Weniger als die Bäckerei heißt immer noch Ausbeutung

Ein Interview zur Idee des Union Labeling und seiner Bedeutung in den USA

Zum Thema Union Label führte die DA ein Interview mit Mike Harris. Mike lebt in den USA und ist in der anarcho-syndikalistischen Workers Solidarity Alliance (WSA) organisiert.

Die Gewerkschaftsbewegung der USA blickt ja auf eine lange Geschichte des Union Labeling zurück. Sie nahm 1869 mit dem Kampf der Handwerker für einen 8-Stunden-Tag ihren Anfang. Kannst Du uns erzählen, was damals unter Union Labeling zu verstehen war und welche Ziele und Hoffnungen mit der Idee verknüpft waren?

Der Gebrauch von Gewerkschaftslabels hat eine lange Tradition. Die London Blacksmiths nutzen sie im 16. Jahrhundert ebenso wie die Guild Masters of Stone & Wood in Florenz seit dem 14. Jahrhundert. In den USA nutzt die Liga der kalifornischen Zimmerleute seit 1869 das Union Label. Sie hinterließen auf dem Material aus allen „8-Stunden-Sägewerken“ einen Stempel. So konnte die Verwendung von Material aus „10-Stunden-Sägewerken“ verhindert werden. Seit 1874 verbreiteten die ausgebeuteten Zigarrenmacher das Union Label auf allen Zigarren, die unter hygienischen und gewerkschaftlichen Bedingungen hergestellt wurden. Die Gewerkschaft der vereinigten TextilarbeiterInnen folgte den Zigarrenmachern ebenso wie die Hatters Union, die Horseshoe Workers Union, die Metallarbeiter und viele andere HandwerkerInnen. 1920 waren es um die 50 Gewerkschaften, die das Union Label unterstützten. Aber in einem rassistischen und ausländerfeindlichen Amerika erstreckte sich der Alltagsrassismus auch auf die meist konservativen Handwerker-Gewerkschaften. Das Union Label wurde häufig als Garantie für nicht „chinesische Arbeit“ beworben. Die Zigarrenmacher verwendeten in Kalifornien neben dem Union Label auch ein White Label, um die „weiße Herkunft“ der Produkte anstelle der chinesischen zu betonen, da viele Chinesen im Zigarrenhandwerk tätig waren. Häufig wurde das Union Label zum Symbol für kapitalistische Bosse, von den korrupten und kollaborierenden Gewerkschaftsbossen zu kaufen. Dennoch hielten FabrikarbeiterInnen beim Einkauf nach dem Union Label Ausschau, auch wenn es Geld in den Taschen der Ausbeuter und denen der korrupten Gewerkschaftsbürokraten bedeutete. Dennoch waren Union Labels ein Weg, die Öffentlichkeit wissen zu lassen, dass ein Produkt unter hygienischen Bedingungen in Fabriken und nicht in gemieteten Wohnungen, ohne Kinderarbeit, Nachtarbeit und zu fairen Löhnen hergestellt wurde. Auch die Industrial Workers oft the World (IWW) übernahmen nach ihrer Gründung 1905 die Praxis des Union Labeling. Dies allerdings zunächst nicht ohne Kontroversen. Einige Mitglieder befürchteten Missbrauch und Korruption, wie bei den Labels der AFL.

Der gewerkschaftliche Dachverband AFL-CIO wirbt auch aktuell noch für den Kauf von gelabelten Produkten und Dienstleistungen. Kannst Du uns etwas zu der Entwicklung der Idee im Zeitalter der Industrialisierung erzählen? Haben sich die mit dem Union Labeling verbundenen Ideen oder Strategien seit damals verändert?

Die AFL-CIO hat ein Union-Label-Ressort, das Union Labels auf gewerkschaftlich hergestellten Produkten fördern soll. Aber dessen Webseite ist alt und wird nicht aktualisiert. Ein Schwerpunkt der Werbeaktivitäten und die größte Wirkung erzielt das Union Label auf den Gewerkschafts-Industrie-Shows. Das sind große Messen, auf denen Gewerkschaftsmitglieder quasi die VerkäuferInnen für ihre kapitalistischen Ausbeuter sind. Einzelgewerkschaften fördern das Union Label ebenfalls, aber nicht so stark wie in der Vergangenheit. Die International Ladies Garment Workers Union (ILGWU) hat in den 1970ern und 80ern Millionen von Dollar für das Design eines Union Labels in der Frauen-Bekleidungsindustrie ausgegeben. Diese Kampagne war ein Irrtum: Die meisten Jobs der US-Bekleidungsindustrie sind Richtung globaler Süden verschwunden. Wir sind alle vertraut mit der schrecklichen Situation der ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie Bangladeschs.

