Das Argument

Vor fünfzig Jahren entstand diese Zeitschrift, indem an eine streitbare Flugblattreihe gegen Atomrüstung sich immer mehr Aktivitäten und Erwartungen ankristallisierten. Nach sieben Jahren entpuppte sie sich explosiv als führende Theoriezeitschrift der Studentenbewegung. Mit den politischen Veränderungen hat sie sich wieder und wieder gewandelt, nicht selten durch schwere Krisen hindurch, doch in entscheidender Hinsicht auch eine ungebrochene Kontinuität gewahrt.

Rückblicke

Schon im ersten Jahr machte DAS ARGUMENT einen Sprung von den Flugblättern der Studentengruppe gegen Atomrüstung zu den breit interessierten Berliner Heften für Politik und Kultur. Mit der Heftform taucht folgendes Programm auf:

DAS ARGUMENT

geht davon aus, dass es die gemeinsame Aufgabe der Intellektuellen ist, die Wahrheit zu suchen und auszusprechen dass die Resignation zum geistigen Spezialarbeiter einen Verrat an dieser Aufgabe bedeutet In Form und Inhalt sichtlich von Brecht inspiriert, bezeugt der Text auch, dass die Verfasserin, Margherita von Brentano, ebenso von Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung beeinflusst war, aber ohne in Lähmung zu verfallen. Dieses konzise kleine Intellektuellenmanifest vom Ende der fünfziger Jahre beschreibt noch immer wesentliche Züge der Praxis dieser Zeitschrift:

DAS ARGUMENT

hält es für notwendig, angesichts der Bedenklichkeit des Aussprechens der Wahrheit die Wahrheit zu bedenken und auszusprechen angesichts der Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit diese Schwierigkeiten durch Schreiben der Wahrheit zu bekämpfen angesichts des Scheiterns der Aufklärung die Gründe dieses Scheiterns aufzuklären angesichts der Erfahrung, dass das Wirkliche nicht schon das Wahre ist, die Wirklichkeit wahrzunehmen angesichts der Erfahrung, dass Erkenntnisse nicht schon Argumente sind Erkenntnisse zu Argumenten zu machen Nichts davon hat sich erledigt. Verglichen mit der späteren Praxis fällt allenfalls eine fast ›geistesaristokratische› Selbstbezogenheit der kritischen Intellektuellen auf. Obwohl aus einer Bewegung, der Antiatombewegung, entstanden, gibt es für den Bezug auf diese und die Praxisperspektive keine Worte. Bei der nächsten Etappe, dem Übergang zur Herstellung im Buchdruckverfahren im Frühling 1960 unter der verlegerischen Leitung von Christoph Müller-Wirth, spricht sich der angestrebte Bezug zum Politischen in schlichter Deutlichkeit aus. Man solle nicht "befürchten, dass das seriöse Äußere das Anzeichen einer Kommerzialisierung unseres Unternehmens ist. (...) Es bleibt ein politisches, das seinen Zweck außerhalb seiner selbst hat und wofür DAS ARGUMENT nichts ist als ein Mittel unter anderen. DAS ARGUMENT will weiterhin keine Ware sein, sondern eine Waffe." (Argument 19) Dieses so militant daherkommende Konzept versammelte immerhin Mitherausgeber wie Günther Anders und Axel Eggebrecht, Ossip K. Flechtheim und Dietrich Goldschmidt, Helmut Gollwitzer und Propst Heinrich Grüber, den Studenten Thomas Metscher und seine beiden Lehrer Wilhelm Weischedel und Rudolf Sühnel, den Kabarettisten Rolf Ulrich und den Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre, um nur einige der Bekanntesten zu nennen. Die Zeitschrift war winzig. Das zitierte Heft erschien in einer Auflage von 700 Exemplaren. Die nächste Wandlung bereitete sich dadurch vor, dass in der Inkubationszeit der Studentenbewegung – in Frankreich könnte man sagen: im Vormai – eine Gruppe aus dem Umfeld von Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann an der marburger Universität zu der Zeitschrift stieß, während sich gleichzeitig Kontakte zur jüngeren Generation am frankfurter Institut für Sozialforschung herstellten. Zum wichtigsten Vorbild des Zeitschriftenmachens war für die berliner Gruppe die von Max Horkheimer in den dreißiger Jahren herausgegebene Zeitschrift für Sozialforschung geworden. Diesem Vorbild wurde vor allem der Rezensionsteil nacherfunden. So wurde 1966 der nächste Sprung vollzogen: die Zeitschrift erklärte sich zum Organ der sozialkritischen Akademiker, die breitgestreute Mitherausgeberschaft der ersten Jahre zurücklassend. Im Editorial zum ersten Heft des 8. Jahrgangs 1966 heißt es: "Das ARGUMENT wird von (vorwiegend jungen) Wissenschaftlern gemacht, als wissenschaftliche Zeitschrift. Wissenschaft ist, so sehr es viele ihrer Vertreter leugnen mögen, innerlich nie unpolitisch, sondern vielmehr selber ein gesellschaftliches Verhältnis. Entscheidend für den hier angestrebten Begriff von Wissenschaft ist der Versuch, diese ihre Dimension mitzureflektieren." Die folgenden zehn Jahre brachten einen kometenhaften Erfolg. Die Auflage vervielfachte sich. Auch die früheren Hefte wurden immer wieder nachgedruckt. Der Rückenwind, den das Zusammentreffen von Studentenbewegung und Hochschulreform für die Zeitschrift