"Mutters Blut, Kindes Schicksal"

Die Ankündigung des Biotechnologieunternehmens LifeCodexx im April 2011, einen PraenaTest zur Verfügung zu stellen, wurde von einer breiten medialen Berichterstattung flankiert. Die Problematisierungsweisen dieses Mediendiskurses sagen nicht nur einiges über die gesellschaftliche Wahrnehmung des neuen Verfahrens aus, sie haben sie auch mitstrukturiert.

 

Mediendiskurse bilden gesellschaftliche Ereignisse nicht ab, sondern sind daran beteiligt, hervorzubringen, was als „Wirklichkeit“ zählt.(1) Es ist deshalb aufschlussreich, sich der „antizipatorischen“ Debatte in dem Jahr vor der Einführung des PraenaTest zuzuwenden. In unserem diskursanalytischen Forschungsprojekt untersuchten wir die Berichterstattung über die geplante Einführung des Bluttests in der Frankfurter Rundschau (FR), der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und Sonntagszeitung (FAS), dem Spiegel und der ZEIT.(2) Welche Argumentationslinien wurden in der Berichterstattung der so genannten Qualitätspresse verfolgt? Wie wurden hierbei „Fortschritt“, „Behinderung“ und Schwangere/werdende Eltern thematisiert?

 

In der gesamten Berichterstattung lassen sich drei grundsätzliche Tendenzen beobachten: Erstens wird der Test vor dem Horizont der neuen technischen Möglichkeit verhandelt, das fetale Genom über das Blut der Schwangeren zu sequenzieren, und er wird als erste konkrete Ausgestaltung zukünftiger möglicher Anwendungsweisen wie etwa der Ausweitung auf die Trisomien 13 und 18 oder der Testung aller möglichen genetischen Besonderheiten bei Ungeborenen präsentiert. Dabei wird das Verfahren nahezu immer in eine Zukunft gestellt, für die eine dramatische Veränderung von Schwangerschaft und Pränataldiagnostik vorausgesagt wird.

 

Zweitens werden die gesellschaftlichen Auswirkungen aus dem technisch Neuen und Innovativen des Bluttests abgeleitet und mit Fragen der ethischen Verantwortung von Eltern und Schwangeren, des Umgangs mit Behinderung und der Bedeutung reproduktiver Selbstbestimmung verknüpft. Einhellig geteilt wird die Auffassung, dass der Test eine einfachere und risikoärmere Alternative zur Fruchtwasseruntersuchung ist, und von dieser Prämisse ausgehend wird die Entwicklung ambivalent bewertet: Einerseits risikoärmer, lasse der Test andererseits befürchten, dass mehr Abtreibungen vorgenommen werden und es zu Selektion komme.

 

Drittens dreht sich die Berichterstattung um politisch-rechtliche Fragen und das Zulassungsverfahren: Angestoßen von einer Verbotsforderung durch den damaligen Behindertenbeauftragten der Bundesregierung Hubert Hüppe (CDU) im Juli 2011 wird über Rechtsgutachten und über die Auffassung der Landesregierung Baden-Württemberg berichtet, für ein Verbot gebe es keine gesetzliche Grundlage.(3)

 

„Revolutionärer“ Fortschritt

 

Der Test beziehungsweise die neuen Möglichkeiten der fötalen genetischen Testung werden als einschneidende technische Innovation und als revolutionäre Neuerung präsentiert.(4) Insbesondere in ZEIT und FAZ wird das Bild eines unaufhaltsamen „galoppierenden“ Fortschritts gezeichnet, der der gesetzlichen Kontrolle und politischen Regelung bedarf.(5)

Dabei werden oft Befürchtungen geäußert: Von einer Verstärkung der Selektionslogik ist die Rede, von einer Schwangerschaft unter Vorbehalt, die Standard wird, von einer Erhöhung der Abtreibungszahlen, von einer nachhaltigen Veränderung der Praxis pränataler Diagnostik und vom Ende der Fruchtwasseruntersuchung als gängigstem Verfahren. Zu nahezu allen dieser Prognosen finden sich in der Berichterstattung aber auch Gegenstimmen: Der Bluttest stelle im Vergleich zu der derzeit praktizierten Nutzung pränataler Diagnostik keine absolute Neuerung dar, die Abtreibungszahlen würden sich nicht signifikant erhöhen, und auch die Fruchtwasseruntersuchung werde nicht ersetzt.

