„Landwirtschaft als Thema nutzen“

TTIP: Kritik an den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA

 

„Landwirtschaft raus aus Freihandelsabkommen!“ - das fordert seit langer Zeit die Kleinbauernorganisation La Via Campesina. Unser Interviewpartner Andrea Ferrante meint, in Bezug auf die Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA sollten KritikerInnen schon etwas ambitionierter sein und gleich einen generellen Stopp der Verhandlungen fordern.

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika haben mit Verhandlungen zur Bildung einer Freihandelszone begonnen. Wird sich La Via Campesina in die Diskussionen einmischen?

Auf der letzten Vollversammlung von La Via Campesina Europa im April dieses Jahres in Spanien haben wir uns hauptsächlich damit beschäftigt, wie wir uns den Freihandels-Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten entgegenstellen können. Bei den Verhandlungen handelt es sich um einen Prozess, der viel Öffentlichkeit erreicht. Und natürlich werden auch die Auswirkungen eines EU-USA-Abkommens weit reichen. Die Mobilisierung während der Verhandlungen ist daher außerordentlich wichtig.

Aber auch das bilaterale Freihandelsabkommen für landwirtschaftliche Produkte zwischen der Europäischen Union und Marokko, das im Oktober 2012 in Kraft getreten ist, darf nicht unterschätzt werden.(1) Immerhin kommt in der EU der größte Teil der landwirtschaftlichen Produkte aus dem Süden Europas, und gerade für die dortige Landwirtschaft hat das Abkommen eine sehr große Bedeutung.

Können Sie Beispiele geben, durch welche Inhalte des Abkommens der EU mit Marokko die Rechte von Bäuerinnen und Bauern geschwächt werden können?

Nehmen wir zum Beispiel die Produktion von Gemüse. Bereits vor dem Abschluss des Freihandelsvertrages zwischen der EU und Marokko gab es in Spanien eine Produktion auf sehr niedrigem Lohnniveau. Bekanntermaßen gab und gibt es dort große Probleme mit WanderarbeiterInnen - und wenn ich „Probleme“ sage, dann meine ich nicht die Migration, sondern  die fehlenden Rechte der ArbeiterInnen. Nun werden große Summen in Marokko investiert, um Gewächshäuser zu bauen, weil die Arbeitskraft dort noch billiger ist, und damit ist abzusehen, dass die Gemüseproduktion langfristig nach Marokko verlagert wird. Dort aber ist es um die Arbeits- und Menschenrechte derjenigen, die in der Gemüseproduktion arbeiten, noch schlechter bestellt als in Spanien. Auch gibt es weniger Kontrollen in der Produktion. Und auch die Situation der Bäuerinnen und Bauern in Marokko wird sich nicht verbessern. Wenn über internationalen Handel gesprochen wird, heißt es, der sei gut für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Süden - aber das ist nicht der Fall. Internationaler Handel ist von der Lebenssituation der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sehr weit entfernt. Das gilt weltweit. Handel ist in wenigen Händen konzentriert, und das wird auch in Marokko zu sehen sein - sei es durch Kapital von außen oder durch Investitionen aus dem Land selbst. Wir dürfen nicht vergessen: Der wichtigste landwirtschaftliche Produzent Marokkos ist der König.

La Via Campesina hat gegen das Freihandelsabkommen EU-Marokko mobilisiert und in den Verhandlungen Stellung bezogen. Wie beurteilen Sie rückblickend diese Arbeit?

Obwohl sich ein Teil unserer Mitgliedsorganisationen in diesen Verhandlungen beziehungsweise gegen dieses Abkommen sehr engagiert hat, ist es uns nicht gelungen, das Abkommen zu verhindern. Vor allem haben wir nicht ausreichend mobilisieren können. Wir waren nicht in der Lage, ein starkes Netzwerk mit Organisationen zu bilden, die außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors stehen. Möglicherweise waren wir auch zu sehr auf die Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (CAP) fokussiert - natürlich hängt Mobilisierung auch von personellen Ressourcen ab.(2)

