Von guten Päpsten

 

 

Zwischen 1973 bis 1979 war das Mitglied der Gesellschaft Jesu, Jorge Mario Bergoglio, Leiter der argentinischen Ordensprovinz des Jesuitenordens. Als solcher war er, der Orden ist seit seiner Gründung straff hierarchisch organisiert, nur dem Ordensgeneral unterstellt und dieser wiederum einzig und allein dem Papst. Das war in jenen Jahren Paul VI. – dessen zentrale Aufgabenstellung für den Orden „Bekämpfung des Atheismus“ lautete. Von 1976 bis 1983 widmete sich in Argentinien eine Militärjunta, auf deren Schuldkonto zirka 30.000 Menschenleben stehen, dieser hehren Aufgabe. Die Junta unterhielt offenkundig gute Kontakte zur Amtskirche, auch wenn es katholische Priester gab, die durchaus nicht von der für Rom – dafür war ein gewisser Josef Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation (also der früheren Inquisition) zuständig – verdammenswerten Irrlehre der „Theologie der Befreiung“ lassen wollten und diese sogar mit der Waffe in der Hand vertraten. Den direkten Draht der Junta zur Gesellschaft Jesu hatte Admiral Emilio Massera in der Hand, dem auch die Marineschule ESMA in Buenos Aires unterstand. In den Jahren der Diktatur wurden in der ESMA mindestens 5.000 Menschen viehisch gefoltert und ermordet. Bergoglio soll sich während der Diktatur mehrfach mit Massera, von dem er nach Aussage seines Chauffeurs „nicht mit Abneigung“ sprach, getroffen haben – natürlich nur, um seine Ordensleute zu schützen. Von denen landeten allerdings zwei prompt in den Folterkammern des Admirals.
Die Vorwürfe, dass der Ordensprovinzial die beiden Padres zumindest fallen ließ, sind bis zum heutigen Tage weder verstummt noch entkräftet. Bemerkenswert ist übrigens noch ein weiterer, lange verborgen gebliebener Draht Masseras zum Vatikan: Mit Hilfe Licio Gellis, der erwarb sich seine ersten Sporen im Kampf gegen den „Atheismus“ bei den „Schwarzhemden“ Benito Mussolinis im spanischen Krieg, wurde er Mitglied der Geheimloge „Propaganda Due“ (P 2). Deren tatsächliche Vernetzung ist bis zum heutigen Tage nicht vollständig offen gelegt. Allerdings stößt man immer wieder auf Verbindungen zum Vatikan. Bei der P 2 war ein gewisser Roberto Calvi aktiv, hauptsächlich war der aber Präsident der 1987 zusammengebrochenen Mailänder Banco Ambrosiano. Calvi galt als „Bankier Gottes“. Das „Institut für die Werke der Religion“, die Vatikan-Bank also, war an der Ambrosiano beteiligt. Über die P 2 beschaffte Emilio Massera der Junta moderne Waffen zur Vorbereitung des Falkland-Krieges. Der ehrenwerte Signore Calvi half Johannes Paul II., der wurde 1978 Nachfolger Paul VI., ab 1978 beim Transfer erheblicher Finanzmittel des Vatikans und der CIA nach Polen, um dort Ende der 1970er Jahre den Atheismus zu bekämpfen. Bergoglio wehrte sich allerdings, so zitierte ihn die Süddeutsche Zeitung, gegen den Vorwurf, er habe seine Ordensbrüder der Junta ans Messer geliefert, mit der Erklärung, dass er „wenige Tage vor dem Staatsstreich 1976 die beiden Padres vor der bevorstehenden Gefahr gewarnt“ habe. Der Provinzial der Gesellschaft Jesu war also über den bevorstehenden Militärputsch informiert. Und es ist anzunehmen, dass er dieses Wissen nicht für sich behielt.
Damit stand Jorge Mario Bergoglio, der heutige Papst Franziskus I., allerdings in einer langen und weit gefächerten „Traditionslinie“ der Papstkirche im 20. Jahrhundert. Nachlesen kann man diese in Karlheinz Deschners Buch „Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić“. Deschner, Verfasser einer zehnbändigen „Kriminalgeschichte des Christentums“, untersucht in seinem 1965 erstmals erschienen Buch – der AHRIMANN-Verlag legte es jetzt wieder auf – die Umstände der Errichtung der faschistischen Diktaturen in Europa und stößt immer wieder auf eine erschreckende Gemeinsamkeit: Alle vier Diktatoren kamen wenn nicht mit unmittelbarer Unterstützung Roms, so doch mit seiner Billigung an die Macht. Alle konnten uneingeschränkt auf seinen geistigen Beistand zählen. Deschner zitiert den spanischen Kardinal und Erzbischof von Toledo, Isidor Gomá y Tomás, der im Januar 1937 Folgendes verkündete: „Es stehen also auf der einen Seite die Kämpfer jener Ideale, welche aus der alten Tradition und der alten Geschichte Spaniens geboren sind; auf der anderen Seite steht eine zusammengewürfelte Horde ... Christus und der Antichrist bekämpfen sich auf unserem Boden.“ Schlichter und von ihren Wirkungen her bluttriefender kann man eine Frontlinie nicht ziehen.
