Zurück zum Wohlstand?

Ökonomisch-politische Perspektiven für 2004

Die sozialdemokratisch geführte Regierung ist überzeugt, die Weichen für eine umfassende Erneuerung in Deutschland gestellt zu haben. Das Reformprogramm der Agenda 2010 werde die ...

... ökonomische Stagnation vertreiben und die Dynamik der Wohlstandentwicklung zurückholen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung teilt - in Übereinstimmung mit anderen Experten - diese Sichtweise nicht: "Im Gegenteil, die Ausgangsituation zu Beginn des Jahres 2004 ist schlechter als vor Jahresfrist; der Lebensstandard der Deutschen ist im vergangenen Jahr gesunken." (DIW 2004, 28) Der Großteil der Gesetze der Agenda 2010 dient der Anpassung der Sozialversicherungssysteme an die geringen Zuwächse des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit und die Erosion der finanziellen Fundamente der Sozialkassen. Die Hoffnung auf einem Ausbruch aus dem Teufelskreis von ökonomischer Stagnation und verschärften Verteilungskonflikten beruhen auf dem ökonomischen Aufschwung der Weltkonjunktur und einer dadurch verstärkten Exportdynamik. Allerdings ist die Mehrheit der Wirtschafts- und Konjunkturexperten sehr zurückhaltend bei der Bewertung der ökonomischen Perspektiven. Die Chancen für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung hängen an der Exportwirtschaft, weil die Faktoren für eine Belebung der Binnenökonomie (Konsumverhalten der privaten Haushalte, Sparneigung , öffentlicher Verbrauch, öffentliche Investitionen) überwiegend negativ beurteilt werden. Belastend für die Exportwirtschaft ist die spürbare Aufwertung des Euro. Bei den Prognosen einer möglichen Zuwachsrate des gesamtgesellschaftlichen Produkts (BIP) von 1,4-1,8% war stets eine Stabilisierung im Weltwährungssystem, d.h. den Austauschverhältnissen vor allem des Euro und des Yen gegenüber dem Dollar, unterstellt. "Maßgeblich für die leicht verbesserten Aussichten im Euroraum in diesem und im kommenden Jahr ist zum einem die merkliche Erholung der Weltwirtschaft, so dass trotz der markanten Aufwertung des Euro die Expansion der Ausfuhr erheblich an Dynamik gewinnen wird. Dabei ist unterstellt, dass die Aufwertung des Euro im kommenden Jahr bei 1,23 US-Dollar im Jahresdurchschnitt zum Stillstand kommt." (DIW 2004, 9) Bekanntlich ist die Erwartung, dass der effektive Wechselkurs im Jahr 2004 in etwa auf dem Niveau vom Herbst des Jahres 2003 verharren wird, massiv widerlegt worden. Im Gegenteil sprechen wenig Argumente dafür, dass die seit längerem zu verzeichnende Verschiebung in den Währungsverhältnissen bei dem augenblicklichen Stand von knapp 1,30 für den Euro gegenüber dem US-Dollar zum Stoppen kommt. Die deutschen Exporte gehen zwar zu über 2/3 in die europäischen Länder, gleichwohl gehen von dem restlichen Drittel deutliche Impulse für die Gesamtökonomie des Euro-Raumes und Deutschlands aus. "Deutlich retardierend auf die europäische Konjunktur wirkt dagegen die Aufwertung des Euro. Im Dezember vergangenen Jahres lag der Wert des Euro gegenüber dem US-Dollar bei 1,22 und damit um 20% über dem Vorjahresniveau und um 37% über dem Niveau vom Dezember 2001. Die entsprechende reale effektive Aufwertung betrug 10% bzw. 19%. Die realwirtschaftliche bremsende Wirkung der Aufwertung dürfte die stimulierende Wirkung der Zinssenkung sogar überkompensiert haben."(DIW 2004, 12) Angesichts dieser Entwicklung und der negativen Auswirkungen auf die europäische Konjunktur muss man nach den Gründen für diese Verschiebung in den Währungsrelationen und den möglichen weiteren Konsequenzen fragen.

Aufschwung in den USA

Die USA haben die sich nach dem Crash der New Economy (2001) anschließende milde Rezession rasch überwunden und durch massive wirtschaftspolitische Stimulierung das Wirtschaftswachstum im Jahr 2002 auf 2,2% und 3,1% im Jahr 2003 steigern können. Vor allem der private Konsum hat diese positive Entwicklung getragen. Über eine massive Absenkung des Zinsniveaus auf 1%, deutliche Steuersenkungen und eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben ist die US-Ökonomie wiederum zur Lokomotive des internationalen Konjunkturzuges aufgerückt. Die für die US-Gesellschaft negativen Begleiterscheinungen sind einerseits ein erneutes Absinken des gesamtstaatlichen Haushaltsdefizit auf -6% im Jahr 2003 und die weitere Verschlechterung des Leistungsbilanzsaldos auf -5% GDP. "Die Vereinigten Staaten verwandelten sich Mitte der achtziger Jahre von einem Nettogläubiger in einen Nettoschuldner gegenüber dem Ausland. Belief sich das Nettoauslandsvermögen zu Anfang der achtziger Jahre noch auf 13% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt, so hatten sich bis Ende letzten Jahres Nettoschulden gegenüber dem Ausland von 23% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt aufgehäuft." (Sachverständigenrat 2003, 63) Auf mittlere Sicht ist das weitere Anwachsen der Nettoschulden der USA auf ca. 35% problematisch (Schätzung vom IMF), weil ein beträchtlicher Anteil der inländischen Wertschöpfung zur Bedienung der im Ausland aufgenommen Schulden aufgewandt werden muss. Weitaus problematischer sind die kurzfristigen Effekte dieser Entwicklung für das Weltwährungssystem. Zur Zeit benötigen die USA arbeitstäglich einen Zufluss von 2,3 Mrd. Dollar an ausländischem Kapital, um das große Leistungsbilanzdefizit finanzieren zu können. D.h. Finanzinvestoren aus dem Ausland kaufen Wert- und Schuldpapiere von US-Unternehmen und US-Institutionen und schleusen auf diese Weise das beträchtliche Angebot von US-Dollar in die Vereinigten Staaten zurück. Seit dem Finanz-Crash von 2001 funktioniert dieser Kreislauf allerdings immer geringer. Angesichts der mäßigen Gewinnaussichten der US-Unternehmen, der niedrigen Verzinsung von Anleihen und Schuldtiteln fällt der Absatz von US-Papieren im Ausland zurück. Der Dollar verliert an Wert, was den Absatz von US-Wertpapieren weiter drückt, da die Investoren beim Rücktausch mit erheblichen Währungsverlusten rechnen müssen. Die politische Schlussfolgerung lautet: Solange die US-Politik nicht an eine Trendwende im Zwillingsdefizit - Haushaltsdefizit und Leistungsbilanzsaldo - arbeitet, solange wird die chronische Abwertungstendenz des Dollar anhalten.

Ökonomische Risiken 2004

Viele Finanzexperten gehen von einem weiteren Anstieg des Euro in den nächsten Wochen von über 1,35 Dollar aus. Damit werden die europäischen Exportfirmen aber erheblich in ihren Absatz- und Gewinnerwartungen eingeschränkt. In Europa wird der Widerstand gegen einen schwachen Dollar massiv zunehmen. Umgekehrt wird die US-Notenbank - bestärkt durch die Bush-Administration - keine Neigung zu Zinserhöhung in den nächsten Monaten entwickeln, was zweifellos den Dollar-Euro-Kurs stabilisieren würde. Jede Zinserhöhung wird sich in den USA negativ auf die Konsumneigung der privaten Haushalte auswirken, die infolge der auslaufenden Steuersenkungseffekte und der hohen Arbeitslosigkeit einer wachsenden Belastung ausgesetzt sehen. Die US-Notenbank wird versuchen mit niedrigen Zinsen, einen Umstellungsprozess der privaten Haushalte zu fördern. "Das Verhältnis der Schulden der amerikanischen Haushalte zu ihrem Vermögen liegt deutlich über dem langfristigen Trend... Und die Schuldendienstquote - also das Verhältnis der Zins- und Tilgungszahlungen der Haushalte zum verfügbaren Einkommen - liegt trotz sehr niedriger Zinsen auf Rekordniveau. Während die amerikanischen Unternehmen nach dem Platzen der Aktienmarktblase ihre Bilanzen korrigierten, haben die amerikanischen Verbraucher ihre Schulden immer weiter hochgefahren." (Krämer 2004, 19) 2004 ist in den USA ein Wahljahr und die Republikaner werden ihr ganzes politisches Gewicht in die Wagschale werfen, um einen allmählichen Anpassungsprozess der US-Verbraucher zu sichern. Wenn die Europäer und die Japaner kaum Chancen haben, die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den USA in Richtung auf eine Stabilisierung der Währungsverhältnisse voranzubringen, bleibt ihnen letztlich nur das Mittel, selbst die Zinsen zurückzunehmen, was angesichts des bereits niedrigen Zinsniveaus nur begrenzte Effekte haben kann. Auch die Intervention von Notenbanken zur Beeinflussung der Dollarkurses sind von begrenzter Reichweite. Wir sollten uns für den Verlauf des Jahres auf weitere Auseinandersetzungen über die Politik der USA einstellen.

Literatur

DIW (2004): DIW-Wochenberichte 1-2 Sachverständigenrat (2003): Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2003/04: Staatsfinanzen konsolidieren - Steuersystem reformieren. Krämer (2004): Krämer, J., Neue Welle an Bilanzkorrekturen, in: FAZ vom 3.1.2004