Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen in Entwicklungsländern

Privatisierung ist seit den 1980er Jahren Teil eines internationalen Policy-Booms, der sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer erfasst hat. Auch wenn es weltgeschichtlich schon ...

1. Einleitung

... fast jede Konstellation von privater oder öffentlicher Bereitstellung von Dienstleistungen gegeben hat (Pelizzari 2002; Hall 2003), ist die Geschwindigkeit, Dimension und die weltweite Ausbreitung dieses Trends neu. Weltweit haben fast alle Länder in den letzten Jahren einen Prozess zur Restrukturierung und Privatisierung öffentlicher Unternehmen eingeleitet. Alleine im Sub-saharischen Afrika haben bis zum Jahr 2002 38 Länder Privatisierungsprogramme implementiert (OECD 2004). Zunehmend kommen auch so genannte "strategische" Sektoren wie öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen, wie Energie, Telekommunikation, Gesundheit, Bildung und Wasser in den Sog des Privatisierungstrends. Der Begriff Privatisierung umfasst unterschiedliche Formen von privater Beteiligung und muss nicht immer einen vollständigen Transfer von öffentlichem zu privatem Eigentum bedeuten. Privatisierung im weiteren Sinn bedeutet, dass der Privatsektor Managementverantwortung bekommt und sich substantielle Kontrolle vom öffentlichen zum privaten Sektor verschiebt. Privatisierung ist ein vieldiskutiertes und kontroverses Thema sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern. Durch negative Erfahrungen in den letzten Jahren ist der Begriff Privatisierung zunehmend unpopulär geworden und aus offiziellen Dokumenten verschwunden. Anstatt dessen werden vermehrt die Begriffe Private Sector Participation(PSP) oder Public Private Partnership (PPP) verwendet (Kessler 2004). Auf multilateraler Ebene befürworten und forcieren, wie noch näher ausgeführt wird, wichtige Akteure, wie die internationalen Finanzinstitutionen, die Welthandelsorganisation oder auch die Europäische Union Liberalisierung, also Marktöffnung, und Privatisierung von Bereichen der öffentlichen Infrastruktur und Grundversorgung. Zwischen 1990 und 2001 wurden in Entwicklungsländern Investitionen in der Höhe von 755 Mrd. US$ in rund 2.500 private Infrastrukturprojekte getätigt. Höhepunkt dieser Investitionswelle war das Jahr 1997, seitdem ist die Zahl jedoch stark zurückgegangen. Mittlerweile ist es oft schwierig, für bestimmte Sektoren Investoren zu finden, bei Ausschreibungen finden sich oft kaum Bieter. So war z.B. im Mai 2000 der Wasserkonzern Suez der einzige Bewerber bei der Ausschreibung der kamerunesischen Wasserversorgung. (Bayliss et al 2001)[1] 

2. Wirkungsmechanismen in Richtung Privatisierung

 Privatisierung ist gerade in Entwicklungsländern oft keine autonome Entscheidung einer Regierung sondern ein von außen (mit)initiierter Prozess. Durch Abhängigkeiten und Machtungleichgewichte auf internationaler Ebene nehmen internationale Organisationen und bilaterale Entwicklungshilfegeber starken Einfluss auf die Politikgestaltung in Entwicklungsländern. In der Folge werden einige Instrumente und Mechanismen angeführt, die in Richtung Privatisierung wirken. 

