Rechtsextrem! Kinder der Zeit beim Namen nennen

Lehren und Leerstellen antifaschistischer Politik

in (28.06.2017)

„Wer vom Faschismus keinen Begriff hat, wird von ihm überrumpelt“[1]. Leider scheitern wissenschaftliche als auch antifaschistische Arbeit immer wieder daran, Selbstinszenierungen von FPÖ, „Identitären“ und Co. auch als solche zu benennen. Auch medial wird, anstatt kritisch über diese zu berichten, ihnen zumeist eine direkte Schaubühne geboten. Die rechtsextreme FPÖ wird zumeist als (rechts)populistisch verharmlost und die euphemistische Bezeichnung der neofaschistischen „Identitären“ als Neue Rechte wird mitunter auch von Antifaschist*innen unkritisch übernommen. Die Arbeit am Begriff ist hierbei jedoch weit mehr als eine akademische Fingerübung. Gerade in Bezug auf die Losung „Nie wieder!“ ist sie als umkämpfte Bewusstseinsbildung grundlegender Bestandteil politischen Handelns. Während weite Teile der Neuen Linken der 1960/70er noch in Vulgärmarnier und recht unbedarft die bürgerlich-kapitalistische Ordnung pauschal als faschistisch anprangerten, kam Kritik an der marxistisch orientierten Faschismusforschung zunächst von der tendenziell staatsnahen Totalitarismusforschung.[2] Aber auch in der Linken folgte nach einer Phase der inflationären Begriffsverwendung eine teilweise Abkehr vom Faschismus-Begriff, wie auch die ökonomistische Grundtendenz der marxistischen Ansätze kritisiert wurden. Auch wurde meist mit Verweis auf die Singularität des eliminatorischen NS-Antisemitismus vermehrt von einem komparativen Verständnis von Faschismus Abstand genommen. So stellt/e sich die Frage: Was taugt der Begriff des Faschismus noch für die Linke? Nach dem Ende des „Goldenen Zeitalters“ sowie einem „Zeitalter des Erdrutsches“ (Hobsbawm) bedarf die Rolle des Rechtsextremismus in der gegenwärtigen politischen Situation in Europa erneut der Klärung. Und daran anschließend die Frage: Was bedeutet antifaschistische Politik heute?

Extremer als ...? – Zur Begriffsarbeit des Rechtsextremismus

 

