Linke Strategien gegen den Islamismus

Den „Kampf gegen den Islamismus“ haben sich zuerst die rechtsextremen und -populistischen „Abendlandretter“ auf die Fahnen geheftet. Weil der politische Extremismus, der sich auf den Islam beruft, der gesellschaftlichen Emanzipation so gefährlich und der antifaschistischen Linken so feindlich ist, begannen Teile derselben, ihrerseits den Kampf aufzunehmen. Im Minenfeld der nicht auf die extreme Rechte beschränkten „Islamdebatte“ finden sich aber nicht viele Linke zurecht – und lassen die theoretische wie praktische Kritik am Islamismus schleifen. Aber wo AntifaschistInnen es aufgegeben haben, solche Kritik zu formulieren, wurde es extremen Rechten erst möglich, mit der Wahrheit zu lügen. Etwa, wenn sich in Österreich Freiheitliche über den Antisemitismus unter Muslimen auslassen: So real dessen Existenz ist, so verlogen ist es, wenn ausgerechnet seit jeher antisemitische Deutsch-Völkische ihn anprangern.

Schweigen der Linken zum Vormarsch des Islamismus wirkte sich fatal aus. Der derart frei gewordene Platz wurde von extrem Rechten dankbar eingenommen. Sie stilisieren sich gegenüber dem „Verrat“ der politischen Konkurrenz als die letzten „Demokraten“, verstecken ihren antimuslimischen Rassismus hinter „Aufklärung“ und „Menschenrechten“. Dass sich die extreme Rechte gegenwärtig so erfolgreich als Erbin der Aufklärung und deren Beschützerin vor dem Islamismus inszenieren kann, verdankt sie also auch jenen Linken, die dieses Erbe längst verraten haben. Die Kritik der Aufklärung verkam ihnen zu einer Denunziation der Aufklärung. Insbesondere die Idee der Gleichheit hat es mittlerweile schwer in linken und akademischen Diskursen. Heute versuchen nur mehr wenige, die „versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen“ zu zwingen, indem sie „ihnen ihre eigne Melodie“ vorsingen.[1] Schicker als die Versprechen der bürgerlichen Revolutionen einzuklagen, wurde es, Lobgesänge auf die Opfer der „entwurzelnden Modernisierung“ (Habermas/Derrida)[2], auf kulturelle Differenz und „Identität“ anzustimmen. Vielerorts hat der (ethnisierende) Identitätsdiskurs den Klassendiskurs zurückgedrängt und schließlich ganz abgelöst. „Identität“ wurde zu einer allseits beliebten „Worthülse, in die Bedürfnisse nach Anspruch auf Unversehrtheit, Einheit und Sinn sich projizieren lassen.“[3]

Im unter postmodernen Linken hegemonialen (differenzialistischen bis kulturrelativistischen) Weltbild erscheint der Universalismus bloß als – noch dazu ausschließliche – Grundlage des Rassismus. Derartiger Betriebsblindheit wäre mit einem historischen Faktum zu begegnen: Wenn der Rassebegriff und die Rassentheorien auch als Legitimation des schon lange davor existierenden Rassismus mit der Aufklärung in die Welt kamen, so stellte diese gleichzeitig die theoretischen Waffen des Antirassismus bereit. Mit Ètienne Balibar halte ich es für falsch zu glauben, „den Rassismus im Namen eines allgemeinen Universalismus bekämpfen zu können; der Rassismus ist in ihm schon enthalten. Der Kampf also findet in seinem Inneren statt, um gerade das zu verändern, was wir unter Universalismus selbst verstehen. Aber das bedeutet nicht [...], jeglichen Universalismus aufzugeben, denn das hieße, kampflos die Waffen zu strecken.“[4]

Was für den Rassismus gilt, gilt auch für den (islamisierten) Antisemitismus – es kann ihn „nicht bekämpfen, wer zu Aufklärung zweideutig sich verhält.“[5] Nun heißt aber ein eindeutiges Verhältnis zur Aufklärung nicht deren kritiklose Affirmation, wie sie oft von (ehemals) linken „Islamkritikern“ betrieben wird. Vielmehr wäre daran zu erinnern, dass die Aufklärung neben einer antiislamischen auch eine „judenfeindliche“[6] Tendenz hat – was ihre gegenwärtige Indienstnahme durch Rechtsextreme erleichtert. Gestern noch abwechselnd als „freimaurerisch“ und „jüdisch“ denunziert, wird die Aufklärung von ihnen heute als „Grenzmarkierung im Kulturkampf gegen Muslime“[7] instrumentalisiert. Dazu eignet sie sich insofern, als ihr Religionen grundsätzlich und vor allem der Islam und das Judentum als rückständig und als Fessel der Unmündigkeit galten. Man ging davon aus, dass mit der allgemeinen menschlichen Emanzipation auch die religiösen Traditionen überwunden werden würden. Insbesondere Jüdinnen und Juden wurden nur als StaatsbürgerInnen gleichberechtigt, ihr Judentum sollte sich hingegen auflösen: Während der/die AntisemitIn „ihn als Menschen vernichten [will], um nur den Juden, den Paria, den Unberührbaren bestehen zu lassen“, will der/die DemokratIn „ihn als Juden vernichten, um ihn als Menschen zu erhalten, als allgemeines abstraktes Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte.“[8]

Jenseits der Denunziation der Aufklärung und ihrer Affirmation hätte sich eine Religionskritik zu positionieren, die diesen Namen auch verdient. Sie unterscheidet sich vom Ressentiment zuerst, indem sie nicht behauptete Eigenschaften, sondern konkrete Handlungen zu ihrem Gegenstand hat. Nicht ein aus „heiligen Schriften“ angeblich wörtlich herauszulesendes „Wesen“ der Religion interessiert diese Kritik, sondern soziale Praxen, die mit der jeweils vorherrschenden Religion in einem wechselseitigen Determinationsverhältnis stehen. Demgegenüber steht der antimuslimische Rassismus als essentialisierender Kulturalismus: Er behauptet nicht nur ein zeitloses „Wesen des Islam“, sondern auch, dass nur die Religion oder „Kultur“ das Verhalten der Menschen einseitig determiniere. Aus sozialen Konflikten, etwa zwischen Geschlechtern oder Generationen, macht er „kulturelle“. Die nun durch die Brille des Kulturkampfes erscheinenden Konflikte sind nicht mehr lösbar – außer mit Gewalt.

Dann unterscheidet sich Islam-Kritik vom antimuslimischen Ressentiment, indem sie sich nicht nur an der „fremden“ Religion abarbeitet, sondern gegenüber dem Islam (in seiner Vielfalt) und seiner Geschichte dieselben Maßstäbe anlegt, wie gegenüber der „eigenen“ Religion – für wie überwunden auch immer diese gehalten wird. Eine Aufklärung, die sich ohne Rücksicht auf den marginalisierten Status von Muslimen in Europa auf „Mahomet“[9] stürzt und Jesus Christus schont, hat diesen Namen nicht verdient.

 

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann abonnieren Sie den prager-frühling-Newsletter.

 

Literatur:

[1] Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: MEW Bd. 1. Berlin 1976, S. 378-391; hier: S. 381

[2] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/habermas-und-derrida-nach-dem-krieg-die-wiedergeburt-europas-1103893-p3.html?printPagedArticle=true#pageIndex_3

[3] Claussen, Detlev: Globale Gleichzeitigkeit – Gesellschaftliche Differenz, in: Ders.; Oskar Negt, Michael Werz (Hg.): Veränderte Weltbilder. Hannoversche Schriften 6. Frankfurt a. M. 2005, S. 9-29; hier: S. 16

[4] Balibar, Ètienne: Der Rassismus: auch noch ein Universalismus, in: Bielefeld, Uli (Hg.): Das Eigene und das Fremde. Alter Rassismus in der neuen Welt? Hamburg 19922, S. 175-188; hier: S. 187

[5] Adorno, Theodor W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Ders.: Vermischte Schriften I/II. Frankfurt a. M. 1986, S. 360-383; hier: S. 369

[6] Vgl.: Poliakov, Leon: Geschichte des Antisemitismus Bd. 5. Die Aufklärung und ihre judenfeindliche Tendenz. Worms 1983

[7] Bielefeldt, Heiner: Das Islambild in Deutschland. Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam, in: Schneiders, Thorsten G. (Hg.) Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesenbaden 2010 (2., aktualisierte und erweiterte Auflage), S. 173-206; hier: S. 187

[8] Sartre, Jean-Paul: Betrachtungen zur Judenfrage, in: Ders.: Drei Essays. Frankfurt a. M. 1975, S. 108-190; hier: S. 136

[9] Voltaire schuf mit seinem Versdrama „Le fanatisme, ou Mahomet le prophéte“ (1741) eine der beliebtesten Zitiervorlagen aufgeklärter IslamfeindInnen. Dabei wird in der Regel übersehen, dass und wie sehr der Aufklärer in seinem Kampf gegen Christentum und Islam weniger auf diese als auf deren jüdische Ursprünge zielte.