Terror, der sich Anti-Terror nennt

Werner Biermann/Arno Klönne: "Ein Kreuzzug für die Zivilisation? Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft", PapyRossa Verlag, 268 Seiten, 15.50 Euro

Nach der Definition des US-Justizministeriums ist Terrorismus "der ungesetzliche Gebrauch von Gewalt gegen Personen oder Eigentum mit dem Ziel, eine Regierung, die zivile Bevölkerung oder eine gesellschaftliche Gruppe einzuschüchtern oder Druck auszuüben in der Verfolgung politischer oder sozialer Ziele". Nähme der Justizminister in Washington diese Definition ernst, dann hätte er schon oft Anlaß gehabt, "im eigenen Lande Präsidenten, ganze Kabinette und Führungsstäbe der Ministerien zu verhaften", schlußfolgern Werner Biermann und Arno Klönne in ihrem neuen Buch "Ein Kreuzzug für die Zivilisation?", in dem sie Beispiele über Beispiele für US-amerikanischen Staatsterrorismus nennen - weit über die Erhebungen des US-Kongreßausschusses hinaus, die im Ossietzky-Sonderheft "Mord-Report" zusammengefaßt sind.
Eine Zivilmaschine der iranischen Luftfahrtgesellschaft wird von einem US-Kriegsschiff im Persischen Golf abgeschossen. 290 Menschen sterben. Der Kommandant des Zerstörers erhält später eine hohe Auszeichnung. Die Zeitungen schweigen darüber. Kein Terrorismus? Im Irak sterben hunderttausende Kinder infolge der US-Sanktionen. Madeleine Albright, zeitweilig US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, später Außenministerin, sagt dazu in einer US-Fernsehsendung: "Wir denken, daß der Preis es wert ist." Kein Terrorismus? Nein. Denn: "Terrorismus ist das, was die US-Regierung als Terrorismus ansieht" (Biermann/Klönne).
Die größte verdeckte Operation in der Geschichte des US-Geheimdienstes CIA begann Ende der 70er Jahre, als rund 35 000 Moslems aus 40 islamischen Ländern für den "Heiligen Krieg" gegen die Sowjetunion ausgebildet und später zum Kampf nach Afghanistan geschickt wurden. Das Phänomen des Dschihad als eines internationalen bewaffneten Kampfes hatte in der islamischen Welt seit vielen Jahrhunderten nicht mehr existiert; es wurde nach den Worten des pakistanischen Eqbal Ahmad "wieder zum Leben erweckt und ›panislamisiert‹ von den Amerikanern. Die Vereinigten Staaten rekrutierten Mudschahedin aus der gesamten moslemischen Welt. Diese Leute wurden eingeflogen, ihnen wurde eine Ideologie verpaßt und erzählt, daß der bewaffnete Kampf eine ehrenhafte Sache sei, und das ganze Konzept des Dschihad als einer internationalen, panislamischen terroristischen Bewegung war geboren." Die Folgen schildert der britische Reporter Robert Fisk: "Ich selbst war 1980 in Afghanistan, als bin Laden dort auftauchte. Ich habe noch meine Aufzeichnungen. Sie halten fest, daß die afghanischen Mudschahedin-Kämpfer Schulen niederbrannten und die Kehlen der kommunistischen Lehrer durchschnitten, weil die Regierung einen koedukativen Unterricht angeordnet hatte. Damals nannte die Londoner Times sie ›Freiheitskämpfer‹. Später, als afghanische Mudschahedin ein Passagierflugzeug der afghanischen Fluggesellschaft mit 49 Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern abschossen (mit Hilfe einer britschen Blowpipe-Rakete), nannte die gleiche Zeitung sie ›Rebellen‹. Es ist merkwürdig, daß bis auf die Russen niemand das Wort ›Terroristen‹ benutzte."
Ähnlich wie in Afghanistan wurden die Mudschahedin später in Tschetschenien und in Jugoslawien aktiv - jeweils auf der Seite der Separatisten, versteht sich. Vermeintlich kämpften sie für Allah, in Wirklichkeit für US-amerikanische Hegemonialinteressen, finanziert hauptsächlich durch den Drogenhandel. Innerhalb von zwei Jahren nach Beginn der CIA-Operation wurde die pakistanisch-afghanische Grenzregion zum weltweit führenden Produktionsgebiet von Heroin. Biermann/Klönne fassen zusammen: "Drei Viertel der Weltproduktion von Drogen entstammten Mitte der 90er Jahre der Region Pakistan-Afghanistan. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden hier Geschäfte im Umfang von jährlich 100 bis 200 Milliarden Dollar getätigt... Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion beteiligen sich russische Syndikate und Organisationen in den zentralasiatischen Staaten an diesem Geschäft. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes gehen Experten von einem Aufblühen des Drogenhandels aus. Die Taliban unterdrückten den Opium-Anbau, was ein Grund für ihr politisches Scheitern war. Die neuen Freunde der Vereinigten Staaten, die Kriegsherren der sogenannten Nordallianz, sind samt und sonders tief ins Drogengeschäft verwickelt."
Der Zusammenhang, in den die beiden Sozialwissenschaftler all diese Verbrechen stellen, ist die imperialistische Strategie der USA. In diesem Kontext analysieren sie auch den 11. September und den von George W. Bush ausgerufenen Kreuzzug gegen den Terrorismus, den "amerikanischen Dschihad", der "der US-Elite" vielfachen Nutzen bringt - darunter den, daß es ihr jetzt gelingt, "die nachrangigen Eliten in den westeuropäischen und ostasiatischen Vasallenstaaten", die Bezeichnung stammt von Zbigniew Brzezinski, dem Vordenker des antisowjetischen Dschihad und auch des jetzigen Kreuzzugs, "durch das Konstrukt der Allianz gegen den Terrorismus erneut an sich zu binden" und Rußlands Einfluß in der Welt wie auch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft weiter zu verringern.
Was tun? Biermann/Klönne sagen es am Ende ihres materialreichen, bestens dokumentierten, von der ersten bis zur letzten Seite anregenden Buches so: "Es ist erst einmal bewußt zu machen, wie zerstörerisch der ›Jahrhundertkrieg‹ wirkt - auch auf die Gesellschaften, die ihn scheinbar siegreich führen. Und es ist die propagandistisch auferlegte Zwangsvorstellung aufzulösen, der globale Militarismus als ›Antwort‹ auf terroristische Bedrohungen stünde ohne Alternative dar. Sicherheit wird versprochen, kommt aber durch noch so gigantische Aufrüstung und durch Gewaltanwendung gegen ganze Nationen nicht zustande, weder weltweit noch in den hochgerüsteten Ländern. Demgegenüber läge es im wohlverstandenen eigenen Interesse der Bevölkerung in den westlichen Ländern, friedenspolitische Alternativen zu prüfen und zu erproben: die neuen Hochrüstungsprojekte zu stoppen, die Militäretats einzufrieren und dann zu reduzieren, die Rüstungsexporte einzustellen, ein systematisches Angebot für eine internationale Abrüstung zu machen, Abkommen zum Aufbau einer internationalen Rechtsordnung zu schließen, die Vereinten Nationen aufzuwerten und handlungsfähig zu machen, freigewordene öffentliche Mittel für einen großangelegten Feldzug gegen Armut und Not einzusetzen. Wer sich weigert, über solche Alternativen zu sprechen, sollte von der Gefahr einer terroristischen Bedrohung der Zivilisation schweigen."