Der Begriff des Faschismus wurde – zunächst eine Eigenbezeichnung –von Benito Mussolini geprägt und leitet sich aus dem lateinischen „fascis“ ab. Dies waren im alten Rom Rutenbündel, in denen ein Beil steckte. Ersteres symbolisierte den bündischen Zusammenhalt, das Beil die Todesstrafe durch die Obrigkeit. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Faschismus als Bewegung und einem rein diktatorischen Regime liegt in seiner Massenausrichtung gepaart mit einem (völkisch-rassistischen) Erlösungsversprechen. Der Faschismus entstand hierbei als antimoderne Bewegung und richtete sich gleichermaßen gegen Liberalismus sowie Marxismus. Oder wie es Eric J. Hobsbawm ausdrückte: „Die Faschisten waren die Revolutionäre der Konterrevolution: in ihrer Rhetorik; mit ihrer Anziehungskraft auf jene, die sich als Opfer der Gesellschaft empfanden; bei ihrem Ruf nach totaler Transformation der Gesellschaft.“[3] Der Begriff des Faschismus hat sich seit seinem Aufstieg und Fall mit multiplen Bedeutungen aufgeladen. Er ist nunmehr geradezu „überdeterminiert“, wie dies Georg Seeßlen einmal ausdrückte. Faschismus, das war spätestens ab den 1980ern im Mainstream irgendwie alles und nichts – vom „Ökofaschisten“ bis zum „Hühner-KZ“. Jedenfalls Synonym für „das Böse“ und mitunter schlichtweg Spektakel und Bestandteil von Popkultur und Unterhaltungsindustrie. Trotzdem (oder gerade deshalb) scheint der Begriff keine der gegenwärtigen Entwicklungen mehr tatsächlich treffend zu beschreiben. Ein Umstand, der sich auch in der Tragweite der Begriffe „Neofaschismus“ und „Neonazismus“ fortschreibt. Auch wenn sich faschistische Elemente und diesbezügliche historische Kontinuitätslinien nach wie vor als zentrale Bestandteile all der extremen Rechten erweisen, versucht der (Ober-)Begriff des Rechtsextremismus den Transformationen der Gesellschaft nach 1945 gerecht zu werden. Gegenwärtig haben sich etwa weite Teile der extremen Rechten formal mit der liberalen Demokratie arrangiert, weshalb der Begriff des Rechtspopulismus[4] en vogue wurde. Zu einer kritischen Analyse trägt eine derartige Unterscheidung jedoch wenig bei. Vor allem weil, wie Ursula Birsl die Problematik treffend beschreibt, „eine Gegenbewegung zu Demokratie und Prozessen der Demokratisierung nicht zwingend nur dann zu einer Gefahr für die Demokratie wird, wenn sie dezidiert anti-demokratisch ist, sondern unter Umständen genau dann, wenn sie sich der Institutionen der Demokratie bedient, diese aber in der Konsequenz zu entleeren sucht und ihrem Wesen berauben will, und zwar politische Herrschaft kritisch hinterfragen und kontrollieren zu können“.[5] Um zu einem kritischen Verständnis des Rechtsextremismus zu gelangen[6] muss demgegenüber betont werden, dass dieser vor allem als „eine militante Steigerungsform der zentralen Werte und Ideologien spätbürgerlicher Gesellschaften“ darstellt.[7] Als Kern des Rechtsextremismus erweist sich eine autoritäre bzw. (über)konformistische Verarbeitung sich verschärfender sozialer Ungleichheiten, die als vermeintlicher „Naturzustand“ universalisiert werden und sinnstiftend fungieren. Der Rechtsextremismus kann in diesem Sinne auch als Reintegrationsversuch sowie Krisenreaktion auf Kosten von Anderen bzw. sozial Schwächeren begriffen werden. Die Weigerung, den Rechtsextremismus somit vor allem als organisierten Antisemitismus und Rassismus – sowie einem damit grundlegend verwobenen Hypermaskulinismus/Sexismus – zu begreifen, passt sich in das Bedürfnis nach Entlastung der gesellschaftlichen „Mitte“ bzw. jenen Verhältnissen an, die ihn hervorbringen.

Antifaschismus – Lehren und Leerstellen

Gerade angesichts einer desensibilisierten Gesellschaft befindet sich antifaschistische Politik in einem stetigen Balanceakt weder der gängigen Verharmlosung und Normalisierung des Rechtsrucks Konzessionen zu machen noch der extremen Rechten (vor allem gegenüber ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen) mehr Aufmerksamkeit zu schenken als diese verdient. Als ein Symptom der „österreichischen Zustände“ zeigt sich, dass die Linke einen Großteil der antifaschistischen Arbeit anstößt oder selbst übernimmt, die anderenorts von staatlichen Institutionen oder der „bunt-gegen-braun“ Zivilgesellschaft erledigt wird. Derartige Entwicklungen verstärken somit zusätzlich, dass die Theorie und Praxis emanzipatorischer Lebensentwürfe angesichts antifaschistischer Abwehrkämpfe ohnehin ins Hintertreffen geraten ist. Erschwerend kommt aktuell hinzu, dass die extreme Rechte hierzulande wieder vermehrt dazu übergegangen ist, linke Räumlichkeiten und Aktivist*innen ins Visier zu nehmen.