Interessant ist auch, dass in vielen größeren Städten und in Gegenden der Bergbauindustrie, wie in Butte, Montana, das Union Label ebenfalls ein sehr wichtiges Symbol war. In den Vierteln der ArbeiterInnen bedeutete das Union Label in den Fenstern der lokalen Fleischer, Bäckereien, Cafés, Restaurants, Bars oder Einzelhandelsgeschäfte eine wichtige Unterstützung für den Lebensunterhalt sichernde Gehälter und gute sanitäre Bedingungen. Für die Besitzer war das Union Label hilfreich, wenn sie Geschäfte mit der ArbeiterInnenklasse machen wollten und für Gewerkschaften ein Weg, ihre Organisation in der Nachbarschaft von Mitgliedern zu vergrößern. Heute ist das kaum mehr zu sehen. Und du wirst das Union Label heute auch kaum mehr auf frischem Brot finden, wie noch zu der Zeit als ich aufwuchs. Ich bin sicher, dass die Idee des Union Labels immer noch die gleiche ist wie am Anfang. Die Strategien haben sich natürlich geändert. Gewerbeshows haben eine zunehmend geringere Bedeutung. Vielleicht kann die Webseite labor411.org zur Frage der Strategien weiter helfen. Aber ein Union Label auf einer immer kleiner werdenden Anzahl von Produkten bewirkt wenig. Gerade mal 7% aller privatwirtschaftlichen Arbeitsplätze sind gewerkschaftlich organisiert. Nur der öffentliche Bereich hat mehr Gewerkschaftsmitglieder.

Welche Rolle spielt das Thema der globalisierten Produktion für die Idee des Union Labels?

Ich glaube, solange es keine starke globale gewerkschaftliche Vereinigung und Schulungen über das Union Label gibt, hat die Idee keine Zähne. Es stellt sich auch die Frage, ob das Union Label dasselbe ist, wie ein Sweat-Free- oder Fair-Trade-Label. Und was heißt dann das Gewerkschafts-Label? Es kann bedeuten, dass die Chefs ein paar Pfennig oberhalb des Minimums zahlen, zwei saubere Toiletten anstelle einer verdreckten dort sind und dass Jungs und Mädchen im Alter von 14 anstatt mit acht oder zehn Jahren beschäftigt werden. Auch wenn das für einige bessere Bedingungen bedeutet, sind diese von geringer Bedeutung. Es besteht also die Gefahr, dass wir durch die Labels betrogen werden. Verbesserungen der Bedingungen der ArbeiterInnenklasse unterhalb einer Revolution sind zwar wichtig und wir müssen sie unterstützen, denn zu wissen, dass ein Produkt aus den Händen von GewerkschafterInnen stammt ist gut, aber nicht das Einzige. Das gilt nicht nur für den globalen Süden, sondern auch für den Rest der Welt.

Wie sieht die aktuelle Praxis des Union Labelings aus?

Um ehrlich zu sein: Solange Du nicht Mitglied einer Gewerkschaft oder einer organisierten Familie bist, siehst und hörst Du nicht viel vom Union Label. Hauptsächlich auf Gewerkschaftswebseiten und früher auch Gewerkschaftszeitungen sind Aufforderungen wie „Be Union – Buy Union“ und Listen von Produkten, die von anderen Gewerkschaftsmitgliedern hergestellt wurden, zu finden. Man sollte sich keine Illusionen über die aktuelle Situation des Union Labels in den USA machen. Es ist so am Leben, wie die Gewerkschaftsbewegung selber – meiner Meinung nach mehr als halb tot!

Du bist ja in der WSA organisiert. Welche Erfahrung hat die WSA oder die nahestehende IWW mit der Strategie des Union Labeling gemacht und wie bewertet ihr die Strategie?

Nur zur Klarstellung, die WSA ist keine Gewerkschaft. Wir sind und waren immer eine spezielle anarcho-syndikalistische Organisation. Unsere Mitglieder gehören den Mainstream-Gewerkschaften ebenso an wie der IWW oder auch keiner Gewerkschaft. Entsprechend verfügen wir nicht wirklich über Erfahrung mit dem Union Label im organisationalen Sinn. Natürlich drucken wir bei gewerkschaftlich Organisierten und wir wollen immer ein Label, ein sogenanntes „bug“ auf dem Produkt sehen. Auf der anderen Seite blickt die IWW auf eine lange Geschichte des Union Labelings zurück. Das Union Label der IWW ist hauptsächlich im Druckereisektor zu sehen. Unklar ist mir die Strategie, die die IWW verfolgt, ihr Label über diesen Sektor hinaus zu bewerben. Aber ich hoffe, dass sie mit ihren Erfolgen im Lebensmitteleinzelhandel und in der Getränkebranche eine Platzierung von Schildern in allen Ladenfenstern, auf denen das rote IWW-Logo und ein Spruch wie „dieser Shop ist ein IWW-Shop“ zu sehen ist, anstrebt. Das wäre cool! Die Realität ist, dass die meisten Mitglieder der WSA und IWW wahrscheinlich nach dem Union Label auf den Dingen, die sie kaufen, Ausschau halten. Wahrscheinlich gilt das auch für Fair-Trade-Produkte. Alles in allem können wir nur hoffen, dass dort gute gewerkschaftliche Bedingungen existieren. Trotzdem sind wir für die Revolution anstelle von Armut im Kapitalismus.

Welche Chancen siehst Du aktuell in der Praxis des Union Labelings?

Ich denke, die Praxis des Union Labeling ist gut, aber ArbeiterInnen-Solidarität ist besser. Wie gut ist ein Union Label, wenn Gewerkschaftsmitglieder die Streikposten anderer ArbeiterInnen durchbrechen? Eine Praxis, die immer wieder zu beobachten ist. Ich favorisiere den Aufbau einer Bewegung, die sowohl auf Solidarität als auch auf Labels basiert.

Glaubst Du, dass Union Labeling aktuell und international etwas zur Stärkung der Gewerkschaftsbewegung beitragen kann und sich als Weg zur Minimierung des sozialen Klimas der Repression gegen Gewerkschaften eignet?

Union Labeling ist vielleicht ein universeller Weg, damit andere Lohnarbeitende wissen, dass die Konditionen und Standards in der produzierenden Firma besser sind. Ich denke allerdings nicht, dass es hilft, die Repression gegen Gewerkschaften zu minimieren. Wenn Du dir all die weltweiten Vereinbarungen und die Standards der International Labor Organisation (ILO) anschaust, die sich progressiv gegen die verschiedenen Formen der Unterdrückung wenden, siehst du: Es gibt viele Länder, die sie unterzeichnet haben und dennoch ignorieren. Ich denke also nicht, dass Union Labeling das gewerkschaftsfeindliche Klima ändern kann. Das Einzige, was das ändern kann, ist die ArbeiterInnensolidarität, und aus der Perspektive der Bosse ist das Einzige, was sie davon abhält, ArbeiterInnen zu unterdrücken, die Möglichkeit guter Geschäfte. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass Labels vielleicht hilfreich sein können und dass der Kampf für bessere und weniger unterdrückerische Arbeitsbedingungen im Hier und Jetzt wichtig ist. AnarchosyndikalistInnen sollten die Bemühungen unterstützen, aber sie sollten nicht glauben, dass Labels alleine die Einstellung der Bosse zu ihren ArbeiterInnen ändern. Ein Label kann den Boss unter Umständen zu etwas Zurückhaltung zwingen und bewirkt vielleicht besser ernährte ArbeiterInnen. Alles schön und gut, aber alles was weniger als die ganze Bäckerei ist, wird das Problem unterdrückerischer Arbeitsbedingungen nicht ändern. Abschließend möchte ich der FAU stellvertretend für die GenossInnen aus den USA noch viele Jahrzehnte eines erfolgreichen Kampfes wünschen.

Dieses Interview erschien zuerst in der Direkten Aktion #221 - Januar / Februar 2014