Sex & Gender auf Französisch

Butlers "Gender Trouble" ist erst zehn Jahre nach Erscheinen ins Französische übersetzt worden. Die Antworten auf die angloamerikanischen Debatten sind konstruktiv, aber nicht konstruktivistisch.

In sieben Beiträgen von internationalen Forscherinnen unterschiedlicher Disziplinen wird die im Rahmen eines 2004 in Paris abgehaltenen, transdisziplinären Kolloquiums gestellte Frage diskutiert, die dem Dilemma aktueller Konstruktivismusdebatten zugrunde liegt: "Zwischen Sex und Gender, wo bleibt der Körper?"
Maria Puig de la Bellacasa (Philosophie) situiert die Diskussion dieser Frage im Feld der Feminist science studies bzw. gender studies of science und somit im transdisziplinären Spannungsfeld zwischen feministisch-politischem Engagement und vermeintlich "neutraler" Wissenschaft. Sie versucht mit Isabelle Stengers und Donna Haraway der reduktionistischen Opposition von "Sozial- bzw. Kulturkonstruktivismus" und "Biologismus" einen "spekulativen Konstruktivismus" und ein "situiertes Wissen" entgegenzuhalten. Dabei kritisiert sie am Gender-Konstruktivismus, dass dieser erstens nicht an den biologischen Körpern und deren Reaktionen auf neue medizinische Technologien interessiert sei und dass zweitens die philosophische Geste der Verallgemeinerung eines spezifischen Problems auf den "Menschen an sich" über das eigentliche Interesse der einzelnen ForscherInnen hinwegtäusche. Puig de la Bellacasa sucht in ihrem Beitrag nach einem Weg aus dem Missverständnis, dass sich feministische Kritik gegen "die Wissenschaft" richte, wobei sie sich doch gegen eine bestimmte Form und Konzeption von Wissenschaft richtet. In der Praxis bleiben die Körper "real" - "ob unterdrückt oder Unterdrücker, bleiben sie immer noch Träger neuer Möglichkeiten".
Auch Cynthia KrausÂ’ Beitrag (Wissenschaftstheorie) kritisiert den Sozialkonstruktivismus dahingehend, dass das "nicht Nichts" des Körpers auf kleinste Elemente "natürlicher Natur" wie
z. B. die Gene reduziert wird, was nach Kraus von einem "epistemologischen" Geiz zeuge, der zwar auf der sozialen Konstruktion des biologischen Geschlechts bestehen würde, jedoch einen kleinen Rest "nackten Geschlechts" (du sexe nu) als seinen Fetisch zurückhält.
Der gut argumentierte Beitrag von Beatriz Preciado (Philosophie) unternimmt eine Kritik sowohl an Foucault als auch an Butler anhand der Geschichte von Agnes. Agnes, der vorgebliche Hermaphrodit, wird Ende der 1950er Jahre in Kalifornien zur Frau umoperiert. 1966 publiziert sie ihre "wahre Geschichte", in der sie berichtet, schon als Bub heimlich die Östrogentabletten der Mutter genommen zu haben. Insofern konnte sie die Diagnose ihrer behandelnden Ärzte manipulieren, indem sie sich ihren Körper schon vor dem chirurgisch-staatlichen Eingriff "self-designed". AgnesÂ’ Körper ist laut Preciados Analyse "weder passive Materie, die den biopolitischen Techniken der Geschlechternormalisierung unterworfen ist [vgl. Foucaults Interpretation von Herculine Barbin] noch ein rein performativer Effekt einer Reihe von Identitätsdiskursen [Butler]" . Agnes ist ein "Techno-Körper" bzw. Cyborg, der sich die neuen Gender-Technologien selbst aneignet und dadurch neue Subjektivierungsformen produziert.
Die Beiträge von Rutvica Andrijasevic (Politikwissenschaft) und Elsa Dorlin (Philosophie) arbeiten die unterschiedlichen Körperkonzepte an sozialwissenschaftlichen Problemstellungen ab. So wird eine Kampagne gegen Frauenhandel der International Organization for Migration (von der IOM als "Abschreckung" bzw. Warnung der Frauen aus dem Osten Europas verstanden) auf ihren versteckten Sexismus und Paternalismus hin analysiert. Dorlin setzt sich mit der Rolle auseinander, die schwarze Sklavinnen in den französischen Überseekolonien sowohl für die weißen Siedler als auch für deren "importierte" weiße Frauen aus der Unterschicht zu spielen gezwungen waren.
Schließlich lassen sich zwei weitere Beiträge von Hélène Rouch (Biologie) und Ilana Löwy (Wissenschaftsgeschichte) der feministischen Kritik an Molekularbiologie und Genforschung zuordnen. Das Phänomen des genetischen Mikrochimärismus wirft nicht nur Fragen zur "Reinheit" der geschlechtsbestimmenden Chromosomensätze auf, sondern könnte auch eine Neudefinition von Mutterschaft ermöglichen, die nicht mehr negativ als "Erosion der Grenzen biologischer Identität" verstanden werden muss. Den Menschen als "heterogene Zellmischung" neu zu definieren, könnte weitreichende Implikationen auf unsere Begriffe von Individualität und Elternschaft haben.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at