Lückenhafte Aufklärung

NSU-Ausschuss legt Abschlussbericht vor


Mit dem Ende der Legislaturperiode hat am 22. August 2013 auch der NSU-Untersuchungsausschuss (UA) im Bundestag seinen Abschlussbericht vorgelegt und die Arbeit für beendet erklärt. Dass es eine Fortsetzung dieses Ausschusses gibt, scheint derzeit unwahrscheinlich. In der Öffentlichkeit wurde die Arbeit des Ausschusses hoch gelobt: Von einer erfolgreichen Zusammenarbeit quer durch alle Parteien ist die Rede. Gemessen am Auftrag fällt unsere Bilanz allerdings negativ aus.

„Der Untersuchungsausschuss soll sich ein Gesamtbild verschaffen zur Terrorgruppe ‚Nationalsozialistischer Untergrund’, ihren Mitgliedern und Taten, ihrem Umfeld und ihren Unterstützern sowie dazu, warum aus ihren Reihen so lange unerkannt schwerste Straftaten begangen werden konnten. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse soll [er] Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ziehen und Empfehlungen aussprechen.“ Nur ein Untersuchungsausschuss könne „Zeugen unter Wahrheitspflicht vorladen und zur Aussage zwingen“, so heißt es in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen im Bundestag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vom 24. Januar 2012.

Von einer Aufarbeitung oder gar lückenlosen Aufklärung der NSU-Mordserie kann jedoch keine Rede sein. Auch die Ombudsfrau für die Opfer des NSU, Barbara John, erklärte, die Aufklärung sei „gescheitert“. Die zentralen Fragen, beispielsweise wer der NSU und sein Netzwerk wirklich war oder warum Akten nach dem Auffliegen des NSU geschreddert wurden, sind weiterhin völlig ungeklärt. Auch schwerwiegende Zweifel an der Darstellung der Behörden, es habe kein Verschweigen, keine Vertuschung und keine direkte oder indirekte Unterstützung gegeben, konnten nicht überzeugend ausgeräumt werden.

Keine Anhaltspunkte für die große Verschwörung gefunden

Detailliert werden auf den 1.400 Seiten die Koordinationsmängel, die Fehler, die Unterlassungen, die falschen Ermittlungsansätze seziert und kritisiert. Der Vorsitzende des UA, Sebastian Edathy (SPD), sprach zusammenfassend von einem „massiven Behördenversagen“. Stehen bleibt allerdings auch, dass sich hohe politische Verantwortliche freigesprochen fühlen können. So betonte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am 22. August 2013 vor der Presse: „Der Bericht bestätigt ausdrücklich, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Mordserie des NSU nicht gedeckt haben oder gar in diese verwickelt waren.“ Denn als Ergebnis hält der UA fest, dass „sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass irgendeine Behörde an den Straftaten“ des NSU „in irgendeiner Art und Weise beteiligt war, diese unterstützte oder billigte“. Auch gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, „dass vor dem 4. November 2011 irgendeine Behörde Kenntnis gehabt hätte“ vom NSU oder seinen Taten oder ihn dabei „unterstützt hätte, sich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen“. Auch für den Verdacht, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe oder „einer der vier anderen Angeklagten vor dem OLG München“ (André E., Holger G., Carsten S. und Ralf Wohlleben) sei V-Person gewesen, habe man keine Anhaltspunkte finden können.

Hier folgt der UA der Anklage der Generalbundesanwaltschaft und reduziert den NSU auf drei Personen plus vier (mutmaßliche) Helfer. Nimmt man aber eine ausgedehntere Definition des NSU als Netzwerk und rechnet beispielsweise Tino Brandt, Thomas Starke, Thomas Richter, Kai Dalek, oder Juliane W. dazu, dann ergeben sich ganz neue „Anhaltspunkte“ für die Mitwisserschaft und Mitschuld einzelner Ämter.

„...konnte nicht geklärt werden“

Und so sollte bei allen wertvollen Erkenntnissen auch nicht unterschlagen werden, dass das Nichtfinden von Anhaltspunkten nicht der Gegenbeweis sein kann. In allzu vielen Passagen kommt der Abschlussbericht nach der Darstellung von widersprüchlichen Aussagen verschiedener Ämter zu der Aussage, dass der Sachverhalt „nicht geklärt werden“ konnte.

Nun werden wohl die Aktendeckel über den vielen Ungereimtheiten geschlossen. Schredder-Aktionen wenige Tage nach Auffliegen des NSU werden zwar explizit scharf kritisiert, aber sie bleiben letztendlich unaufgeklärt und konsequenzenlos.

Doch wie hätte es anders sein können? Erinnert sei an den wohl meist gehörten Satz aus dem Mund von Mitarbei­ter_in­nen der verschiedenen Dienste – „dies ist mir nicht erinnerlich“ – in den über 100 oft stundenlangen Zeug_innenvernehmungen. Mit dieser Strategie des Nicht-Erinnern-Wollens kamen die Zeug_innen auch meist glimpflich durch ihre Vernehmung. Zwar skandalisierten die Ausschussmitglieder danach vor den Fernsehkameras und Mikrofonen der Presse, welche Ungeheuerlichkeiten, Erinnerungslücken und Ungereimtheiten ihnen gerade präsentiert worden waren und wie unkooperativ sich die Behörden zeigten. Doch Konsequenzen, ob strafrechtliche, politische oder strukturelle, hatte dieses systematische Verschweigen und Verschleppen bis heute nicht. Zwar ist eine zentrale Forderung der Parteien im Abschlussbericht die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Doch als Praxis hat sich im UA gezeigt, dass die Dienste ihren Kontrolleur_innen nur das weitergeben, was sie weitergeben wollen.

Wertvolle Einblicke

Zu behaupten, der Versuch einer staatlichen Aufklärung sei ohne Ergebnis geblieben, wäre dennoch falsch. So weit wie nie zuvor mussten die sogenannten Sicherheitsbehörden Einblick in ihre Arbeitsweise zum Thema Rechtsterrorismus und Neonazismus geben. Dabei zeigte sich, dass das Wissen der Ämter nicht nur mangelhaft war und ist, sondern auch allzu oft von wenigen V-Leuten abhängt und in Regionen und Strukturen ohne V-Leute schlicht nicht existiert.

Der Bericht kritisiert deutlich, wie durchsetzt die Naziszene mit V-Leuten ist – und wie abhängig die Behörden von ihren sogenannten Quellen sind. Doch auch hier bleiben die meisten Fragen offen. Ob der Bericht es schaffen wird, das Dogma des Quellenschutzes in den Geheimdiensten überhaupt nur anzukratzen, geschweige denn verbindliche Richtlinien in den Ämtern durchzusetzen, ist noch ungewiss. Der Einblick in die Arbeitsweise der Ämter macht deutlich, dass der Quellenschutz, unter dem Mantel des „Schutzes des Staatswohles“, wichtiger ist als die Aufklärung von Morden – und damit potenziell wichtiger als die Verhinderung weiterer.

Im sehr lesenswerten Bericht der Türkischen Gemeinde in Deutschland wird dieses V-Leute-System als „rechtsfreier Ausnahmezustand“ analysiert, und die jetzigen Umstrukturierungen der Ämter werden scharf kritisiert. Man wolle „eine „Sicherheitsarchitektur“ schaffen, die den Verfassungsschutz mit seinem „heiligen“ Kern, der zentralen Stellung des Bundesamtes und der – de facto – Unantastbarkeit der V-Leute absichert. Konsequenterweise fordern sowohl die Türkische Gemeinde als auch Die Linke, den VS abzuschaffen, Die Grünen wollen immerhin ein Moratorium zur generellen Abschaltung der V-Leute.

Rassistisch sind nur Nazis?

Ein Thema zieht sich durch sämtliche Ermittlungen der Mordserie des NSU und den Blick der Behörden auf die rechte Szene. Dessen explizite Benennung fehlt dennoch komplett im gemeinsamen Abschlussbericht der Bundestagsfraktionen: der institutionelle Rassismus. Im Detail versuchte der UA zu ergründen, wieso die ermittelnden Beamt_innen meist nur die Angehörigen der Opfer im Blick hatten und nach vermeintlichen Drogen- und Schutzgeldnetzwerken suchten. Aber der rote Faden, der sich durch sämtliche Ermittlungen zog, wird im gemeinsamen Teil des Abschlussberichtes nicht beim Namen genannt. Rassismus als Problem kommt nur dort vor, wo es um Neonazis oder um Empfehlungen für die Zukunft geht.

In den Sondervoten der einzelnen Fraktionen gibt es allerdings abgestuft Analysen zu dem, was im NSU-Komplex als institutioneller Rassismus bezeichnet werden müsste: Die CDU hielt kein Sondervotum für nötig, die FDP fordert lediglich eine „Sensibilisierung von Polizisten und Staatsanwälten gegenüber Fremdenfeindlichkeit“. Die Grünen formulieren immerhin: „Die Untersuchungen des Ausschusses haben gezeigt, dass die Fehl- und Nichtermittlungen im Hinblick auf die Morde des NSU mit rassistischen Vorurteilen in Zusammenhang standen. Es wäre blauäugig anzunehmen, in der Gesellschaft vorhandene Vorurteile wären in den Strafverfolgungsbehörden nicht existent.“ Allerdings schreiben Die Grünen so den Rassismus lediglich Individuen, nicht aber Strukturen zu. Die SPD kritisiert die „routinisierten, oftmals rassistisch geprägten, Verdachts- und Vorurteilsstrukturen“ in den Behörden. Allein Die Linke benennt den institutionellen Rassismus ausführlich und explizit.

Aufklären und Einmischen

In einer gemeinsamen Erklärung am Tag der Veröffentlichung des Abschlussberichtes sprechen Nebenklagean­wält_in­nen von einem systematischen Versagen der Ermittlungsbehörden, das auf institutionellem Rassismus beruhe. Die Morde hätten verhindert werden können, so die bittere Erkenntnis. Neben rassistischen Praktiken wie Racial Profiling folgten die Ermittlungsbehörden einer inneren Logik, sie tradierten Normen und Werte, deren rassistische Konsequenzen sich auch in den Ermittlungen im Fall NSU wiederfinden, so die Nebenklageanwält_innen.

Mit dem Abschluss des Bundes-Untersuchungsausschusses ist ein Teil der staatlichen Aufklärung beendet. Welche der vorgeschlagenen Konsequenzen wirklich in die Realität umgesetzt werden, bleibt den politischen Konstellationen der nächsten Jahre vorbehalten. Die Abschaffung der Verfassungsschutzämter oder zumindest des V-Leute-Systems sind jedoch nicht zu erwarten.

Die Konsequenz aus der Befassung mit dem „NSU-Komplex“ sollte die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sein, die das Morden unterstützt haben, forderte das Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung in einem Aufruf Anfang September. Vielleicht ist für einige erst durch die Auslassung des Wortes Rassismus im Abschlussbericht deutlich geworden, wie wenig auf die großen Parteien zu hoffen ist, wenn es um die Aufarbeitung der Verantwortung von Behörden und Politik geht. In den Unterschieden zwischen gemeinsamer Bewertung und den Sondervoten kommt die Crux eines jeden parlamentarischen Kontrollgremiums zum Vorschein: Welche Partei war nicht irgendwo in einer parlamentarischen Kontrollkommission, die irgendwann eine fatale V-Mann-Praxis abgenickt hat? Welche Partei hatte keine_n hochrangigen Politiker_in, der oder die sich irgendwann zum „Schutz der BRD“ oder „um keine Unruhe zu stiften“ vor die eigene Behörde gestellt hat und wider besseren Wissens behauptet hat: „Ein rechtsextremes Motiv kann ausgeschlossen werden.“? Die lückenlose Aufklärung endet dort, wo parteipolitische Interessen zu stark gefährdet sind. Dies gilt erst recht kurz vor einer Bundestagswahl.

Eine wirkliche Aufarbeitung kann nur funktionieren, wenn sich weitere Teile der Gesellschaft nicht mehr allein darauf verlassen, dass ein parlamentarischer UA oder ein Strafprozess die Aufarbeitung und die Aufklärung über das Netzwerk NSU sowie über den Rassismus in Behörden, Medien und Gesellschaft leisten kann – selbst wenn sie wollten.


Der Artikel erschien in Ausgabe #53 der antifaschistischen Zeitschrift LOTTA.