Konditionalisierung

 Konditionalisierung ist die Bindung von neuen Entwicklungshilfegeldern, Krediten, Entschuldungen u.a. an eine Reihe von Bedingungen. Im Zentrum dieser Politik stehen die internationalen Finanzinstitutionen, der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank. Privatisierung ist in vielen Fällen Voraussetzung für Entschuldung und neue Kreditvergabe. Auch wenn die Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs), an deren Erstellung die Kreditvergabe gekoppelt ist, in der Theorie von den jeweiligen Regierungen in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft autonom formuliert werden, zeigt die Praxis, dass den Vorstellungen der Geber entsprochen wird. In den meisten Fällen beinhalten PRSPs Privatisierungsvorhaben. Auch die Kreditdokumente und Länderstrategien von IWF und Weltbank enthalten eine Reihe von ähnlichen Bedingungen. Der Prozentteil von IWF-Bedingungen, die sich auf Privatisierung beziehen, ist innerhalb der 1990er Jahre von vier auf 16 % gestiegen (Hall/de la Motte 2004). Bereits Ende der 1980er Jahre hatten der Großteil afrikanischer Länder Weltbankmittel für Privatisierungsprogramme erhalten. Der Privatisierungsprozess von Infrastrukturunternehmen startete in afrikanischen Ländern ab Mitte der 1990er Jahre, ebenfalls auf Druck von IWF und Weltbank, die ab dann die Vergabe von Finanzmitteln an die Privatisierung großer Unternehmen knüpften. So unterschrieb die Regierung von Mosambik 1999 mit Unterstützung der Weltbank einen Vertrag über die Wasserversorgung in sieben Städten mit dem Multinationalen Unternehmen Bouygues. Im Anschluss daran gewährten die Weltbank und andere Geber einen Kredit in Höhe von 117 Millionen US$ für die Rehabilitierung der Wasserinfrastruktur (OECD 2004). Dies ist keine Ausnahme: Von 193 Weltbank-Strukturanpassungsdarlehen die zwischen 1996 und 1999 gewährt wurden, enthielten 58 % Privatisierung als Bedingung. (Center for Public Integrity 2003). In diesen 4 Jahren hat sich der Anteil der Konditionalitäten bezogen auf private Beteiligung an Infrastruktur mehr als verdoppelt (Alexander 2002). Das gleiche gilt auch für die zweite Art von Weltbankkrediten, die sogenannten Investment Loans, die für bestimmte Projekte vergeben werden[2]: Eine Studie von 276 Weltbankkrediten für Wasserversorgung zwischen 1990 und 2002 zeigte, dass diese zunehmend Privatisierung als Bedingung beinhalteten (Center for Public Integrity 2003). Druck wird auch über die selektive Auswahl bestimmter Länder für Kreditvergabe ausgeübt. So konzentriert die Weltbank in Indien ihre Kreditmittel auf jene drei Bundesstaaten, die zur Implementierung der gewünschten Politik bereit waren (Alexander/Kessler 2003).

Geberkoordination

 Durch die verstärkte Geberkoordination und den vermehrten Trend zu Budgethilfen statt Projektfinanzierungen wird diese Tendenz verstärkt. Auch bilaterale Unterstützungen werden zunehmend von privater Beteiligung z.B. an Infrastruktur abhängig gemacht. So machte z.B. die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Uganda weitere Kredite im Wassersektor von einer fortschreitenden Einbeziehung der Privatwirtschaft abhängig (Hoering 2004). Die Gewährung neuer Entwicklungshilfemittel wird auch oft davon abhängig gemacht, dass Vereinbarungen mit den Internationalen Finanzinstitutionen  bestehen ("seal of approval"), d.h. die Erfüllung der IWF und Weltbank-Bedingungen ist auch Voraussetzung für bilaterale Gelder. 

Internationale Abkommen

 Auf internationaler Ebene werden Verpflichtungen zur Liberalisierung von Dienstleistungen in verschiedenen Strategien und Abkommen festgehalten. Ein wichtiger Hebel, um Druck in Richtung Privatisierung auszuüben, ist die internationale Handelspolitik und internationale Abkommen. Zu erwähnen ist hier v.a. das Dienstleistungsabkommen der WTO (GATS) sowie die Verhandlungen über Investitionen. Die GATS-Verhandlungen werden nach dem WTO-Treffen im Juli 2004 in Genf nach einem 10-monatigen Stillstand wieder aufgenommen. Da die internationalen Verhandlungen über ein Investitionsabkommen aufgrund des großen Widerstandes von Entwicklungsländern und zivilgesellschaftlichen Gruppen stocken, werden nun bilaterale Investitionsabkommen zunehmend als Ersatz dafür verwendet. Auf der Basis dieser Abkommen sieht sich die argentinische Regierung nach der Wirtschaftskrise nun etlichen Klagen von internationalen Investoren gegenüber, da die Regierung Preiserhöhungen für Strom und Wasser, die für die Bevölkerung desaströs gewesen wären, nicht genehmigt hat (Kessler 2004). 