bedeutete, bewirkte mit der zeitlichen Verzögerung des massenhaften Bildungsprozesses einer akademischen Intelligenz neuen Typs den nächsten Sprung: die Fülle der eingehenden Manuskripte entlud sich zuerst in Argument 50 als voluminöser Sonderband, Kritik der bürgerlichen Sozialwissenschaften, dem bald nicht weniger umfangreiche Bände über Medizin, Pädagogik und Geschichte folgten. Damit war die Bezeichnung entstanden, die schließlich 1976 einer noch immer bestehenden Buchreihe mit inzwischen weit über zweihundert Titeln den Namen gab: Argument-Sonderbände. Aus der Zeitschrift im Selbstverlag war ein Verlag mit schließlich vier Zeitschriften und einer wissenschaftlichen Taschenbuchreihe geworden. Andere Aktivitäten kamen hinzu – von der gelegentlichen Konzertagentur mit Buch- und Schallplattenproduktion bis hin zur Gründung der Berliner Volksuniversität. Um 1980 wurde es nötig, das Argument-Konzept zu reformulieren, schon um den Zusammenhang dieser ausgefalteten Aktivitäten deutlich zu machen. "Das Verlagsprogramm", heißt es nun, "soll der Entwicklung der theoretischen Kultur der Linken dienen. Wissenschaftliche Zuarbeit zu den sozialen Bewegungen: den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, der Frauenbefreiung, der Naturbewahrung und der Friedensbewegung. Zuarbeit zu einem sozialistischen Projekt, das diese Bewegungen aneinanderlagert." In Gestalt der Automationsforschung wurde dem Auftauchen der hochtechnologischen Produktionsweise besondere Aufmerksamkeit geschenkt; Ideologieforschung, Aufnahme der Kulturforschungen vor allem des CCCS Birmingham mit Stuart Hall, die Kritische Psychologie um Klaus Holzkamp und, last not least, die Frauenforschung bildeten die wichtigsten untereinander kommunizierenden Projekte. Als Funktion der Zeitschrift wurde die Verbindung der einzelnen Projekte verstanden. "Sie dient der Entwicklung des allgemeinen Wissens- und Diskussionszusammenhangs". Erneuerung des Marxismus war von nun an eine übergreifende Parole, die das ARGUMENT schließlich aus dem Bündnisumfeld der an der SU orientierten Kommunisten herauskatapultierte. Die Berliner Volksuniversität mit ihren vielen Nachgründungen der ersten Jahre (Zürich, Hamburg, Göttingen u.v.a.m.) versah Themen und Autoren der Zeitschrift mit einem außerakademischen Resonanzboden. Seit 1983 läuft die kritisch-marxistische Wörterbucharbeit neben der Zeitschrift her. Eine strukturelle Veränderung der Zeitschrift selbst drückte sich 1982 in der Gründung der autonomen Frauenredaktion aus. Sie ist die Konsequenz aus der überall zu machenden Erfahrung, dass im Selbstlauf selbst bei bestem Willen an der männlichen Dominanz sich nichts je wirklich ändert. Seither wird jeder dritte Heftschwerpunkt von der Frauenredaktion erstellt. Als Nebeneffekt erbrachte diese Ausdifferenzierung die Erfindung der ersten feministischen Krimireihe in deutscher Sprache, Ariadne, deren stürmischer Erfolg innerhalb weniger Jahre den Argument-Verlag zu einem feministischen Literaturverlag mit einem nurmehr ein Viertel des Umsatzes bestreitenden Theoriesektor machte. Dabei stammte das Konzept nicht nur aus der internationalen sozialen Frauenbewegung, sondern zugleich von Antonio Gramscis Forderung, den Alltagsverstand als Adressaten der Veränderung zu begreifen. Mit der sowjetischen Wende zur Perestrojka rückte für zwei Jahre das östliche Umbau- und Demokratisierungsprojekt ins Zentrum des Interesses, bis der Zusammenbruch die überschießenden Hoffnungen dieser Zeit enttäuschte.