 

Heiliger Gral und Menetekel

 

Die in der Berichterstattung verwandte Sprache zeichnet sich durch eine bildreiche Darstellungsweise aus, die eine Dramatisierung des Sachverhalts bewirkt. So werden Begriffe benutzt wie „Schicksal“, „Prophetie“, „Offenbarung“, „Menetekel“ oder „Heiliger Gral der Genomanalyse“.(6) Auffällig ist, dass das Blut der Schwangeren als symbolisch aufgeladene Substanz und als Ort von Wahrheit und Schicksal dargestellt wird, wie zum Beispiel in folgenden Überschriften: „Perfektion liegt in der Luft und im Blut“, „Mutters Blut, Kindes Schicksal“ oder „Was Mutters Blut verrät“.(7)

Die metaphorische Darstellungsweise eröffnet das Szenario einer Bedrohung durch übermäßige Kontrolle. Als übermäßig kontrolliert wird das fötale Erbgut beziehungsweise das Ungeborene dargestellt: „Die neuen Checklisten für das Ungeborene“, „pränataler Persönlichkeits-Check“, „Inspektion des werdenden Lebens“ oder „Prüfungsimperativ“.(8) Sehr häufig taucht die Metapher der „Durchleuchtung“ des fötalen Erbguts auf. Als bedrohlich wird auch die Masse an genetischen Informationen dargestellt, die durch die neuen Technologien verfügbar ist. Diese Darstellungsweise ist in der Metapher der Flut gebündelt: Im Blut der Schwangeren „treiben“, „schwimmen“ oder „driften“ Massen an genetischen Informationen über den Fötus.(9)

Die Naturkatastrophe beginnt mit der Ankündigung des Bluttests als „Donnerschlag“, es wird eine „Lawine an molekularen Embryodaten“, eine „Flut von neuen Gentests an Föten“ oder eine „heranrollende Flut genetischer Informationen“ freigesetzt.(10) Auch durch die Metapher des „ethischen Dammbruchs“ wird - über das Bedeutungsfeld der durch den Damm aufzuhaltenden Flut - die Bedrohlichkeit des neuen Tests beschworen.

 

Einseitige Darstellung des Down-Syndroms

 

Der am häufigsten verwendete Satz lautet, dass Trisomie 21 zu geistigen Behinderungen und körperlichen Auffälligkeiten führt. Selten wird darauf hingewiesen, dass die Ausprägungen sehr unterschiedlich sein können und die körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine weite Spannbreite aufweisen. Oftmals wird auch nur die biologische Ebene angesprochen und das Down-Syndrom als „schwere Chromosomen-Anomalie“ oder „genetische Auffälligkeit, die auch Trisomie 21 heißt“, bezeichnet.(11) FR und ZEIT verwenden Infoboxen, in denen über das Down-Syndrom informiert wird - allerdings nur hinsichtlich seines statistischen Auftretens in der Bevölkerung, seiner genetischen Eigenschaften und klinischen Entdeckungsgeschichte. Nur in wenigen Beiträgen, zum Beispiel in SZ und ZEIT, wird ausführlich auf mögliche Auswirkungen der Trisomie 21 eingegangen und das Leben mit Kindern mit Down-Syndrom geschildert. Hier wird darauf verwiesen, dass die Beeinträchtigungen sehr unterschiedlich sind, Menschen mit Down-Syndrom dank guter Förderung und medizinischer Betreuung 60 Jahre und älter werden können und Schulabschlüsse erwerben. Dass Menschen mit Down-Syndrom über Eigenschaften wie Offenheit, Wärme, Neugier et cetera verfügen und das Leben mit ihnen gewinnbringend und beglückend ist, heben lediglich einige Leser_innenbeiträge hervor.