Politikberatung

 Politikberatung und "Technische Hilfe" werden ebenfalls als Mittel verwendet, Regierungen zu erwünschten Politikentscheidungen zu bewegen. So organisiert z.B. das Weltbank Institut zahlreiche Trainingskurse zum Thema Privatsektorbeteiligung und damit verbundenen Aspekten (Weltbank 2002). Weltbank und Währungsfonds beteiligen sich mit der WTO und anderen Organisationen im "Integrated Framework for trade-related technical assistance to least developed countries". In etlichen Studien, die in diesem Zusammenhang erstellt wurden, wird Privatisierung empfohlen. Bereits die Auswahl der Beratungsinstitutionen lässt oft schon das Ergebnis vorausahnen, wie z.B. bei Pricewaterhouse Coopers oder dem Adam Smith Institute, die beide bekannt dafür sind, eine Ideologie zu vertreten, die Privatisierungen favorisiert (Action Aid 2004). 

Partnerschaftsansätze

 Public Private Partnerships (PPPs) finden sowohl in der multilateralen als auch in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ihre Anwendung. Auf multinationaler Ebene sind diese Partnerschaften oft ein Spiegel für ein steigendes Machtungleichgewicht zwischen großen Konzernen und Regierungen. Beispiele für die neuen Formen öffentlich-privater Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene sind "Globale Allianzen" zwischen UN-Organisationen und Transnationalen Unternehmen. Die Hälfte des Budgets der Weltgesundheitsorganisation stammt mittlerweile aus Geldern von Industrie und Stiftungen. 75 % oder 750 Millionen US$ des Budgets der "Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung" (GAVI) kommen von der Bill and Melinda Gates Stiftung, die auch einen ständigen Sitz im Aufsichtsrat hat, in dem neben Vertretern von Industrie- und Entwicklungsländern auch Vertreter der Pharmazeutischen Industrie sitzen (Martens 2004). Gesundheitsexperten warnen, dass diese neuen Initiativen massiv Einfluss auf nationale Gesundheitspolitiken nehmen, und im Interesse der Industrie vor allem den Einsatz von Medikamenten fördern, jedoch kaum Gesundheitsdienstleistungen und strukturelle Maßnahmen unterstützen. (BUKO 2004) Es ist anzunehmen, dass durch den steigenden Einfluss privater Akteure auf Ebene der internationalen Politik der Druck in Richtung Privatisierung weiter steigen wird. 

Entwicklung neuer Finanzierungsinstrumente

 In den letzten Jahren kam es zur Entwicklung einer Reihe von neuen Instrumenten, und Finanzierungsschienen, die eine Beteiligung des Privatsektors an Infrastrukturprojekten vorsehen[3]. Die beiden Teilorganisationen der Weltbankgruppe, die die Unterstützung des Privatsektors zur Aufgabe haben (IFC-International Finance Corporation und MIGA-Multilateral Investment Guarantee Agency), haben in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. IFC-Projekte machen bereits ein Viertel aller ausbezahlten Weltbankmittel aus. Zentral für die stärkere Betonung des Privaten Sektors in der Weltbankpolitik ist die Private Sector Development Strategy, auf die in Folge näher eingegangen wird.