Krisen

Gäbe es ungebrochene Erfolgsgeschichten, unterschiede sich die des ARGUMENT allein schon durch die periodischen Krisen. Abgesehen von zweimal sieben fetten Jahren – die ersten der Studentenbewegung, die zweiten der Frauenbewegung verdankt – zieht sich der basso continuo des Kampfes mit Finanznöten durch die Editorials. Auch von politisch-personellen Spaltungen blieb die Zeitschrift nicht verschont. Der Moment des größten Aufstiegs, als die Studentenbewegung zur größten sozialen Bewegung der Nachkriegszeit anzuschwellen begann, riss das Personal der Zeitschrift auseinander und verteilte es auf die konkurrierenden Tendenzen, wo eine Zeit lang fast überall ehemalige "Argumentler" an führender Stelle wieder auftauchten. Das Abebben der Studentenbewegung, das mit der Zeit der Verfestigung der Aktivisten in einander erbittert bekämpfende politische Parteien zusammenfiel, konnte ein "ökumenisches" Linksprojekt wie das ARGUMENT nicht unbeschadet lassen. Nach einer Phase – ungewollt durch das Wegbrechen linksliberaler Kreise entstandener – einseitiger Bindung ans Umfeld der DKP, riss die Krise des Staatssozialismus dessen Sympathisanten aus dem Verbund, begleitet von einer Abbestellungskampagne. Den nächsten Aderlass bereitete die Rezeption neuerer Tendenzen von Lacan bis Foucault, die, als kritische Aneignung im Sinne marxistischer Selbsterneuerung begonnen, eine weitere Gruppierung davontrieb, diesmal in den Postmarxismus, den Wind des Zeitgeistes im Rücken. Obwohl der Zusammenbruch des Marxismus-Leninismus die Perspektive des "Pluralen Marxismus" als einzige übrigließ und die eigentlichen Tragödien, Brüche und Pervertierungen im Weltmarxismus sich viel früher ereignet hatten, war der "Geschichtsbruch" von 1989-91 begleitet von einer Welle allgemeiner Enttäuschung, die desto tiefer reichte, als sie von den einfachen Menschen ausging, nicht zuletzt von den Arbeiterklassen. An der generellen Orientierung des ARGUMENT änderte sich kaum etwas, am Umfeld und an den Wirkungsbedingungen jedoch blieb kaum etwas beim Alten. Aus dem vormals staatssozialistischen Osten wuchsen der Zeitschrift zunächst fast überhaupt keine Kräfte von einiger Dauer zu, allen Versuchen zum Trotz. Erst jetzt, zehn Jahre nach dem Beitritt, bahnt sich ein Wandel an. Der Resonanzboden der Volksuniversität schrumpfte und ging schließlich verloren; allerdings entstand etwa zur selben Zeit im Gegenzug aus dem Gramsci-Editionsprojekt und der weltweit verzweigten Arbeit am Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus das Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT), dessen Beirat mit einer Légion d'honneur der engagierten Intelligenz dieser Zeit verglichen worden ist; das vorliegende Heft dient der Vorbereitung der dritten internationalen InkriT-Tagung und spiegelt thematische Ausrichtung und personelle Trägerschaft. Trotz solcher erfolgreichen Neugründungen und Projekte der neunziger Jahre bedeutete die Zeit der neuen deutschen Einheit für die Situation der Zeitschrift und des Verlags zunächst einen Hindernislauf von Schwierigkeiten, zu beginnen mit den ökonomischen, die auch Ausdruck einer epochalen Enttäuschung war. Keine Ware, sondern eine Waffe sein zu wollen in allen Ehren – auf dem Markt tat sich die Ware ARGUMENT zunehmend schwer. Das Projekt drohte in die Armutsfalle zu geraten. Personell nicht weniger erodiert als die gesellschaftlichen Auftreffstrukturen es sind, in einem Umfeld geschwächter oder gar geschwundener sozialer Bewegungen, einer audiovisuell und warenästhetisch über ein Gewimmel von Fernsehkanälen, bei den Jüngeren durch Computerspiele und Internetsurfen geprägten Kultur, eines neoliberal sich artikulierenden neuen Sozialdarwinismus, einer zunehmend zum Dienstleistungsbetrieb der "Wirtschaft" umfunktionierten Universität, stürzte das Projekt in eine Krise. Je schwächer die Kräfte und je geringer die Mittel wurden, desto größer die Fehlerquote. Je mehr die neuen Bedingungen nach neuer Verständigung der Beteiligten, nach Grundsatzdiskussionen und nach Konsultationen des Umfeldes verlangten, desto weniger Zeit und Kraft stand dafür zur Verfügung. Umgekehrt proportional zur Not nahm die in solcher Lage entscheidende Ressource ab, der gemeinsame Vorrat an Einsichten, Motiven und Haltungen. So kam es zum nächsten Exodus aus der sogenannten "allgemeinen Redaktion" (nicht aus der Frauenredaktion, die ihre Krise und Erneuerung, mit Zugewinn an Zahl und Kompetenzen, vier Jahre zuvor durchgemacht hatte und sich seither weiter verjüngt hat). Weiterzumachen wie bisher war unmöglich. Die Feier zum 40. Geburtstag wurde, kaum angedacht, wieder abgesagt. Personelle zugleich mit konzeptioneller Erneuerung war zur Überlebensfrage geworden. Wieder einmal hieß es stirb und werde.

