Globalisierung, Demokratie und Terror

Eric Hobsbawm: Neuerscheinung bei dtv

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus
by
Eric Hobsbawm
Publisher:
dtv premium
Published 2009 in
München
189
pages
ISBN-13:
978-3-423-24769-6
Price:
14,90

Zuerst in: UNZ - Die linke Zeitung für Politik, Arbeit, Soziales und Kulturelles in Thüringen, Nr. 2/2010

Der englische marxistische Historiker, KP-Mitglied seit 1936, wurde 1969 bekannt durch sein – immer noch erhältliches – Buch „Industrie und Empire“. Die global-britische Sicht prädestiniert den Sohn eines Kolonialbeamten, auch die aktuelle Globalisierung souverän im Weltmaßstab zu beurteilen. Er selbst ist Weltbürger: Der 1917 in Ägypten Geborene emigrierte als Jude aus Wien und Berlin vor den Nazis nach England. Gerade sein internationales Leben und die Herkunft aus dem multikulturellen Habsburgerreich schärfte, unbehelligt von linker Menschheitsromantik, seinen Blick für den nationalen Imperativ politischen Handelns. Stets hat er sich trotz seiner Parteinahme geistige Unabhängigkeit und Originalität bewahrt (Hobsbawm konnte wohl in der bürgerlichen BRD, nicht aber in der sozialistischen DDR publizieren).

Das Buch über die Lage der Welt zu Beginn des dritten Jahrtausends ist eine großartige Analyse historischer Prozesse. Und es ist desillusionierend bezüglich historischer Alternativen. Aber viel ist schon geleistet wenn – wie in der Aufklärung, die der französischen Revolution vorausging – die Funktionsweise bestehender Gesellschaften enthüllt wird, statt gleich Utopien auszumalen.

Lehrreich ist, wie Hobsbawm zusammenbringt, was selten zusammengedacht wird: Dass Ende 2003 rund 38 Millionen innerhalb wie außerhalb ihrer Länder auf der Flucht waren – was der Vertriebenenzahl nach Weltkriegsende entspricht. Dass in den alten Reichen oft mehr Toleranz herrschte als in modernen Nationalstaaten. Dass im kleinen Bosnien der 90er Jahre fast so viele Soldaten stationiert waren wie die Briten einst brauchten, um 400 Millionen Inder zu regieren. Dass wir ein System globaler Kontrolle mit souveränen Staaten, das von Waterloo bis zum Zusammenbruch der UdSSR bestand, verloren haben. Dass die Identifikation bunter werdender Staatsvölker mit der Staatsmacht schwindet, weshalb Staaten zunehmend Söldner statt Wehrpflichtige kämpfen lassen; und dass in 50 Weltregionen überhaupt keine Staatsgewalt mehr herrscht.

Hobsbawm hebt sie Unterschiede zwischen dem British Empire, das ein Viertel der Welt umfasste, und dem US-Imperialismus hervor. Hat das Verschwinden des legendären unbewaffneten englischen Bobbys mit einer anderen Legende zu tun, die inzwischen im Internetkaufhaus Kalaschnikow-USA zu erwerben ist? Wenn der inzwischen 92jährige Historiker am Beispiel des Fußballsports zeigt, wie Globalisierung funktioniert, erscheint er uns jünger als mancher ’solid-Jugendliche, dem alte Antikapitalismusphrasen genügen.