3. Weltbank: Die Private Sector Development Strategy

 

Bedeutung der Strategie

 Die Private Sector Development (PSD) Strategie der Weltbank stellt eine Sektor- und Bereichsübergreifende Strategie zur Förderung des Privatsektors in Entwicklungsländern dar. Die Strategie umfasst alle Teile der Weltbankgruppe. Alle anderen Sektorstrategien (z.B. Bildung, Gesundheit, Umwelt, Wasser) müssen mit der Private Sector Development Strategy abgestimmt sein. Die Formulierung der Strategie fügt sich in eine Entwicklung, in der seit Anfang der 1990er Jahre PSD - und hier vor allem die Unterstützung von privater Beteiligung im Infrastrukturbereich - zu einem zentralen Prinzip der Weltbankpolitik wurde. Die an die Vergabe von Weltbankkrediten geknüpften Bedingungen bestehen wie weiter oben angeführt zunehmend in direkten Reformen für eine vermehrte Beteiligung des Privatsektors. Die Weltbank selbst bezeichnete die Refokussierung der Aktivitäten von direkter Kreditvergabe an Regierungen zu mehr Privatsektorunterstützung als "eine dramatische Abkehr von der Weltbankpolitik eines halben Jahrhunderts" (Alexander 2002, 5). Durch die PSD- Strategie werden mit IFC und MIGA jene Teile der Weltbankgruppe, die bisher für die direkte Förderung von privaten Unternehmen zuständig waren, verstärkt in die Formulierung der Länderstrategien der Weltbank eingebunden. Neu an der Strategie ist auch die vermehrte Zusammenarbeit zwischen IFC und IDA (International Development Agency), jenem Teil der Weltbank, der Kredite zu sehr günstigen Konditionen an die ärmsten Entwicklungsländer gewährt. 

Inhalte der PSD-Strategie

 Hauptthemen sind "Verbreiterung der Reichweite der Märkte" sowie "Verbesserung der Versorgung mit Basisdienstleistungen". Die Strategie plädiert für eine private Erbringung von Infrastruktur (Telekom, Energie, Transport, Wasser, Abwasser) mit dem Argument, dass Regierungen oft in Versuchung geraten, öffentliche Unternehmen zu unterstützen und zu bevorzugen und dadurch den Wettbewerb zu unterminieren. Wichtig sei, dass das "Performance Risiko" erfolgreich von den Steuerzahlern zu den privaten Aktionären übergehe. Im Gesundheits- und im Bildungssystem sei der Staat laut PSD-Strategie für Regulierung und Finanzierung zuständig. Die Bereitstellung könne auch privat erfolgen, dies stelle auch ein Potential für Leistungsverbesserungen dar. Daher wird die Weltbank auch private Beteiligung in diesen Bereichen unterstützen. Arme Menschen sollten die Wahl haben, private Betreiber in Anspruch zu nehmen. Auf die Studie der bankeigenen Evaluierungsabteilung (OED), die zum Ergebnis kam, dass Privatisierung auf Firmenebene funktionierte, aber nicht unbedingt positive makroökonomische Auswirkungen oder Verteilungseffekte aufweisen, wird nicht näher eingegangen.

Investment Climate AssessmentsZentrale Instrumente der Strategie, die mit der Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen in engem Zusammenhang stehen, sind die Investitionsklima-Untersuchungen (Investment Climate Assessments - ICAs) sowie das Instrument des Output Based Aid.Bei den ICAs werden vor allem Hürden für Investitionen identifiziert, im Bericht explizit genannt werden z.B. zu komplizierte Registrierungsschritte für Unternehmen, "lästige" Bürokratie, oder als Hürde empfundene Arbeitsmarktregulierungen. "Policy Based Lending", also an Bedingungen geknüpfte Kreditvergabe, soll ein "zentrales Vehikel" für die Durchführung der Investitionsklimareformen sein. Die Ergebnisse der ICAs fließen bereits direkt in die Bedingungen für neue Kredite ein (z.B. in Bulgarien, Algerien, Senegal). 

