Praxis und Symbolik. Zur Ökonomisierung des Sports

in (28.06.2004)

,,Vollgas, Vollgas, Vollgas"DJ Ötzi

Ein kurzer Aufsatz von Jürgen Habermas, in dem er diagnostizierte, dass der Sport unterm Schein des Spiels und der freien Entfaltung der Kräfte die Arbeitswelt verdopple, sorgte im Jahr 1958 für erhebliches Aufsehen (Habermas 1975, 40). Kritisch hinterfragt wurde damit sowohl die kompensatorische Funktion des Freizeitsports im Dienste des Berufslebens als auch die Arbeitsrationalität zum Zwecke der sportlichen Leistungssteigerung. Beides widerspräche dem aufklärerischen Potenzial, das dem Sport wie generell der Freizeitsphäre prinzipiell innewohne, wobei Habermas zu dem Schluss kam, dass wohl die Muße am ehesten dazu geeignet sei, die menschliche Selbstbestimmung zu fördern. ,,Im entspannten Müßiggang sowohl wie in der mußevollen Anspannung gewinnt der Mensch die Bestimmung über sich selbst zurück" (ebd., 45).

Habermas bahnte mit diesen ,,soziologischen Notizen" einer neuen Betrachtungsweise des Sports den Weg, die - im heftigen Widerstreit zur funktionalistischen Sport-Apologetik - Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ihren Kulminationspunkt erreichte (Rigauer 1969, Prokop 1971 oder Vinnai 1972), um danach relativ rasch abzuebben. Während die konservative Seite die Zweckfreiheit des Sports pries, nahm ihn die ,,kritische Theorie" als ideologische Ausprägung der kapitalistischen Industriegesellschaft wahr, falschen Bedürfnissen Vorschub leistend, also als Feld der Manipulation, warenförmig strukturiert und mit ,,arbeitsaffinen" Zügen ausgestattet. Für diesen kurzen Zeitraum existierte jedenfalls eine zeitgenössische politische Ökonomie des Sports, welche die zunehmende Kommerzialisierung dieses Kulturbereichs ins Auge fasste, um auf die politischen Konsequenzen seiner Verdinglichung hinzuweisen.

Hintergrund der Sportkritik war nicht zuletzt die Entfaltung einer modernen Konsumgesellschaft in Deutschland wie auch in Österreich. Habermas Aufsatz entstand genau am Wendepunkt von der Wiederaufbau- zur Wirtschaftswunderzeit und bezog sich auf die ökonomische Verfassung der florierenden industriellen Massenproduktion, also das seinerzeitige fordistische Akkumulationsregime. Für Österreich hieß dies: Wirtschaftliche Dominanz der Verstaatlichten Industrie sowie des Produktionsbereichs insgesamt, industrielle Arbeitsverhältnisse als Norm, 48 Stunden wöchentliche Normalarbeitszeit, Vollbeschäftigung (ab Anfang der 1960er Jahre), kontinuierliche Erwerbsbiographien und, damit einhergehend, Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlstandes und des Angebots an standardisierten Konsumgütern. Gleichzeitig wuchs die Mobilität der Bevölkerung und vermehrten sich die Freizeit- und Vergnügungsmöglichkeiten, wobei das Fernsehen in weiterer Folge einen zentralen Platz im Freizeitleben einnehmen sollte. Mit einem Wort, es war auf der Basis industrieller Arbeitsbeziehungen eine überwiegend kommerziell ausgerichtete Konsumlandschaft im Entstehen - eine Massenkultur, die in der Regel keinem politischen Bildungsanspruch unterlag und in Form einer Unterhaltungsmaschinerie, wie etwa dem Schausport, eine anti-aufklärerische Wirkung zu entfalten schien.

