Die Not hat ein Ende: "Hartz verspricht Halbierung der Arbeitslosenzahlen" (FR, 24. Juni 2002). Und (fast) alle sind dafür: der Bundeskanzler, der sich eigentlich nicht mehr an den ...
... Arbeitslosenzahlen messen lassen wollte, findet prinzipiell gut, was die Grünen begrüßen, die CDU "ohnehin zu Teilen in ihrem Regierungsprogramm hat" und die FDP "sofort umsetzen" will. Die PDS ist dagegen, aber die darf ja nach der Bundestagswahl sowieso nicht mitregieren.
Die geschickt lancierten "Gedanken" der Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", von der nicht mal naive Gemüter annehmen, sie sei zur Verbesserung der Arbeitsämter zu Gunsten der Erwerbslosen eingerichtet worden, sind in der Tat eine umfassende Attacke auf die Arbeitslosenstatistik, die nicht ohne Erfolgschance ist. Die Bereinigung der Arbeitslosenstatistik soll über das Aussteuern aller über 55-jährigen Arbeitslosen, die Überführung eines Teils der Arbeitslosen in die Scheinselbständigkeit der "Ich-AG" genannten Ein-Mann-Betriebe und durch die Zwangsrekrutierung von Arbeitslosen für von den Arbeitsämtern einzurichtende, PersonalServiceCenter genannte Leiharbeitsfirmen geschehen. Diese könnten nach den "Ideen" der Kommission Jobsuchende nach spätestens sechs Monaten Arbeitslosigkeit bei Androhung der Kürzung des Arbeitslosengeldes einstellen, um sie dann den Unternehmen anzubieten.
Im Zuge der Ausweitung der Leiharbeit könne dann auch das Verbot der Leiharbeit im Bauhauptgewerbe fallen sowie - anders als bisher - eine Mehrfachbeschäftigung bei dem gleichen Unternehmen möglich werden. Für die Gewerkschaften soll das Ganze dadurch diskussionsfähig gemacht werden, dass die Leiharbeitsverhältnisse bei den PersonalServiceCentern tariflich geregelt sein sollen und dass die Ausgeliehenen künftig den im Ausleihbetrieb gültigen Tarifen unterliegen. Letzteres ist für sich genommen tatsächlich eine Reform des Ist-Zustandes und wird die pauschale Ablehnung des Vorschlagspakets zur "Leiharbeit" erschweren, zumal nicht verkannt werden sollte, dass vermutlich viele Arbeitslose die Hoffnung haben werden, auf diesem Weg doch noch in einem "richtigen" Betrieb zu landen.
Die Schätzungen der Kommission, dass die Zahl der LeiharbeiterInnen von derzeit etwa 300000 auf mehr als 700000 erhöht werden könne, deuten jedoch bereits an, dass es wahrscheinlich keinen Rechtsanspruch auf Beschäftigung in den PersonalServiceCentern geben wird, sondern dass die Arbeitsämter entscheiden, wer in diese institutionalisierte Arbeitsmarktreserve überführt wird. Gesucht sind "industrie- und dienstleistungsfähige" Arbeitskräfte, die im Zweifel - wie beim VW-Modell - auf Kosten des Arbeitsamts nach den Bedürfnissen der Firmen geschult werden. Wer sich nicht bewährt oder nicht mehr gebraucht wird, wird wieder zurückgegeben. Die Firmen erhalten dadurch nicht nur eine maximal flexibilisierte ‘workforceÂ’, sie sparen auch die Kosten einer vorausschauenden Personalpolitik und können die Kernbelegschaften weiter reduzieren. In einem solcherart modernisierten Arbeitsmarkt darf dann auch das unbefristete Arbeitsverhältnis endgültig ins Industriemuseum abwandern. Diejenigen, die wie die so genannten Langzeitarbeitslosen selbst für diesen Markt nicht mehr tauglich sind, werden in die Armut der Sozialhilfe aussortiert.