Output Based Aid (OBA)Ein weiteres zentrales Element der PSD ist Output Based Aid, ein Instrument, das die private Erbringung von Dienstleistungen, die zumindest teilweise von öffentlicher Finanzierung abhängen, verbessern soll. Die privaten Betreiber erhalten öffentliche Subventionen, nicht für die Tätigung von Investitionen, sondern erst bei Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistung. Die Subventionen sollen für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch arme Bevölkerungsgruppen, die sich solche nicht leisten könnten, verwendet werden. Bei diesem Mechanismus soll es zu einem Zusammenspiel der Weltbank-Teilorganisationen IFC und MIGA auf der einen Seite und IDA auf der anderen Seite kommen: IFC und MIGA können Kredite oder Garantien für private Investoren für die Errichtung der Anlagen bereitstellen, über IDA-Mittel werden die Subventionen für die Abnahme der Dienstleistung finanziert. In früheren Fassungen der PSD-Strategie sollten die meisten Finanzierungen in diesem Bereich nach dem oben erläuterten Prinzip abgewickelt werden - in der Endfassung wurde dies abgeschwächt und auf Pilotprojekte beschränkt. Der Progress Report (Weltbank 2003) nennt 22 Pilotprojekte, die sich gerade in Durchführung befinden. Das Prinzip des Output Based Aid soll Risiko vom Staat zu privaten Akteuren verlagern. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass private Akteure eher zur Rechenschaft gezogen werden können als staatliche. OBA stellt zudem einen Versuch dar, Dienstleistungen, die durch die öffentliche Hand nicht finanziert werden können, durch private Betreiber zur Verfügung zu stellen. Knappe oder fehlende öffentliche Mittel für gesellschaftlich notwendige Investitionen durch private Mittel zu ergänzen, kann sinnvoll sein. Der Ansatz des Output Based Aid enthält jedoch etliche problematische Aspekte: ·       IWF und Weltbank haben oft darauf bestanden, Subventionen für "verlustbringende" öffentliche Infrastruktur zu streichen. Die Folge war oft eine sinkende Qualität, die als Argument für Privatisierung diente. Nun werden öffentliche Subventionen für private Betreiber in Form von OBA als Innovation der Entwicklungszusammenarbeit dargestellt (Kessler 2004).·       Die private Erbringung von Dienstleistungen ist Voraussetzung und wird nicht in Frage gestellt. Auch eine Finanzierung durch progressive Steuern oder gestaffelte Tarife ist dadurch kein Thema.
  • Auch aus demokratiepolitischer Sicht ist dies problematisch: Die Frage des Zugangs und der Finanzierung von zentralen Dienstleistungen für alle wird von Subventionen an private Betreiber für bedürftige Gruppen abgelöst.
  • Erfahrungen zeigen die Schwierigkeit, mit dem Mechanismus des Output Based Aid die gewünschten Zielgruppen zu erreichen, vor allem in Ländern, wo ein großer Teil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt. Auch in Ländern mit relativ guten institutionellen Kapazitäten wie Chile zeigt sich, dass es sehr schwierig ist, mit den Subventionen jene zu erreichen, die sie am meisten benötigen (Alexander/Kessler 2003).

 

