Anders Handeln im Buch

in (24.06.2011)

Das Prinzip der Solidarität stehe bei der Solidarischen Ökonomie „im Gegensatz zur Orientierung an Konkurrenz, zynischer Eigenverantwortung und Gewinnmaximierung in kapitalistischen Marktwirtschaften.“ (Embshoff/Giegold) Die Ausübung solidarischer Praktiken kann verschiedenste Formen annehmen und Projekte umfassen, die von Handelsverträgen zwischen Staaten wie der Bolivarianischen Alternative für die Amerikas (ALBA) bis hin zur Food Coop und zum Kostnixladen von nebenan reichen. Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus, das zeigen die Texte im gleichnamigen Band, kennt unterschiedlichste Ausmaße, Ansprüche und Organisationsformen. Nach den Alternativbetrieben der 1970er Jahren wird gegenwärtig ganz offenbar wieder verstärkt nach konkreten Ansätzen „anderen" Handel(n)s gesucht.

Während der Überblicksband die zentralen Probleme und Debatten diskutiert, hat Friederike Habermann ganz konkrete Projekte besucht: Halbinseln gegen den Strom beschreibt Praxiserfahrungen aus Fahrradwerkstätten und Stadt- wie Landkommunen, Bildungs- und Gesundheitsinitiativen, Freien Radios und Internet-Netzwerken. All diese Projekte bis hin zum „Ferienkommunismus im Widerstands-Camp" werden unter Bezugnahme auf Marx und queere Theorie als nachahmenswerte Versuche ausgewiesen, „die hegemonialen Alltagspraktiken stückweise zu überwinden." Oliver Ressler versammelt in seinem Kunstprojekt Alternative Ökonomien, Alternative Gesellschaften Interviews zu theoretischen wie praktischen Gegenmodellen zum Kapitalismus.
Im Kunstfeld selbst allerdings sind Alternativmodelle und Nischenprojekte rar gesät. Solidarische Ökonomie ist hier schon strukturell kaum denkbar, das zeigen etwa Studien wie die von Piroschka Dossi, die einen aufschlussreichen Einblick in das Kunstgeschäft verschaffen: Kunstwerke werden heute zu Investment, KünstlerInnen zu Marken. Gerade weil es für Gegenwartskunst keine klaren Qualitätskriterien gebe, schießt die Spekulation ins Unermessliche. Das obere Preissegment explodiert, weil die Reichen immer reicher werden. Die Armut unter KünstlerInnen wächst, der Sozialdarwinismus ist im Kunstfeld „härter als in den meisten anderen Berufen." Ökonomischer Erfolg sei längst Teil der Kriterien für gute Kunst - und das nicht erst seit der Pop Art, sondern seit der Renaissance. Schließlich allerdings wird Dossi zum Opfer ihrer eigenen Analyse: Preis und Bedeutung von künstlerischen Arbeiten (fälschlicherweise) auch normativ gleichsetzend, kann sie sich gar nicht vorstellen, dass es auch andere Gründe für das Mitmachen im Kunstfeld gibt als Markterfolg und Statuszuwachs. Andere Effekte lassen sich so ebenfalls nicht denken.
Mit solchen Gründen und Auswirkungen beschäftigt sich beispielsweise der Interview- und Textband Being an Artist in Post-Fordist Times. Der Postoperaist Paolo Virno ist der theoretische Pate des Buches (und bestreitet auch das erste von sechs Gesprächen darin): Vor allem der Zusammenhang von künstlerischen Avantgarden und radikalen sozialen Bewegungen hat es ihm angetan. Hier seien immer wieder in der Geschichte Maßstäbe etwa für das, was Wohlstand bedeutet, in Frage gestellt und neu geschaffen worden. In postfordistischen Zeiten, in denen die ästhetische Erfahrung nicht länger das Privileg der Kunstfeldmitglieder, sondern „an integral part of production" geworden sei, finde der Kampf um die Maßstäbe schließlich überall statt. Ob die so gestiegene Bedeutung der Kreativität schließlich ein sklavisches Befolgen der gegenwärtigen ökonomischen Anforderungen zur Folge habe oder diese letztlich zersetzen könne, durchzieht als Leitfrage den gesamten Band.




Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2011, „Anders Handeln".


Dagmar Embshoff/Sven Giegold (Hg.): Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hamburg 2008 (VSA).

Piroschka Dossi: Hype! Kunst und Geld. München 2007 (dtv).

Pascal Gielen/Paul De Bruyne (Hg.): Being an Artist in Post-Fordist Times. Rotterdam 2009 (NAi Publishers).

Friederike Habermann: Halbinseln gegen den Strom: Anders leben und wirtschaften im Alltag. Sulzbach/Taunus 2009 (Ulrike Helmer Verlag).

Oliver Ressler: Alternative Ökonomien, Alternative Gesellschaften. Wien 2008 (Promedia Verlag).