Marken, Design und Spektakel

Gegen Ende der 1970er Jahre, mit der zunehmenden Sättigung der Konsummärkte, war diese ideologiekritische Haltung im deutschsprachigen Raum passé. Man könnte diese Entwicklung ,,Kapitulation vor der Macht des Faktischen" nennen. Mit der sukzessiven Verwandlung der Produktions- in eine Dienstleistungsgesellschaft sowie dem Aufstieg der Kulturindustrie - sei es auf dem Gebiet des Tourismus oder der massenmedialen Unterhaltung - zu einem maßgeblichen Wirtschaftssegment schwanden die einstigen Hoffnungen auf eine befreiende Wirkung von Freizeitvergnügungen und einer spielerisch-sportlichen Praxis (die der gesellschaftlichen Entfremdung entgegenwirken würden). Selbst massive Arbeitszeitverkürzungen, wie jene in Österreich von 45 auf 40 Wochenstunden in der ersten Hälfte der 1970er Jahre, förderten nicht den ,,entspannten Müßiggang", sondern resultierten in eine Beschleunigung des Freizeitlebens, in ein ,,time deepening" beim Versuch, den Verheißungen der Konsum- und Unterhaltungsbranche nachzukommen. Das kapitalistische Verwertungsregime nahm also zusehends das persönliche Glück, die Sehnsüchte und Wünsche der arbeitsfreien Zeit an die Kandare und organisierte die Utopie eines erfüllten Lebens marktförmig. Bezeichnendster Ausdruck dieser Entwicklung war eine materialistische Grundeinstellung, die hierzulande bis in die 1980er Jahre nahezu ungebrochen vorherrschte.

Besitz allein macht allerdings noch nicht glücklich, sondern das Glück hängt davon ab, dass man um den Besitz beneidet wird. ,,The happiness of being envied is glamour", wie John Berger (1972, 132) Anfang der 1970er Jahre so schön formulierte. Das heißt, zum einen bedarf es der Demonstration der jeweiligen Lebensart, um Erfüllung zu finden, zum anderen resultiert das Ansehen der Handelnden aus dem Prestige der verwendeten Symbole. Der symbolische Wert von Waren, aber auch von Freizeitaktivitäten und nicht zuletzt der sportlichen Praxis bestimmt mithin das allgemeine Glücksstreben, bei dem es im Grunde um soziale Distinktion geht. Pierre Bourdieu hat in seiner Untersuchung ,,Die feinen Unterschiede" (1982) reichlich empirisches Material aus den 1970er Jahren über die habituellen Neigungen der sozialen Klassen Frankreichs zusammengetragen, das zeigt, wie etwa Golf, Tennis oder das Springreiten zum sozialen Status und Ansehen der oberen Klasse beitragen (ebd., 352ff), also zum Glück der Herrschenden gehören. Aber vor allem macht Bourdieus Studie deutlich, dass der Angebotspalette an sportlichen wie sonstigen kulturellen Möglichkeiten zu jedem Zeitpunkt, analog den Konsumgütern, ein gesellschaftliches Werturteil innewohnt - wobei sich die Wertigkeiten durch eine Reihe von Kräften laufend verschieben.

Einer der Antriebe zur Veränderung dieses Wertekanons entspringt den Schwierigkeiten der Kapitalakkumulation in der Konsumgüterindustrie - der ,,sozioökonomischen Notlage, dass in einer Wohlstandsgesellschaft die Märkte (...) gesättigt sind" (Haubl 1996, 208). In den 1970er Jahren kündigten sich neue Marktstrategien an, die in den 1980er Jahren zum allgemeinen Kodex der Konsumgesellschaft avancierten. Die wichtigsten Ingredienzien dieses Prozesses lauteten: Entstandardisierung der Konsumgüter, also Produktion kleiner Serien, in Richtung einer Fertigung des ,,individuellen Industrieprodukts" (ebd., 209) und Diversifizierung der Produktpalette, Ästhetisierung der Warenwelt sowie Schaffung von ,,Marken". Einerseits zielte diese Absatzpolitik auf die Steigerung des Erlebniswerts von Waren und die Emotionalisierung des Konsumverhaltens ab, nachdem mit der ,,Nützlichkeit" kein Staat mehr zu machen war. Andererseits expandierten damit die Distinktionsmöglichkeiten ins Unermessliche; der Inszenierung von Individualität eröffneten sich bisher kaum geahnte Chancen. Im Modebereich beispielsweise signalisierte der Aufstieg der Designermode, etwa von Courrèges oder Rive Gauche, den Übergang zu einem neuen Verwertungsregime. Verhältnismäßig preisgünstige Prêt-à-porter Kleidung in kleinen Serien kam auf den Markt, begleitet von einem breiten Spektrum an modischen Accessoires, wobei das Prestige jeweils vom Markennamen herrührte (Baudot 1999, 210ff). Im Sport setzte in den 1970er Jahren ein ähnlicher Prozess der Ausdifferenzierung und Wertsteigerung ein. ,,Bis in die 60er Jahre waren Sportbekleidung und -schuhe Zweck- und Gebrauchsgegenstände", schreibt etwa Bero Rigauer (1992, 191), danach wäre das Design immer wichtiger geworden, wurden Produktlinien funktional aufgefächert und Markennamen marktbeherrschend. Symptomatisch für diese Entwicklung erscheint der Aufstieg von ,,Adidas" zu einer Weltmarke im Anschluss an die Olympischen Sommerspiele 1972, wo sich das Unternehmen als offizieller Ausstatter profilierte (über die Hip-Hop-Szene etablierte sich ,,Adidas" gegen Ende der 1980er Jahre schließlich als ,,street wear").