Nach diesen ziemlich schlechten Erfahrungen sind wir nun dabei, unsere Kräfte zu sammeln. Das ist wichtig, denn wir glauben, dass die Verhandlungen zwischen EU und USA deutlich komplexer sein werden als es die mit Marokko waren. Schon jetzt haben verschiedene Regierungen und auch Mitglieder des Europäischen Parlaments Themen aufgebracht, die mehr Zeit brauchen. Diesen Zeitgewinn wollen wir nutzen, zum Beispiel indem wir bei den Wahlen zum Europaparlament und im Wahlkampf gegen die Verhandlungen mobilisieren. Und natürlich wird es sehr wichtig sein, dass wir weiter in Koalitionen und Netzwerken zusammenarbeiten, wie wir es auch schon jetzt bei den CAP-Verhandlungen getan haben.

Mit wem haben Sie in den CAP-Verhandlungen kooperiert?

Dabei waren zum Beispiel Friends of the Earth, Oxfam Belgien und andere Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisationen.(3) Auch mit dem Nyeleni-Netzwerk haben wir zusammengearbeitet, das mit kleinen, aber auf dem Graswurzel-Level sehr aktiven Gruppen vor allem in Osteuropa gut organisiert ist. Nicht so sehr kooperiert haben wir bei der CAP-Reform mit den Gewerkschaften, aber ich gehe davon aus, dass es eine Zusammenarbeit im Falle der Freihandelsverhandlungen zwischen EU und USA geben wird.

Haben Sie auch Partner in den Vereinigten Staaten?

Natürlich. Es gibt auch dort La Via Campesina-Gruppen. Sie haben ihrerseits begonnen, in den USA eine Plattform zu gründen. Im Juni hatten wir unsere Konferenz auf internationaler Ebene in Jakarta auf den Philippinen. Dort haben wir uns mit unseren Schwester-Organisationen aus den USA zusammengesetzt. Selbstredend werden wir miteinander kooperieren - das ist ein Teil unserer Strategie.

In früheren Kampagnen gegen Freihandel forderte La Via Campesina „Landwirtschaft raus aus Freihandelsabkommen!“ oder „Landwirtschaft raus aus der WTO!“(4) Mit welcher Forderung gehen Sie in die Auseinandersetzung um das EU-USA-Abkommen?

Das stimmt, die Landwirtschaft aus den Freihandelsabkommen rauszuhalten ist bis heute eine wichtige Forderung von La Via Campesina. Ich glaube allerdings, dass wir bei den Verhandlungen zwischen den USA und Europa etwas ambitionierter sein sollten: Die Forderung sollte zunächst einmal sein, dass die gesamten Verhandlungen gestoppt werden. Denn sie sind nicht nur ein Problem für die Landwirtschaft, sondern betreffen die ganze Gesellschaft.(5) Wir sollten deshalb keine spezielle Landwirtschafts-Agenda aufstellen, sondern die Landwirtschaft als Thema nutzen, um die Auswirkungen von Freihandelsabkommen für die Gesellschaft zu zeigen. Seien wir also ein bisschen ehrgeizig und versuchen wir, die Verhandlungen aufzuhalten.

Das ist tatsächlich ambitioniert.

Ja, sicher. Andererseits ist es auch für die Verhandlungspartner nicht gerade ein leichtes Unterfangen, Einvernehmen über das Abkommen zu erreichen, auch die haben große Probleme. Nehmen Sie zum Beispiel die Affäre um Edward Snowden: Das ist keine sehr günstige Atmosphäre, um vertrauensvolle Verhandlungen zu beginnen. Diese Affäre wird sich selbstverständlich auf die Verhandlungen auswirken.

Kommen wir nochmal zurück zur Landwirtschaft. Wenn Sie sagen, die Landwirtschaft und die Lebensmittel sollen aus den Freihandelsabkommen rausgehalten werden, heißt das automatisch, dass es keinen internationalen, keinen globalen Handel mit landwirtschaftlichen Produkten geben soll?

