ich nur für mich sprechen, da andere sicherlich den Verlust ihres Wohnortes als extrem traumatisierend erlebt haben und dies vielleicht an einem anderen Tag passierte. Einzelerlebnisse von Genoss*innen, die vom PSIG (Peloton de surveillance et d’intervention de la Gendarmerie; Überwachungs- und Interventionskommando der Gendarmerie) nachts entführt und ausgesetzt wurden, bezeugen nur einen Teil der Mittel, die eingesetzt wurden, damit die Bewohner*innen das Gebiet endlich eingeschüchtert verlassen sollten.

Es herrschte absoluter Ausnahmezustand. Ab 7 Uhr morgens flogen die Granaten, und zwar nicht nur Blendgranaten, sondern auch sogenannte „Grenades de desencerclement“ (engl.: sting-ball-grenades; dt.: Granaten zur Zerstreuung von Demonstrant*innen), Räumpanzer fuhren, Gummigeschosse flogen, Schlagstöcke und andere Granaten mit gelben und rosafarbenen Gasen, zu deren Bestandteilen wir bisher lediglich bedingt Informationen haben – in jedem Fall waren „Grenades incapacitantes“ (bewegungsunfähig machende Granaten) dabei. Bestätigt sind bisher Chlorrückstände in Tränengaskartuschen. Andere Granatenteile wurden zur Untersuchung eingereicht.

Sogar die Presse berichtete, dass Granaten, Gummigeschosse und Tränengasgranaten direkt auf Köpfe und Körper der Leute abgefeuert wurden. Am dritten Tag der Räumungen hatten wir insgesamt zu wenige Streetmedics und Ärzt*innen vor Ort, so dass wir an einen strategisch wichtigen Punkt komplett vom Rest der ZAD abgeschnitten und eingekesselt waren. So waren wir unter weiterem Granatbeschuss gezwungen, als Lai*innen Granatsplitter aus den Füßen von Menschen zu ziehen, diese zu verarzten und uns auch um alle anderen zu kümmern, die durch Blendgranaten gelähmte oder brennende Gesichter und tränende Augen von den Tränengasen (teilweise trotz Masken!) oder Angstzustände hatten.

Laut dem Bericht der Streetmedics vom 14. April 2018 wurden in dieser ersten Woche der Räumungen 148 Personen von ihnen verarztet. 23 Personen wurden durch Granatenexplosionen verletzt (Gesicht, Thorax, Nacken, Beine, Finger), durch Splitter, die teilweise bis zu drei Zentimeter tief in den Körper eingedrungen waren. Einige Personen litten durch die Verletzungen an Infektionen, acht Personen kamen mit Hämatomen an gefährlichen Körperstellen zu den Medics, nachdem sie Gummigeschosse abbekommen hatten. Fünf Personen kamen mit Gehörstürzen, Gehirnerschütterungen oder Schwindel nach Granatenbeschuss in die Medic-Zelte. Die Ärzt*innen bestätigten Schüsse auf Brust- und Kopfhöhe durch Granaten und Tränengaskartuschen, den Gebrauch von toxischen Gasen, die u.a. zu Verbrennungen und Schwindel sowie zu Bewusstseinsverlust führten; den Gebrauch von bewegungsunfähig machenden Gasgranaten, die zu sofortiger Deshydratation, Schwindel, Durchfall, Erbrechen und Verwirrung führten.

Der Transport von einigen Verletzten ins Krankenhaus wurde uns zuerst von der Gendarmerie untersagt, bis sie nach Telefonaten und massivem Druck die Blockade aufhoben und die Krankentransporte durchließ.

An einem Räumungstag wurden auch drei Journalist*innen verletzt, deren Zutritt auf das Gelände vom Staat zunächst am Montagmorgen untersagt worden war – sie hätten sich mit Fotos und Berichten der Gendarmerie begnügen sollen. Aufgrund dieser Vorfälle wurden die „Défenseurs des Droits“ (Verteidiger*innen der Rechte) eingeschaltet, eine unabhängige Institution, welche die Einhaltung der Gesetze einfordert.

