Dazwischenfunken

Themenschwerpunkteditorial iz3w 360 (Mai/Juni 2017)

Als dem wissenschaftlich interessierten Priester Landell de Moura 1894 in Sao Paulo erstmals die Übertragung menschlicher Sprache per Radiowellen gelang, blieb diese Erfahrung für die avisierten HörerInnen zunächst folgenlos. Die Kirche vernichtete die »Höllenmaschine« und verbannte de Moura. Seit Beginn seiner Geschichte war der Hörfunk also umkämpft.

Nicht lange, nachdem sich zu Beginn der 1920er Jahre Amateure auf der ganzen Welt in »Radio-Clubs« am experimentellen Empfang und Senden beteiligen, formuliert Bertold Brecht seine Radiotheorie: Er spricht von den »zwei Gesichtern« des Radios und proklamiert einen partizipativen Rundfunk. Auch die futuristische Avangarde feiert und mystifiziert die Radiowellen.

Spätestens, als die Nazipropaganda per »Volksempfänger« in Deutschland die Massen aufpeitschte, ist jedoch der ambivalente Charakter des Mediums Radio deutlich geworden. Ob Faschisten oder SozialistInnen, Gewerkschaften oder PrivatunternehmerInnen, es dauerte nur wenige Jahre, bis nahezu alle politischen Lager das Radio zur Verbreitung ihrer Ideologien nutzen. Befreiungsbewegungen von Kuba bis Vietnam, Bergarbeiter in Bolivien oder Indigéna-Organisationen in Surinam, sie alle bauten Sender. Und sie alle gaben so jenem Teil der Bevölkerung eine Stimme, der oft keinen Zugang zu Zeitungen hatte und bei öffentlichen Debatten nicht gehört wurde.

1948 gewährte die internationale Staatengemeinschaft die Garantie, »Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten«. Doch auch heute ist das Recht auf freie Kommunikation – und damit auch das Radiomachen – keine Selbstverständlichkeit: Verfolgung, Mord und Folter von MedienaktivistInnen schränken die Meinungs- und Pressefreiheit massiv ein. Und noch immer haben Radioschaffende vielerorts damit zu kämpfen, dass die legale Vergabe von Frequenzen nur für diejenigen vorgesehen ist, die dafür kräftig zahlen: private Medienmogule.

Weltweit ist das Radio das Medium, das die meisten Menschen erreicht. In Europa verliert der Hörfunk zwar an Zuhörerschaft, aber gerade in Ländern des Südens sind Radiostationen ein sehr wichtiges Mittel der Kommunikation. Eine südafrikanische Universität entwickelte jüngst ein Spracherkennungsprogramm für Acholi und zwei weitere Lokalsprachen in Uganda. Mit deren Hilfe können nun Menschen selbst von entlegenen Dörfern aus über den Äther bei öffentlich geführten Debatten mitreden. Die Empfangsgeräte sind zugleich Sender, die das Radio ganz im Sinne Brechts als partizipatives Medium auch für jene öffnet, die keine schriftlichen Eingaben machen und keine Protestschreiben verschicken können.

Ein Community Radio ist freilich nicht schon per se emanzipatorisch, und nicht jeder Freie Sender hat antirassistische und antisexistische Sprachregelungen in den Statuten stehen. Wann also ist die Aneignung von Kommunikation ein emanzipatorischer Akt? In unserem Dossier fragen wir außerdem: Welche Relevanz hat das Radiomachen heute für die Wahrnehmung des Rechtes auf freie Kommunikation? Sind Freie Radios und Piratensender ein Auslaufmodell, oder sind sie eine Avantgarde? Eine vorläufige Antwort ist in dem »Brief aus der Zukunft von 2020« des Lateinamerikanischen Verbandes für Rundfunkbildung nachzulesen. Dieser berichtet, wie die Community-Medien von morgen funktionieren: Mitbestimmung bei der Nutzung von Radiowellen # Einsatz Freier Software # vernetzte Kooperation auf partizipativen Kommunikationsplattformen.

die redaktion

Das Dossier wurde gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ und aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst.