Bioökonomie

Editorial zum Themenschwerpunkt iz3w 368

»Gibt es ein Leben nach der Erdölgesellschaft?« fragt eine Postkartenserie, die in unserem Flyerständer ausliegt. Zu sehen sind ein leerer Einkaufswagen in einer bunt schimmernden Öllache oder ein alter Bohrturm vor blaugrünem Himmel. Ja, das gibt es, sagen die AkteurInnen der Bioökonomie. Sie präsentieren ihre Visionen in Hochglanzbroschüren. Pflanzen ranken um Fabrikschlote, Menschen in Laborkitteln blicken erwartungsvoll auf Reagenzgläser – auf allen Kontinenten. Überall grüne Felder, grüne Häuser, grüne Autos, grüne Fabrikgebäude, grüne Logos von Unternehmen, Forschungsgruppen und Ministerien – und blaugrüne Weltkugeln.

Was meint Bioökonomie? Moderne Bioläden? Fortschrittsoptimistische Biolandwirtschaft? Oder Biotechnology-Start-ups für Bioplastik, Biosprit, Biokosmetik, Biowaschmittel? Nicht nur. Bioökonomie beinhaltet die Idee, fossile und andere umweltschädliche Stoffe durch biogene zu ersetzen. Also durch solche, die wachsen und nachwachsen. Die Biomasse wächst auf dem Feld, im Wald oder im Bioreaktor. Biogener Abfall soll als neue Ressourcenbasis dienen. 3D-Drucker sollen aus Laub Verbandsmaterial herstellen oder Minikühlschränke aus Reststoffen gespeist werden.

Ist Bioökonomie nicht das, was die Menschen schon immer gemacht haben? Holz zum Feuern, Pflanzen für Medikamente, Flachs für Kleidung? Was also genau sind die neuen Verheißungen der Bioökonomie? Hinter dem Begriff steckt einerseits die sympathische Idee, die Weltgesellschaft in ein Zeitalter ohne fossile Energien zu transformieren. Industrielle Sektoren und Dienstleistungsunternehmen sollen in der modernen Bioökonomie biologische Ressourcen nutzen und durch neue Technologien einen Paradigmenwechsel realisieren. Andererseits betonen Policy-Papiere zum Beispiel der EU oder OECD die »Marktfähigkeit« von Biotechnologie. Das Interesse der Wirtschaft ist es, die Konsumbedürfnisse der früh industrialisierten Länder sowie der neuen Mittelschichten im Globalen Süden zu bedienen – selbstverständlich zum eigenen Vorteil. Gleichzeitig wird unterstrichen, die Bedürfnisse der Armen erforderten nachhaltige Lösungen. Nachhaltig für wen?

Weitgehend unbeachtet von der öffentlichen Debatte sind von zahlreichen Ländern Bioökonomie-Strategiepapiere vorgelegt worden, im Globalen Süden ebenso wie in Europa. Da ein erheblicher Teil der biogenen Ressourcen in Ländern des Südens verortet ist, versprechen diese sich, nicht erneut zu Hilfsempfängern zu werden, die bekommen, was am Ende der Wertschöpfungskette übrigbleibt. Sie möchten zu führenden AkteurInnen technologischer Innovationen aufsteigen und nicht länger auf die Rolle rohstoffliefernder Ausgebeuteter reduziert werden.

Der in den Strategiepapieren angekündigte große Schub blieb bislang aus. Die derzeit noch patchworkartig anmutenden bioökonomischen Entwicklungen setzen aber schon jetzt weltweit Veränderungen in Gang. Die Biotechnologie wird, mit oder ohne zivilgesellschaftliche Kontrolle, die Wirtschaftsweise der Zukunft sein.

Doch wie wird sie gestaltet sein? Werden biobasierte Produkte den Konsum um eine hübsche grüne Produktpalette erweitern, während sonst alles so erdölgeschmiert läuft wie bisher? Brauchen wir Mikroben, die das CO2 aus den Kohlekraftwerken fressen, bevor es in die Atmosphäre gelangt? Wer kontrolliert die Produktionsmittel? Zu wessen Nutzen und zu wessen Schaden wird eine biomassebasierte Wirtschaft produzieren und verkaufen? Und vor allem: Wird eine sozial gerechte Teilhabe und Daseinsvorsorge ermöglicht? Oder wird der Wettlauf um technologische Innovationen das Vorsorgeprinzip aushebeln, Landaneignung beschleunigen und die Fieberkurve des Planeten weiter ansteigen lassen?

Der Global Bioeconomy Summit 2018 im April in Berlin hat auf diese Fragen keine Antworten gefunden. Dennoch wurde sichtbar: Bislang fließen Forschungsgelder vor allem in die synthetische Biologie, in die Erforschung von Pilzen, Flechten, Algen und den Aufbau digitaler Gendatenbanken, aber auch in Hochglanzbroschüren, Ausstellungen und internationale Vernetzungsevents.

Kritische Studien verweisen auf die Gefahren der Bioökonomie: Ihr Aufstieg wird unter gegebenen politischen Rahmenbedingungen, vor allem im Süden, von Kämpfen um Wasser, Land und Arbeit begleitet sein. Die private Aneignung von Wissen, das intensivierte Ausquetschen von Ökosystemen, der Verlust biologischer Vielfalt und die Marginalisierung existierender alternativer, sozialökologisch gerechter Modelle gehören zu den möglichen Folgen der Bioökonomie. Globale Verteilungsgerechtigkeit droht auch bei ihr auf der Strecke zu bleiben. Welche Rolle spielen dabei Deutschland und die EU als Wegbereiter der Bioökonomie?

Einigen dieser Fragen möchten wir in diesem Themenschwerpunkt nachgehen, andere müssen wir vertagen. Zu zahlreich sind die offenen Baustellen rund um die »neue Wirtschaftsweise der Zukunft«. Mit dem Schwerpunkt möchten wir gemeinsam mit der Initiative Energie-Hunger-Nein-Danke aus Freiburg und der BMBF-geförderten Forschungsgruppe zu Bioökonomie und Ungleichheiten einen Beitrag zur bislang viel zu schwachen öffentlichen Debatte leisten.

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