Understanding America

Was wir schon immer über die USA wissen wollten, aber nie zu fragen wagten

Der aktuelle Präsidentschaftswahlkampf in den USA erinnert wieder daran, daß die Vereinigten Staaten von Amerika so ganz anders sind - eine ethnologische Rundreise läßt staunen...

Es gibt einen Wissenschaftler, den kein Gelehrtenlexikon verzeichnet, obwohl er viel zum Verständnis merkwürdiger Völkchen beitrug.

Bücher wie "Tief in Bayern - Eine Ethnologie" (1991) oder "Unter Deutschen - Porträt eines rätselhaften Volkes" (1993) veröffentlichte er noch unter dem Namen "Richard W. B. McCormack", seit der Sammlung merkwürdiger Englischformen in "Travel Overland - Eine anglophone Weltreise" (1999) tritt er nur noch als R. W. B. McCormack auf, laut Autorenangabe "bis zu seiner Emeritierung Professor für Ethnolinguistik an einer der größten Hochschulen von Rhode Island" und "Träger der Alan-Sokal-Medaille für wissenschaftlichen Ernst". Rezensent meint, gewisse Ähnlichkeiten mit klugen Analysen des emeritierten Münchener Amerikanistikprofessors Gerd Raeithel entdecken zu können. Das hier anzupreisende, bereits im September vor der letzten USA-Präsidentenwahl erschienene Buch ist bestens geeignet, nach der Wahl verwirrte Bewohner des Alten Europas über die sich größenwahnsinnig "Amerika" nennenden Vereinigten Staaten aufzuklären.

Zum Einstieg bietet sich mitten im Buch das Kapitel "Midland/Texas" an. Lassen wir die Häme der Bemerkung beiseite, die Präsidialbibliothek des alten Bush habe für seinen Sohn nicht erweitert werden müssen, so finden wir eine hervorragende Analyse der Stilmittel von George Dabbeljus Redestil.

Zu rühmen ist das neueste Werk des Ethnologen dafür, daß es auch dem deutschen USA-Musterschüler das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten auf spannende, ständig überraschende Weise vorstellt. Wer bei "Spam" nur an E-Mails denkt, wird Austin/Minnesota-Kapitel über Konserven und die fleischlichen Ursprünge des Worts aufgeklärt. Im Land der Cowboys sind wir Gast einer Kuh-Mißwahl mit Silikoninjektionen ("Wahlen und Kriegsgründe wurden gefälscht, warum nicht auch Kuheuter?").

In Amana/Iowa entdecken wir eine kommunistische Kommune deutscher Pietisten. In Utha werden Merkwürdigkeiten im Umgang der Mormonen mit Alkohol und Polygamie protokolliert. In Bloomington/Indiana wird in der Nachfolge des Kinsey-Reports Sexualverhalten ausgeleuchtet und über den transzendentalen Bogen des männlichen Harnstrahls sinniert, der feministische Kurse "Peeing like a Man" provoziert. Dazu passen die 2500 praktizierenden und Newsletter versendenden Hexen in Salem/Massachusetts, wo die letzte USA-Hexenverbrennung stattfand (das dortige Polizeiemblem zeigt eine besenreitende Hexe). Sogleich wird in Cambridge, Massachusetts der heutige Folter-Theoretiker von der Juristenfakultät der renommierten Harvard-Universität vorgestellt wird (sein Name bleibt ungenannt: Professor Alan Dershowitz).

In Denham Springs/Louisiana blättern wir in der Vereinzeitschrift "The Klansman" des christlich-weißen Ku-Klux-Klan, in Huntsville/Texas inspizieren wir anhand der Fremdenverkehrsbroschüre "Prison Driving Tour" 10000 Gefangene, die in acht Haftanstalten unter 35000 Einwohnern leben, befühlen Souvenirs wie schwarze Todesstrafen-T-Shirts oder Base-Caps mit der Aufschrift "Texas Death Row" und können uns nicht entscheiden zwischen dem mobilen Pizzastand vor dem Gefängnis bei Todesstrafe-Vollstreckungstag und dem "Killerburger" im Fast-Food-Restaurant.

Unerfreulich auch, was man in den Kapiteln über die Hauptstadt Washington D.C. oder über Los Angeles Glamour-Stadtteil Hollywood erfährt: wie hier Obdachlosigkeit und Massenarmut zur Konstruktion moderner Gettos führen ("Bei Gefahr werden Fußgängerpassagen elektronisch abgeriegelt"). In Tulsa/Oklahoma, dem Raum- und Luftfahrtzentrum (Sitz von Boeing und American Airlines), wurde 1921 mit (in den Geschichtsbüchern totgeschwiegenen) Rassenunruhen so umgegangen, daß es nun "die einzige amerikanische Stadt ist, die je aus der Luft bombardiert worden ist".

Der Autor hat noch von zahlreichen weiteren Trips in merk-würdige Gegenden der USA zu berichten. Erwähnt sei nur noch die Reise nach Lancaster/Kalifornien, wo neben Militärs und Raketenfachleuten auch Charles Johnsons "Flat Earth Society" wirkt. Mit antikopernikanischem Weltbild, nach dem die Erde eine Scheibe ist, mit Nordpol als Zentrum. Wie reagieren wir im Alten Europa, sollte eine USA-Herrscherclique sich unter Berufung auf Johnsons Weltbild plötzlich wieder für die Vereinten Nationen interessieren, weil deren Emblem die Erde ganz im Sinne Johnsons als Scheibe mit Nordpol-Zentrum zeigt?

· R.W.B. McCormack: Back Home - Wiedersehen mit Amerika. "Mit 9 Abbildungen" (stimmt nicht, viel mehr! Mit neuen Abbildungen, ja?!). München 2004, Deutscher Taschenbuch Verlag. 160 Seiten, Euro 8,50.