Eine weitere Schwierigkeit stellt die seit Beginn der 2000er Jahre beobachtbare (Teil-)Spaltung von antirassistisch und antifaschistisch orientiertem Aktivismus dar.[8] Die damit einhergehenden Opferkonkurrenzdebatten zwischen postnazistischer und postkolonialer Perspektive drehen sich nicht nur um die Frage, ob (vor allem antimuslimischer) Rassismus Antisemitismus als hegemoniales Feindbild abgelöst habe, sondern auch darum, ob die Schrecken des Terrors in den westlichen Ländern eurozentristisch überbetont werden bzw. wem für diese die Hauptschuld angelastet werden soll: der islamistischen Ideologie oder vielmehr dem Westen selbst. Mit der Zunahme islamistischer Anschläge (nicht nur in Europa) scheinen sich die Positionen weiter zu verhärten: Antirassistische Perspektiven reduzieren hierbei Antisemitismuskritik mitunter auf täter*innengesellschaftlichen Eurozentrismus, insbesondere indem dessen aktuelle Formen – sei es struktureller, israelbezogener oder islamisierter Antisemitismus – negiert werden. Gleichzeitig werden reaktionäre Einstellungen bei Muslim*innen (bzw. Minderheiten im Allgemeinen) aufgrund einer (zudem paternalistischen) Verklärung von marginalisierten Subjekten gerne ausgeblendet. Antirassistische Kontexte versagen gegenwärtig mitunter auch dabei, die möglichen Widersprüche, Sackgassen und essentialisierenden Fallstricke von identitätspolitischer Standpunkt-Theorie – wie sie etwa in Aufrufen zur Allianzbildung mit „den“ Muslim*innen aufscheint – konsequent zu problematisieren. Ein Faktum, das vom ideologiekritischen Spektrum zu Recht kritisiert wird, mitunter jedoch dazu führt, die Analyse von (antimuslimischem) Rassismus als Generalangriff auf Antisemitismuskritik abzuwehren. Nicht ohne Ironie könnte konstatiert werden, dass die Reaktion von Teilen der antisemitismuskritischen Linken nicht nur hinter die eigene Theorieschule (der Kritischen Theorie) zurückfällt – so erinnern manche der fragwürdigen Koran-Exegesen bzw. des entsprechenden Islam-Bashings wieder vielmehr an die verabsolutierte (Religions)kritik junghegelianischer Prägung, über die Marx seinerzeit so gerne gespottet hat.

Angesichts einer Welt, die global zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint, ist mehr denn je zu befürchten, dass „eine Politik mit der Angst“ (Ruth Wodak) das Potenzial hat, Rechtsextreme in ganz Europa in die Regierungen zu bringen. Es wird Zeit, dass die Linke der grassierenden Kulturalisierung und Ethnisierung sozialer Fragen etwas entgegensetzt – anstatt mitunter noch selbst an ihr teilzunehmen. Dementgegen müsste Ideologiekritik wieder auf die Höhe der Zeit gehoben – und umgekehrt Identitätspolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 42, Frühjahr 2017, „Arbeitstitel Antifa“.

Carina Klammer ist Soziologin in Wien und Teil der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU, www.fipu.at)

 

 

[1] Erwin Riess, Vorwort „Rechtsextremismus“. In: FIPU (Hg.) Rechtsextremismus. Bd. 2: Prävention und politische Bildung, Wien 2016.

[2] Die Totalitarismustheorie begriff sowohl den Nationalsozialismus als auch die Sowjetunion in Bezug auf ihren totalitären Charakter als gleichartig. Sie unterteilt sich jedoch in zwei Paradigmen, jenem auf Hannah Arendt aufbauend und jenem nach Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski. Vgl. Richard Saage, Faschismus: Konzeptionen und historische Kontexte. Eine Einführung, Wiesbaden 2007.

[3] Eric J. Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1997.

[4] Der Begriff des Rechtspopulismus ist in der Forschung nach wie vor äußerst umstritten. Rechtspopulistische Gruppierungen grenzen sich im Gegensatz zum Rechtsextremismus vom historischen Faschismus/Nationalsozialismus ab und sind auch ideologisch weniger verfestigt. Politisch tendenziell nach rechts offen sowie mitunter schlichtweg als Strategie der extremen Rechten sich „moderat“ zu geben, ist ihre Einordnung jedoch mitunter schwierig bzw. als fließend zu betrachten.

[5] Ursula Birsl, Rechtsextremismusforschung reloaded – neue Erkenntnisse, neue Forschungsfelder und alte Forschungsdesiderate, Neue Politische Literatur, Jg. 61, 2016, S. 255.

[6] Problematisch bleibt, dass der Begriff bis heute maßgeblich von der totalitarismustheoretischen Extremismus-Forschung geprägt wird. Diese leitet Rechtsextremismus aus einem allgemeinen Verständnis von Extremismus ab, welches sich vor allem durch seine Kombination aus Verfassungsfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft auszeichnen würde. Hierbei wird einerseits eine Abgrenzbarkeit des Phänomens auf den vielzitierten gesellschaftlichen „Rand“ suggeriert, andererseits werden Unterschiede zwischen linken, rechten und nunmehr auch islamistischen Bewegungen nivelliert.

[7] Heribert Schiedel, Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft, Wien 2007, S. 8.

[8] Vgl. Julia Edthofer, Rassismus- oder Antisemitismuskritik?, 2015, https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/2015/06/20/gastbeitrag-rassismus-oder-antisemitismuskritik-julia-edthofer/.