Menschen mit Down-Syndrom, Selbsthilfeorganisationen, Familien und Schwangere werden nicht als „Expert_innen“ positioniert, das heißt sie werden selten bis gar nicht direkt befragt. Zitiert werden in der Berichterstattung Expert_innen aus Humangenetik, Politik oder Ethik oder sie kommen als Vertreter_innen der Kirchen oder der Ärzteschaft zu Wort.

 

Verantwortlich für Selektion und Abtreibung ...

 

Die Thematisierung von Eltern und Schwangeren erfolgt in Bezug auf die gesellschaftlichen Folgen der Nutzung des Tests. Ihnen wird implizit - insbesondere in der FAZ - eine Art Hebelfunktion bezüglich Anwendung und Auswirkungen des Tests zugeschrieben und die ausschließliche Verantwortung für den Umgang mit dem technisch Möglichen zugewiesen: „Die Eltern haben nun die Wahl, niemand sonst“.(12) Diese Betonung des elterlichen Rechts auf Wahlfreiheit ist verbunden mit der Befürchtung, dass der Test missbräuchlich oder unreflektiert genutzt werden könnte. Eltern werden als individuell verantwortlich für Selektion und steigende Abtreibungszahlen präsentiert.

Zudem wird - meist implizit - eine unangemessene Anspruchshaltung unterstellt: Eltern würden „alles“ wissen wollen, dieses Wissen nutzen, um ein Kind nach ihren Vorstellungen zu bekommen und damit ihre „biohedonistischen Wunschträume“ verwirklichen.(13) Insbesondere die Schwangere wird oftmals als egoistisch dargestellt und eine Konkurrenz zwischen ihren Interessen und denen des Kindes behauptet. So etwa im Sommer 2012: Im Zuge der Diskussion um ein Verbot des PraenaTest wird - ebenfalls in der FAZ - bedauert, dass Mütter aus „eigenem Interesse“ nicht gegen den Test klagen würden, während „die Embryonen nicht in der Lage [seien] zu klagen“.(14)

 

... und Opfer des

pränataldiagnostischen Systems

 

Auf der anderen Seite finden sich auch Beiträge, in denen Schwangere und Eltern entlastet und gegen den impliziten Vorwurf verteidigt werden, an steigenden Abtreibungszahlen und Selektion schuld zu sein. Es wird argumentiert, dass Frauen nicht leichtfertig abtreiben, dass Schwangere „Opfer“ des medizinischen Systems der Pränataldiagnostik seien und dass sie durch Ärzte schlecht beraten und aufgeklärt würden. Zudem existiere sozialer Druck, die vorhandenen Tests durchzuführen und bei einem auffälligen Ergebnis abzutreiben. Ebenso wird vermutet, dass werdende Eltern und Schwangere durch das neue Testangebot überfordert sein könnten.

Eher selten ist der Verweis auf die Rahmenbedingungen der Erziehung und die „besonderen Herausforderungen“ des Alltags mit Kindern mit Down-Syndrom.(15) Die SZ thematisiert als einzige Zeitung, dass es schwer ist, Hortbetreuung für Kinder mit Behinderung zu erhalten. Geradezu marginalisiert ist die - allein in der FR zu findende - Aussage, dass Frauen ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung haben und der Zugang zur Abtreibung einen gesellschaftlichen Konsens darstellt.

