Entscheidung in Ecuador vertagt

Lenín Moreno muss in die Stichwahl

Das Wahljahr 2017 in Lateinamerika und der Karibik wurde in Ecuador eingeleitet. Die Entscheidung darüber, ob die südamerikanische Linke nach einer Reihe von Niederlagen wieder einen Erfolg feiern kann, wurde jedoch vertagt. Der linke Regierungskandidat Lenín Moreno von der »Alianza País« hat zwar die Präsidentschaftswahl mit 39,35% der Stimmen deutlich gewonnen, muss jedoch am 2. April in die Stichwahl.

Er liegt äußerst knapp unter der 40%-Marke, die ihm mit dem gleichzeitigen Abstand von zehn Prozentpunkten zum Zweiten, den Sieg im ersten Wahlgang gesichert hätte. Auf Platz zwei kam mit 28,11% Guillermo Lasso von der rechten Bewegung »Creando Oportunidades« (CREO). Mit 16,2% landete die einzige Frau unter den acht Kandidaten, Cynthia Viteri, von der Christsozialen Partei (PSC) auf Platz drei. Ex-General Francisco Moncayo von der Parteienallianz »Acuerdo Nacional por el Cambio« wurde mit 6,8% der Stimmen Vierter.

Bei der gleichzeitig stattgefundenen Parlamentswahl erreichte die Regierungspartei Alianza País zusammen mit ihren Verbündeten 73 der 137 Sitze in der Nationalversammlung. Die Wahlbeteiligung, es herrscht Wahlpflicht, lag bei rund 82%. 12,8 Millionen Wahlberechtigte waren an die Wahlurnen gerufen worden.

Darüber hinaus stimmten die Wahlberechtigten mit großer Mehrheit dem Referendum zu, dass künftig öffentlichen Angestellten und Politikern untersagt ist, Geld auf Konten in Steueroasen zu deponieren. Dieses Referendum war nach den Enthüllungen über die »Panama Papers« von der Regierung Correa angestoßen worden. Ecuador versteht sich als ein globaler Vorreiter im Kampf gegen Steuerparadiese und für eine gerechtere Weltwirtschaft.

 

Fortsetzung der »Revolution der Bürger«

Der 63-jährige Wahlsieger Lenín Voltaire Moreno,[1] der Präsident Rafael Correa nachfolgen soll, der das südamerikanische Land zehn Jahre regiert hat und nicht erneut kandidieren konnte,[2] erklärte am Wahlabend, die Ecuadorianer hätten für die Fortsetzung der »Revolution der Bürger« gestimmt. Es ist erklärtes Ziel des Doppelgespanns Lenín Moreno und seines Vize Jorge Glas,[3] die unter Correa initiierte »Bürgerrevolution« fortzusetzen, unter der das Land modernisiert und demokratisiert wurde, mit dem Ziel des »Socialismo del Buen Vivir«.

Wie in anderen Ländern der Region nutzte die »Alianza País« unter Präsident Correa die staatlichen Einnahmen durch den Rohstoffboom zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs von 46 Milliarden US-Dollar in 2007 auf 110 Milliarden in 2016. Experten des Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington führen den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt im Land allerdings nicht allein auf der extraktiven Industrie zurück. Er sei vielmehr das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen und Reformen.

Vor allem im Gesundheitsbereich, im Wohnungsbau, in der Stadtentwicklung und im Bildungsektor sind die Sozialausgaben im vergangenen Jahrzehnt gesteigert worden. Laut CEPR liegt Ecuador mit Ausgaben von 2,1% des BIP in diesem Bereich an erster Stelle der lateinamerikanischen Staaten und sogar über dem Durchschnitt der entwickelten Staaten der OECD. Die Einkommensarmut (Einkommen unter 2,79 US-Dollar täglich, bis Dezember 2015) verringerte sich von 37,6% im Jahr 2006 auf 23,3% im Jahr 2015, sodass 1,5 Millionen Ecuadorianer die Armutsgrenze haben überwinden können.

Hinzu kommt, dass der Zugang zur Sozialversicherung erweitert wurde, was sich in einer verbreiteten Mitgliedschaft von Lohnarbeitern und Nicht-Lohnarbeitern beim Sozialversicherungsinstitut IESS niederschlägt und in der Einführung beitragsunabhängiger Renten für ältere Menschen über das Ministerium für wirtschaftliche und soziale Inklusion. Der Mindestlohn wurde von 160 Dollar (2007) auf 366 Dollar (2015) erhöht und ist damit einer der höchsten in Lateinamerika.

 

Mit antizyklischer Fiskal- und Wirtschaftspolitik gegen die Krise

Die globale Wirtschaftskrise und der Preisverfall für Erdöl machten auch dem Andenstaat zu schaffen. Seit 2015 brachen die staatlichen Einnahmen aufgrund fallender Ölpreise ein. Lag der Preis für ein Barrel Erdöl 2013 noch bei 96 US-$, waren es 2015 nur noch 42 US-$. Dazu kam die Aufwertung des Dollars,[4] Naturkatastrophen wie der Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, Auswirkungen der mit »El Niño« verbundenen Trockenheit und ein Erdbeben, das über den Verlust von Menschenleben hinaus den ökonomischen Preis von 3,5% des BIP für den Wiederaufbau kostete.

Die Lage hat sich zweifelsohne verschlechtert: »In einem konjunkturellen Umfeld abnehmender wirtschaftlicher Dynamik ist die nationale Arbeitslosenrate von 2015 bis 2016 von 4,3 auf 5,2% gestiegen. Nach Angaben der Nationalen Statistik- und Zensusbehörde ging die reguläre Beschäftigung um sieben Prozentpunkte zurück, während sich die Unterbeschäftigung von 14,8 auf 19,4% erhöhte. Dies hatte aufgrund des geringeren Konsums der Haushalte einen Rückgang der Inlandsnachfrage zur Folge«.[5]

Die Regierung von Rafael Correa hat die beiden Krisenjahre mit einer antizyklischen Fiskal- und Wirtschaftspolitik gemeistert und bewiesen, dass eine fortschrittliche Regierung nicht nur in Zeiten hoher Rohstoffpreise, sondern auch in schwierigen Momenten besser zur Steuerung der Wirtschaft fähig ist als ein neoliberales Regime. »Wir haben 2015 und 2016 keine neoliberalen Politiken angewandt, sondern das Gegenteil, wir haben das 2007 eingeleitete progressive Entwicklungsmodell vertieft«, erklärt Ecuadors Außenminister Guillaume Long.

Die härteste Etappe der wirtschaftlichen Rezession scheint ihren Höhepunkt erreicht zu haben, die Wirtschaftsindikatoren haben sich Ende 2016 tendenziell stabilisiert und verbessert. Dazu beigetragen haben der seit Juni 2016 wieder leicht gestiegene Ölpreis sowie die Aufnahme von Krediten, die der Regierung im zweiten Halbjahr mehr Handlungsspielraum verschafften.[6] Jeannette Sánchez, Professorin für Makroökonomie an der Universiade Central von Ecuador, plädiert deshalb weiterhin für die Anwendung intelligenter Anpassungsmaßnahmen, die den Wirtschaftszyklus nicht negativ verschärfen, sondern ausgleichen und im sozialen Bereich nicht zu Rückschritten führt.

Auf struktureller Ebene verlangt die Spezialisierung auf die Produktion von Rohstoffen und ihren Export, mit hoher Abhängigkeit von einigen wenigen Rohstoffen wie dem Erdöl, künftig eine dauerhafte produktive Umgestaltung. Es ist notwendig, »die Einnahmen aus dem Extraktivismus zu nutzen, in unserem Fall des Erdöls, um sie in Sektoren zu investieren, die es uns ermöglichen, aus dem Extraktivismus herauszukommen.« (Guillaume Long) Ecuador soll sich von einem Land der Ressourcenökonomie zu einer Wirtschaft entwickeln, die Wissenschaft produziert und verwertet.

Für den zweiten Wahlgang am 2. April werden die Allianzen entscheidend sein. Für Lenín Moreno stellt sich die Frage, ob er sich über die 50%-Marke steigern kann. Auf jeden Fall ist er auf die Unterstützung kleinerer Parteien angewiesen, wie die traditionelle »Izquierda Democrática«, die sich in der Vergangenheit zu einem Auffangbecken für unzufriedene ehemalige Regierungsanhänger entwickelt hat. Allerdings erklärte der frühere General und Bürgermeister von Quito, Paco Moncayo, in einer ersten Stellungnahme, dass er in der Stichwahl keinen der beiden Kandidaten unterstützen werde. Doch seine gut 600.000 WählerInnen werden sich entscheiden müssen, ob sie die Rechte wieder an die Macht bringen wollen.

Dagegen hakt sich die Rechte unter. Die unterlegene Cynthia Viteri (PSC) erklärte bereits am Wahlabend: »Wir werden Guillermo Lasso wählen«. Fraglich ist allerdings, ob sich die Stimmanteile der ausgeschiedenen KandidatInnen wie eine simple Addition hinter dem Zweitplatzierten von der CREO einfach zusammenfügen.

Fakt ist: Der Ausgang der Stichwahl am 2. April entscheidet sowohl über die Verhinderung der angestrebten neoliberalen Wende und über die Fortsetzung der »Revolution der Bürger« in Ecuador, einer Politik, die weiterhin der Bevölkerung dient und nicht – wie früher – »der Oligarchie, den Eliten und dem Imperialismus« (Moreno). Ein Sieg der Linken in Ecuador würde den Linkskräften auf dem ganzen Kontinent Mut machen und neuen Auftrieb geben.

 

[1] Lenín Moreno, von 2007 bis 2013 Vizepräsident, der seit einem Raubüberfall 1998 auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat als erster in Ecuador eine Politik für Menschen mit Behinderung angestoßen. Er gründete die »Solidaritätsmission Manuela Espejo«, in deren Rahmen Spezialisten in alle Landesteile entsandt wurden, um zu untersuchen, wie viele Menschen mit Behinderungen es überhaupt gibt und welche Bedürfnisse sie haben. In der Folge erhielten Tausende zum ersten Mal medizinische Betreuung und wirtschaftliche Unterstützung.
[2] Das Parlament hatte im Dezember 2015 eine Verfassungsreform beschlossen und die bisherige Amtszeitbeschränkung aufgehoben. Die Änderung tritt jedoch erst im kommenden Mai in Kraft und gilt damit weder für Rafael Correa noch für die 2013 gewählten Abgeordneten.
[3] Jorge Glas war zuletzt Vizepräsident von Ecuador und davor u.a. Minister für Telekommunikation und Informationsgesellschaft.
[4] Die Währung in Ecuador war der Sucre. Da diese Währung durch hohe Inflation und starken Wechselkursverfall geprägt war, schaffte die Regierung im Jahr 2000 den Sucre ab und ersetzte ihn durch die Fremdwährung US-Dollar.
[5] Manuela Celi Moscoso: Ecuador: Eine Epoche geht zu Ende. Friedrich Ebert Stiftung Februar 2017, http://library.fes.de/pdf-files/iez/13190.pdf
[6] Die Regierung brachte von Juli bis Dezember 2016 Staatsanleihen in Höhe von 2,75 Milliarden US-$ auf den Markt. Zusätzlich nahm sie in China Kredite in Höhe von zwei Milliarden US-$ auf und beim IWF einen Kredit über 364 Millionen US-$. Daneben verschaffte der Verkauf von Ölfeldern und noch zu förderndem Öl kurzfristig Luft. So bekam das Finanzministerium von einer staatlichen thailändischen Gesellschaft sowie einer aus Oman frisches Geld in Höhe von 1,545 Milliarden US-$, die in den kommenden anderthalb bis fünf Jahren mit Öllieferungen zurückgezahlt werden müssen.