 

Die Bedeutung der Unterstützer*innen von außerhalb

 

Am ersten Tag der Räumungen gab es frankreichweit Aufrufe, sich vor Rathäusern, Präfekturen und an sonstigen Plätzen zu versammeln. In Quimper (Bretagne) wurde an diesem Abend nach einer Demo der Bahnhof besetzt; diverse Rathäuser in der Region um Toulouse wurden besetzt; Demonstrationen fanden an vielen Orten statt; das Rauthaus von Forcalquier wurde besetzt. Letzteres war ein symbolisch wichtiges Zeichen, da diese Stadt derzeit von Christophe Castaner regiert wird, dem Staatssekretär des Premierministers Frankreichs und dessen Partei LREM (La République En Marche; Die sich bewegende Republik). Wir erhielten Solidaritätsbekundungen von Gaza bis Minneapolis.

Viele Unterstützer*innen kamen in die ZAD, so dass wir ab dem 10. April durchgehend ca. 1000 Menschen auf dem Gebiet waren. Mit der Räumung des etablierten Projekts „100 Noms“ (100 Namen) am 1. Tag schnitt sich der Staat ins eigene Fleisch. Der Ort war eines der landwirtschaftlichen Projekte in der Zone, die eigentlich nicht hätten geräumt werden sollen, da der Staat garantiert hatte, keine landwirtschaftlichen Projekte zu räumen. Ich möchte damit nicht sagen, dass diese Räumung mehr gewichtet werden sollte als alle anderen. Aber die Bilder und Presseberichte der Räumung der „100 Noms“, deren Bewohner*innen und Unterstützer*innen sich gewaltfrei zur Wehr setzten, lösten eine Solidaritätswelle innerhalb der Organisationen (Bauernverbände) und derjenigen Bevölkerungsteile aus, die vielleicht nicht in solch großem Ausmaß ausgelöst worden wäre, hätte der Staat dieses Projekt nicht geräumt. Dies hat gezeigt, dass letztlich keines der Projekte „sicher“ war und auf jeden Fall die Solidarität auch untereinander in der Zone gestärkt.

Es gab am Mittwoch der ersten Räumungswoche (11. 4.) ein großes Picknick, das von den „Cheveux Blancs“ (Die weißen Haare), einer Gruppe von Älteren und Rentner*innen, organisiert worden war, zu dem frankreichweit und international viele Unterstützer*innen anreisten. Landwirt*innen aus verschiedenen umliegenden Regionen mit ihren Traktoren wurden von der Polizei auf ihrem Weg zur ZAD blockiert; Busse aus Paris und Deutschland wurden auf den Autobahnen blockiert und durften nicht weiter fahren.

Trotzdem waren viele Menschen gekommen und wurden durch die Intervention der Gendarmerie mit Tränengas auf die Straße zurückgedrängt, woraufhin es zum Schlagabtausch der Molotow-Cocktails mit den Polizei-Granaten kam. An dieser Stelle sei betont, dass alle Formen des Widerstands auf der ZAD ihren Platz fanden und voneinander abhingen und wir uns weigerten, in die Binarität von gewaltfrei-militant zu verfallen und den staatlich angestrebten Diskurs zur Legitimierung der Polizeigewalt gegen gewaltvollen Widerstand zu unterstützen. Alle Formen des Widerstands fanden ihren Platz und wir sprechen uns gegen die Unterscheidung militanter und nicht-militanter ZADist*innen aus.

Am 14. April gab es eine große Demo in Nantes zur Unterstützung der ZAD, die ca. 8.000 (Polizeiangaben) bis 12.000 (Gewerkschaftsangaben) Menschen zählte, und die sehr gewaltvoll endete. Demonstrant*innen mit Plakaten, die den Erhalt der kleinen Utopie der „möglichen anderen Welt“ forderten, wurden durch den Aufbau von sogenannten „grillages anti-émeutes“ (Anti-Aufstandsgitter), dem Einsatz von Wasserwerfern, einer hohen Menge an Tränengas, Gummigeschossen und der gewaltsamen Teilung der Demonstration durch Einkesselung an ihrer Meinungsäußerung auf der Straße gehindert.

Sonntags gab es dann einen Aufruf zum Wiederaufbau der ZAD, zu dem ebenfalls einige tausend Menschen kamen. Eines der nicht geräumten Projekte hatte ein Balkenwerk gebaut, als Antwort auf den zerstörten Ort „le Gourbi“ einige Tage vorher.

„Le Gourbi“ war ein gemeinschaftlicher Begegnungsort, an dem sich die Bewohner*innen zum „Non-Marché“ (wörtlich: Nicht-Markt; einem alternativen Markt mit eigens hergestelltem Brot, Gemüse, Sonnenblumenöl, Tees, Seifen usw., auf der Basis des Prinzips „Zahl, was du kannst“) wöchentlich trafen. Im Gourbi fanden auch regelmäßige Vollversammlungen statt und der Ort wurde bei den staatlichen Interventionen der vergangenen Jahre jedes Mal zerstört. Das Balkenwerk sollte von ca. 130 Menschen in Begleitung der gesamten Menschenmenge gewaltfrei zum wichtigen Ort des Gourbi getragen und dort auf ein anderes Balkenwerk aufgesetzt werden, als symbolischer Ausdruck des Wiederaufbaus der ZAD. Die Gendarmerie begann, die Menschenmenge zu spalten, einzukesseln und trotz gewaltfreiem Widerstand mit Tränengas und anderen Gasen auf die Menschenmenge loszugehen.

 

Aufgetretene Risse unter den Zadist*innen

 

Bereits bei der Freigabe der Straße D 281, der „Route des Chicanes“ (Straße der Schikanen), die mitten durch die ZAD verläuft und daher besetzt wurde, taten sich im Anschluss an die Aufgabe des Flughafenbaus große Risse auf. Die historischen Bewohner*innen unterstützten die Forderung des Staates, die Straße freizugeben, um ihrerseits nach jahrelangen Umwegen wieder direkten Zugang zu ihren Feldern bzw. Wohnorten zu haben.

An dieser Stelle gab es sowohl unterstützende Stimmen in der ZAD als auch Gegner*innen. Die Argumente der Befürworter*innen waren u.a., die unterstützenden Landwirt*innen nicht zu verlieren und ihnen die Hand zu reichen, sowie einen Schritt auf den Staat zuzugehen, um eine bessere Position für weitere Verhandlungen zu haben – dem Staat, besonders aber dem Rest der Gesellschaft gegenüber, deren Solidarität eine sehr wichtige Rolle spielt. Die Gegner*innen sahen in der Freigabe der Straße eine besonders hohe Bedrohung für denjenigen Teil der ZAD, der im Wald hinter dieser Straße lebte (alle dortigen Hütten wurden inzwischen geräumt), da sie im Falle der Räumungen vom Rest der ZAD abgeschnitten wären (was dann auch der Fall war). Außerdem spielte in der Argumentation der Gegner*innen die unterdrückende Präsenz der Gendarmerie bei der Freigabe und der Ausbesserung der D 281 eine wichtige Rolle.

Tatsächlich war bereits während der Freigabe der Straße und der dortigen Bauarbeiten eine relativ hohe Präsenz der Gendarmerie zu verzeichnen: täglich ca. 40 Busse. In diesem Zusammenhang kam es leider sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen unter ZADist*innen selbst, als es dann zur Zerstörung des kollektiven Ortes „Lama fachée“ (Das unversöhnliche Lama) kam, nachdem dieser zunächst von der Präfektur akzeptiert worden war, dann aber die Genehmigung wieder zurückgezogen wurde. Zusätzlich gab es hier auch die rigorosen Meinungen mittels des Arguments, die Message der ZAD sei wichtiger (eine rechtsfreie Zone) und der Staat solle kein Entgegenkommen der ZADist*innen erhalten.

Im weiteren Verlauf der Zeit bis zu den Räumungen und der eindeutigen staatlichen Ablehnung einer kollektiven Weiterführung des Gebiets verstärkten sich einige Positionen und Konflikte. Es wurde dabei vom Ausbau hierarchischer Machtpositionen einiger Kollektive über andere gesprochen. Die staatlich gewünschte Spaltung der ZAD ist besonders aufgrund des hohen zeitlichen Drucks weit vorangeschritten. Dieses Timing verhinderte einen Wiedervereinigungsprozess, der aufgrund der hohen soziokulturellen und politischen Diversität innerhalb der ZAD einen längeren Zeitraum benötigt hätte.

Die staatlichen Forderungen an die ZADist*innen hatten bisher jedoch zumindest die Auswirkung, auf die Unterschiede untereinander aufmerksam zu machen. Sie ließen keine Zeit, um sich auf neue Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Doch eines der Ziele für alle ist es, diese Heterogenität zu erhalten, auch wenn es sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen wird, die entstandenen Konflikte zu lösen.

 

Medienpropaganda und mehrheitlich gewaltfreie Aktionen

 

Bereits Monate vor der offiziellen Aufgabe des Flughafenbaus und den angekündigten Räumungen gab es Berichte, wonach die ZADist*innen selbst gebaute Waffen (Eisenkugeln mit angebrachten Rasierklingen, Steinwurfkatapulte, Bomben) hergestellt hätten, die sie verwenden würden. Tatsächlich kann ich keines dieser medialen Gerüchte bestätigen. Es gibt verschiedene Formen des Widerstands, die sich hier wiederfinden. Es werden sowohl Molotow-Cocktails im Gefecht mit der Gendarmerie von einigen Gruppen genutzt als auch Barrikaden errichtet und gewaltfreie Aktionen gegen die Polizeigewalt eingesetzt.

Es gab Musiker*innen, die vor der Gendarmerie sangen; Rap-Songs, die im ZAD-Rap-Social-Atelier produziert wurden. Eine Gruppe sammelte alle Tränengaskartuschen und transportierte diese vor die Tür der Präfektur in Nantes. Dabei ging es um das Sichtbarmachen der staatlichen Ausgaben für unnötig eingesetzte Waffen gegen die Zivilbevölkerung. Es gab Chöre, eine Reclaim-the-Streets-Musikgruppe, kollektive Pflanz- und Wiederaufbauaktionen; Rollenspiele, die in den umliegenden Wäldern organisiert wurden, um die Gendarmerie zu beschäftigen; Picknicks, Konzerte – von Punk über Techno, alles dabei; Siebdruck-Workshops zum Plakatdruck für Demos, Workshops zum Jurtenbau. Es gab Bewohner*innen, die am Räumungstag auf die Dächer der zu räumenden Projekte stiegen, um durch gewaltfreie Art und Weise gegen die Zerstörung der Wohnorte Widerstand zu leisten. Einige kletterten auch wieder auf Bäume und blieben dort einige Stunden.

Die Berichterstattung der Presse war hauptsächlich an den gewaltbereiten Gruppen interessiert, die sich den direkten Schlagabtausch mit der Gendarmerie lieferten. Diese Inszenierung der Zadist*innen als gewaltbereite Masse führte in Anbetracht der laufenden öffentlichen Debatte über militant-gewaltfrei zur Legitimierung der Polizeigewalt und zur Schwierigkeit, die breite Masse für eine Skandalisierung der Polizeigewalt zu gewinnen. Meiner persönlichen Einschätzung nach war der Anteil gewaltfreier Aktionen bei weitem höher als der Anteil gewaltvoller. Doch jede Aktionsform findet hier ihren Ausdruck und sie spielten auch bei der neuerlichen Räumungswelle ab dem 17. Mai ihre jeweilige Rolle.

 

Weitere Perspektiven

 

Die ZAD wird im Sommer sicherlich viele Wiederaufbau-Aufrufe machen, doch inwiefern eine erneute Besetzung gelingen wird, ist noch offen. Es wird angestrebt, einen ZAD-Fond zu gründen, um bestimmte Grundstücke zu kaufen und diese zu bewirtschaften oder Projekte darauf zu installieren.

Der Staat hat es vorläufig geschafft, die Zadist*innen in die Enge zu treiben, indem durch dessen Forderungen eine Spaltung erzeugt wurde und kein staatliches Entgegenkommen für einen zeitlichen Aufschub zu verzeichnen war. Wir wurden zu einem Infragestellen unserer gemeinsamen Ziele gezwungen und mussten mit der Pistole auf der Brust schnelle Entscheidungen fällen und schnell reagieren. Bei einer solch wundervollen Heterogenität, wie sie auf der ZAD besteht, nehmen die kollektiven Entscheidungsfindungsprozesse jedoch mehr Zeit in Anspruch als in hierarchisch organisierten Strukturen.

Auf die administrativen Forderungen der Projekteinreichungen kann nur von denjenigen eingegangen werden, die eine Antwort darauf besitzen. Das führt automatisch zur Marginalisierung derer, die eine solche Antwortmöglichkeit nicht haben, aber dennoch jede moralische Legitimation besitzen, weiterhin in der ZAD zu bleiben. Eine Exklusion ist unsererseits keinesfalls angestrebt, trotzdem fühlen sich Einzelne aus den Prozessen und aus der Gemeinschaft ausgegrenzt.

 

Camille

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 430, Sommer 2018, www.graswurzel.net