Dichtung als Wahrheit

Der vom sozialdemokratischen „Vorwärts" gelobte Roman „Eolo - Leben und Schicksal eines italienischen Anarchisten 1918-1945" ist mit Vorsicht zu genießen

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Eolo - Leben und Schicksal eines italienischen Anarchisten 1918-1945
by
Gianni Sparapan
Publisher:
Donat Verlag
Published 2011 in
Bremen
180
pages
ISBN-13:
978-3-938275-80-1
Price:
12,80

Buchbesprechung: Gianni Sparapan: Eolo - Leben und Schicksal eines italienischen Anarchisten 1918-1945, Roman. Mit einem Geleitwort von Vincenzo Orlando. Übersetzt aus dem Italienischen von Günther Gerlach, Donat Verlag, Bremen 2011, ISBN 978-3-938275-80-1, 180 Seiten, 12.80 Euro

Der vierfarbige, stabile Einband sieht vielversprechend aus, der Klappentext macht neugierig. Und so landete „Eolo" im Sommer 2011 zusammen mit einem Stapel weiterer Bücher in meinem Reisegepäck.

Tatsächlich ist Gianni Spara­pans Roman gut zu lesen. Der italienische Lehrer erzählt darin die Geschichte von Eolo Boc­cato, der in den Jahren 1944/45 in der un­teren Po­ebene als Kopf einer Partisanengruppe bewaffnet gegen die Faschisten der „Republik von Sa­lò" kämpfte, bis er verraten wurde.

Der antifaschistischen Gruppe um Boccato hat Sparapan den Roman gewidmet. Er beschreibt, wie der junge Eo­lo als ältester Sohn des sympathischen Anarchisten und Fotogeschäftbesitzers Amerigo Boc­cato in der Kleinstadt Adria im Norden des Po-Deltas aufwächst. Inspiriert durch seinen Vater und in Opposition zum System in Mus­solinis Italien, politisiert und radikalisiert sich Eolo zunehmend. Er rebelliert gegen rechte Lehrer, Nachbarn und Stadtverwaltung. Als Kind aus anarchistischem Elternhaus verabscheut er die faschistischen Ge­sellschaftsstrukturen.

1940 kann sich Eolo seinem Einberufungsbefehl nicht entziehen. Als Soldat ist er in Kroatien an dem brutalen Krieg gegen die Tito-PartisanInnen beteiligt und wird traumatisiert. Sparapan beschreibt, wie Eolo widerwillig an der befohlenen Ermordung von jungen Partisanen teilnimmt (S. 82). 1942 kommt Eolo auf­grund einer chronischen Bronchitis mit Verdacht auf Tuberkulose ins Lazarett und wird schließlich ausgemustert. Im Sommer 1944 geht er in den Un­tergrund und kämpft fortan gemeinsam mit anderen Partisanen gegen die deutschen und italienischen Faschisten.

Nachdem er hilflos mit ansehen muss, wie sein Bruder Espero von Faschisten bestialisch zu Tode gefoltert wird, geht Eolo unbarmherziger vor, wird zum Vergewaltiger und schreckt nicht einmal davor zurück, Kinder von Faschisten zu ermorden.

„Wenn jemand ihm sagte, dieser oder jener sei ein Faschist, genügte es und Eolo zog los: rote Jacke, Fahrrad, die Tasche am Lenker, die Parabellum in der Tasche, und ab, sofort, zu jeder Stunde. Um ihn aus der Welt zu schaffen!" (S. 130)

Eolo wird hier als vom Hass ge­triebener, skrupelloser Killer dargestellt. Da­bei sind alle Dialoge und zum Teil auch die Personen von Spa­rapan frei erfunden. Und genau hier liegt das Problem. Die Zitate, die der Au­tor den Personen in den Mund legt, wirken teils banal, teils übertrieben und unrealistisch.

Zunehmend schlich sich bei mir beim Lesen das Gefühl ein, dass hier ein Anti-Anarchist versucht, einen Anarchisten mit den Faschisten gleichzusetzen.

Die frei erfundenen Dialoge erinnern biswei­len an die reiße­rische Art, mit der Stefan Aust seine erdachten Dialoge dem „Teufel" An­dreas Baader angedichtet hat. Anders als bei „Der Baader-Meinhof-Komplex" geht es dem Autor von „Eolo" aber nicht in erster Linie um die Unterhosen des Hauptdarstellers.

Der „Roman" zeige, so der Do­nat Verlag, „wie Gewalt die Menschen verändert, zu neuer Gewalt führt und das Wertesys­tem menschlichen Zusammenlebens außer Kraft setzt: Der Verfolgte wird zum Täter, dessen Grausamkeit der Grausamkeit seiner Verfolger nicht nachsteht. Das Buch ist eine Anklage gegen jedes politische System, das sich auf Gewalt, Unterdrückung und Intoleranz gründet, eine Parabel zu dem Wort, das Schiller dem alten Piccolomini in den Mund legt: ‚Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.'"

„Eolo" sei nach intensiver historischer Forschung entstanden und basiere auf Fakten. Welche Quellen der Autor genutzt hat, wird aber nicht klar. Dabei sind gewisse Quellen, wie z.B. die 1944/45 erschienenen faschistischen Zeitungen, mit äußerster Vorsicht zu betrachten, da sie sicher ein propagandistisches Zerrbild von „Boccatos Terrorbande"  gezeichnet haben.

Im Buch wird das, was den Anarchismus ausmacht, das Streben nach einer solidarischen, herrschaftsfreien Gesellschaft, nicht herausgearbeitet. Wie der Autor zu libertär-sozialistischen Ideen steht, wird nicht klar. Das macht mich skeptisch. Mein Eindruck ist, dass Sparapan den Klischeevorstellungen vom „anarchistischen Gewalttäter" anhängt und, ähnlich wie der Verfassungsschutz, zur Gleichsetzung von AnarchistInnen mit extremen Rechten neigt.  

Vorurteilsfrei? Ich habe Zweifel

Sparapan sei ein „scharfer ... Beobachter des Zeitge­schehens". „Seine vorurteilsfreie Sicht der schmerzlichen Ereignisse der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs brachten ihm viel Anerkennung ein, aber auch scharfe Angriffe sowohl von denjenigen, die die Partisanen verherrlichen wollen, als auch von ihren rechten Gegnern."

Als Gewaltfreier Anarchist ha­be ich keineswegs vor, die Partisanen zu verherrlichen oder Gewalt zu beschönigen.

Problematisch finde ich aber, wenn ein im Februar 1945 von Faschisten ermordeter 27jähriger Anarchist posthum mit Hilfe von fiktiven Dialogen in einem vermeintlich „authentischen" Buch als blindwütiger Mörder beschrieben wird.

Bernd Drücke

Rezension aus: Graswurzelrevolution Nr. 362 (Libertäre Buchseiten), 40. Jahrgang, Oktober 2011, www.graswurzel.net