Kritik an der Strategie

RisikoübertragungDie PSD-Strategie verwendet die Risikoübernahme durch private Investoren als zentrales Argument für private Erbringung. Die Realität sieht allerdings oft ganz anders aus: Besonders bei Infrastrukturprojekten sehen sich schwache Regierungen oft wenigen großen multinationalen Unternehmen gegenüber. Das Ergebnis der Verhandlungen ist häufig umgekehrt: eine weitreichende Risikoübernahme durch die Regierungen. Häufig angewandt werden sogenannte Power Purchasing Agreements - PPA. Hier garantiert der Staat z.B. bei Elektrizitätsversorgung dem privaten Betreiber die Abnahme ?       einer bestimmten Menge eines Produktes (z.B. Energie, üblicherweise die Gesamtproduktion)?       für einen bestimmten Zeitrahmen (der manchmal mehr als 30 Jahre beträgt)?       zu einem bestimmten Preis in einer ausländischen Währung, z.B. US$). Damit übernimmt der Staat sowohl das Nachfrage-, als auch das Preis- und das Währungsrisiko. Bei einer sinkenden Nachfrage muss die gleiche Menge abgenommen werden. Bei einer Abwertung der lokalen Währung muss der Staat die höheren Kosten tragen. Die Verbindlichkeiten, die aus diesen Vereinbarungen entstehen, ähneln ausländischen Krediten mehr als ausländischen Direktinvestitionen - die Regierung muss unabhängig vom Markt regelmäßige Zahlungen in ausländischer Währung leisten, das Risiko des Investors entspricht nicht dem Marktrisiko. Bei Auslandskrediten gibt es die Möglichkeit, diese mit Kreditgebern neu zu verhandeln, durch PPAs bleiben solche Verbindlichkeiten jedoch in voller Höhe erhalten und es kommt zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten und Konsequenzen wie z.B. Stromabschaltungen (z.B. in Pakistan oder Indien) (Bayliss 2002). Andere Privatisierungsvereinbarungen enthalten z.B. Rendite-[4] oder Gewinnspannengarantien. Wenn der private Investor einen Teil des Risikos übernimmt, steigt damit auch das Risiko seines Ausstiegs aus dem Vertrag. Genau das können sich aber die meisten öffentlichen Partner nicht leisten: Erstens haben sie selbst die Kompetenz der Dienstleistungserbringung verloren, zweitens ist meistens so schnell kein privater Ersatzpartner zur Stelle, der die Kosten und das Risiko zu übernehmen bereit ist, vor denen sich sein Konkurrent soeben gedrückt hat. Die Praxis sieht daher oft so aus, dass die privaten Investoren Nachbesserungen der Verträge und Konzessionen mit der Exit-Drohung durchsetzen und eine Kosten- und Risikoverlagerung zum öffentlichen Partner die Folge hat. (Alexander/Kessler 2003) IFC und MIGA unterstützen die Risikominimierung privater Investoren z.B. durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten verbunden mit staatlichen Abnahmegarantien bzw. durch die Versicherung gegen nicht-kommerzielle Risken. 

ArmutsminderungAls Argument für mehr Privatsektorbeteiligung bei öffentlichen Dienstleistungen wird u.a. angeführt, dass arme Gruppen bereits jetzt oft auf sehr teure private Dienstleistungen zurückgreifen müssen. Was nicht erwähnt wird ist, dass genau diese Tatsache ein Alarmsignal für das Versagen der öffentlichen Dienstleistungen ist, die für eine effektive Armutsminderung ausgebaut und für Arme zugänglich gemacht werden müssen. Unerwähnt bleibt auch, dass gerade durch die Privatisierung der lukrativen Bereiche die Unterfinanzierung der verbleibenden öffentlichen Leistungen weiter steigt. Die PSD-Strategie hält auch fest, dass vermehrt auf die Armutsauswirkungen von Privatsektorentwicklung geachtet werden soll, wie z.B. Regulierungsverbesserung oder "pro-poor" Klauseln bei Privatisierungen, bessere Risiko-Einschätzungen, etc. (Weltbank 2002). Dadurch wird zwar implizit anerkannt, dass sich Privatisierungen nachteilig auf die Armutsminderung auswirken können. Es wird dadurch jedoch nicht das Instrument an sich in Frage gestellt, sondern der Schluss gezogen, dass ­ besser angewandt ­ Privatisierung auch für arme Menschen gut sei. 

DemokratieDie Private Sector Development Strategy weist einen starken Bias für private Bereitstellung von Basisdienstleistungen auf. Die ersten Versionen der Private Sector Development Strategy argumentierten dies noch klarer und unmissverständlicher. Durch Kritik an diesen Versionen hat sich die Rhetorik des Dokuments verändert. Auch wenn die einleitenden Teile nun die Notwendigkeit eines Case-to-Case-Ansatzes bzgl. öffentlicher oder privater Bereitstellung von Basisdienstleistungen betonen, sieht man bei den konkreten Maßnahmen, dass nicht viel Spielraum dafür bleiben wird. Empfehlungen zur Verbesserung von öffentlichen Dienstleistungen sowie zur Finanzierung derselben kommen nicht vor. Die Entscheidung, welche Leistungen in einer Gesellschaft durch öffentliche oder private Akteure erbracht werden, sollte über nationale demokratische Entscheidungsprozesse erfolgen. Durch die vorgeschlagenen Mechanismen werden diese Prozesse einseitig in Richtung Privatisierung/private Beteiligung beeinflusst. Legitime Äußerungen in Form von öffentlichen Protesten werden als "Problem" bei Privatisierungen definiert. Die Weltbank interveniert auch direkt in lokale Entscheidungsprozesse, einerseits durch die Bedingungen für neue Kredite, andererseits durch Maßnahmen, wie z.B. die Finanzierung öffentlicher Informationskampagnen, die die Bevölkerung von den Vorteilen der Privatisierung überzeugen sollen[5]. 

 