Im Wertekanon der 1980er Jahre rangierten Designernamen ganz oben, Markenkenntnis und -bewusstsein waren von zentraler Bedeutung, und die Produktgestaltung spielte eine überragende Rolle. Dieser Ästhetisierungsschub erfasste nicht zuletzt das Freizeitverhalten der HobbysportlerInnen. Neben den traditionellen Sportvereinen begannen modische Fitnesscenter und in weiterer Folge Wellnesseinrichtungen aus dem Boden zu schießen, die Bodybuilding- und Aerobic-Welle schwappte von den Vereinigten Staaten auf Europa über, Schauspielerinnen und Models produzierten Fitnessvideos, und insgesamt mehrten sich die Anzeichen, dass der Körper im Begriff war, zum ,,Gegenstand des Heils" zu werden (Baudrillard 1981, 93).

Das Markenbewusstsein beschränkte sich mithin nicht auf die Wahl des richtigen ,,outfits", sei es für die Straße oder den Sport, sondern die Anstrengungen gingen dahin, den Körper selbst zu einer Marke zu gestalten. Investiert wurde in die Umgestaltung des Fleisches, um persönliche Einzigartigkeit herzustellen, die anziehend wirken soll. Die Kommunikationsfähigkeit des Körpers sollte verbessert werden, was - mit Ausnahme kosmetisch-chirurgischer Eingriffe - keineswegs mühelos vonstatten geht (und nicht mit einem hedonistischen Vergnügen verwechselt werden darf).

Zugleich bekam der Schausport in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts spektakulärere Züge, etwa durch die Anreicherung von Sportveranstaltungen mit künstlerischen Elementen wie bei den Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele oder, bezeichnender noch, durch die Vermengung von Popkultur und Spitzensport wie im amerikanischen Basketball (Schmidt 2002, 68ff). Ins Zentrum rückte so jedenfalls das möglichst ,,unverwechselbare Ereignis". Desgleichen stieg die Kommerzialisierung des Hochleistungssports enorm, was sich in Österreich leicht an der Namensgebung von Fußballvereinen bzw. der obersten Fußball-Liga, die heutzutage nach einem Telekommunikationskonzern benannt ist, oder an den stark steigenden Einkünften der Stars einiger Disziplinen ablesen lässt, welche wiederum zu einem guten Teil aus der Werbetätigkeit für Markenprodukte resultieren.

All diese Prozesse wurden maßgeblich vom Fernsehen vorangetrieben. Der Österreichische Rundfunk erreichte gegen Ende der 1970er Jahre nahezu sämtliche österreichische Haushalte und steigerte durch die regelmäßige Übertragung von Sportwettkämpfen vor allem die Popularität der einheimischen Paradedisziplinen Fußball und alpiner Skilauf (Penz 1999). Dazu gesellten sich in den 1980er Jahren private Spartenkanäle, die das kommerzielle Potenzial verschiedenster Sportarten sowohl nutzten als auch erhöhten. Generell bewirkte das Medium Fernsehen ungeheure Einnahmesteigerungen im Sportbereich, allein schon durch die Abgeltung von Übertragungsrechten; und die Konstituierung eines immens breiten Publikums für Werbezwecke eröffnete der Kommerzialisierung neue Dimensionen. ,,Das Fernsehen ermöglicht die größte gleichzeitige Wahrnehmung eine Botschaft in der Geschichte der Menschheit" (Meyrowitz 1985, 90). Diese ,,shared arena" versammelt nicht bloß ein Massenpublikum, sondern wirkt auch auf die ästhetischen Standards der Zuschauermasse ein - generell, indem das Fernsehen zur Bedeutungssteigerung visueller Sinneseindrücke entscheidend beiträgt, und im Speziellen, indem es in einem vorher ungekannten Ausmaß Bilder von ,,Artgenossenschönheit" verbreitet (Guggenberger 1995, 96ff). Schönheitsbilder grassierten also zunehmend, sei es bei Sportübertragungen, in Spielfilmen, ,,soaps" und ,,sitcoms" oder sei es durch die Werbung, dem zentralen Medium für die Herstellung des symbolischen Werts von Waren. Die Ausbreitung des Fernsehens und die Diversifizierung in den 1980er Jahren in Form zahlreicher kommerzieller Privatkanäle korrespondierten also mit dem um sich greifenden Körperkult: Fitness, Schönheit und Jugendlichkeit wurden zum medial allgegenwärtigen Anschauungsmaterial und zum wichtigen Kennzeichen der neuen Erfolgsgeneration.