Konzeptionelle Perspektiven

Jost Hermand hat DAS ARGUMENT mit seinen Tausenden von Autorinnen und Autoren als relevantes Element der "Kulturgeschichte der Bundesrepublik" gewürdigt. Ein historischer Faktor ist diese Zeitschrift zweifellos. Aber ist sie auch heute noch geschichtlich im Sinne des Hineinwirkens in die Geschichte im Werden? Eine Zeitschrift ist dies nur, wenn sie sich zur Schrift ihrer Zeit macht. Sie muss versuchen, deren Latenz ins Manifeste zu heben. Den Zeitgeist zu verdoppeln mögen andere besorgen. Marxistische Traditionspflege liefe auf ein Archiv für Vergangenes hinaus. Eine lebendige Zeitschrift, die sich unter anderem in der Nachfolge von Marx versteht, muss dazu beitragen, den noch kaum gedachten Formativkräften einen Namen zu geben und an der Entwicklung einer Sprache für ihre Analyse mitzuwirken. DAS ARGUMENT kann dies wiederum nicht in der Art einer Fachzeitschrift, sondern nur in einer die akademischen Disziplinen übergreifenden Form tun, indem es die arbeitsteilig auseinandersortierten Spezialisten in Anstrengungen des Zusammendenkens assoziiert. Um uns darüber klar zu werden, worin die spezifische Aufgabe dieser Zeitschrift heute bestehen kann, stellt sich uns die Frage nach den aktuellen und potentiellen Adressaten und Subjekten der Zeitschrift. Die Fachidioten, "Brotgelehrten" (Schiller) und "Kopflanger" werden sie nicht lesen. Schwieriger ist es, von einem andern Imaginären Abschied zu nehmen: dem Ideal der allseits interessierten sozialistischen Persönlichkeit und der Illusion, ihr ebenso allseitig Analysen, Konzeptionen und Reflexion zugänglich zu machen. Auch die Orientierung auf soziale Bewegungen ist nicht immun gegen solche Imaginarität: nicht nur, weil Bewegungen als solche nicht lesen, sondern auch weil sie nichts Permanentes sein können. Die Adressaten einer solchen Theoriezeitschrift können nur die kritischen Intellektuellen der Linken sein. Für eine Intellektuellenzeitschrift (im weiteren Sinn von Gramscis Intellektuellenbegriff) der Linken verbietet sich aber der Intellektualismus abgehobener Diskussionen. Für sie gilt, mutatis mutandis, was Brecht von der Kunst sagt: Sie muss autonom gegen Indienstnahmen sein, aber nicht autark, nicht interesselos, sondern engagiert in den Kämpfen ihrer Zeit, aus ihnen Stoffe und Kräfte schöpfend. Als thematische Brennpunkte kommen nur die krisenhaften und umkämpften Umbrüche unserer Zeit auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen in Frage. Zu denken ist der entfesselte Kapitalismus, der sich nicht mehr gegen ein Anderes verteidigen muss und deshalb, schutzlos sich selbst ausgeliefert, ungehemmt aus- und angreift. Zu denken ist der Übergang zur hochtechnologischen Produktionsweise und die Formen, in denen er in den unterschiedlichen Realitätsebenen vonstatten geht. Zu analysieren ist, dass und wie dieser Übergang unter neoliberaler Hegemonie erfolgt, was nichts anderes heißt, als unter der Dominanz der "Marktinteressenten" oder Konkurrenzgewinnler. Zu denken sind die unterschiedlichen Kriegsmuster neuen Typs, in die sich die entfesselte Konkurrenz fortsetzt. Zu denken ist der Umbruch in den Repräsentationsweisen und die Ausdrucksformen der "Globalizität", um die Sprache des Bundespräsidenten Roman Herzog zu verwenden. Zu befördern ist die Herausbildung europäischer Intellektualität, um den unbewussten Eurozentrismus in bewusster Selbstrelativierung aufzulösen. Zu fördern ist schließlich die globale Zirkulation von Konzepten und Erfahrungen kritischer Intelligenz: man mag am vorliegenden Heft beobachten, was das heißen kann. Was die Veröffentlichungspolitik angeht, so werden wir alles privilegieren, was die gegenwärtigen Umbrüche in ihren Widersprüchen und womöglich in der Perspektive der Steigerung linker Handlungsfähigkeit zu denken erlaubt. Gefragt sind Beiträge, die Kritik und Widerstände verknüpfen wie Rosa Luxemburg dies im Material ihrer Zeit einmal praktiziert hat. Die konzeptionelle Erneuerung der Zeitschrift kann (und muss) nicht ab ovo anfangen: Es gibt keine einfache Formel, sondern ein Funktionenbündel und eine differenzierte Servicestruktur, die ausdrücklich weitergeführt werden sollen. Dass selbst kontinuierlich Fortgeführtes in veränderter Situation einen Bedeutungswandel durchmacht, lässt sich an den Begriffen "Philosophie und Sozialwissenschaften" aus dem Untertitel der Zeitschrift ablesen. Das war einmal der Name des Fachbereichs, der wie kein anderer zum geistigen Laboratorium der Studentenbewegung und dem von ihr angestoßenen Reformaufbruch unter der akademischen Intelligenz wurde. Die Studentenbewegung ebbte weg, die wenigen Stützpunkte im Lehrkörper als sonderbare Solitäre zurücklassend. Die Restauration hat ihn, der bereits von innen heraus an seinen enttäuschten Illusionen erodierte, zerschlagen. Erst recht krähte kein Hahn mehr nach den Ideen jenes Aufbruchs, als just zum Ende des 40. Jahrgangs dieser Zeitschrift das Institut für Philosophie, an dem sie gemacht wird, zusammen mit den neusprachlichen Philologien in den dafür gebildeten Fachbereich für "Philosophie und Geisteswissenschaften" gesteckt wurde. Die Kritische Psychologie kam zur Sportwissenschaft, nachdem man den Lehrstuhl Klaus Holzkamps kassiert hatte. Sind wir wieder im 19. Jahrhundert gelandet? Blüht den akademischen Intellektuellen etwa die Vergangenheit in der Zukunft, Mandarine neuen Typs zu werden? Aber nein, nichts kehrt wieder außer den Namen und dem Krieg, der ein anderer geworden ist. Was in den "Geisteswissenschaften" anzukommen beginnt, ist der Markt. Angesagt ist die kulturelle Supply-side-Economy. Die Geisteswissenschaftler sollen zu Anbietern auf einem Markt werden, dessen effektiver Nachfrage sie ihre Angebote anzumessen haben – die nächste zerstörerische Illusion des Marktfetischismus. Die kritische Reflexion dieses Prozesses soll zu den Aufgaben dieser Zeitschrift gehören. So treten wir ins fünfte Jahrzehnt ein mit der Absicht, auch diesem seine Schrift zu liefern. Weiterhin soll das Argument "keine Ware, sondern eine Waffe" sein; doch wenn die Ware nicht realisiert wird, ist die Waffe stumpf, darum rufen wir nicht nur zur Mitarbeit auf, sondern auch zum Abonnement. Eine Zeit lang Teil größerer Zusammenhänge, die wie ein Festland wirkten, kann man den Eindruck haben, das Projekt sei wie eine Insel übriggeblieben. Doch diese Not ist mit Notwendigkeit geladen. Die relative Isolierung erübrigt die Zeitschrift nicht, sondern macht sie auf neue Weise notwendig.