4. Schlussfolgerungen

 Zahlreiche in der PSD-Strategie für Privatisierung verwendete Argumente werden in der Praxis widerlegt. Obwohl mittlerweile immer mehr Erfahrungen und empirische Studien die Überlegenheit des privaten Sektors bei der Erbringung von zentraler Infrastruktur und Daseinsvorsorge stark in Frage stellen, und obwohl auch innerhalb der Weltbank immer mehr Zweifel an den Privatisierungsstrategien zu vernehmen sind, ist eine Änderung der konkreten Politik noch ausständig: "..the sum of individual perspectives has had little collective impact within development institutions. Policy is driven largely by the interests of major shareholder governments." (Kessler 2004, 12) Privatisierung ist mehr als eine Regierungs-"technik", eine rationale und kohärente Antwort der Politik auf ein Budgetproblem, es geht auch um die Durchsetzung der Interessen von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Privatisierung ist in diesem Sinne eine politische Strategie, Macht in Richtung von Kapitaleigentümern zu verschieben. So können z.B. Politiker oder Beamte selbst, oder eine neue Unternehmerschicht stark von Privatisierungsmaßnahmen profitieren. Das hilft zu verstehen, warum Privatisierungspolitik auch von Regierungen angewandt wird, obwohl rationale Überlegungen nahe legen, dass dies nicht unbedingt die beste budgetäre oder wirtschaftliche Lösung ist. So kann man beobachten, dass Privatisierungen paradoxerweise auch dann vollzogen werden, wenn die privaten Gewinne binnen kurzer Zeit höher als der Verkaufserlös sind, wenn die privaten Betreiber eine hohe Risikoentschädigung, Gewinngarantien oder Steuererleichterungen verlangen, oder wenn die Regulierungskosten höher sind als die Steuereinnahmen aus dem Betrieb. Auf dem Weg zu einer Änderung von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen geht es auch um die Veränderung des Diskurses um öffentliche Dienstleistungen und ihre angebliche Marktfähigkeit. Von unterschiedlicher Seite werden hier bereits neue Konzepte in Diskussion gebracht, wie ein Menschenrechtsansatz (Kothari 2003), oder die Diskussion um Globale öffentliche Güter[6], um De-Globalisierung und Wiederaneignung. Dabei sollte es allerdings, wie Ulrich Brand in diesem Heft auch anmerkt, nicht um die Entwicklung eines Masterplans gehen, sondern um das Hinterfragen von Sachzwängen, um ein Sammeln und Verbreiten von Best Practice Beispielen[7], den Austausch von konkreten Erfahrungen sowie der Überprüfung ihrer Anwendbarkeit auf andere Orte und Bereiche. Charakteristisch für den herrschenden neoliberalen Diskurs ist seine geschichtliche Ignoranz. Ein Blick auf die Geschichte lohnt sich aber auch im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen: Bereits im 19. Jahrhundert wurde vormals private Infrastruktur verstaatlicht, aufgrund von Ineffizienz, Korruption und Machtmissbrauch (siehe z.B. Hall 2003). Die Rezepte, die nun von den Internationalen Finanzinstitutionen Entwicklungsländern verordnet werden, haben heutige Industrieländer nie verfolgt (siehe z.B. Chang 2002). Wichtig ist es daher, eine offene Debatte über verschiedene Möglichkeiten der Verbesserung von mangelhaft funktionierenden öffentlichen Dienstleistungen zu führen, unter Einbeziehung der historischen und gegenwärtigen Erfahrungen. Dabei ist immer mit zu bedenken, dass Effizienzsteigerungen und Verbesserungen auch bei Beibehaltung des öffentlichen Eigentums, und damit des Betriebs, durchgeführt werden können. Im Kern der Debatte stehen sollte der Wert, den allgemein zugängliche und qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen für eine Gesellschaft als Ganzes haben: für soziale Kohäsion, Verteilungsgerechtigkeit, Sicherheit und Lebensplanung. Ein bestimmendes Prinzip sollte dabei die demokratische Gestaltung - im Sinne von Transparenz, Rechenschaftspflicht und Teilhabemöglichkeit (Hall 2003) - sein. Diese Aspekte sind zentral für die Diskussion um weltweite Armutsminderung, konkretisiert in den mittlerweile zur Priorität der internationalen Gebergemeinschaft erklärten Millenium Development Goals (vgl. dazu Küblböck 2003). Entscheidend für das subjektive Gefühl der Armut sind Unsicherheit, Perspektivlosigkeit, Machtlosigkeit und Ausgrenzung - definiert als fehlende Mitbestimmungsmöglichkeit des eigenen Lebensumfeldes. (Weltbank 2000). Das Ausmaß und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen werden entscheidend dazu beitragen, die materiellen Grundlagen für eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bereitzustellen. Dazu bedarf es aber einer Aufwertung des Öffentlichen, und nicht dessen Abschaffung durch unüberlegte und einzig ideologisch motivierte Privatisierung.  Anmerkungen
[1] Viele fehlgeschlagene Privatisierungsbeispiele finden sich in Bayliss et al 2001, 11.[2] Zu den Kreditinstrumenten der Weltbank siehe z.B. Küblböck 2004a, 6f.[3] Für eine Beschreibung von unterschiedlichen Instrumenten siehe z.B. Kessler 2004.[4] Z.B. in Cochabamba in der Höhe von 15-17-%.[5] So wurde z.B. eine Publikation erstellt, die Empfehlungen für Öffentlichkeitsarbeit bei Privatisierungen gibt ("Public Communication Programs for Privatization Projects - A Toolkit for World Bank Task Team Leaders and Clients", Weltbank, (o.J.)).[6] Zu einer kritischen Analyse des Begriffs: siehe Ulrich Brand in diesem Heft.[7] Wie dies z.B. Public Service International macht.   Literatur Action Aid (2004): Money talks: How aid conditions continue to drive utility privatisation in poor contries, London, http://websrv.actionaid.org/wps/content/documents/money_talks.pdf.Alexander Nancy (2003): The Expansion of The World Bank GroupÂ’s Infrastructure Agenda, http://www.servicesforall.org/html/otherpubs/Expansion_WB_print.shtml.Alexander, Nancy; Kessler, Tim (2003): Assessing the Risks in the Private Provision of Essential Services, CitizensÂ’ Network on Essential Services, http://www.servicesforall.org/html/tools/assessing_risks.html.Alexander, Nancy (2002): Growing Dangers of Service Apartheid, Washington.Bayliss, Kate; Hall, David (2002): A PSIRU response to the World Bank, "Private Sector Development Strategy: Issues and options", London.Bayliss, Kate (2002): Privatisation and poverty: The Distributional Impact of Utility Privatisation, Centre on Regulation and Competition, No. 16, Manchester, http://idpm.man.ac.uk/crc/wpdl149/wp16.pdf.Bayliss, Kate et al. 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