Die Verbreitung des deutschen Privatfernsehens im Österreich der 1980er Jahre stellte zugleich ein signifikantes Merkmal für die ökonomische Entwicklung jener Zeit dar, die sich in zwei Stichworten zusammenfassen lässt: Deregulierung der Märkte und Entstaatlichung (Penz 2003). Seit den 1980er Jahren hat die Republik Österreich sukzessive Teile der Verstaatlichten Industrie abgestoßen, wobei zu einem guten Teil ausländische Konzerne von den Privatisierungsschritten profitierten. Vor allem die Entwicklung auf dem Kommunikationssektor, wo heutzutage eine ganze Reihe von Telefongesellschaften, Mobilnetzbetreibern oder auch Radiostationen miteinander konkurrieren, und selbst das öffentliche Fernsehen private Konkurrenz im eigenen Land bekommen hat, ist für die Deregulierung geschützter Märkte symptomatisch. Diese im Zeichen eines wirtschaftlichen Neoliberalismus stehenden Umstrukturierungen zeitigten nachhaltige Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse. Erwerbsbiographien wurden brüchig, die Zahl der Arbeitslosen stieg in den frühen 1980er Jahren markant an, Teilzeitbeschäftigungen wie überhaupt atypische Arbeitsverhältnisse nahmen stark zu, und die Flexibilisierung der Arbeitszeit schritt zügig voran (am offensichtlichsten im Handel, wobei mittlerweile insgesamt die Mehrheit der österreichischen Erwerbstätigen außerhalb des regulären Achtstunden-Rhythmus an Werktagen arbeitet). So stellten sich in Österreich, wenn auch im internationalen Vergleich etwas verspätet, sukzessive postfordistische Verhältnisse ein, die den Menschen ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität abverlangen, während sich das soziale Risiko in der beruflichen Sphäre vergrößert.

Die wachsende Vielfalt an Waren und Dienstleistungen, unter denen es auszuwählen gilt, der ausufernde Strom an Informationen und die Flut an Bildern verdichteten sich im generellen Phänomen der Zeitknappheit im öffentlichen Leben. Der Kampf um Aufmerksamkeit verschärfte sich (Franck 1998), während im privaten Bereich ein beachtlicher Entsolidarisierungsprozess in Gang kam. Die Zahl der Eheschließungen ging zurück, während die Scheidungsraten stiegen, Single-Haushalte stellten zusehends keine Ausnahme mehr dar, und ,,Lebensabschnitts"-Partnerschaften entwickelten sich zur Norm. Im Endeffekt hörte die Familie auf, ,,eine soziale Institution zu sein, und (wurde) zum Schauplatz interagierender Privatsphären" (Prost 1993, 87). Im Privaten vollzog sich also eine Individualisierung der Lebenslagen, die wiederum die Selbstinszenierung - die Attraktivierung der eigenen Persönlichkeit - im Hinblick auf ersehnte soziale Anschlüsse beflügelte (Penz 2001, 179ff). Diesen Selbstdarstellungen boten und bieten zudem die Massenmedien breiten Raum, nicht zuletzt in Form von ,,talk"- und ,,reality-shows", die ihrerseits wiederum die Profile der Sender schärfen.

Sportpraxis im Zeichen von ,,Red Bull"

Seit Habermas Zeiten hat sich also ein Wandel des Akkumulationsregimes vom Fordismus zum Postfordismus sowie die Transformation der Industrie- in eine Informationsgesellschaft vollzogen. Bezeichnend für die gesellschaftlichen Verhältnisse ab den 1990er Jahren, spätestens jedoch seit der Ausbreitung des Internets, ist eine enorme Kommunikationsdichte, eine hohe Geschwindigkeit des Informationsflusses und eine starke Bildhaftigkeit der Kommunikationsprozesse (die heutzutage auch das Gebiet des mobilen Telefonierens erfasst). Damit haben die Oberflächengestaltung, das Design, der emotionale Wert von Symbolen der Warenwelt und die ,,Spektakularisierung" von Ereignissen eine enorme Bedeutung gewonnen. Diese Reize der Konsumwelt überdecken dabei eine soziale Wirklichkeit, die von der Diskontinuität und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse sowie einer zunehmenden Brüchigkeit und Individualisierung der privaten Lebenslagen gekennzeichnet ist.

In dieser spätmodernen Konsumlandschaft gedeihen auch auf sportlichem Gebiet Projekte der Selbstprofilierung sowie Ereignisse mit hohem Erlebniswert. Insbesondere der Extrem- und Risikosport sowie eine sportliche ,,fun"-Kultur florieren nachhaltig. Drückt sich im ersten Element eine Art Sinnsuche nach ,,Authentischem" in Form von unmittelbaren leiblichen Erfahrungen und emotionalen Spannungszuständen aus (in ,,performances", die der Ausrichtung der Medien aufs Spektakuläre entgegenkommen), so spiegelt das zweitgenannte Moment die zeitgenössische Intensivierung des Wunsches nach der Befriedigung ,,innerer Gefühle" als Massenphänomen wider - durchaus im Sinne Heinz-Günter Vesters (2004, 11): ,,Macht sich das Erleben in innerer Bewegtheit bemerkbar, die zugleich körperlich erfahren wird, wird das Erlebnis vervollständigt." In beiden Bereichen zeigt sich jedenfalls ein starker Hang zu expressivem Verhalten, über das die dominanten persönlichen Befindlichkeiten der Spätmoderne nach außen kommuniziert werden. Im Zuge dessen werden einerseits, im Falle der ExtremsportlerInnen, Persönlichkeiten als Marken konstituiert, während andererseits die Funsportgemeinden nicht zuletzt vom Marken-,,outfit" auf dem Gebiet der Ausrüstung wie der Bekleidung vereint werden.

Diese Ausprägungen des Sports eignen sich hervorragend zur aktuellen Profilierung einer ganzen Reihe von Konsumgütern, die nicht unmittelbar der Sportausübung dienen, und zwar zur Generierung von Erlebniswerten im Dienste der Marktdurchdringung. Genau in diesem Punkt zeichnet sich im österreichischen Kontext etwa das ,,Red Bull"-Marketing - die Vermarktung eines koffeinhaltigen Getränks, das seit 1987 auf dem österreichischen Markt erhältlich ist und mittlerweile zu einem ,,global player" avancierte (mit 1,5 Mrd. verkauften Dosen weltweit) - gegenüber demjenigen konkurrierender Marken aus. "Red Bull" hat in den 1990er Jahren einen ungeheuren Aufstieg vollzogen und gilt heute - laut einer Umfrage von ,,Financial Times Deutschland" und ,,PricewaterhouseCoopers" (Der Standard, 21.1.2004) - als Paradeunternehmen Österreichs, wobei Firmengründer Dietrich Mateschitz mittlerweile zur drittreichsten Person des Landes aufgestiegen ist.

Wie schon seinerzeit Coca-Cola, verspricht der ,,Energydrink" gesteigerte Dynamik sowie Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit, dies aber weniger vermittels traditioneller Werbung - wie etwa die ,,... verleiht Flügel"-Fernsehspots -, sondern vor allem durch ,,product placement" bzw. Event- und Sportmarketing. Laut Martin Hötzel, dem Geschäftsführer von ,,Red Bull" Deutschland, werden 30 bis 40 Prozent des Umsatzes (von knapp 1,15 Mrd. Euro im Jahr 2002) ,,in die Marke investiert" (redbull.com, 29.10.2002), wobei der symbolische Wert des Getränks in der Hauptsache in jenen Bereichen aufgebaut wird, wo Individualismus, Risikobereitschaft, Beschleunigung und Partystimmung vorherrschen. Erkleckliche Summen werden demgemäß in die Unterstützung von Automobilrennställen, Flugzeugstaffeln und Motorbootrennen investiert. Das Unternehmen sponsert eine Vielzahl an AthletInnen im Skisprung-, ,,speed skiing"-, ,,freestyle skiing"-, ,,snowboarding"-, ,,paragliding"- und Autosport-Bereich. Darüber hinaus förderte und fördert der Konzern eine ganze Reihe von Fun- und Extremsport-Events oder -Experimenten, wie die ,,Red Bull Flugtage", den ,,Xtreme Freeride Contest" im Schweizer Skiort Verbier (Stern 6.11.2003, 190ff) oder, vielleicht noch spektakulärer, die Ärmelkanalüberquerung (ohne motorischen Antrieb) durch den ,,Extrem-Fallschirmspringer" Felix Baumgartner, der kurz danach auch vom höchsten Bürogebäude Österreichs, dem Wiener Millennium Tower, zu Boden segelte (Kurier 21.12.2003).

Der Wert von ,,Red Bull" - wie funktional das Getränk in unserer zeitknappen Kultur auch immer sein mag - resultiert also maßgeblich aus der Anbindung an zeitgenössische Tendenzen im Sport, d.h. der Aufbereitung der ,,psychischen Nähe" (Haubl 1996, 212) von Marke und Erlebnissport bzw. Projekten der Selbstverwirklichung. Dass dieses Erlebnismarketing reibungslos funktioniert, zeigen die bis dato steil ansteigenden Umsätze des Unternehmens; und die Marketingpolitik funktioniert deshalb so gut, weil sie den sozialen Gesetzmäßigkeiten des Postfordismus, die im Sport öffentlichkeitswirksam zum Tragen kommen, folgt.

Am Beispiel von ,,Red Bull", das die enge Verkoppelung von Sportpraxis und Markenstrategie auf den Punkt bringt, erweist sich die ungebrochene Relevanz der Sportkritik der frühen 1970er Jahre: Die Ökonomisierung der Kultur ist unaufhörlich vorangeschritten und hat den sportlichen Freizeitspaß, bei dem es nunmehr um intensive Erlebnisse und die Inszenierung von Events geht, weitestgehend erfasst. Die Muße spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr, ganz im Gegenteil, im sportlichen Vergnügen wird der Beschleunigung und Entgrenzung gehuldigt. Diese Zustände verweisen allerdings kaum mehr auf die industrielle Arbeitsdisziplin, sondern vielmehr auf die ekstatische Zirkulation von Symbolen in der heutigen Informationsgesellschaft - auf den Reiz des Designs, die Fabrikation von Marken, auf die Demonstration von Individualität und die Kunst der Selbstdarstellung. In der Spätmoderne ,,tritt an die Stelle des sozialen Netzes ein Informationsnetz", schreibt Scott Lash (in Pongs 2000, 178), womit sich der Zwang zur Flexibilität und Selbstprofilierung verstärkt, und die Kommunikation im Zeichen der Aufmerksamkeitsgenerierung zu einem unaufhörlichen Strom anschwillt. Hier drückt sich keine Ideologie mehr aus, sondern diese Kommunikation ist Ideologie: Wer sich davon abkoppelt, aus dem Spiel nimmt, bleibt zurück.

Die Informationsgesellschaft ist eine ,,Gesellschaft in ständiger Bewegung, ein Netzwerk mit unzähligen Verbindungen", wo die ,,Kommunikation wichtiger als die Information" ist (ebd., 176). In diesem Sinne verhalten sich etwa die Profis der Extremsportszene hochfunktional, nämlich äußerst dynamisch und stets öffentlichkeitswirksam kommunizierend; wenngleich die Botschaft mitunter recht eindimensional ausfällt, lautet doch die zentrale Aussage im Grunde: ,,Ich verwirkliche mich selbst, ich habe einen Marktwert, ich bin eine Marke." Der Habitus der ExtremsportlerInnen wird also, kurz gesagt, vom postfordistischen Prinzip beherrscht. Als solcher sollte er durchaus Anlass zur Reflexion darüber geben, welche Quellen Begriffe wie ,,Risikobereitschaft" speisen oder vielmehr, welche strukturellen Gegebenheiten damit bezeichnet werden. Zur Sprache würde so ein fragwürdiger Individualismus und Persönlichkeitskult kommen, hinter denen sich prekäre Arbeitsverhältnisse, ,,patchwork"-Lebensläufe und instabile Lebenslagen verbergen. Auf diese Art beinhaltet der Sport, wie in früheren Theoretisierungen, erneut Momente der Politik und politischen Ökonomie - indem er auf notwendige Regulative für eine wirtschaftsliberale Verfassung verweist, die das soziale Risiko merklich erhöht und von jenem sportlichen ,,common sense" getragen wird, der behauptet, dass der Wille zum Erfolg beflügle und zum Platz an der Sonne führe. So betrachtet verleiht Felix Baumgartners Ärmelkanalüberquerung im freien Fall einem alten Mythos jugendliche Frische.

Literatur

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