Bezahlt werden soll das Bündel von Vorschlägen durch die Einsparung von Arbeitslosengeld, wobei sicherlich noch über die Modalitäten, wie das zu geschehen hat, diskutiert werden wird. Ob es am Ende tatsächlich zu pauschalierten Arbeitslosengeldern kommt, ist dabei zweitrangig. Entscheidend ist, dass durch die weitere drastische Herabsetzung der Zumutbarkeit, die Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ältere, die generelle Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf maximal zwölf Monate und weitere Maßnahmen auf Kosten der Arbeitslosen immerhin soviel Geld eingespart werden soll, dass bereits von einer möglichen Senkung der Beiträge gesprochen wird.
Die "Überlegungen" der Hartz-Kommission schließen in weiten Teilen an ideologische Vorstellungen an, die auch in den Gewerkschaften salonfähig sind. Wer beispielsweise die von der Böckler/Bertelsmann-Stif-tung herausgegebene Zeitschrift Mitbestimmung verfolgt, sieht, wie sich auch dort über die vom Neoliberalismus übernommene Begriffsneuschöpfung der employability (Beschäftigungsfähigkeit) längst der Gedanke durchgesetzt hat, dass nicht die Unternehmen, sondern die Einzelnen für ihre Beschäftigung respektive Arbeitslosigkeit verantwortlich sind. Schließlich - und da sind die neoliberalen Traditionalisten dem ollen Marx näher als viele ihrer KritikerInnen - ist von den Unternehmen im Kapitalismus nichts anderes zu erwarten, als dass sie sich marktkonform verhalten. Lohnabhängigen bleibt nur, ihre "Ware Arbeitskraft" möglichst frisch zu halten und im Preis der Marktlage anzupassen. Der Populist Gabriel, seines Zeichens Ministerpräsident Niedersachsens, ist wahrscheinlich nicht der Einzige, der es inzwischen für völlig normal hält, dass alle, die nicht familiär gebunden sind, gefälligst der Arbeit zu folgen hätten. Die zwischenzeitlich leiser gewordene Auffassung "wer arbeiten will, findet auch was", wird wieder salonfähig. Der Wille zur Arbeit werde, so die nicht nur in bürgerlichen Kreisen verbreitete Ansicht, jedoch durch allzu reichlich gewährte staatliche Wohlfahrt gebremst. Vor allem hier wurde ein "Reformstau" entdeckt, den weder 16 Jahre Kohl noch Rot-Grün beseitigen konnten und an dem auch das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit nicht so vorbeikam, wie sich das manche Benchmarker Deutschlands erhofft hatten.
Das soll jetzt anders werden, wenn der Sozialdemokrat Hartz im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit den nationalen Schulterschluss von Regierung, Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Medien einfordert.
"Wer nicht mitmacht", so droht der neue Heilsbringer aus Wolfsburg schon mal vorsorglich, "wird dies dann Deutschland zu erklären haben". Auf die Journalisten wird Verlass sein.. Der Aufschrei in den Medien, als sich in der IGM gegen das ebenfalls von Hartz entwickelte 5000x5000 Projekt bei VW Widerstand regte, zeigte bereits, was es bedeutet, gegen den Abbau von erreichten tariflichen oder sozialpolitischen Standards zu opponieren, wenn das Stichwort "Arbeitsplätze" fällt. Damals ging es jedoch nur um vergleichsweise bescheidene 5000 Jobs, während jetzt sage und schreibe zwei Millionen Arbeitslose verschwinden sollen. "Wenn alle mitmachen", so Hartz. Die geradezu euphorische Berichterstattung, mit der diese zutiefst reaktionäre nationale Erweckung am Arbeitsmarkt bereits abgefeiert wird, bevor das Kleingedruckte bekannt ist, lässt ahnen, was da noch kommen wird.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske analysierte im Zusammenhang mit der Rentenreform kritisch, dass die prinzipielle Übereinstimmung mit dem Ziel der Absenkung der Lohnnebenkosten die DGB-Gewerkschaften in der Auseinandersetzung mit Riesters Paradigmenwechsel politisch entwaffnet habe und der wesentliche ideologische Grund war, warum der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Rentenversicherung hingenommen wurde.
