König_innen

Stoppelpaste oder Mastix? Nicht alleine hinsichtlich des richtigen Bartklebemittels gehen die Meinungen weit auseinander: Zwei Bücher über die Kunst, ein Mann zu werden.

Norah Vincent, lesbische US-Amerikanerin, gibt ihre Arbeit als Kolumnistin bei der Los Angeles Times auf, um eineinhalb Jahre als Mann zu leben. Nach Bodybuilding und Beratung durch einen befreundeten Maskenbildner dringt sie als "Ned" in exklusiv männliche Domänen ein: in einen Bowlingverein, in Stripclubs, für mehrere Wochen ins Kloster, zum Schluss sogar in eine Selbsterfahrungsgruppe der Männerbewegung. Das Erstaunliche an diesem Marathon durch Männerwelten ist jedoch nicht, dass die Herren Ned seine Rolle ausnahmslos abnehmen, sondern dass Ned beginnt, diesen Typen auf den Leim zu gehen.
"Die Männlichkeit ist ein bleierner Mythos, der auf den Schulter jedes Mannes lastet", schreibt Vincent. Dass auch Männer unter rigiden Maskulinitätsdiktaten zu leiden haben, ist unbestritten. Mitleidiges Verständnis für üble Mackersprüche beim Bowlen oder gar für kollektiven Aggressionsabbau durch symbolisches Zerstückeln weiblicher Puppen beim Waldwochenende der Männertherapiegruppe muss man deswegen trotzdem nicht haben. Vincent bringt jedoch sehr viel Verständnis für diese Männer, ihre Konfliktunfähigkeit und Überforderung auf. Für die Frauen, die Anbahnungsversuche grob abblitzen lassen und mit denen sich Ned im Zuge seines Experiments trifft, weitaus weniger. Ihr kaltes Konkurrenzgehabe und ihre Überheblichkeit nervt ihn aus männlicher Perspektive sehr. Aber gerade diese Dynamik der zunehmenden Identifikation mit männlichen Positionen, die aufschlussreichen Beschreibungen, wie und wodurch eine immer überzeugendere Verkörperung gelingt, machen den Erfahrungsbericht dennoch sehr lesenswert.
Laut Steffen Kitty Herrmanns Beitrag im Buch "Drag Kings. Mit Bartkleber gegen das Patriarchat" ist Ned eine klassische "Drag-Butch". Im Unterschied zu den "Drag Kings", geht es diesen vor allem ums "passing", d. h. darum, unenttarnt als Mann im Alltag durchzugehen. Drag-Kings betreiben mit dem Ausstellen der Künstlichkeit von Männlichkeit bei ihren Bühnenperformance hingegen "crossing": Sie wollen herrschende Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit durchkreuzen. "Drag heißt also nicht, einfach nur eine Rolle zu spielen, sondern das Spielen dieser Rolle zu spielen." Mit Rekurs auf die queere Theoretikerin Judith Halberstam ortet Herrmann nun aber gerade in der Alltagsmännlichkeit der Drag-Butches das größere Potential subversiver Kritik. Denn diese machen deutlich, dass Männlichkeit durch diverse Praktiken vollständig erlernbar ist. Dieser These widerspricht Andrea Rick, denn die Grenzen zwischen Bühnen- und Alltagsgeschlecht ließen sich in queeren Kontexten meistens nicht klar ziehen. Rick kritisiert außerdem die Abwertung und "Naturalisierung" femininer Weiblichkeiten in der Szene ebenso wie rassistische und klassistische Tendenzen bei den beliebten Inszenierungen von Latino-Lovers oder Working-Class-Heroes. Auch Laura Méritt kann dem "Spektakel, wie es jeden Tag auf der Straße nervt: Macker, Chauvis und andere Stereo-Typen Â…" nicht viel abgewinnen. Und Tania Witte gibt zu bedenken, dass "der Umgang mit Geschlechtszuweisungen wahrscheinlich am ehestens für diejenigen, die es persönlich weniger betrifft", ganz ungezwungen ist.
Dass Drag nicht notwendigerweise subversiv ist, wissen auch die Sissy Boyz - die für das Buch auch eine Foto-Story beigesteuert haben - und verweigern bei ihren Performances deswegen die Darstellung klassischer heterosexueller Männlichkeiten. Die Kombination von männlichen und weiblichen Accessoires wie Bart und High Heels, Brusthaar und Lidschatten, wird aus diesem Grund auch von vielen anderen Kings eingesetzt. Auch "double drag" (Draging von Frau zu Mann zu Frau oder andersrum oder Â…), für das Malte Göbels Beitrag ausgerechnet Lara Croft beispielhaft nennt, ist geeignet, die gewünschte Verwirrung zu stiften. Und mitunter verhelfen ausgerechnet diese Strategien sogar ganz unverhofft zum perfekten Auftritt: "Im Kleid sehe ich noch kerliger aus", freut sich Toni von den Kingz of Berlin.

Norah Vincent: Enthüllungen.
Droemer Verlag 2007, 19,90 Euro

Pia Thilmann, Tania Witte, Ben Rewald (Hg.):
Drag Kings. Mit Bartkleber gegen das Patriarchat.

Querverlag 2007, EUR 19,90

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at