„Wichtiger als die Herkunft von Ratingagenturen, ist, dass sie private Unternehmen sind“

Gespräch mit dem isländischen Ex-Finanzminister über die Möglichkeiten progressiver Politik in Zeiten des Ratings.

Während der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass die Bewertung durch Ratingagenturen einen erheblichen Einfluss auf die Politik ganzer Staaten haben können. Dabei kann die Drohung mit Herabstufungen tatsächlich ein Mittel sein, z.B. progressive Gesetzgebungen zu verhindern. Andererseits kann der Verweis auf Ratingagenturen auch genutzt werden, um diese gar nicht erst angehen zu müssen. Wir haben mit Steingrímur Jóhann Sigfússon dem ehemaligen Vorsitzenden der Links-Grünen Bewegung (Vinstrihreyfingin – grænt framboð) Island und Finanzminister von 2009 bis 2011 über die Macht der Ratingagenturen und seine Erfahrungen mit ihnen gesprochen.

Steingrímur Jóhann Sigfússon, als isländischer Finanzminister hattest Du verschiedene Gespräche mit Ratingagenturen. Welche Erfahrungen hast Du mit dabei gemacht.

Alles in allem kann ich mich über den Austausch mit den Ratinagenturen nicht beschweren, die drei Großen, die Island bewerten, waren Standard & Poor’s , Moodys und Fitch. Sie wurden von kompetenten Leuten vertreten, mit denen man auch persönlich diskutieren konnte. Eine unserer großen Herausforderungen während der Krise in Island waren zwischen 2008 und 2009 das Rating Islands zu verteidigen. Dies ist uns abgesehen von einer kurzen Zeitspanne zu Beginn des Jahres 2009, in der wir von Fitch wegen der Debatte um die Insolvenz der Icesave-Bank herabgestuft wurden, auch gelungen.

Dies war eine anspruchsvolle Aufgabe, da wir weiter den Status eines negativen Ausblicks behielten und in der Risikodatei blieben. Nicht nur die Mitarbeiter der Zentralbank hatten unzählige Treffen mit den Agenturen, sondern auch der Wirtschaftsminister und ich als Finanzminister. Wie alle anderen auch, versuchte ich den Ratingagenturen das Gesamtbild, die Stärke Islands als entwickeltes, modernes Land mit guter Infrastruktur, vielfältigen Rohstoffen, einem voll finanzieren Rentensysten zu vermitteln. Ich glaube, dass es kurzsichtig ist, Island und jedes andere Land auch nur in Hinblick auf eine temporäre Sitution hin zu beurteilen, auch wenn diese düster aussieht.

Wenn man sich die Bewertungen Islands durch die Ratingagenturen anschaut, ist das Ergebnis in beide Richtungen negativ. Während der Boomjahre 2004-2007 tat es Island nicht gut, dass das Land und insbesondere die Banken so positiv bewertet wurden. Wie sich herausstellte, waren sie definitiv überbewertet. Nach der Krise und zwar bis heute, sind wir, wie ich fest überzeugt bin, unterbewertet.

 

Alle einflussreichen Ratingagenturen sitzen in den USA. Wie bewertest Du die Forderung nach europäischen Ratingagenturen.

Viel wichtiger als die Frage, wo die Agenturen herkommen, ist, dass es sich um private Unternehmen handelt, die im Auftrag von Kunden unter dem Druck verschiedener Lobbys ein Geschäft führen. Die Macht und der der Einfluss, den sie geschaffen haben, wird kaum kontrolliert. Die jüngsten Regelungen z. B. zu Veröffentlichungsfristen sind besser als nichts, sind aber nicht sonderlich weitgehend. Neben dem Faktor Wissen ist der persönliche Aspekt nicht zu vernachlässigen. Von jemandem aus der Ferne und mit beschränkter Einsicht bewertet zu werden, kann definitiv ein Problem sein. Ich glaube nicht, dass alle gleich sind. Meiner Erfahrung nach, sind manche Agenturen impulsiver als andere. Aber ich wäre vorsichtig hier Namen zu nennen.

Eine Europäische Agentur ist keine schlechte Idee, wir sollten uns aber auch fragen, ob wir all die Institutionen wie OECD oder IWF brauchen, die jährlich oder noch häufiger Länderberichte und Berichte über die Wirtschaftsentwicklung im Allgemeinen veröffentlichen.

 

Von außen erscheint es, als würden Ratingagenturen grundsätzlich sozial orientierte Politikansätze bestrafen und lediglich rein neoliberale Ansätze belohnen. Kannst Du das bestätigen?

Die Ratingagenturen sind, was sie sind – ein integraler Bestandteil der neoliberalen Marktordnung. Sie haben sich während der Boomjahre eindeutig mitreißen lassen und jede Kritik an ihren Modellen abgewehrt. Ich würde sogar so weit gehen, dass sie das neoliberale Modell begeistert bevorzugen und es scheint, als habe dies ihr Urteilsvermögen getrübt. Haben sie ihre Lektion gelernt? Es ist wahrscheinlich zu früh das zu beurteilen, ich fürchte aber, dass es nicht so ist.

 

Ob beabsichtigt oder nicht, die Drohung mit dem Verlust eines guten Ratings funktioniert wie Erpressung. Warum ist ein gutes Rating so bedeutsam für ein Land?

Das Problem ist, dass die Wahrscheinlichkeit in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung die Wahrscheinlichkeit mit einer Herabstufung bedroht zu werden, am größten ist. Also genau dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Sein Rating zu verteidigen ist meist Teil eines größeren Prozesses. Eine Herabstufung ändert faktisch garnicht so viel, letztlich zählt der Markt und nicht die Ratingagentur. Sie dämpft den Optimismus, verringert das Vertrauen in die Zukunft und wirkt als weiterer Schlag, sie wirkt sich negativ auf die Moral und den Kampfgeist aus. Aber wie ich bereits zuvor sagte, positive Ratings auf mangelhafter Grundlage können genauso verheerende Wirkung haben. So lange es Ratings gibt und so lange sie beträchtlichen Einfluss haben, sollten sie gut begründet sein und auf soliden Kenntnissen beruhen. Sie sollten nicht zu kurzsichtig, nicht zu oberflächlich sein. Wenn sie zudem, was zuweilen der Fall ist, noch politisch verzerrt sind, macht es das noch schlimmer.

In welchem Ausmaß sind Regierungen von den Einschätzungen der Ratingagenturen abhängig? Gibt es zumindest theoretisch mögliche Formen des Widerstands?

Ich würde es nicht so ausdrücken, dass Regierungen direkt von den Argumentationen der Agenturen abhängig sind. Sie sind aber auch nicht immun gegen sie. Sagen wir es so: Ratingagenturen zählen die Risiken von Ökonomien in Schwierigkeiten auf. Sie mögen mit vielen Dingen, die sie aufzählen auch recht haben, aber in anderen eben nicht. Sie haben wohlmöglich genauso eine Tendenz Risiken auf Märkten hervorzuheben und andere zu übersehen, wie die, kurzsichtig zu sein. Der beste Weg ist meines Erachtens, absolute Neutralität, gründliche Argumentationen und Professionalität zu verlangen und klar zu machen, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Beste Grüße und viel Glück für DIE LINKE.

 

Das Gespräch führte Katja Kipping, die Übersetzung besorgte Stefan Gerbing.