Syriens Opposition der Extremisten

Wie westliche Medien den Ruf der Rebellen schöngeredet haben

in (02.04.2018)

Mitte Oktober 2017 sagte US-Außenminister Rex Tillerson [1], dass die Herrschaft des syrischen Präsidenten Bashar al-Asad [2] an „ihr Ende komme“. Aber mit dem raschen Niedergang sowohl des „Islamischen Staates“ (oder ISIS) und der ausländischen Unterstützung für die sogenannten Rebellen ist diese Ansicht für den größten Teil der internationalen Gemeinschaft Wunschdenken. Jahrelang wurden Nachrichten, die für einen baldigen Abgang Asads sprachen, erheblich übertrieben [3]. Dasselbe gilt für Mutmaßungen, welche negativen Folgen es hätte, wenn er überlebt, nicht wegen seines schlechten Rufes, sondern weil die wahrscheinlichste Alternative zu seiner Herrschaft noch schlimmer schien, zumindest was die nationale Sicherheit der USA betrifft.

Nur wenige Beobachter wissen überhaupt, wofür sie eingetreten sind vor dem Hintergrund der Tendenz westlicher Medienkanäle zugunsten der Rebellen. Während diese Medien beharrlich über das Blut an Asads Händen berichteten [4], neigten sie zugleich dazu, die Rebellen reinzuwaschen, um die Idee eines Regimewechsels besser verkaufen zu können. Man nehme zum Beispiel die syrische Flüchtlingskrise: Die herkömmliche Meinung [5] hält die Flüchtlinge für prorebellisch, obwohl gründliche Umfrageforschung [6] die Wirklichkeit bei weitem nuancierter sieht. Die meisten Flüchtlinge sagen, dass sie vor Asad flohen; sie sagen aber auch, dass sie vor der bewaffneten Opposition flohen; die bei weitem übliche Erklärung war, dass die Flüchtlinge vor beidem flohen. Eine ehrliche Berichterstattung über alle Seiten des Konfliktes ist aber für Regierungen wie Bürger rund um die Welt unentbehrlich, um den Charakter des Regimes wie den der Opposition verstehen zu können.

Ein Beispiel für die bei westlichen Medienkanälen zu beobachtende Tendenz zugunsten der Rebellen ist die Medienberichterstattung über den chemischen Luftangriff vom 4. April 2017 auf Khan Shaikhun nahe der Stadt Idlib gegenüber der geringen Aufmerksamkeit für das Selbstmordattentat vom 15. April im al-Rashidin-Viertel von Westaleppo. Als Terrorismusforscher erhielt ich pausenlos Interviewanfragen zu ersterem, aber so gut wie keine zu letzterem.

Eine Erklärung für die ungleiche Medienaufmerksamkeit ist, dass bei dem Khan-Shaikhun-Massaker Saringas eingesetzt wurde, eine Massenvernichtungswaffe, was in der internationalen Gemeinschaft wegen der willkürlichen Folgen oft als Tabu angesehen [7] wird. Aber die al-Rashidin-Attacke, über die relativ wenig berichtet wurde, war vermutlich sogar grausamer. Während der Khan-Shaikhun-Angriff 90 Todesopfer forderte, fanden in al-Rashidin mindestens 126 den Tod [8], darunter 80 [9] Kinder, die als Teil einer internationalen Vereinbarung auf dem Weg nach Aleppo waren. Das einzige „Verbrechen“ der Opfer bestand darin, dass sie Schiiten waren. Sie waren auf dem Weg in sicheres Gelände, weil ihre Ortschaften Fuaa und Kefraya von Rebellen belagert waren. Die hohe Zahl der getöteten Kinder war kein Unfall. Die Täter lockten [10] die Kinder mit Kartoffelchips, unmittelbar bevor die Selbstmordexplosion den Konvoi in die Luft sprengte.

Die Berichterstattung über die Anschläge hängt offensichtlich davon ab, wer für sie die Verantwortung tragen soll. Obwohl die gegenseitigen Schuldzuweisungen [11] noch anhalten, glauben die meisten Analysten, dass das syrische Militär den Angriff von Khan Shaikhun ausübte, während Asads Feinde hinter dem in al-Rashidin standen. Es überrascht nicht, dass westliche Medienkanäle das erste der beiden Massaker aufgriffen, um zu unterstreichen, dass Asad gehen muss. In ihrer einen Regimewechsel favorisierenden Darstellung brachte die Washington Post einen Blogbeitrag [12] unter der Überschrift „Trump erkennt endlich die Wahrheit über Syriens Asad. Was jetzt?“ Der Guardian [13] veröffentlichte einen Leitartikel unter dem Titel „Asad weiß, dass er ungestraft handelt“; Al-Arabiya [14] titelte: „Asad-Regime verantwortlich für furchtbaren Chemie-Angriff in Syrien“; und Associated Press stellte in den Mittelpunkt [15], wie „Syriens Asad sich wachsendem Druck nach (dem) Chemieangriff ausgesetzt sieht“; ähnlich konzentrierte sich Haaretz [16] auf Asad. Als Reaktion auf die Angriffe und die Medienberichterstattung, die sie auslösten, gestand der amerikanische Präsident Donald Trump [17], dass seine „Einstellung gegenüber Syrien und Asad sich sehr verändert hat“, und autorisierte dann Raketenschläge gegen die syrische Luftwaffe. Die internationale Gemeinschaft [18] vom Vereinigten Königreich bis nach Qatar fiel nach der Attacke in den Chor ein, dass Asad angesichts seiner Brutalität gehen müsse.

Nach dem ar-Rashidin-Angriff, den der CNN-Reporter Nick Patton Walsh als einen bloßen „Schluckauf“ trivialisierte [19], blieb ein solcher Aufschrei aus. Soweit er überhaupt gemeldet wurde, beschrieb man quer durch die Medienkanäle diesen Vorfall im Wesentlichen als Tat ohne Täter. Die Associated Press [20] unterließ es zu erwähnen, wer vermutlich diesen Angriff ausgeführt hatte. Dasselbe gilt für USA Today [21], Daily Beast [22], Al-Arabiya [23] und ziemlich jeden von all den anderen Nachrichtenkanälen. Der Journalist Robert Fisk [24] bemerkte, dass, obwohl mehr Unschuldige in der al-Rashidin-Attacke getötet wurden, sie „Opfer der falschen Mörder waren“, da „die Täter zu sehr mit uns im Westen in Beziehung gestanden haben dürften“.

Asads wichtigste Feinde in Syrien sind gefährliche Extremisten, unabhängig davon, wie viele Regierungen sie finanzieren, ausbilden oder bewaffnen. Die salafistische Rebellengruppe Ahrar al-Sham, die eigentlich die Busse schiitischer Evakuierter beschützen sollte, die Ziel des Anschlags von al-Rashidin waren, nimmt sich die Taliban zum Vorbild [25] und hat enge historische Beziehungen zu al-Qaida. Ahrar und al-Qaida teilen nicht nur eine ähnliche islamische Ideologie, sondern auch Mitglieder [26]. Anführer [27] beider Gruppen haben des öfteren gemeinsam Militäroperationen durchgeführt [28]. Ahrar hat die Gewohnheit entwickelt, sich zuweilen von al-Qaida zu distanzieren, nur um sich später im Kampf wieder mit ihr zu verbünden. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, dass Ahrars bisher größte Leistung darin bestand, Hand in Hand mit al-Qaida [29] im März 2015 Idlib zu erobern und Asad wegzunehmen [30] und dabei lautstark Luftschläge der Amerikaner [31] gegen ihren salafistischen Waffenpartner anzuprangern, mit dem es in diesem Fall wieder verbündet war. Prominente Kommentatoren über Syrien haben die Jihadisten als Anti-Asad-„Helden“ [32] bejubelt und zugleich Ahrars Warnungen vor Angriffen auf al-Qaida wiederholt [33], aus Furcht, Maßnahmen gegen Terrorismus könnten die gesegnete Rebellion beeinträchtigen.