Von 51 katholischen Bischöfen Spaniens bezogen nach Aussage des (katholischen) Justizministers der Regierung Negrin, Manuel de Irujo, 48 (!) geistliche Hirten profaschistische Positionen. Das war nicht weiter verwunderlich: 1937 gab Pius XI. mit seiner Enzyklika „Divini redemptoris“ die Linie vor. Pius erklärte, dass der „Kommunismus in seinem innersten Kern schlecht“ sei und sich „auf keinem Gebiet mit ihm auf eine Zusammenarbeit eingelassen werden“ dürfe. Einmal ganz abgesehen davon, dass zu keinem Zeitpunkt in Spanien auch nur ansatzweise von einer kommunistischen Machtübernahme ausgegangen werden konnte – hier wird auf wunderbare Weise die apostolische Logik deutlich: Wer sich auch nur im Geiste gegen die römische Kirche stellt, der ist des atheistischen Kommunismus verdächtig. Hier zieht sich ein weiter Bogen zum zitierten Auftrag Paul VI. an den Jesuitenorden und zur aktuellen Debatte um die Positionen Franziskus’ I. Es habe nie „glaubwürdige, konkrete Anschuldigungen gegen ihn gegeben“, erklärte der Vatikansprecher Federico Lombardi am 15. März 2013. Die „Mütter der Plaza de Mayo“ in Buenos Aires sehen das anders.
Auch Pius XI. galt spätestens seit seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ ähnlich wie der jetzige als Papst mit sozialem Herzen. Als Karlheinz Deschner „Mit Gott und den Faschisten“ schrieb, konnte er noch nichts von einem der perfidesten Kapitel der von den Bischöfen gedeckten franquistischen „Sozialpolitik“ wissen: dem Kinderraub. Bereits in der Frühzeit der Diktatur wurden mindestens 30.000 Säuglinge und Kleinkinder ihren republikanischen Müttern weggenommen, um zu verhindern, dass diese „in Sünde“ – also bei unverheirateten Müttern, in den Familien von Sozialisten oder gar Kommunisten aufwuchsen, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Selbst die F.A.Z. sprach im März 2011 von „Eugenik unter Franco“ – und zitierte seinerzeit ein Dossier der Madrider El País, das nachweist, dass diese Praxis bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts fortgesetzt wurde. Im Oktober 2011 wurde dies in einer BBC-Dokumentation „Spaniens gestohlene Babys“ bestätigt. Der Spiegel sprach im September 2012 von 300.000 Neugeborenen, die über Jahrzehnte hinweg gestohlen wurden. Inzwischen gibt es erste Verfahren. So wird in Madrid gegen die heute 87jährige Ordensschwester Maria Gómez Valbuena verhandelt, die mindestens vier Säuglinge gegen eine beträchtliche „Vermittlungsgebühr“ an kinderlose katholische Ehepaare weitergegeben haben soll. Schwester Maria erklärte dazu: „Ich habe nach den Gesetzen der Religion gehandelt.“ Sie meinte wohl die Anweisungen ihres Episkopates und wird Recht damit haben. Atheismus kann man auch bekämpfen, indem man verhindert, dass Babys „die Milch des Kommunismus einsaugen“, wie die F.A.Z. eine Betroffene zitierte.
Natürlich geht Deschner ausführlich auf die Rolle Eugenio Pacellis, dem späteren „Papst der Deutschen“ Pius XII., ein – das ist ein nicht zuletzt dank Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ inzwischen weitgehend bekanntes Kapitel. Auch die verzweifelten Reinwaschungsversuche der Vatikan-Propagandisten können die Sprache der Quellen nicht entkräften: „Von Anfang an“, so zitiert der Autor aus einem Memorandum des Auswärtigen Amtes Joachim von Ribbentrops, „hat der gegenwärtige Papst seine politischen Pläne auf den Sieg der Achsenmächte gegründet.“ Sein Ziel sei, so heißt es an anderer Stelle „die Zerstörung Rußlands“. Das meint die Zerschlagung des „gottlosen Bolschewismus“ – einer Konstante vatikanischer Politik –, das geht aber auch gegen die Erzkonkurrentin Roms, gegen die orthodoxe Kirche.
Zu den am schwersten lesbaren, weil erschütterndsten Abschnitten von Deschners Buch zählt noch immer das letzte Kapitel, das sich genau diesem Thema widmet: „Der Vatikan und die Kroatengreuel“. Gemeint ist das Wüten der Ustascha Ante Pavelić’s gegen Serben und Juden im Zusammenhang mit der Zerschlagung des Königreiches Jugoslawien durch die Faschisten. Diese Gemetzel gehören in die Rubrik des schwer Erzähl- und kaum Ertragbaren. Zur Kenntnis nehmen muss man sie dennoch. Nur so wird manches verstehbar, was sich an Gräueltaten im Zusammenhang mit der Auflösung der Republik Jugoslawien in den letzten neunziger Jahren auf dem Balkan abspielte. Der Massenmörder Pavelić genoss bis zum letzten Atemzuge die Protektion der katholischen Kirche. Pavelić erhielt noch kurz vor seinem Tod den „besonderen Segen“ von Papst Johannes XXIII. – und der gilt noch heute als il Papa buono („der gute Papst“).

Karlheinz Deschner: Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić , Freiburg 2012, AHRIMAN-Verlag, 217 Seiten, 19,80 Euro.