Die Voraussetzungen, dafür, dass sich dieses Muster jetzt wiederholt, sind vorhanden. Die Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren nicht müde, auf ihre Rolle bei der "Optimierung des deutschen Produktionsprozesses" (Hassel/Leif in: GMH 6/2002) hinzuweisen und haben das Dogma der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zutiefst verinnerlicht. Eine gewerkschaftliche Diskussion, die Alternativen zu und nicht in der nationalen Wettbewerbspolitik entwickelt, existiert bisher lediglich in einigen gewerkschaftslinken Nischen.
Umsomehr lässt die deutliche Kritik Bsirskes an den Vorschlägen der Hartz-Kommission aufhorchen. Während für den neugewählte DGB-Chef Michael Sommer die Vorschläge der Hartz-Kommission trotz Kritik im Detail insgesamt in die "richtige Richtung" wiesen, findet der ver.di-Vorsitzende, dass sich die Gewerkschaften wesentlichen Teilen des vorgesehenen Deregulierungsprogramms widersetzen sollten (vgl. FR, 29. 6. 2002). Die Idee der "Ich-AG" bezeichnet er als Ansatz zur Einführung eines "Niedrigstlohn-Scheinselbstständigkeitssektors" und als "Frontalangriff auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse". In dem Konzept der Hartz-Kommission erkennt er den Versuch, die Löhne und Arbeitsbedingungen zu drücken, weshalb er insbesondere auch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angreift. Auch wenn von ihm die Ausweitung der Leiharbeit zunächst abwartend beurteilt wird, da er hierin positive wie negative Elemente erkennt, stellt sich Bsirske mit seiner Kritik nicht nur in deutliche Opposition zu Kernpunkten der Kommissionsvorschläge, sondern auch zum politischen Main-Stream, der gerade das Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit entdeckt zu haben glaubt. Noch ist keineswegs ausgemacht, dass er sich mit dieser Position in der eigenen Organisation sowie bei den anderen Gewerkschaften durchsetzt. Die Erfahrung lehrt, dass Ressentiments gegen angeblich arbeitsunwillige Erwerbslose, markige Sprüche, wie dass "niedrig bezahlte Arbeit besser als keine" sei, sowie die angebliche Notwendigkeit des Abbaus von Steuern und Abgaben durchaus breit verankert sind. Bsirske steht mit seiner Kritik wahrscheinlich in einigen ver.di-Fachbereichen eher links der vielbeschworenen Basis. Hilfreich wäre es deshalb, wenn den Erwerbslosengruppen eine kritische Mobilisierung gelänge, die in der Lage ist, gesellschaftlichen Druck zu entwickeln. Ansonsten ist es wahrscheinlich, dass sich in den Gewerkschaften am Ende eine pragmatische Haltung durchsetzt, die darauf baut, einige Details zu entschärfen - zum Beispiel die Pauschalisierung des Arbeitslosengeldes - und ansonsten darauf verweist, dass möglicherweise Rot-Grün die Hartztropfen anders dosiert, als dies CDU und FDP tun würden.
P.S.: Eine auch für die Linke interessante Frage wird die der gewerkschaftlichen Organisierung der Beschäftigten der zukünftigen "Leiharbeitsämter" werden.
Nachtrag: Der Kommentar zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission wurde auf Basis des Standes der Debatte am 29. Juni geschrieben. Aktuelle Entwicklungen bei den Gewerkschaften deuten darauf hin, dass die meisten DGB-Gewerkschaften den Vorschlägen insgesamt positiv gegenüber stehen und dass der Umfang der von Bsirske geäußerten Kritik nicht geteilt wird. Offenbar besteht auch in der Kommission die Bereitschaft, auf einzelne Kritikpunkte - z.B. die geplanten Zahlungskürzungen betreffend - einzugehen, um so die Zustimmung der Gewerkschaften zu den Kernpunkten der Deregulierung sicherzustellen.
Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/02