Aus verschiedenen Gründen ist es unmöglich, Sicherheit darüber zu gewinnen, auf wessen Rechnung die ar-Rashidin-Attacke geht. Anders als ISIS neigen die meisten anderen Terrorgruppen wegen der politischen Auswirkungen dazu, sich zurückzuhalten [34], wenn es um die Übernahme der Verantwortung für Anschläge geht, die sich direkt gegen Unschuldige richten. Dazu kommt, dass die Gruppen, die Asad bekämpfen, ständig unter neuen Namen und Allianzen firmieren. Man nehme nur die Entwicklung der syrischen Sektion von al-Qaida von „Jabhat al-Nusra“ über “Jabhat Fath al-Sham“ zu „Harakat Tahrir al-Sham“, die sogenannte moderate Rebellen einbezogen hat, die zuvor von den USA auf Herz und Nieren geprüft, finanziert und bewaffnet [35] wurden. Darüber hinaus betont eine wachsende Zahl von Politikwissenschaftlern, dass terroristische Gruppen intern keine homogenen, auf ein zentrales Ziel ausgerichteten Akteure sind, sondern oft aus einzelnen Mitgliedern bestehen, mit unterschiedlichen Anreizstrukturen, die sich oft mit den offiziellen politischen Zielen dieser Gruppen reiben [36]. Aus diesem Grund handeln niedriger stehende Mitglieder einer Terrorgruppe oft unter Missachtung von Zielvorgaben ihrer Führung [37]. Das verbreitete Überläufertum [38] zwischen den US-finanzierten Gruppen und al-Qaida, ja sogar dem ISIS deutet auf bunte Haufen, selbst wenn ihre Mitglieder unter dem gleichen Banner operieren. Selbst wenn Ahrar-Führer zum Beispiel gegen Massaker an Andersgläubigen sind, mögen sie zu schwach sein, eigensinnige Mitglieder ihrer Gruppe in die Schranken zu weisen, von offen extremistischen ganz zu schweigen.

Vor allem aber ist es darum schwer auszumachen, wer den Anschlag von al-Rashidin beging, weil in Syrien kein Mangel an religiösen Fanatikern herrscht, die oft Interesse daran bekunden, die Schiiten [39] und Christen [40] zu vernichten, die verzweifelt für ihren Schutz auf Asad setzen. Als die USA in den frühen Tagen der Revolution den al-Qaida-Ableger in Syrien als Terrororganisation bezeichneten, demonstrierten Tausende von Rebellen unter der Flagge „Wir alle sind al-Nusra“ [41]. Und als sich westliche Medien über Asad und den russischen Präsidenten Putin lustig machten, weil diese meinten, die Rebellen seien vom Terrorismus geritten [42], haben sich die Rebellen selbst offen mit al-Qaida solidarisch erklärt.

Nachdem sie also jahrelang das gewalttätige Element unter den syrischen Rebellen heruntergespielt hatten, fanden es, wenig überraschend, westliche Medien unangenehm, über Angriffe wie den in al-Rashidin zu berichten. Es gibt natürlich unter den Rebellen einige ehrenwerte Verbündete, aber nicht annähernd so viele, wie Enthusiasten eines Regimewechsels [43] über die letzten paar Jahre hin behaupten.

Max Abrahms ist Professor für politische Wissenschaft an der Northeastern University und gegenwärtig Mitglied im Council of Foreign Relation. Aus dem Englischen von Manfried Wüst.

Original (30.10.2017): https://www.foreignaffairs.com/articles/middle-east/2017-10-30/syrias-extremist-opposition

Links

[1] http://thehill.com/policy/international/357405-tillerson-reign-of-the-assad-family-is-coming-to-an-end-in-syria
[2] https://www.foreignaffairs.com/articles/syria/2017-01-11/enabling-assad
[3] https://www.brookings.edu/opinions/why-assad-is-losing/
[4] http://www.syriahr.com/en/?p=62760
[5] https://www.wsj.com/articles/assad-regime-inflames-refugee-crisis-1442014327
[6] https://www.foreignaffairs.com/articles/europe/2017-03-22/five-myths-about-syrian-refugees
[7] https://www.foreignaffairs.com/articles/syria/2013-01-22/how-chemical-weapons-became-taboo
[8] https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria/death-toll-from-aleppo-bus-convoy-bomb-attack-at-least-126-observatory-idUSKBN17H04Y
[9] http://www.abc.net.au/news/2017-04-17/syrian-bus-bombing-kills-at-least-80-children/8447104
[10] http://www.npr.org/sections/thetwo-way/2017/04/16/524227422/more-than-100-die-in-suicide-attack-on-syrian-evacuees
[11] https://www.rt.com/news/408005-syria-un-opcw-report/
[12] https://www.washingtonpost.com/blogs/post-partisan/wp/2017/04/06/trump-finally-realizes-the-truth-about-syrias-assad-now-what/?utm_term=.ea98ba9d515c
[13] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/apr/04/the-guardian-view-on-syria-assad-knows-he-acts-with-impunity
[14] http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2017/04/04/Syria-toxic-gas-attack-kills-civilians-in-Idlib-province.html
[15] https://www.mprnews.org/story/2017/04/06/turkey-syria-autopsies-show-chemical-weapons-used-in-attack
[16] http://www.haaretz.com/middle-east-news/syria/.premium-1.781838
[17] http://nation.foxnews.com/2017/04/05/my-attitude-toward-syria-and-assad-has-changed-very-much-trump-signals-change-syria
[18] http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-johnson-idUSKBN1770MA
[19] http://www.cnn.com/2017/04/15/middleeast/syria-evacuations-bombing/index.html
[20] http://bigstory.ap.org/article/f862839a8f284c419794c18ab0b04e57/thousands-evacuated-syrians-stuck-transfer-stalls
[21] https://www.usatoday.com/story/news/world/2017/04/15/syria-explosion-evacuations/100500938/
[22] http://www.thedailybeast.com/cheats/2017/04/16/death-toll-in-syria-bus-bombing-rises-to-more-than-120.html?via=desktop&source=copyurl
[23] https://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2017/04/17/Mass-evacuation-in-Syria-postponed-after-blast-kills-80-kids.html
[24] http://www.independent.co.uk/voices/syria-suicide-attack-refugee-buses-trump-only-cares-sunni-children-a7687066.html
[25] http://www.longwarjournal.org/archives/2016/10/amid-infighting-jund-al-aqsa-swears-allegiance-to-al-qaedas-rebranded-branch.php
[26] http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38934206
[27] http://foreignpolicy.com/2016/09/01/al-qaeda-is-gaining-strength-in-syria/
[28] http://www.dw.com/en/islamist-factions-in-syria-join-forces-with-al-qaeda-affiliate/a-37317545
[29] http://jihadology.net/2015/04/07/guest-post-a-strong-ahrar-al-sham-is-a-strong-nusra-front/
[30] http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/11501767/Al-Qaeda-affiliate-claims-capture-of-Syrian-city-of-Idlib.html
[31] https://www.ctc.usma.edu/posts/al-qaida-uncoupling-jabhat-al-nusras-rebranding-as-jabhat-fateh-al-sham
[32] http://www.thedailybeast.com/articles/2016/08/08/heroes-jihadists-with-al-qaeda-links-break-assad-siege-of-aleppo.html
[33] http://www.mcclatchydc.com/news/nation-world/national/national-security/article24774124.html
[34] http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09636412.2017.1280304
[35] http://www.alternet.org/grayzone-project/tahrir-al-sham-qaeda-syria-rebels-us-armed-zinki
[36] https://fsi.stanford.edu/sites/default/files/Abrahms_What_Terrorists_Really_Want.pdf
[37] https://www.academia.edu/5365151/Explaining_Terrorism_Leadership_Deficits_and_Militant_Group_Tactics_International_Organization_March_2015_with_Phil_Potter_
[38] http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-jund-al-aqsa-idUSKCN11Q1LH
[39] http://www.joshualandis.com/blog/zahran-alloush/
[40] http://www.cnn.com/2017/04/18/opinions/less-military-intervention-opinion-paul/index.html
[41] https://www.lowyinstitute.org/the-interpreter/us-targets-isis-al-qaedas-syria-branch-waits-wings
[42] http://www.businessinsider.com/graphic-the-most-accurate-breakdown-of-the-syrian-rebels-2013-9
[43] http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/syria-air-stirkes-mod-disputed-david-camerons-claim-there-are-70000-moderate-rebels-a6759746.html