 

Leerstellen der Berichterstattung

 

Im Ergebnis können wir feststellen, dass sowohl die Thematisierung wie auch die Kritik möglicher Folgen der Einführung des Tests verschränkt ist mit einem Diskurs über die moralische Legitimität des Schwangerschaftsabbruchs und der reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen. Mehrheitlich flankiert eine individualisierende Perspektive auf Schwangere (und Eltern) die Kritik an der Selektionslogik des Tests. Aufgrund ihrer Entscheidungsspielräume bei dessen Nutzung und bezüglich der Fortführung der Schwangerschaft wird ihnen die Verantwortung für die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des Verfahrens zugeschrieben. Der gesellschaftliche Kontext reproduktiver Entscheidungen, etwa das Leben in Familie oder das Leben von Menschen mit Behinderung, findet dagegen keine Berücksichtigung. Damit einher geht eine höchst reduzierte Darstellung der lebensweltlichen Ausprägungen des Down-Syndroms.

Zu erwähnen bleiben noch jene Leerstellen, die weniger augenfällig sind: Zwar werden in der Berichterstattung über die abzusehende Einführung des PraenaTest metaphernreich Naturgewalten bemüht, Interessen von Wirtschaftsunternehmen oder der an der Einführung beteiligten Profession der Ärzteschaft dagegen finden in der Berichterstattung keine Berücksichtigung. Gänzlich beiseitegelassen bleibt zudem die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Es sind in der Regel Frauen, die die Sorge- und Pflegetätigkeiten für Kinder übernehmen.

Diese geschlechtsspezifische Verteilung von Fürsorgearbeit als materielle Rahmenbedingung des Eltern-Werdens von „atypischen“ Kindern nicht auszublenden und einen kritischen Blick auf die ökonomischen Profiteure und auf die institutionellen Bedingungen der Entwicklung und des Angebots der neuen Bluttests zu richten, und zwar ohne die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen in Frage zu stellen, ist angesichts der tatsächlichen und vor allem der noch zu erwartenden Verbreitung des Verfahrens mehr denn je notwendig.

 

Eva Sänger ist Soziologin und arbeitet am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt zu pränataler Elternschaft und Ultraschalldiagnostik.

 

Fußnoten:

(1)  Jäger, Siegfried (2009): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster, S. 37.

(2)  Zwischen dem 01.01.2011 und dem 01.10.2012 wurden 220 Online- und Printartikel analysiert, neun davon waren Leser_innenbeiträge.

(3)  Hüppe stützte sich auf ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Ferdinand Gärditz, welches in der Einführung des Bluttests einen Verstoß gegen das Gendiagnostikgesetz und gegen Artikel 3 des Grundgesetzes sah, das kurz darauf im Auftrag von Lifecodexx von dem Rechtswissenschaftler Friedhelm Hufen verfasste Rechtsgutachten stellte das Gegenteil fest. Baden-Württemberg äußerte sich zu der Verbotsforderung aufgrund seiner formalen Zuständigkeit: Dort hat LifeCodexx seinen Sitz.

(4)  Innovativität wird dabei übereinstimmend an der Nicht-Invasivität, Risikolosigkeit und Handhabbarkeit des Verfahrens festgemacht.

(5)  FAZ 09.06.12.

(6)  ZEIT 18.08.11; 11.08.11; ZEIT Online 07.06.12; FAZ 21.08.12; FR-Online 07.06.12.

(7)  FAZ 08.03.11; 13.03.11; ZEIT 16.05.12.

(8)  FAZ 27.07.11; 09.06.12; ZEIT 06.05.12; FR 06.09.11.

(9)  FAS 10.06.12; FR 06.07.12 und andere; ZEIT 11.08.11.

(10)  ZEIT Online 07.06.12; FAZ 09.06.12; FAZ 08.03.11; ZEIT 11.08.11.

(11)  FAZ 08.03.11; SZ 06.07.12.

(12)  FAS 13.03.11.

(13)  FAZ 09.06.12.

(14)  FAZ 11.08.12.

(15)  FAZ 05.09.12 und Leser_innenbrief, FAZ 05.09.12.