Handel oder kein Handel - das ist nicht die Frage, auch wenn das eine sehr alte Diskussion ist. Es geht vielmehr darum, wer die Kontrolle über den Handel hat. Handel ist Teil des Austausches zwischen den Kulturen. Ohne Handel gäbe es in vielen Bereichen keine Möglichkeit für diesen Austausch. Ich zum Beispiel liebe es, Quinoa zu essen. Ohne irgendeine Art des Handels könnte ich das nicht. Das Problem ist, wie der Handel vonstatten geht und wer ihn kontrolliert. Führen Sie sich vor Augen, dass sich die derzeit für die Ernährungssicherheit weltweit bedeutendste Regulierung - das ist die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (6) - nicht im Geringsten nach den Regeln oder Prinzipien der Ernährungssicherung richtet. Die CAP ist entlang der Rahmenregulierung der Welthandelsorganisation aufgebaut, das heißt die EU-Agrarpolitik richtet sich nach Regeln, die vor allem Handel gewährleisten sollen.

Können Sie ein Beispiel geben für eine Regulierung, die notwendig wäre und die ein Freihandelsabkommen gefährdet?

Es muss zum Beispiel Regulierungen geben, die den Zugang zu Land sichern. In Europa sind die Bäuerinnen und Bauern relativ alt. Gleichzeitig ist es für junge Menschen, die sich in der Landwirtschaft eine Existenz aufbauen wollen, sehr schwierig, Zugang zu Land zu bekommen. Dieser Zugang kann von einem Freihandelsabkommen betroffen sein, etwa wenn das Landgrabbing durch dessen Bestimmungen noch einfacher wird. Schon jetzt haben wir weltweit, besonders in Afrika und Lateinamerika, große Probleme mit dem Landgrabbing. Wir solidarisieren uns natürlich mit den Bäuerinnen und Bauern auf anderen Kontinenten. Aber es gibt Landgrabbing auch hier in Europa, wo das Phänomen ganz unterschiedliche Gesichter hat: In Italien können es Investoren sein, die Photovoltaik-Anlagen auf landwirtschaftliche Flächen bauen und in Rumänien und Bulgarien sind es Investoren, die riesige Flächen übernehmen. In Deutschland profitieren Konzerne davon, dass die BVVG, die Nachfolge-Institution der Treuhand, die Privatisierung von Land in einer Art betreibt, bei der finanzstarke Investoren gegenüber bodenständigen Betrieben bevorteilt werden.(7) Wir haben das erst vor kurzem in einem Bericht dokumentiert.(8)

Auch aus diesem Grund ist es so wichtig, dass wir über den Austausch von landwirtschaftlichen Produkten nicht aus der Handelsperspektive diskutieren, sondern ihn als Frage des Rechts auf Nahrung führen. Deshalb gehören diese Debatten auch nicht in die Welthandelsorganisation oder in bilaterale Freihandelsabkommen. Sie müssen unter dem Dach des Komitees für Lebensmittelsicherheit bei den Vereinten Nationen (UN) geführt werden, das das Recht auf Nahrung, wie es von der UN formuliert wurde, zum Ausgangspunkt nimmt.(9)

Wie wird es weitergehen?

Wir müssen unsere Koalitionen stärken. Das ist für uns das Wichtigste. Ich sehe da zuerst  Bündnisse, in denen wir schon seit längerem an der Entwicklung und Durchsetzung unserer Visionen und Ziele arbeiten. Zentral ist für uns das Nyeleni-Europe-Bündnis, das seit 2011 versucht, Nahrungssouveränität auch in Europa stärker zum Thema zu machen. 2011 gab es ein großes Treffen von Nyeleni Europe im österreichischen Krems und ich glaube, dass es uns seitdem recht gut gelungen ist, das Konzept der Nahrungssouveränität für Europa zu entwickeln und bekannter zu machen. Allerdings liegt noch ein langer Weg vor uns. Es kann uns nicht genug sein, gegen Freihandelsabkommen zu kämpfen. Wir brauchen auch unsere eigenen Visionen - gerade in Zeiten, in denen das bestehende System überall auf der Welt in Krisen geraten ist.

 

Herr Ferrante, wir danken für das Gespräch und wünschen weiter viel Erfolg.

 

Das Interview führte Christof Potthof

 

Andrea Ferrante ist im Vorstand der europäischen Sektion von La Via Campesina, einer internationalen Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern.