Land der Hymnen

in (01.01.2007)

Was ist eine Hymne? Da kommen den meisten von uns sofort Berge und Hämmer in den Sinn, stramm stehende US-AmerikanerInnen mit der Hand am Herzen oder Lobpreisungen auf die englische Queen. Aber das ist nur ein Teil der Antwort. Natürlich sind Hymnen auch Nationalhymnen mit all ihren elitären und machtsymbolischen Implikationen, aber Hymnen können viel mehr.
Den "anderen" Hymnen widmete sich ein kreatives Projekt der "Initiative Minderheiten" im Jubiläumsjahr 2005. Projektleiterin Ursula Hemetek liefert mit dem Buch "Die andere Hymne" die ausführliche Dokumentation dazu.
"Minderheitenstimmen zum Nationalfeiertag" war das Motto eines Konzertes am 26. Oktober 2005 in der Sargfabrik in Wien, bei dem die zuvor kreierten, interpretierten, umgedeuteten oder einfach nur wieder belebten Hymnen präsentiert und kommentiert wurden. Von der neuen "Hymne der behinderten Menschen" und der Hymne der Lesben und Schwulen bis zu Volksliedern türkischer, kroatischer und slowenischer Minderheiten. Diese Volkslieder sind gerade keine Nationalhymnen in obigem Sinne, aber es sind sehr wohl Lieder einer Gemeinschaft, die seit vielen Generationen überdauert haben oder aber seit Generationen immer wieder neu interpretiert werden und so mitwachsen. Melodien und Texte, die den Zusammenhalt einer Volksgruppe stärken, deren Geschichte erzählen. Denn: "Menschen wollen offensichtlich zu anderen Menschen gehören" (Wolfgang Dietrich). Nada Zerzer weist in ihrem Beitrag über die Musik der Kärntner SlowenInnen darauf hin, dass Traditionen erstens nur scheinbar "immerschondagewesen" sind und zweitens durch eben diese ihnen zugewiesene Macht eine Sprengkraft besitzen, die gerade Minderheitenkulturen bedroht: "Weil etwas immer schon so war, muss es nicht so bleiben Â… Neues muss her." Viele der in dem Projekt präsentierten Hymnen der Volksgruppen sind umgedeutet und modern interpretiert. Was bleibt ist aber die Kraft des gemeinschaftsbildenden Liedes.
Ausgangspunkt des Projektes "Die andere Hymne" war die Romahymne "Gelem, gelem". Darin wird keine ruhmreiche Vergangenheit, keine Heimat, kein Territorium besungen. Es geht um Heimatlosigkeit, die gemeinsame Erfahrung der Romagruppen weltweit. Die Hymne wird in hunderten verschiedenen melodischen und textlichen Varianten gesungen, und diese "Variabilität ist eine ihrer Stärken", so Ursula Hemetek. Der kreative und spielerische Umgang mit "Identitätsliedern" sollte durch das Hymnen-Projekt gefördert werden, um zum Jubiläumsjahr ein starkes Lebenszeichen des "anderen" Österreich zu setzen. Die Dokumentation in Buchform beinhaltet Beiträge zu Geschichte und Entwicklung von Hymnen, beschreibt den Umgang mit Liedern und Identitäten in Volkskulturen und widmet sich dann speziell den einzelnen im Projekt entstandenen Hymnen. Diese Lieder kann sich Jede/r auf der beigelegten CD, einem Konzertmitschnitt, auch gleich anhören!
Darauf zu finden ist unter anderem die Lesben- und Schwulen-Hymne "Is eh a GaudeeÂ…" von Helga Pankratz, eine österreichische Fassung von Tom Robinsons "Sing, if yourÂ’re glad to be Gay". Der 1976 für die Londoner Gay Pride Demo geschriebene Protestsong ist eine von vielen "Hymnen" der lesbischwulen Community, denen sich Helga Pankratz in ihrem Buchbeitrag ausführlich widmet. "Is eh a GaudeeÂ…" versteht sich wie Robinsons Original als Lied, das die Finger in die Wunden der Gesellschaft legt. Es ist nicht "für die Ewigkeit" geschrieben, sondern für die Gegenwart: Es geht beispielsweise um die Vermarktung von "Lesben-Sex" in Hetero-Pornos, die Todesurteile im Iran und um rassistisch determinierte Polizeigewalt.
Eine Hymne mit besonderer Geschichte ist auch "Jugoslavijo", die heimliche Hymne im Jugoslawien der 1980er Jahre. Die volkstümliche Melodie aus Makedonien besingt im Originaltext die Einigkeit Jugoslawiens und wurde von allen Ethnien angestimmt. Während des Krieges war das Lied verpönt. Heute wird die Hymne aber wieder gesungen - von allen Gruppen und mit verschiedenen Texten, die im Gegensatz zu früheren Versionen ein Bekenntnis GEGEN den Nationalismus darstellen. Allein die Melodie hat offenbar immer noch starken Identitätscharakter für alle Ethnien aus dem ehemaligen Jugoslawien - sie vereint sie in Zeiten, in denen nur vom Trennenden die Rede ist.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at